Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Studieren die meisten das Falsche?

| 2 Lesermeinungen

Die Bologna-Reform hat die studentische Angst vor der Arbeitslosigkeit nicht verkleinert. Hilft es, zähneknirschend auf Jura und BWL umzusteigen? Ein Blick auf die Zahlen und ins Ausland überrascht.

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Am Beginn des Studiums steht die Wahl des Studienfaches. Am Beginn der Bologna-Reform wiederum stand unter anderem der Eindruck, dass viele diese Wahl falsch treffen. Wie anders, hieß es damals, seien die hohen Abbrecherquoten zu erklären?

Allerdings tat die Reform dann nichts, um jene Anfangsentscheidung zu verbessern. Sondern man verkürzte einfach die Regelstudienzeit bis zum ersten Abschluss, dem Bachelor, um höhere Absolventenquoten zu erzielen und nach sechs Semestern – so die Idealvorstellung – eine weitere Entscheidung zu ermöglichen, in welcher Richtung weiterstudiert wird, wenn überhaupt.

Themenbild - Taxi Ort: Freiburg 12.08.2014 Bild: Taxi, Logo, Schild, Emblem Featurebild, Symbolbild, Themenbild , Foto: Eibner | Verwendung weltweitDie ewige Drohung: Taxifahren nach dem Studium / Foto dpa

Das Ergebnis: die Abbrecherquoten haben sich nicht nennenswert verändert, die Studiendauern auch nicht. Viele Studierende sind nach wie vor unsicher, ob sie das richtige Fach gewählt haben. Die Abbrecher immerhin scheinen es zu wissen. Die anderen bleiben oft semesterlang in einem Kontext, der ihnen nicht gefällt, der ihnen nichts sagt, der ihre Erwartungen enttäuscht. Man hat insbesondere bei Lehramtsstudenten durch Umfragen herausgefunden, dass viele von ihnen unzufrieden oder gar desinteressiert zu Ende studieren. Was ja eigentlich noch schlimmer ist als abzubrechen und neu zu starten, schlimmer vor allem für die künftigen Schüler solcher Unzufriedenen.

Neben denen, die das Fach wechseln, und denen, die leidenschaftslos in ihm bleiben, weil es am Ende eine Berufsanstellung zu versprechen scheint, gibt es dann noch diejenigen, die zu Ende studieren, aber keinen Beruf bekommen, der viel mit ihrem Studium zu schaffen hat. Denn natürlich sind die Chancen mit einem Kunstgeschichtsstudium höher, danach eine Galerie bewachen zu dürfen, als ohne solch ein Studium. Nur bleibt völlig unklar, ob es dazu der Teilnahme an Seminaren über Rembrandt oder Paul Klee bedurft hätte. Im Durchschnitt sind Akademiker seltener arbeitslos als andere, weswegen ja auch immer mehr studieren, aber das liegt in vielen Fällen eben nicht am Studium, sondern am Zertifikat, mit dem sie andere ohne Zertifikat auch aus Stellen verdrängen, die erfolgreich auszufüllen man das Studium gar nicht benötigt hätte.

Die Mentalität macht den Beruf

Vor gut einem Jahr hat ein Student der Wirtschaftswissenschaften mit viel Echo behauptet, die Akademikerarbeitslosigkeit sei vor allem ein Problem der Geisteswissenschaften.  Obzwar ohne empirische Belege schien es ihm, dass öffentliche Hilfe- und Klagerufe wegen Jobmangels fast immer aus dieser Richtung kämen. So jedenfalls könne man es vielfach nachlesen, schrieb er.

Seine Erklärung: Es studierten hier zu viele eine Geisteswissenschaft. Der Markt habe in Deutschland kein gutes Image. Die Kommilitonen würden sich lieber selbst verwirklichen als sich den Anforderungen von Unternehmen zu beugen. Ihre Eltern trügen noch dazu bei, indem sie rieten „Studier’ das, was dir Spaß macht“. Dabei wäre es rationaler zu arbeiten, was einem Spaß mache. Für ihn sind Jura und BWL Fächer, nach deren Abschluss man das tun kann. In Amerika sei man nicht so marktfeindlich, die Studiengebühren dort sorgten für die richtigen Anreize, sich die Studienfach-Wahl gut zu überlegen.

Zwar wird zugestanden, auch mit einem geisteswissenschaftlichen Studium könne man zum gefragten Experten werden. Nur nicht alle. Und es sei in solchen Fällen nicht der Studiengang, sondern die Mentalität der Studierenden, der für den Erfolg sorge.

Über diese kompakte Zusammenstellung dessen, was über Studienfachwahl so geredet wird, lohnt es sich auch heute noch nachzudenken. Dass das Studium der Jurisprudenz durchweg zu gutbezahlten und attraktiven Jobs führt, gibt die Einkommensstatistik allerdings nicht her. In sie gehen alle Anwälte ohne Mandanten ebenfalls ein. Ob man BWL studiert haben muss, um in einer Bankfiliale mit „Spaß an der Arbeit“ Kunden vom Computer die Merkmale einer Riester-Rente vorzulesen, könnte man auch in Zweifel ziehen. Für die Schweiz ist zuletzt errechnet worden, dass das Mediangehalt für Geisteswissenschaftler fünf Jahre nach dem Abschluss nicht unter dem der Ingenieure liegt und nicht dramatisch unter dem der Juristen und Ökonomen. Es scheint also mehr der Arbeitsmarkt und, richtig, die eigene Mentalität, als das Studium darüber zu bestimmen, was aus einem beruflich wird.

Lehre ohne Einheit mit der Forschung

Tatsächlich studieren in Deutschland außerordentliche hohe Anteile aller Studenten Geisteswissenschaften. 13 Prozent waren es der OECD zufolge 2013, nimmt man die Erziehungswissenschaften hinzu, kommt man auf 24 Prozent. Vergleiche mit anderen Ländern zeigen freilich ein sehr gemischtes Bild: Australien (10/18); Frankreich (9/11); Großbritannien (16/26); Japan (15/23); Niederlande (9/21); Schweden (6/19). Das fabulöse Amerika, das selbst bei Wirtschaftswissenschaftlern oft mehr von Gerüchten als auf der Grundlage von Daten bekannt ist, hat 21 Prozent der Studierenden in den Geisteswissenschaften und Künsten, hinzu kommen 8 Prozent in „Education“. Die 32 Prozent, die dort BWL oder Jura studieren, liegen nicht weit über den 29 Prozent, die es hier tun.

Das alles kann nicht bedeuten, dass die Ausgangsfrage nach der Studienwahl und die Zusatzfrage nach dem Zusammenhang zwischen Studium und Beruf überflüssig sind. Aber mit Sprüchen der einen oder der anderen Seite ist niemandem geholfen.

Die Bologna-Reform hat durch die Vervielfältigung der Studiengänge – inzwischen soll es in Deutschland mehr als achttausend grundständige geben – gewiss weder für Orientierung noch für eine breite, auf verschiedene berufliche Gebiete vorbereitenden Ausbildung gesorgt. Die Schulen werden in Befragungen, wer die Fachwahl beeinflusst hat, ganz nachrangig erwähnt. Und natürlich spielt in einer Situation, in der die Devise „Hauptsache Studium“ gilt, oft auch gedankliche Bequemlichkeit eine Rolle: was mit Medien, was ohne Mathe. Die Universitäten wiederum sind immer mehr auf Forschung fokussiert und auf das von der Politik geforderte zügige Durchschleußen der Jahrgänge hin zu Abschlüssen.

Diese Situation würde sich nicht wesentlich ändern, brächen alle Geisteswissenschaftler heute ihr Studium ab und versuchten, einen BWL-Platz zu bekommen. Die Hochschule ist ein kompliziertes System, das nicht durch Drehen an ein, zwei Stellschrauben oder durch den kollektiven Entschluss ihrer „Insassen“ zu mehr Rationalität verbessert werden kann. Ob sie überhaupt Ausbildung liefern kann, ist jedem fraglich, der angeblich ausbildungs- und berufsnahe Studiengänge wie BWL oder Jura von innen kennt. Wenn es hingegen um Intelligenz, bewegliches Denken, Phantasie beim Problemlösen geht, ist nicht zu sehen, weshalb ein Fach hierzu besser geeignet sein soll als ein anderes. Entscheidend wäre nur, dass die Hochschulen mehr über die Lehre nachdenken, die eben keine Einheit mit der Forschung bildet. Mit anderen Worten: dass sie mehr über die Studierenden nachdenken, und wie man es ihnen schwer machen kann, damit sie etwas davon haben, anstatt es ihnen entweder billig leicht zu machen oder schwer, ohne dass sie etwas davon haben. (Fortsetzung folgt.)


2 Lesermeinungen

  1. Lusu sagt:

    Dagegen
    Nehmen wir das Thema doch einmal aus einer geisteswissenschaftlichen Perspektive in die Hand und betrachten den Gegenstand: irgendjemand muss auch die deutsche Sprache beherrschen. Irgendjemand muss Impulse geben, Ideologiekritik betrieben und Gesellschaft voranbringen. Irgendjemand muss auch selbstlos für Unterhaltung sorgen damit andere in ihrer Freizeit wenigstens ein bisschen Bildung nachholen können.
    Akulturelle BWL Doktoranten, die stolz sind, weder Bücher zu lesen noch jemals im Theater zu gehen, haben hingegen derart viele Dinge nicht verstanden, dass ich froh bin, nicht zu dieser Gruppe zu gehören.
    Ein Studium wählt man im Idealfall nicht aus finanziellen Gründen sondern als Weg zur Selbstwerdung. BWL Theorien aus dem letzten Jahrhundert, die auf falschen Grundannahmen über den Menschen beruhen und sich mathematisch aufgebauscht dann allerhöchstens zum Quälen von Studenten eignen, gehören nicht dazu dem Stoff, der hierbei auch nur im Entferntewten hilfreich sein könnte.
    Ihr habt es erkannt: ich habe zuerst BWL und dann Geisteswissenschaften studiert.
    Fazit: die wichtigsten Lektionen der BWL passen zwischen zwei Buchdeckel und das Geiwi Studi gibt einem so viel kulturelles Kapital auf den Weg, das man locker im Anschluss Geld verdienen kann. Ich habe aus der BWL nur eine Lektion mitgenommen: nicht Arbeit sondern Spekulation bringt effektiv Geld. In Kombination mit dem kulturellen Kapital aus der Kunst hat es mir geholfen, schnell Geld zu erspekulieren.
    Arbeiten muss ich nicht mehr.
    Das sollte man auch im Idealfall aus finanziellen Gründen nicht tun müssen – sondern weil man es liebt. :-)
    Alles Gute!

  2. Regina Tolig sagt:

    Es kommt eben darauf an, wozu die Uni da sein soll
    …Vor langer Zeit, etwa vor 1965 wurde die Universität verstanden als ein Ort für die intelligenten und akademisch Fähigen unter den jungen Leuten, von denen erwartet wurde, dass sie eines Tages die Führung des Landes übernehmen würden und den Ton für die Gesellschaft setzen würden. Von vielleicht zehn Prozent, sicher nicht mehr als zwanzig Prozent der Schulabgänger wurde erwartet, dass sie etwas auf dem Campus zu suchen haben.

    Weiter hier… https://inselpresse.blogspot.com/2016/06/fred-on-everything-uni-damals-und-heute.html

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