In Kürze stimmen die Briten über den Verbleib in der EU ab. Vor allem Studenten graut vor einem Ausstieg. Was sich durch einen Brexit für sie ändern könnte.
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Mit Kopfschütteln verfolgen viele Studenten seit Monaten die Brexit-Debatte. Rein oder Raus? „Stronger in Europe“ oder „splendid isolation“? Aus universitärer Sicht scheinen diese Fragen leicht zu beantworten.
Großbritannien ist für viele Studenten ein beliebtes Ziel. Der freie Austausch, die Möglichkeit, das Land zu wechseln – egal ob für ein Semester oder für ein ganzes Studium – ist seit Jahren Normalität. Britische Universitäten haben trotz hoher Studiengebühren einen guten Ruf, sie gelten als international ausgerichtet, und ein Studium auf Englisch bekommen die Meisten auf die Reihe. 2015 studierten somit 124.575 EU-Bürger in Großbritannien, darunter allein 13.675 Deutsche, Jahr für Jahr zieht es durchschnittlich 7500 zum Studium auf die Hochschulen der Insel. Ein Brexit könnte dem ein jähes Ende setzen. Wie es nach einem Austritt – sollte er denn kommen – genau weitergeht und wie lange es dauert, bis neue Regelungen feststehen, ist ungewiss. Was steht für Studenten auf dem Spiel?
Geld, Grenzen und Gesetze
Nicht zuletzt geht es um Mehrkosten. Ein Studium an einer britischen Universität ist teuer, unabhängig davon, ob auf dem Zeugnis am Ende Cambridge oder Cardiff steht. Für Studenten aus dem Euroraum gelten „Sonderbedingungen“ – Artikel 18 des etwas sperrig klingenden Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union macht es möglich. Der besagt eigentlich nichts weiter, als dass niemand aufgrund seiner Nationalität innerhalb der EU diskriminiert werden darf.
Die Folge: Studenten aus der EU müssen im Vereinigten Königreich Studiengebühren zahlen, aber nicht mehr als die Briten. Für ein Studienjahr macht das zum Beispiel bis zu 11.600 Euro. Eine hohe Summe, aber meist noch irgendwie machbar. Anders sieht es für diejenigen aus, die von außerhalb der EU an die britischen Universitäten drängen – da werden aus 11.600 schnell einmal bis zu 40.000 Euro, je nach Studiengang und Universität. Wird es nach einem Brexit bei diesem vermeintlichen Schnäppchen für Studenten aus der EU bleiben? Niemand weiß es. Für die „Sponsored by Daddy“-Fraktion mag das egal sein, für Studenten aus weniger betuchten Haushalten, macht es einen großen Unterschied.

Punkt zwei betrifft die Bürokratie. In der EU gilt die Freizügigkeit. Ein Brexit hätte jedoch möglicherweise auch die Rücknahme dieses Grundsatzes zur Folge. In der Praxis hieße das nicht nur, dass es schwieriger würde, mal eben zum Städtetrip nach London zu jetten – auch für Studenten aller EU-Länder könnte ein bürokratischer Albtraum beginnen, Stichwort „Tier 4 student visa“. Im Moment müssen sich mit diesem speziellen Studentenvisum nur Nicht-EU-Studenten herumschlagen, nach einem Brexit könnte es auch für EU-Studenten so weit sein. Abgesehen von den Kosten des Visums stünde dann vor dem Studienbeginn ein zeitaufwendiger Gang durch die Behörden – stressfreier Studienort-Wechsel sieht anders aus.
Zuletzt steht auch das Erasmus-Programm auf dem Spiel, das bisher viele Studenten dabei unterstützt hat, in Großbritannien zu studieren. Erasmus ist sicherlich nicht die Traumlösung und schon gar nicht die Eier legende Wollmilchsau, wenn es darum geht, Studenten aus geringeren Einkommensschichten ein Auslandsstudium zu ermöglichen, aber es erweitert deren Spielraum zumindest in Teilen. Stimmte das Vereinigte Königreich am Donnerstag für einen Austritt, wäre die Zukunft auch dieser Förderung ungewiss.
A final Goodbye?
Für Studenten vom europäischen Festland steht beim Brexit-Referendum fraglos viel auf dem Spiel, doch auch die Kommilitonen auf der Insel haben bei einem Austritt einiges zu verlieren. Ohne Zweifel, es sind weitaus weniger. Gerade einmal rund 12.500 Briten studierten 2014/2015 in der EU, davon nur 1705 in Deutschland. Dennoch hätte ein Austritt auch für sie Folgen.

Denn auch die britischen Studierenden profitieren von der Nicht-Diskriminierungs-Klausel, der Freizügigkeit und dem Erasmus-Programm. Fällt all dies weg, wird es für die Briten nicht nur bürokratisch umständlich, sondern auch teuer, zumindest dort, wo Studiengebühren erhoben werden. In Deutschland, Schweden oder Dänemark wäre dies zwar bis auf Ausnahmen nicht der Fall, in den Niederlanden – traditionell beliebt bei den Briten, da viele Studiengänge auf Englisch angeboten werden – hingegen schon. Besonders für Studenten, die die astronomischen Gebühren an ihren Heimatuniversitäten und die damit fast zwangsläufig verbundenen „Student loans“ vermeiden wollen, wird es nach einem Brexit eng. Und auch für diejenigen, die ein Sprachstudium absolvieren, das in Großbritannien meist mit einem Pflichtaufenthalt im Ausland verbunden ist, stellt ein Austritt ein zusätzliches Hindernis dar.
Dementsprechend fallen die Reaktionen aus. Bekannte an englischen Unis schütteln die Köpfe, wenn man sie auf das Referendum und seine möglichen Folgen anspricht. Cairo, eine Freundin, die Curatorial Studies am Chelsea College of Arts in London studiert, sagt am Telefon: „Die EU zu verlassen, würde nicht nur unser tägliches Leben ärmer machen, es ist auch für Studenten wie mich eine Belastung. Unsere Zukunft sollte nicht durch Grenzen definiert werden.“ Sie und ihre Kommilitonen seien mehrheitlich für den Verbleib, sagt Cairo. Wählen gehen wollten sie alle, schließlich gehe es nicht nur um ihre Studien- oder Arbeitsmöglichkeiten im Ausland – sie sind es, die mit den Folgen des Austritts am längsten leben müssen.

Und so ist die Besorgnis groß. Ein Brexit wird vor allem von älteren Semestern – den „Babyboomern“ und den Pensionären – befürwortet. Die Jungen sind nach Umfragen mehrheitlich dagegen. Noch im November gaben 70 Prozent an, dass sie gegen einen Austritt stimmen würden. Die studentischen Kampagnen „Students for Britain“ und „Students for Europe“ kämpfen bis kurz vor dem Referendum erbittert um jede Stimme.
Was kümmert es die Briten?
Nun könnte man sich mit den Brexit-Befürwortern fragen: Was kümmert es die britischen Studenten, ob ihr Land austritt? 12.500 Studenten, die jährlich ins Ausland gehen – geschenkt. Darf sich der Rest nicht freuen? Weniger Konkurrenten aus anderen Ländern, höhere Gebühren für die, die kommen und damit mehr Geld für die Universitäten!
Doch so einfach ist es nicht. Viele Experten warnen, dass ein Austritt einen erheblichen Rückgang bei den Bewerberzahlen aus EU-Ländern zur Folge hätte. Die Hoffnung auf mehr Geld wäre dann schnell zunichte.
Und noch etwas kommt für britische Studenten hinzu: Jene, die eine Zeitlang im Ausland waren, finden mit doppelter Wahrscheinlichkeit einen Job innerhalb von 12 Monaten nach Studienabschluss, ihre Startgehälter sind im Durchschnitt 25 Prozent höher. Gleichzeitig sind laut einer Studie des britischen Arbeitgeberverbands CBI aus dem Jahr 2015 fast zwei Drittel aller britischen Unternehmen mit den Sprachfähigkeiten der Universitätsabgänger aus dem eigenen Land unzufrieden. Über die Hälfte beklagt darüber hinaus ein mangelndes Verständnis für fremde Kulturen und Länder – Soft Skills, die in einer immer internationaler ausgerichteten Welt von großer Bedeutung sind. Ein Austritt wäre demnach ein Schnitt ins eigene Fleisch, erschwert er Studenten doch einen einfachen Weg, die entsprechenden Kompetenzen zu erwerben.
Gleichzeitig würde ein Brexit den Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt erheblich erschweren, für viele britische Studenten kein schöner Gedanke. Denn während nur wenige in einem der EU-Länder studieren, ist es nicht unüblich, nach dem Studium für eine Weile im EU-Ausland zu arbeiten. Auf diese Aussicht angesprochen, wird Cairo heftig: „Europa ist wichtig für meine Zukunft“, sagt sie am Telefon. „Es war immer mein Traum nach dem Studium eine Zeitlang in verschiedenen EU-Ländern zu arbeiten. Ein Austritt würde das wesentlich schwieriger machen.“
Niemand weiß, wie die Abstimmung am Donnerstag ausgehen wird, die Umfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen, Ausgang bis zur letzten Minute ungewiss. Im Falle eines Brexit würde sicherlich zunächst eine umfassende Ungewissheit einsetzen. Niemand weiß, wie schnell der Austritt vonstattengehen würde – manche sprechen von zwei, andere gar von bis zu sieben Jahren quälender Verhandlungen. Ebenso ungewiss ist, was genau sich für die Universitäten wirklich ändern würde, wenn sich die Hälfte der Briten tatsächlich dafür entscheiden sollte, zu unbekannten Ufern vorzustoßen.
Wie immer die Entscheidung ausfallen wird – mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit kann man sagen, dass ein Austritt, so bedauerlich er wäre, für die europäischen Studenten eher zu verkraften wäre als für die britischen. Schließlich bleibt den europäischen Nicht-Briten noch der Rest des Kontinents mit seinen guten bis exzellenten Universitäten. Für die Briten hingegen sieht es schlechter aus. Hat die Fähre einmal abgelegt, gibt es für sie so schnell kein Zurück.
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Was denkt ihr über einen möglichen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union? Welche eurer Studien- und Zukunftspläne würden durch den Brexit gefährdet? Was sagen eure britischen Freunde?
[…] 1 Severin hätte auch mit „Out!“ gestimmt. Aber aus anderen Gründen. 2 Stefan Bielmeier (DZ Bank) über die Überreaktion der Märkte auf den Brexit 3 André Tautenhahn: Brexit: Weder Hirn noch Handtasche 4 Manuel Müller (Lost in Europe): Der Brexit, eine Chance? 5 Fiona Weber-Steinhaus für NEON: Should we stay or should we go? 6 Marco Vollmar (WWF): Was der Brexit für den Naturschutz bedeutet 7 Mark Dawson (Hertie School): Brexit: Großbritanniens Neverendum 8 Felix Simon (FAZ): Studieren mit Brexit? […]
Das einzige, was man weiss: Man weiss noch nichts
Unzweifelhaft würden sich viele Fragen stellen nach einem Brexit-Votum am Donnerstag. Aber am Freitag würde sich rein gar nichts ändern, denn UK wäre weiterhin EU-Mitglied und würde dies noch einige Jahre bleiben. Falls andere EU-Staaten wirklich Vergeltungsmassnahmen gegen das britische Volk planen würden und britische Studenten in dieser Zeit diskriminieren wollten, so würden sie eindeutig gegen Verträge verstossen. Die im Beitrag erwähnten “bis zu sieben Jahre quälender Verhandlungen” über die Regelungen nach dem Brexit würden vor allem Verhalndlungsdelegationen quälen. Für die EU-Bürger würde es nicht viel bedeuten, denn sogar die, die erst dieses Wintersemester ihr Studium im EU-Ausland (inkl. Grossbritannien) aufnehmen werden, werden ihren Bachelor oder Master sicher fertig bringen, bevor sich irgend etwas ändert. Es beträfe also nicht heutige Studenten, sondern allenfalls heutige Schüler.
Ausserdem sind Universitäten traditionell international verbunden und kämpfen auch sehr lautstark für diese Internationalität bei ihren Regierungen. Sowohl Grossbritannien, wie auch die Rest-EU besitzen beide sehr gute Universitäten mit internationalem Ruf. Es liegt im Interesse beider Seiten, hier eine Lösung zu verhandeln, die möglichst die heutige Flexibilität beibehält. Falls sich die EU nicht auf ein kindisches Trötzeln gegen die abtrünnigen Briten versteifen wird, wird man eine Lösung finden.
Wie im Artikel beschrieben, muss diese viele Bereiche und Einzelprobleme behandeln, was sicher komplizierter ist, als im Rahmen der EU-Mitgliedschaft, aber machbar ist das auf jeden Fall, wenn man will.
Als Schweizer haben wir immer mal wieder solche Schwierigkeiten mit einer bockigen EU im Bildungsbereich, aber man hat sich noch immer zu einer Lösung durchgerungen und viele Schweizer Universitäten gehören zu den international bestvernetzten.
Brexit
Brexit ist eine Zeitungsente um das Sommerloch zu füllen. Die Masse der Bürger wählt nie das Unbekannte, somit bleibt UK in der EU und Trump wird nicht US Präsident.
Die Abneigung gegen Unbekanntes / Neues verhilft inkompetenten Regierungen zur Wiederwahl und verhindert Neues. Deshalb lässt man Bürger eine Regierung wählen, vermeidet aber Plebiszite wie der Teufel das Weihwasser.
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Der Brexit ist doch weder eine Kopfgeburt der Medien, noch eine Falschmeldung, sondern Realität. Und von wegen die Masse wählt nie das Unbekannte, so nah wie die im Moment aneinander liegen. Außerdem: Wo wird denn ein plebiszitäre Abstimmung vermieden? Am Donnerstag wird vom Volk abgestimmt oder was soll das bitte sonst sein?
Sprachreisen
Wie sieht das aus mit Sprachreisen für Schüler nach England?
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Ich glaube nicht, daß die Engländer für Kurzbesuche bis 3 Monate von EU Bürgern ein Visum verlangen werden. Aber evtl. muß jeder ein Pass haben.
Partnerschaften
Die meisten britischen Universitäten unterhalten Partnerschaften mit Universitäten in der ganzen Welt. Diese Partnerschaften sind also faktisch auch ohne die EU möglich.
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Das hat der Autor doch auch gar nicht anders behauptet. Die EU und ihre Möglichkeiten sind aber halt auch wichtig, weil näher, oft billiger und dank Freizügigkeit weniger bürokratisch. Und für die Studenten zählt der einfache Zugang zum gemeinsamen EU-Arbeitsmarkt.
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Wer sich ein Semester an einer englischen Universität leisten kann wird dies auch ohne Erasmus Förderung (im Schnitt 300 Euro monatlich) können. Ein kleines Beispiel zur Verdeutlichung:
University of Hull: £10,500 (Undergraduate)
Schottland ist kostenlos
In Schottland ist für Schotten und EU-Bürger das Studium kostenlos. Das würde sich mit einem Brexit ändern. Schade, dass Sie dies nicht erwähnen. Immerhin ist Schottland Teil Grossbritanniens…….
Das ist richtig, gilt jedoch nur für “undergraduate students” aus Schottland und der EU. Für ein Masterstudium müssen auch Schotten und EU-Bürger Gebühren zahlen, jedoch ebenfalls zur “Home Rate”. Selbstverständlich wären auch schottische Universitäten von einem “Brexit” betroffen und für EU-Bürger wäre das Studium dann vermutlich nicht länger kostenlos, sondern auch dort mit den entsprechenden Gebühren für internationale Studierende versehen.