Dass die angehenden Architekten, die in Mannheim mit Flüchtlingen ein Begegnungszentrum bauten, zu den Studenten des Jahres gewählt wurden, überrascht nicht. Eher schon ihre gemischten Gefühle nach getaner Arbeit.
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An einem wolkenlosen Sommersamstag präsentieren sich die Äcker und Wiesen der Feudenheimer Au als stiller Rückzugsort abseits der nur wenige Tramminuten entfernten wuseligen Mannheimer Quadrate. Auch vom angrenzenden Spinelli-Areal ertönt nach dem Abzug der Amerikaner schon lange kein Lärm mehr; nur Baracken und Stacheldraht vermitteln noch das militärische Flair von einst. Lange standen die Spinelli-Baracken leer und weckten die Begehrlichkeit städtebaulicher Planer, ehe das Land Baden-Württemberg sie 2015 in eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge überführte. Wo sich früher Patronen und Kanonenrohre stapelten, schlafen heute mehr als 2000 überwiegend junge, männliche Flüchtlinge aus Afrika.
Seit dem Oktober 2016 steht neben den notdürftig umfunktionierten Lagerhallen ein Holzpavillon, dessen Räume als Orte der Begegnung, aber auch der Einkehr dienen sollen. Geplant und in zehnwöchiger Arbeit errichtet wurde er, zusammen mit Flüchtlingen, von 16 Architekturstudenten der Technischen Universität Kaiserslautern – freiwillig und unentgeltlich.
Weil die Gruppe damit ein „über die Leistungen im Studium hinausgehendes, herausragendes Engagement“ unter Beweis stellte, wurde ihr kürzlich vom Deutschen Hochschulverband und dem Deutschen Studentenwerk die Auszeichnung „Studenten des Jahres“ verliehen. Im Preis inbegriffen: 5.000 Euro und ein bis dahin ungekanntes öffentliches Echo.
Echte Bedürfnisse
Um über das Projekt zu sprechen und einen Blick auf den Pavillon im ersten Sommer nach seiner Fertigstellung zu werfen, wollten wir uns eigentlich mit zwei der 16 Studenten in der Flüchtlingsunterkunft treffen. Der Plan scheitert jedoch daran, dass sich das Stuttgarter Regierungspräsidium trotz frühzeitiger schriftlicher Anmeldung nicht imstande sah, an dem einen möglichen Termin eine Begleitperson bereitzustellen. Welches ihre Funktion gewesen wäre, bleibt unklar. Gekommen sind wir trotzdem und stehen nun vor einer streng bewachten Kaserneneinfahrt, die wir nicht einmal von der Straße aus fotografieren dürfen.
Dass man den beiden Architektur-Studenten keinen Eintritt ohne Begleitperson gewährt, überrascht sie umso mehr, als sie bei ihrem letzten Besuch noch problemlos Freunden und Familie “ihr Gebäude“ zeigen konnten, wie Nicolas, einer der 16, erzählt. Unbefriedigend, das Ganze. „Es wäre interessant zu sehen, inwieweit der Pavillon von den Flüchtlingen mittlerweile genutzt wird“, sagt Sonja beim anschließenden Gespräch im Café.

Denn erst der Praxistest erweist den Erfolg ihres Projekts: „Wir wollten wirklich auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge eingehen, denn oft werden Pavillons gebaut, die irgendwo rumstehen, aber kein Mensch braucht.“ In den Spinelli-Baracken hingegen sollte der erste echte Gemeinschaftsraum entstehen, einer, der den Namen auch verdient. Die Kantine befindet sich fünf Kilometer entfernt am hintersten Zipfel der Anlage, ansonsten blieb den Flüchtlingen bislang nur Wiese und Sportanlage, wenn sie aus den engen Schlafhallen traten. Ein konfliktträchtiges Aufeinanderhocken wie in vielen anderen Unterkünften dieser Art war fast unausweichlich.
Zehn Kilometer Holz pro Tag
Bevor es für die 16 Studenten im vergangenen August nach Mannheim ging, wurde in enger Absprache mit den Betreuern in Kaiserslautern modelliert und geplant – vier Monate lang. Der dabei entstehende Entwurf ersetzte dabei einen Uni-Kurs, der im Curriculum verpflichtend war, die anschließenden Bauarbeiten hingegen waren voll und ganz freiwillig. „Denkt daran, ihr müsst es selber auch bauen!“, hören sie noch heute Juniorprofessor Andreas Kretzer mahnend rufen, der die Betreuung zusammen mit Stefan Krötsch und Jürgen Graf übernahm. Die Idee zu dem Architekturprojekt stammte von den Professoren, sie hatten auch beim Regierungspräsidium und der Stadt Mannheim angeklopft, die Behörden hatten gleich Interesse bekundeten. Auch bei den Studenten, so Sonja rückblickend, habe es keiner großen Überzeugungsarbeit bedurft – obwohl sich die Vorkenntnisse auf ein paar Wochen Baustellenpraktikum beschränkten.
Und so bezog das Team von August bis Oktober in den Baracken Quartier. Das Anfangsbudget betrug 150.000 Euro, die Bauleitung lag in den Händen eines Lehrstuhlmitarbeiters, der wie auch der Professor regelmäßig vorbeischaute. Gearbeitet wurde bis zu zwölf Stunden am Tag, Etappe für Etappe wurde bewältigt: Baugrube ausheben, Fundament einschalen, Pavillon errichten. Hilfe von außen brauchte es nur beim Baggern, dem Betoneingießen und der Dachabdeckung.

Auf Holz als Baustoff fiel die Wahl, weil es sich am leichtesten vorfertigen und verbauen lässt, erklärt Nicolas – und sein gesteigertes Erzähltempo beim Schildern von technischen Details lässt erahnen, wie es dazu kam, dass die Fertigstellung so überplanmäßig schnell vonstatten gehen konnte.
Knochenarbeit in der Sandgrube
Das verwendete Holz, eine rötliche Douglasie, verspricht dank seinem hohen Harzanteil eine Lebensdauer von 20 Jahren. Es ließ die studentischen Handwerker aber auch gefühlt um ebenso viele Jahre altern: „Das waren – haben wir mal ausgerechnet – bestimmt zehn Kilometer Holz, die wir täglich zwischen Baustelle und Lager in einer alten Kasernenhalle hin- und hergeschleppt haben“, erinnert sich Nicolas, wobei das Augenrollen seiner Kollegin deutlich macht, dass das wohl noch untertrieben war. Rund um die Uhr seien Platten und Balken gesägt und verlegt worden. Weil die Berechnungen zentimetergenau stimmen mussten, habe man ständig mit Professor Graf in Kontakt gestanden, der an ihrer Universität “Tragwerk” lehrt.

Bei diesem Flüchtlingsprojekt war die öffentliche Aufmerksamkeit für die diesjährigen „Studenten des Jahres“ voraussehbar. Auch zwei Jahre nach der großen Welle bewegt das Thema noch die Gemüter – wenn auch nicht mehr so heftig wie im Spätsommer 2015, als Studenten, die sich für Flüchtlinge einsetzten, Feindseligkeit und grenzenlose Sympathie zu gleicher Zeit entgegenschlugen.
Die beiden Architekturstudenten aus Kaiserslautern haben diese doppelte Reaktion aber nicht erlebt, sagen sie. Sie wollen ihr Bauprojekt auch nicht als reines politisches Statement verstanden wissen. Und tatsächlich gibt es unter dem Aspekt der Medienwirksamkeit reichweitenstärkere Alternativen als eine langwierige Bauplanung und Knochenarbeit in der Sandgrube. Der Reiz habe darin bestanden, stellt Sonja klar, „Engagement und Studienprojekt Hand in Hand gehen zu lassen“.

Auf öffentlichen Lobgesang habe man nicht geschielt, bekräftigt auch ihr Kollege Nicolas. Allenfalls habe man mit der Aufmerksamkeit architektonischer Fachkreise gerechnet, sodass die Auszeichnung von Hochschulverband und Studentenwerk „eine große Ehre, aber auch eine Überraschung“ war. Für den Lebenslauf sei sie vor allem deshalb interessant, weil sie so eng mit dem eigenen Fach verknüpft ist, in dem die Praxiserfahrung eine besondere Rolle spielt. Nicolas: „Es ist nicht selbstverständlich, in der Mitte des Studiums schon so ein Ding realisiert zu haben, während sich die meisten noch im Unitrott befinden“.
Strenge behördliche Vorgaben
Dass sich dabei eine ordentliche Spur Selbstbewusstsein in seine Aussagen mischt, mag auch auf die reibungslose Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen zurückzuführen sein; schließlich wurde erst durch diesen Aspekt aus der Errichtung des Holzpavillons ein echtes interkulturelles Gemeinschaftsprojekt, das in dieser Form seinesgleichen sucht.
Insgesamt gesellten sich zu den Architekturstudenten mehr als zwei Dutzend Männer aus Afrika, die Tag für Tag auf der Baustelle mithalfen, darunter neben einem Schweißer auch ein Betonbauer aus Gambia; verständigt habe man sich auf Englisch. In eine Liste, erklärt Nicolas, hatten sich die Flüchtlinge in der Unterkunft für die Arbeit eintragen können. Die Arbeit habe ihnen mit einem Stundenlohn von weniger als einem Euro zwar kein nennenswertes Taschengeld, dafür aber ein Teilnahmezertifikat und somit unter Umständen verbesserte Aufenthaltschancen eingebracht.

Weil Flüchtlinge täglich nur vier Stunden arbeiten dürften, habe es zwei Schichten gegeben, von denen vor allem der Morgentrupp hochmotiviert angetreten sei. Insgesamt hätten die Tätigkeiten der Flüchtlinge strengen behördlichen Vorgaben folgen müssen: Müll sammeln und Unkraut jäten wären in Ordnung, so offenbar die Vorgabe aus dem Regierungspräsidium, Sägen und Akkuschrauben dagegen tabu. In der Regel hätten die Flüchtlinge ganz einfach dort angepackt, wo gerade Manneskraft vonnöten war.
Ohne Beschäftigung
Der Kontakt zwischen Studenten und Flüchtlingen blieb dann auf die Zeit auf der Baustelle beschränkt. Ein gemeinsames Feierabendbier sei wegen des strikten Alkoholverbots auf dem Spinelli-Gelände nicht in Frage gekommen, und auch die Essenszeiten hätten sich nicht überschneiden dürfen – für die Studenten nicht wirklich verständlich, doch auch damit mussten sie sich arrangieren. Die Gruppe habe daher abends meist getrennt von den Flüchtlingen beisammen gesessen, ohne dass ein richtiger Austausch stattfinden konnte. Höchstens von Amanuel aus Eritrea hätten sie hin und wieder mal etwas über seine Biographie erfahren, von seiner Flucht über das Mittelmeer und seinem Versuch, langfristig beim Bruder in Frankfurt unterzukommen.
So bleibt nach unserem Gespräch mit den beiden „Studenten des Jahres“ jenseits von Erfolg und Glanz des Bauprojekts ein gemischter Eindruck zurück. Ganz allgemein sei ihnen das Leben in der Erstaufnahmeeinrichtung überaus trist vorkommen – die Flüchtlinge belegten Deutschkurse, hätten sonst aber nichts zu tun gehabt. Wohl auch deshalb mag die Liste für die Mitarbeit auf der Baustelle mehr Namen als verfügbare Plätze gezählt haben, so Nicolas’ Vermutung – die überdies deutlich machen könnte, welcher Arbeitswille zwar in den jungen Männern aus Afrika steckt, aber wegen strikter Reglementierungen kaum zur Entfaltung kommen kann, nicht einmal hier, im hermetisch abgeriegelten Areal der Spinelli-Baracken. Eine kurze Zeit lang hat die Baustelle daran etwas geändert. Doch einen Sommer später herrscht wieder verordnete Stille.

Arbeitsschutz
Oh, oh, oh, Deutschland im Jahr 2016?
Auf nahezu jedem Foto sieht man da Sicherheitsmängel!
Krass z.B. der junge Mann an der Kappsäge (“Nicolas in der Werkstatt”): Keine Staubabsaugung (oder Mundschutz), keine Schutzbrille, kein Gehörschutz, keine Handschuhe. Im Folgebild steht ein junger Mann relativ hoch und ungesichert auf einer unsachgerecht angelehnten Leiter, die Schiebeaktion nebenan mit diesem Treppenturm sieht auch nicht gerade vertrauenserweckend aus.
Klingt pingelig, aber jeder gewerbliche Anbieter (auch der kleinste 1-Mann-Betrieb) bekommt Probleme mit der Gewerbeaufsicht, im Wiederhloungsfall zahlt er hohe Strafen oder muss schließen.
Und das nicht ohne Grund! Ein kaputtes Auge oder ein durchtrenntes Rückenmark bekommt man nicht einfach so ersetzt (obwohl die Medizintechnik hier sagenhafte Fortschritte macht).
Man kann darüber diskutieren, ob JEDE AS-Maßnahme zweckmässig ist; aber dann sollte wenigstens gleiches Recht für alle gelten.
Ich höre auch schon wieder die Kritiker murmeln ‘typisch deutsch’; aber eine gute Arbeitsschutz-Ausrüstung kostet ‘nicht die Welt’, ja sie ist im Vergleich zu den restlichen (Bau- bzw. Folge-)Kosten vernachlässigbar günstig. Außerdem dürfte ein gewisser Teil (Helme, Handschuhe, Schutzbrillle, Schuhe mit Stahlkappen …) schon im Besitz der Studenten sein (absolviertes Baupraktikum). Zur Not liefert der Hersteller der Säge (mit 4-telligem Preis!) eine kleine Grundausstattung mit.
Nicht zuletzt geben die Studenten ein schlechtes Vorbild für die Schutzsuchenden /Flüchtlinge! Wir sind doch hier nicht in Katar!
Mehr Projekte dieser Art!
Wunderbares Projekt! Aber: warum dürfen Flüchtlinge nur 4 St. arbeiten? Und warum gibt es nicht mehr Vorhaben damit das “triste Areal”, vielleicht unter Anleitung pensionierter Fachleute, von den beschäftigungslosen, gelangweilten jungen Männern dort verschönert und angenehmer gemacht wird? Ganz bestimmt würden sich Spenden zur Anschaffung nötigen Materials finden, vor allem, wenn man den Zweck klar darlegt. Auch an Materialspenden würde es bestimmt nicht fehlen. Alles müßte doch getan werden um müßiges Dasitzen zu verhindern!
Super Leistung
Tolles Projekt und starke Leistung der Studenten!
Und sicherlich auch schön für alle etwas Reales, etwas Brauchbares und Dauerhaftes geschaffen zu haben.
Tollkirsche
Gute Arbeit, Kinners!
Aber wer eine Tollkirsche in den Innenhof einer Flüchtlingsunterkunft pflanzt, der muss verpflichtende Botanikkurse veranstalten. Sonst wird es jedes Jahr zur Tollkirschzeit einen Giftunfall geben…
Keine Tollkirsche - sondern Vogelkirsche
Vielen Dank für das Lob! Selbstverständlich wurde keine Tollkirsche gepflanzt sondern eine ungiftige Vogelkirsche (Prunus avium ‘Plena’).