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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Studentenhochzeiten in Iran

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Iraner heiraten früh, viele noch in der Uni, im Rahmen einer preisgünstigen Großveranstaltung, ohne Eltern. Was bewegt diese Paare? Einblick in den studentischen Alltag des Landes.

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© ISNAStudentenhochzeitszeremonie im Hörsaal der Universität Teheran

Fünfhundert junge Paare, Hand in Hand, sitzen nebeneinander im Amphitheater der Teheran Universität. Die Mädchen sind in weiße Chadors gekleidet, die traditionellen Brautkleider, und tragen bunte Schals locker über Kopf und Schultern geworfen, sie haben Make-up aufgelegt. Neben jedem Mädchen sitzt ein junger Mann in Anzug und offenem Hemd, mancher trägt T-Shirt. Einige Mädchen haben ein Rosenbukett auf dem Schoß, andere einfach eine rote Rose in den Händen.

Obwohl es wie ein großes Seminar aussieht, handelt es sich hier um eine Hochzeitszeremonie. Sie beginnt mit Reden der Universitätsdirektoren, gefolgt von Musik. Niemand tanzt, aber das Publikum begleitet die Musik mit harmonisch, rhythmischem Händeklatschen, und manch einer singt auch mit. Ein paar Stand-up-Comedians sind eingeladen, die das Lächeln der Brautleute in herzhaftes Lachen verwandeln sollen. Mit Saft und Keksen feiern die Brautpaare den wichtigsten Tag ihres Lebens, Angehörige sucht man vergeblich, es wäre auch zu wenig Platz im Hörsaal. Die Hochzeitszeremonie endet mit einem allgemeinen Stehempfang.

Am nächsten Tag werden die Paare zu einer dreitägigen, organisierten Reise in die heilige Stadt Mashhad aufbrechen, ihrer Hochzeitsreise.

Diese jungen Leute sind sehr mutig

Die „Studenten-Hochzeitszeremonien“ werden seit 1997 von öffentlichen und privaten Universitäten ausgerichtet und sollen Studenten zur Ehe ermutigen und ihnen zu helfen, die Kosten niedrig zu halten. Die Organisatoren können auf 400.000 Studentenpaare verweisen, die in den letzten zwanzig Jahren durch dieses Programm geheiratet haben sollen.

Mohammad Mohammadian, Beauftragter für Universitäten des religiösen Oberhauptes des Iran, erklärte ISNA, der Iranian Student News Agency: „Bei der Zeremonie im letzten Jahr waren bei 30 Prozent der Teilnehmer beide Studenten (bei 70 Prozent war der eine Partner bereits absolviert), etwa 60 Prozent waren zwischen 20 und 23 Jahre alt, also Bachelor-Studenten. Diese jungen Leute sind sehr mutig zu heiraten, denn die meisten sind arbeitslos.“

Ein Grund, der viele Studenten zu diesem Schritt bewegt, sind auch finanzielle Hilfen durch die Universitäten. Auswärtigen verheirateten Studenten werden ehegeeignete Studentenwohnheime oder langfristige Darlehen mit niedrigen Zinsen angeboten. Allerdings war es in den letzten Jahren fast unmöglich, solche Unterstützungen noch zu bekommen.

Der größte Teil der Studenten heiratet außerhalb solcher Programme. Schätzungen zeigen, dass etwa zehn Prozent der gesamten Ehen in Iran unter Studenten geschlossen werden.

Wir haben fast zwanzig Stunden am Tag miteinander geredet

Farzaneh, 25, und ihr Ehemann Saman, 26, befinden sich im ersten Jahr des Master-Studiums der Volkswirtschaftslehre an der Teheran Universität. Ich traf sie an der Universität Khatam, einer privaten Universität der Pasargad Bank, nach wo sie vorübergehend ihrem Professor gefolgt sind, um dort die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät aufzubauen.

© Mahya KarbalaiiSaman und Farzaneh in einem Büro der Universität Khatam. Farzaneh erzählt: “Als ich Saman meiner Familie vorstellte, fragten sie, ob er seinen Militärdienst bereits abgeleistet habe, ob er sein Studium abgeschlossen oder einen festen Job habe? Alle unsere Antworten waren negativ.“

Sie heirateten vor zwei Jahren, als Farzaneh noch Bachelor-Studentin in Chemieingenieurwesen an der Sharif University of Technology war, der besten technischen Universität des Iran, und Saman in der Tabatabai Universität in Teheran gerade sein Master-Studium begonnen hatte.

„Miteinander bekannt wurden wir durch ein gemeinsames Projekt“, sagt Saman und wackelt auf seinem Stuhl hin und her. „Das Ergebnis des Projektes war, dass die Revolutionsgarde und Bonyad, zwei konservative Organisationen in Iran, verpflichtet wurden, Steuern zum Vorteil der Wissenschaften zu zahlen“.

Nachdem das Projekt abgeschlossen war, drängte Saman auf weitere Treffen mit Farzaneh. Diese lehnte zunächst ab: „Ich hatte kein Interesse an ihm!“, sagt sie, hinter dem Schreibtisch neben Saman sitzend. „Letztlich habe ich aber doch akzeptiert. Wir trafen uns jeden Tag und sprachen fast zwanzig Stunden täglich miteinander! Keine romantischen Flüstereien, sondern Gespräche über Allgemeines, die deutlich machten, wie der Andere über das Leben denkt.“

Drei Monate später trafen sie die Entscheidung füreinander. Anfangs waren beide Familien gegen die Ehe. Samans Mutter wollte für ihn ein Mädchen aus Qazvin, eine Stadt 150 Kilometer nördlich von Teheran, in der sie lebt. Farzaneh sagt: „Ich komme aus Sirdschan, einer langweiligen Stadt in der Provinz Kerman im Südosten des Iran. Meine Mutter meinte: warum willst Du einen Bräutigam von tausend Kilometern entfernt haben? Sie machte sich Sorgen, dass, wenn ich erst einmal in Teheran verheiratet sei, ich nie wieder in meine Stadt zurückkehren würde.“

Ein paar Monate später konnten beide Familien überzeugt werden. Saman und Farzaneh heirateten sechs Monaten, nachdem sie sich kennengelernt hatten. Sie setzten ihr Studium fort und hatten großes Glück, weil sie ein kleines Haus anmieten konnten, nicht weit von der Universität entfernt, für nur 200 Euro im Monat.

Mit ihrer Arbeit an der Universität verdienen sie 200.000 IRR pro Stunde (umgerechnet 4,70 Euro); in der Summe beläuft sich ihr Monatseinkommen auf nicht mehr als 1200 Euro.

Die hohe Scheidungsrate

Auf meine Frage, warum sie nicht noch eine Weile als Freunde hatten zusammen sein wollen, antwortet Farzaneh: „Freundschaft ist vorübergehend. Ich wollte ihn für mich haben. Wenn ich mein Leben nach ihm ausrichte, möchte ich sicher sein, dass ich es für jemanden tue, der in meinem Leben bleibt.“

Nach seinem Master-Abschluss muss Saman den zweijährigen Militärdienst ableisten, der für Männer in Iran obligatorisch ist. „Unsere Fähigkeiten, Unwägbarkeiten im Leben zu bewältigen, sind hoch”, sagt Farzaneh mit ernstem Gesichtsausdruck, “allerdings kann Saman durch seine Hochschulausbildung seinen Militärdienst durch ein Forschungsprojekt ersetzen, für das er nicht bezahlt wird. Dies wird unser Gehalt für eine Weile verringern, aber es ist besser, diese Zeit zusammen zu verbringen, als dass ich auf ihn warten müsste, bis es vorbei ist.“

Während ihres Bachelorstudiums wohnte Farzaneh im Studentenwohnheim und teilte sich mit vier anderen Mädchen ein gemeinsames Schlafzimmer. Sie alle haben auch geheiratet. „Irgendwie, wenn ein Paar heiratet, ziehen die anderen nach“, sagt sie. Von den Vieren haben sich aber zwei schon wieder scheiden lassen.

In Iran sind alle Schulen nach Geschlechtern getrennt. Die Universität ist die erste Gelegenheit, bei der Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet werden. Sie studieren und hängen zusammen ab. Sie nehmen an organisierten Reisen der Universität teil, das bringt sie plötzlich näher zusammen, was Tausende von Liebenden schafft.

Aber traditionelle und religiöse Zwänge verbieten jede Art von sexueller Beziehung außerhalb der Ehe. Wobei die Tradition nicht nur muslimische Familien in Iran betrifft, sondern auch für anderen Religionen gilt. Deshalb sehen junge Liebende wenige Alternativen zur Ehe. Allerdings sind sich viele von ihnen nicht der Verantwortung bewusst, welche die Ehe mit sich bringt. So beträgt die durchschnittliche Scheidungsrate in Iran, laut dem Statistikzentrum des Landes, 24 Prozent, in einigen Städten erreicht sie sogar 60 Prozent. Im Jahr 2016 erfolgten 40 Prozent aller Scheidungen bei Paaren im Alter von 20 bis 35 Jahren, jener Altersgruppe also, in der die meisten jungen Iraner an der Universität studieren.

Die nächste Generation

Im letzten Jahrzehnt wurden viele alte Villen in der Innenstadt von Teheran in schöne, schnuckelige Cafés umgewandelt, mit Tischen in Hinterhöfen, Jungen und Mädchen arbeiten hier als Kellner zusammen.

An einem Nachmittag begegne ich Omid, 30 Jahre alt, Physiker, er lehrt Mathematik und Physik an privaten Schulen. „Die Dinge ändern sich sehr schnell. Heutige Jugendliche sind anders als wir damals. Alle meine Schüler besitzen ein Smartphone. Internet macht die Kommunikation für sie viel einfacher. Keine Freundin zu haben, sieht für sie komisch aus“.

„Als ich ein 20-jähriger Junge war, wusste ich nichts über Mädchen. In der Universität verliebte ich mich in Mädchen, die nichts mit mir gemein hatten, die Enttäuschung war programmiert. Schließlich lehrte mich das Leben Dinge, die ich weder in der Schule noch in der Familie gelernt hatte. Jetzt, in meinen Klassen, versuche ich diese Erfahrungen meinen Schülern weiterzugeben“, sagt Omid und wirft einen Blick auf den Tisch neben uns.

Eine Gruppe von etwa zwölf Mädchen und Jungen feiert Geburtstag. Ihr Altersdurchschnitt wird sicher nicht mehr als 20 betragen. Neu Hinzukommende umarmen und küssen jeden der Anwesenden. Viele kommen als Paar. Mit Geburtstagskappen und einem breiten Lächeln in ihren Gesichtern, machen sie Selfies non-stop.

Es ist schwer vorstellbar, dass diese Generation an „Studenten-Hochzeitszeremonien“ teilnehmen wird.


2 Lesermeinungen

  1. jutta Falkner sagt:

    Titel eingeben
    Ein interessanter Beitrag. Er gibt einen guten Einblick, mit welchen Problemen junge Leute im Iran heute konfrontiert sind.Für deutsche Manager, die im Iran Geschäfte machen wollen,sind solche Hintergrundinformationen bei der Suche nach gutem und qualifizierten jungen Mitarbeitern sicher wertvoll.

  2. Alegnaeppoh sagt:

    Hochzeiten im Iran
    Die erste große Liebe, Unerfahrenheit und Verzweiflung , weil sich die Verliebten nie öffentlich beim Händchenhalten oder gar Küssen erwischen lassen dürfen,führen zu diesen frühen und schnellen Hochzeitsentschlüssen.Gerade kommen wir von einer 7wöchigen Individualreise zurück. Ein 21 jähiriger Mann begleitete uns und wir erfuhren viel von diesem strengen Leben und er sah Bilder ,wie unser Sohn mit seiner aktuellen Freundin allein verreisen darf. Iraner können zwar auch türkische und indische auch britische Sender sehen und von Filmen wissen Sie ,dass anderes möglich ist. Gern würden Sie etwas ändern ,sehen aber wenig Möglichkeiten, aktiv zu werden. Angst und Druck und einseitige Bildung lähmt sie.Kontakte zu Menschen aus anderen Ländern zu haben und von der Welt woanders die direjte Wahrheit zu hören,verursacht eine unfassbare Gastfreundschaft den Fremden gegenüber. Übrigens eine mündliche Einladung zur Hochzeit von Ali haben wir auch schon……..

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