Mit dem üblichen Sitcom-Realismus hat diese Animationsserie nichts zu tun. Hier sprechen Pferde wie Menschen. Schaut man genauer hin, offenbart sich eine niederschmetternde Analyse der Wirklichkeit.
***
„It’s all bullshit Diane, that’s the gig.
And you’re not good enough at this job
to be too good for this job.“ (Princess Carolyn)
Der erste äußere Eindruck, den man von dieser Serie gewinnt, kann leicht täuschen. Sie kommt in ihrer Anmutung zunächst so bunt daher, dass sie den Verdacht auf leichtverdauliche Flausen à la “Family Guy” nährt. Doch schon das Intro von “BoJack Horseman”, in dem der Kopf des Hauptcharakters – in mehr oder minder berauschtem Zustand – vor farbenfroh bevölkerten Kulissen dahinschwebt, zerstreut diesen Verdacht auch schon wieder. Denn das besoffene Klamaukpotential wird von besorgten Mienen im Hintergrund ausgebremst, auch wenn einige von ihnen zu anthropomorphen Tiergestalten gehören und der Hauptdarsteller einen Pferdekopf trägt. Wobei diese Absurdität, die innerhalb der Serie als Selbstverständlichkeit hingenommen wird, der Serie selbst nicht ihre Schwere nimmt. Man gewöhnt sich schnell daran, dass eine rosa Katze im grünen Kleid zwar einen dekorativen Designerkratzbaum in ihrem Büro aufgestellt hat, sich ansonsten aber ausgesprochen menschlich verhält.
Diese rosa Katze namens Princess Carolyn verdient ihren Lebensunterhalt als Agentin jenes fiktionalen menschlichen Pferdes. Und hier kann es kurzzeitig etwas unübersichtlich werden, denn dieses Pferd namens BoJack Horseman ist der Protagonist der realen Serie „BoJack Horseman“, die man auf Netflix mitverfolgen kann. Im Rahmen des Universums dieser Serie war dieses Pferd aber auch schon Protagonist einer fiktionalen Neunziger-Sitcom namens „Horsin’ Around“, die wiederum realen Serien wie „Full House“ nachempfunden ist. Sowohl die seichte Oberflächlichkeit der parodierten Serien als auch das Spiel mit den Fiktionalitätsebenen wird bis zum äußersten getrieben.
So wird in „BoJack Horseman“ erwähnt, dass in einer Folge der vierten Staffel von „Horsin’ Around“ das fiktive Pferd zum Präsidenten gewählt wird. Ein Plotpunkt, der sich eine Episode später lediglich als Traum herausstellt. „Horsin’ Around“ ist also eine Fiktion in der Fiktion, die dann eigens fiktive Elemente für die Verschachtelung der Ebenen in einem gemeinsamen Universum schafft. Gibt man „Horsin’ Around“ als Suchanfrage bei Netflix ein, so erhält man, um den Kreis zu schließen, sogar ein Ergebnis, wobei nur das Intro der fiktiven Serie tatsächlich abgespielt werden kann. Die Ebenen der Fiktionalität sollen verwischen, als wäre das menschliche Pferd Teil unserer Welt. Dies Serie hat sogar eine eigene IMDb-Seite.
Interessant ist an dieser Stelle auch, wie Surrealismus – Tierköpfe auf menschlichen Körpern – und unerbittlicher Realismus der Serie ineinanderspielen. Die scheinbare Frivolität der Tiergestalten erfasst das System Hollywood auf eine ausgesprochen ernüchternde Weise. Der Surrealismus spitzt den Realismus zu und unterwirft sich diesem gleichzeitig. Denn die Figuren funktionieren und verhalten sich, bis auf den ein oder anderen ungelenk flatternden Vogel, so wie Menschen es in der Realität auch tun würden. Bekannte reale Elemente Hollywoods und die offenbar mittelmäßig glamouröse Welt der Stars werden verfremdet dargestellt und können durch das seltsame Zwielicht zwischen Realität und Surrealismus mit Abstand, unter Ausschaltung eines Gewöhnungseffekts, betrachtet werden. Auf was die Serie abzielt, wird dabei relativ schnell klar.
Die Prämisse und das Setting sind schnell erzählt: Der Protagonist, das anthropomorphe Pferd namens BoJack Horseman, ist ein desillusioniertes Mitglied der in die Jahre gekommenen B-Prominenz. An Geld, Groupies und diversen Rauschmitteln mangelt es ihm zwar immer noch nicht, doch will es mit dieser verflixten Erfüllung im Leben nicht klappen. Die Karriere muss also wieder auferstehen, denn ein bisschen Ruhm und uneingeschränkte Bewunderung haben noch niemandem geschadet, wie uns schon die griechischen Mythen lehren.
BoJack will also seine Autobiografie herausbringen. Es mangelt ihm aber an Schreibtalent und Begeisterung, und so holt seine Agentin, Princess Carolyn, eine Ghostwriterin namens Diane mit ins Boot. Es sind wohl ihre Klugheit und ihre ungerührte Authentizität, die sie für BoJack so interessant machen. Wie sich die Seiten des Buches füllen, wächst auch die Zuneigung zwischen den beiden. Ein länger anhaltender Hoffnungsschimmer ist in der quietschbunten Depression aber nicht in Sicht. Denn Diane ist in einer Beziehung – mit dem anthropomorphen Labrador Mr. Peanutbutter. Auch er ist Schauspieler, doch da hören die Gemeinsamkeiten mit BoJack auch schon auf, denn Mr. Peanutbutter ist eher der menschlichen Interpretation des Innenlebens eines Hundes entnommen. Er ist einfältig, aber glücklich. Die moralischen Ambiguitäten seines Umfeldes verspürt er durchaus. Er scheint aber von einem naiven und gleichwohl echten Optimismus beseelt zu sein. Sieht man sich mit seinen Augen, so muss es verlockend einfach sein, sich selbst zu mögen. Eine Qualität, die ihn bestimmt auch für Diane so liebenswert macht.
Eine Serie, deren Figuren dem Showbusiness zugehören – niemanden wird es überraschen, dass dieses fortlaufend Zielscheibe der Kritik ist. Denn Hollywood ist eine Plattform, die nicht zufällig gebrochene Charaktere wie BoJack anzieht.
„It’s all bullshit Diane, that’s the gig“, hallt der frühe Befund von Princess Carolyn nach, als sie sich in der sechsten Folge der zweiten Staffel darum bemüht, mittels einer erfundenen Abtreibung einen Medienhype um einen jungen Popstar zu kreieren. Diese Sextina Aquafina ist mit ihrer bedingungslosen Oberflächlichkeit eine relativ gewöhnliche Karikatur. Für sie scheint alles ein willkommener Trittstein zu mehr Likes, Klicks und Views zu sein. Von der Idee, sich als Märtyrerin der „Pro-Choice“-Bewegung inszenieren zu lassen, ist sie begeistert – solange sie dafür bewundert wird. Es wird ein Musikvideo zum Thema gedreht, so geschmacklos und vulgär, dass es an eine Plattitüde grenzt. Das Entscheidende auf einer höheren Ebene aber ist: Sextina Aquafina bleibt ein Produkt Carolyns und Dianes, Produkt einer Strategie, die klügere Figuren sich ausdenken, Figuren, welche die Schwächen des Systems erkennen und ausnutzen.
Wenn Princess Carolyn also Hollywood und alles, was dazugehört, als Bullshit abfertigt – was sagt das dann über sie selbst aus, die dieses System forciert und aufrechterhält? Denn beide Figuren, vor allem aber Diane, tragen das Bedürfnis in sich, als gute Menschen oder Katzen wahrgenommen zu werden.
Die Serie urteilt hart über die Unterhaltungsindustrie. Sie wird als oberflächlich, frivol und egozentrisch dargestellt – und wahrgenommen. Doch keine der Figuren empfindet diese Welt so nachhaltig als abstoßend, dass sie auf die Idee käme, sie zu verlassen oder zu verändern. Alle zusammen schaffen aktiv den Grundstock für dieses System, von dem sie gleichwohl wissen, wie unbarmherzig es Menschen verschluckt und verschleißt.
Neu ist dabei nicht das Urteil, dass Hollywood seinen Glanz verliert, sobald man es näher betrachtet, sondern, dass dieses monströse System immer neu von Protagonisten geschaffen wird, deren absurde Handlungsweisen und deren Verantwortung man in der Tier-Parabel viel besser versteht. Deutlich wird, dass nicht individuelle Gier oder Bosheit den unmenschlichen Mechanismus dieses Systems in Gang setzen, sondern es auf einem bequemen und egoistischen Mitmachen beruht, das dem Zuschauer vertraut vorkommen muss.
Man könnte dem System ja entkommen, aber das würde Kraft kosten – und an den ganzen, schönen Luxus, den man dann aufgeben müsste, ach, daran will ich gar nicht erst denken. Ebenso wenig wie die Serie den Figuren Absolution erteilt, tut sie das mit den Rezipienten. Hierin liegt die Krux der Serie, unabhängig von allem Witz, den sie trotz ihrer Tristesse in sich trägt.
BoJack, der Irrende, der sein Glück immer nur mit halbem Herzen sucht und den einfachen Weg wählt, wenn es darauf ankommt, ist zugleich Identifikationsfigur. Er findet immer wieder zurück zum verabscheuten, aber vertrauten Ausgangszustand in der Filmindustrie, womit er sowohl die Serie „BoJack Horseman“ als auch Hollywood an sich am Leben erhält. Indem die Serie über sich selbst richtet, richtet sie auch über den Zuschauer – und ihr Urteil ist ehrlich. Die Mittäterschaft ist menschlich. Es ist ein gnädiges Urteil – und gleichzeitig ein zerschmetterndes.