An der Oberfläche regiert der Glitzer, drunter lauern Probleme mit Liebe und Mutti: Die Serie “Suits” ist Anwaltsserie und Familiensaga in einem. Wie versucht sie, den Zuschauer zu fesseln?
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Die Anwaltsserie ist ja auch so ein typisch amerikanisches Phänomen. Angefangen bei eher klassischen Varianten wie “Boston Legal” oder “Law and Order” in seinen diversen lokalen Versionen über “Damages” und “How to Get Away with Murder”, bei denen man mitunter gar nicht mehr so genau weiß, wer eigentlich Recht bricht und wer es verteidigt bis hin zu “The Good Wife”, wo persönliches und gerichtliches Drama praktisch ein und dasselbe sind, hat das amerikanische Fernsehen eine nicht enden wollende Armada an seriellen Anwaltsgeschichten im Angebot. “Suits” bringt das alles zusammen: Die Anwälte sind nicht ganz so dubios und skrupellos wie in “Damages”, Kinder und Küche nicht ganz so präsent wie in “The Good Wife”, sowohl moralisch Verwerfliches als auch Persönliches findet aber durchaus Platz, ebenso wie Referenzen zu zahlreichen anderen Serien und Filmen innerhalb und außerhalb der Anwaltswelt. “Suits” ist ein bisschen von allem.
Der anfängliche zentrale Konflikt trägt die Handlung durch die ersten Staffeln: Harvey Specter, bester „Closer“ der Kanzlei „Pearson Hardman“, wählt als seinen Associate Mike Ross aus, der zwar brillant ist und dank photographischem Gedächtnis mühelos Gesetzbücher (und Filme) herunterbeten kann, leider aber keinen Universitätsabschluss in Jura hat und somit eigentlich gar nicht als Anwalt praktizieren darf. Das tut er aber trotzdem, was die Entscheidungsträger der Firma in den Sog von Lügen und Versteckspielen hineinzieht, derer es bedarf, um Mikes Geheimnis zu wahren.
Nebenbei werden zahlreiche komplizierte Fälle gelöst, meist geht es dabei mehr ums große Geld denn um Gerechtigkeit. Das Stichwort hier ist: nebenbei. Denn auch wenn “Suits” auf seiner glamourösen Oberfläche so tut, als sei es eine Anwaltsserie, ist das eigentlich nicht der Kern der Sache. Man kann völlig problemlos alle sechseinhalb verfügbaren Staffeln (fünf davon auf Netflix) schauen, ohne auch nur irgendetwas über das amerikanische Rechtssystem zu wissen oder etwas darüber zu lernen.
Ein Zuhause für die Verlorenen
Was an der Serie eigentlich so gut und verlockend ist, sind nicht die juristischen Fälle, sondern, erstens, die Figuren, die einem vorkommen wie bessere, erfolgreichere Versionen seiner selbst, mit mehr Geld und schöneren Wohnungen, aber essentiell denselben Problemen, mit denen sich Emporkömmlinge und solche, die es sein wollen, zwischen 20 und 35 nun mal rumschlagen: mit Bindungsangst und gescheiterten/unerwiderten/komplizierten Liebesgeschichten, mit problematischen Beziehungen zur Mutter und der alltäglichen Diskriminierung jener, die nicht weiß, männlich und heterosexuell sind. Und über alledem thront die Frage, was man denn nun eigentlich will vom Leben (außer Glitzer).
Die Serie hat zwar keine Antworten auf all diese Fragen, bietet aber so ziemlich jedem Zuschauer eine Figur mit Persönlichkeitskrise und daraus resultierendem Identifikationspotential:
Da ist Harvey Specter, geschäftlich ziemlich gut, Deals zu besiegeln, privat eher nicht. Mit seinen fortschreitenden Geheimratsecken und stillen Momenten, in denen er mit melancholischem Hundeblick alte Schallplatten hört, sieht er aus wie eine Verständnis-Werbe-Kampagne für beziehungsunfähige Männer – es fällt schwer, ihm böse zu sein.
Das ist Jessica Pearson. Sie will ziemlich viel: den Namen an der Tür der Kanzlei und den Ring am Finger. Eine Ehe ist schon gescheitert – kein Grund, die Erwartungen ans Leben runterzuschrauben. Ah, außerdem ist sie auch die einzige schwarze Frau an der Spitze einer Anwaltskanzlei im fiktionalen New York der Serie, was thematisiert und problematisiert, aber nicht breitgetreten wird – sehr erfrischend.
Da ist Louis Litt, der cholerische Unsympath, unter dem jeder als Praktikant irgendwann irgendwo schonmal gelitten hat. Dabei will er doch nur etwas Aufmerksamkeit und Zuneigung, und das bitte nicht nur von seinem Therapeuten.
Da ist Donna Paulsen, eine Art emanzipierte “Sex and the City”-Version. Genauso schön, klug und schlagfertig wie ihre vier High-Heel-Schwestern, aber durchaus in der Lage, “Suits” durch den Bechdel-Test zu bringen – auch wenn sie noch nicht so ganz rausgefunden hat, was genau das „Mehr“ ist, das sie vom Leben will.
Und für alle anderen gibt es Mike und Rachel: Ersterer ist zwar neben Harvey offiziell der Protagonist der Serie und letztere wird von der Freundin von Prinz Harry dargestellt, abgesehen davon sind sie aber wohl die langweiligsten der Hauptfiguren. Hier finden sich alle wieder, die auch erst kürzlich mit dem Liebsten darüber diskutiert haben, welches Bild mit in die gemeinsame Wohnung darf, deren wilde Zeit mit Drogen und Affären vorbei ist, nur noch ab und an nostalgisch erinnert wird. Ohne diese beiden soliden Figuren wäre die Anwaltskanzlei – die inzwischen „Pearson Specter Litt“ und bald wohl nur noch „Specter Litt“ heißt – aber auch nicht, was sie eigentlich ist, hinter dem Spiegelglas, wenn man den Blick von Manhattans Dächern weg nach innen richtet: Zuhause. Zuhause für die Verlorenen. Für Harvey, Donna, Louis. Und letztendlich auch für die Zuschauer, die sich hier in eine Utopie selbstgewählter Familie verlieren können, in der trotz aller Streitereien am Ende des Tages kein Stein auf dem anderen gelassen wird, wenn es einem der Familienmitglieder an den Kragen geht.
Ein Fest für Meta-Zuschauer
Simpel ist die Serie dabei keineswegs, im Gegenteil. Und das ist der Faktor der sie, zweitens, so sehenswert macht: Immer wieder kommentiert sie explizit und implizit andere Serien und Filme. Mike und Harvey passen sich quasi pausenlos Zitate zu wie einen der Star-signierten Basketbälle in Harveys Büro. Als Zuschauer fühlt man sich je nach Ausmaß des populärkulturellen Hintergrundwissens manchmal bis häufig wie Louis Litt, der versucht, mitzuspielen und es doch nicht so richtig schafft. Die Referenzen reichen von Film-Klassikern wie “Batman” (Harvey braucht Mike so wie Batman Robin), “Glengarry Glen Ross” („Coffee’s for Closers.“) und “James Bond” („Spectre. Harvey Spectre.“), die doch einiges über das Selbstverständnis der Protagonisten verraten, bis hin zum Fernsehserienkanon der letzten zwanzig Jahre: “Mad Men”, die “Sopranos”, “The Wire”, “Game of Thrones”. Hier werden nicht nur die Lannisters, Daenerys und „Winter is coming“ referenziert, sondern ganze Folgen an den HBO-Giganten angelehnt: In der aktuellen Staffel etwa bringt Louis einen imaginären Cersei-inspirierten Walk of Shame hinter sich – die Folge trägt dazu wenig subtil den Titel „Shame“.
Ein Fest für alle, die sich im eng gewobenen Populärkulturnetz, in dem “Suits” sich gebettet hat, einigermaßen auskennen. Man munkelt, das eine oder andere Trinkspiel sei daraus bereits hervorgegangen. Wer die Vorlagen nicht kennt, kann an “Suits” trotzdem viel Freude haben und vielleicht die ein oder andere Inspiration für die Liste noch zu schauender Serien und Filme mitnehmen.
Ob mit oder ohne Trinkspiel: “Suits” ist auf der einen Seite Realitätsflucht in eine Glitzerwelt mit Luxus- Wohnungen, Autos und Uhren, die man sich niemals nie leisten könnte, andererseits aber auch nicht der schlechteste Ratgeber dafür, wie man berufliche Katastrophen, Demütigungen und Liebeskummer mit etwas Würde überleben kann. Und im Endeffekt machen die Figuren in “Suits” etwas sehr Ähnliches wie der Zuschauer: Sie wappnen sich mit Filmen und Serien für die Schlachten des Alltags – zumindest in ihrer Hochglanzwelt funktioniert das ziemlich gut.