Nur Deutschland leistet sich unsinnig späte Semesterzeiten – zum Nachteil aller. Die Gründe, aus denen eine Umstellung vor genau zehn Jahren scheiterte, sind heute hinfällig. Höchste Zeit für Vorlesungen ab Anfang März und Anfang September.
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Während sich bayerische Universitäten gerade erst auf das Ende ihrer zweiten Vorlesungswoche zubewegen, ist das Sommersemester im Ausland fast schon wieder vorüber. Nirgendwo sonst außer in Deutschland ist es üblich, den Hochschulbetrieb sklavisch den Schwankungen des Osterdatums zu unterwerfen – und bei einem späten Frühlingsvollmond bis in die zweite Aprilhälfte hinein zu prokrastinieren. Selbst ein etwas früherer Vorlesungsbeginn in Hamburg oder Leipzig (3. April) ist nur Ausnahme von der Regel, denn in den Studentenhochburgen Hessens, Berlins und Nordrhein-Westfalens wird erst am Dienstag nach Ostern (18. April) und in Bayern und Teilen Baden-Württembergs gar noch eine Woche später (24. April) losgelegt. Warum? Weil es das schon immer gab – späten Semesterbeginn wie föderales Durcheinander.
Dabei hatten die Reformgurus der Hochschulrektorenkonferenz am 4. Mai 2007, also heute vor genau zehn Jahren, inmitten des Bachelor-Master-Trubels eigentlich einen sinnvollen Beschluss gefasst: „Harmonisierung der Semesterzeiten an deutschen Hochschulen im Europäischen Hochschulraum“. Ab 2010 sollten die Vorlesungen Anfang März (Sommersemester) und Anfang September (Wintersemester) beginnen – und damit im Frühjahr immer noch einige Wochen später als im europäischen oder nordamerikanischen Ausland üblich. Doch es hagelte Protest von Hochschulen, Lehrkräften und Studenten.
Früher Start bei den beliebtesten Erasmus-Zielen
Ein Streitpunkt: die Vielzahl an Reformen auf einmal. Diplom und Magister wurden gerade beerdigt, neue Studiengänge modularisiert, Hörsäle durch wütende Bologna-Gegner besetzt. Auch noch den Vorlesungsrhythmus umzukrempeln hätte das Chaos perfekt gemacht. Nur Mannheim hatte es eilig und legte als bislang einzige staatliche Universität neben Flensburg den Beginn des Wintersemesters auf die erste Septemberwoche, hatte aber schon als mittelgroße Hochschule Schwierigkeiten, gleichzeitig irrlichternde Neuankömmlinge und noch in den Prüfungen schwitzende Magisterstudenten zu versorgen. Doch was damals gegen eine Neuregelung der Semesterzeiten sprach, kann im heute konsolidierten Bologna-System kein Argument mehr sein, zumal die Vorteile eindeutig überwiegen.
Wen nämlich im Februar und März noch Klausuren binden, der muss sich vom Auslandsvorhaben im Sommersemester verabschieden. Denn in den drei mit Abstand beliebtesten Erasmus-Zielen – Spanien, Frankreich und Großbritannien -, aber auch in den Vereinigten Staaten geht es im Februar, nicht selten sogar schon Ende Januar los. Viele Universitäten beschränken sich deshalb auf Austauschprogramme im Wintersemester und bieten ausländischen Erasmus-Studenten umgekehrt nur einen Sommeraufenthalt an, damit sich nicht im Frühjahr Prüfungen in Deutschland mit Vorlesungen im Ausland überschneiden.
Auch die Wissenschaft profitiert
Im engen Modulkorsett führt ein Austauschsemester in manchen Fächern folglich zu einer längeren Studiendauer. Zudem bleiben deutschen Studenten viele Sommer- und Sprachkurse im Ausland verwehrt, wohingegen Osteuropäer an bayerischen Universitäten bereits inmitten der Prüfungsphase Anfang August für Deutschkurse auf der Matte stehen. International harmonisierte Semesterzeiten wären deshalb auch für Lehrbeauftrage und Koordinatoren an den Universitäten sinnvoller. Das gilt auch ganz allgemein für Forschung und Lehre. Natürlich profitiert Deutschland gegenwärtig davon, Gastdozenten empfangen zu dürfen, die zuhause bereits ihr Semesterprogramm heruntergespult haben. Auch sind Kurzlehraufträge deutscher Wissenschaftler im März oder September gängige wie beliebte Praxis.

Doch würde es die Angleichung viel einfacher machen, im Ausland Forschungssemester zu verbringen, die mit einer Freistellung von Lehrverpflichtungen an der heimischen Universität einhergehen. Auch diese sind derzeit nur in engen Zeitfenstern möglich und gleichen mitunter einem administrativen Balanceakt. So bleibt das Bologna-System unvollkommen und der europäische Bildungsmarkt voller Austauschhemmnisse. Wie steht all das im Einklang mit den hehren Zielen, die grenzenlose Mobilität von Studenten und Wissenschaftlern zu ermöglichen?
Weniger Kollisionen als vermutet
Allein von den Jahreszyklen her spricht viel für andere Semesterzeiten mit Prüfungen im Juni und Dezember. Klausuren vor Weihnachten mögen der Adventszeit ihre Stille rauben, machen aber nicht nur den Glühwein danach schmackhafter, sondern auch das Fest besinnlicher. Dagegen galt die zweiwöchige Unterbrechung mit Weihnachtsgans, Wintersport und Wunderkerze noch nie als besonders lernintensive Phase, die anschließende Wiederaufnahme des Vorlesungsbetriebs dagegen schon immer als holprig.
Analog eignet sich der Juli erfahrungsgemäß besser für außeruniversitäre Aktivitäten als in staubigen Lesesälen nach Luft zu ringen. Zumal der Einwand, dann drohten Kollisionen mit den Schulferien, nur zum Teil verfängt: In diesem und dem nächsten Jahr zum Beispiel belagert nur eine kleine Minderheit an Lehrern, Eltern und Schülern von Ende Juni an die Urlaubsgebiete. In den drei bevölkerungsstärksten Ländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg beginnen die Sommerferien gar erst in der zweiten Julihälfte.
Für bundesweit einheitliche Zeiten
Wenn hinsichtlich der vorlesungsfreien Monate etwas für den derzeitigen Semesterrhythmus sprechen mag, dann höchstens der etwas günstigere Zeitraum für Praktika. Doch gilt das, wenn überhaupt, mit dem Sommer nur für eine von zwei Ferienzeiten und in erster Linie für Behörden oder Einrichtungen wie den Bundestag, die im Juli und August eingeschränkt arbeiten. Kein Unternehmen kann es sich hingegen leisten, zweieinhalb Monate auf Stand-by zu schalten – und wenn doch, dann mag für Praktikanten gerade darin eine Chance zur Übernahme verantwortlicher Aufgaben liegen. Abgesehen davon ist ein Pflichtpraktikum im Semester immer häufiger obligatorischer Bestandteil vieler Studiengänge.
Und die verkürzte Bewerbungsfrist zwischen Abitur und früherem Semesterbeginn, vor der schon vor zehn Jahren gewarnt wurde? Die Universität Mannheim, die bald im zwölften Jahr von Mitte Mai bis Mitte Juli ihr Portal öffnet, scheint das in Zeiten von Onlinebewerbung und PDF-Upload nicht vor unlösbare Probleme gestellt zu haben. Falls der Turboabiturient des 21. Jahrhunderts nicht ohnehin erst einmal auf unbestimmte Zeit damit beschäftigt ist, in der fernen Wildnis nach sich selbst zu suchen.
Nicht bloß um der Harmonisierung willen braucht es neue Vorlesungszeiten, die bundesweit einheitlich von März bis Mai und von September bis November gehen. Sondern weil sich Deutschland einen nationalen Sonderweg leistet, von dem niemand etwas hat.
Bitte ja!
Ich als Angestellte einer Universität ärgere mich schon lange über die immer mehr nach hinten geschobenen Semesterzeiten. Den kompletten Juli an der Uni verbringen zu müssen ist eine Zumutung, auch denke ich ein Ende vor Weihnachten wäre sinnvoll. Ebenso die Zumutung für Eltern
Vor-, aber auch Nachteile!
Ich studiere an der Universität Mannheim und habe für das Sommersemester auch tatsächlich ein Auslandssemester eingeplant.
Die Vorteile sind groß, ich habe ganz normale Semesterferien bevor und nach dem ich aus den USA zurückkehre. Das ist zweifellos sehr praktisch und erleichtert die Auslandsplanung enorm.
Jedoch haben die veränderten Semesterzeiten in Mannheim auch ihre Nachteile.
– Die Klausuren kann man zu einem Ersttermin am Ende der Vorlesungszeit und einem Zweittermin nach den Semesterferien schreiben.
Klingt erst mal wie ein Vorteil, aber in vielen Studiengängen kommt man bei der Belastung nicht umhin Klausuren zu schieben und dann gehen die Semesterferien flöten. Man kann kein Praktikum machen, weil man so viel Stoff zu lernen hat und wirklich Urlaub ist auch nicht angesagt.
Will man sehr gute Zensuren in den Prüfungen ablegen, kann man oft nicht die ganzen Klausuren zum Ersttermin schreiben. Gefühlt sind diese zwei Termine bei der Anzahl der Klausuren auch berücksichtigt, wenn ich jetzt aber ins Ausland gehe, fällt für mich der Zweittermin flach, weil ich doch nicht mehr in Deutschland sein werde. Was übrig bleibt, ist die Klausuren auf ein Semester nach dem Auslandsaufenthalt zu schieben und dann wird es auch sehr eng, mit der Regelstudienzeit.
Die Weihnachtszeit ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Wenn man die letzte Klausur am 22 Dezember schreibt, dann bleibt nicht mehr viel Zeit um Glühwein zu schlürfen und die weihnachtliche Vorfreude aufkommen zu lassen.
Viele der Mannheimer Studierenden schieben die Klausuren, viele studieren länger als die Regelstudienzeit es vorsieht.
Viele gehen aber auch ins Ausland und haben es dann sicherlich einfacher!
Aus meiner Sicht bedarf es noch Feinschliff und Verbesserungen bei dem Umstieg auf die internationalen Semesterzeiten.
Das sind aber auch allgemeine Probleme der Bologna Reform.
Sonst bin ich aber sehr zufrieden, denn es ist wirklich schön den Sommer über nicht im Vorlesungssaal sitzen zu müssen. Osterferien haben wir übrigens trotzdem! :)
Für mich persönlich großer Vorteil
Für mich war diese Verschiebung von großem Vorteil. So konnte ich einem Masterintensivkurs im Ausland besuchen der in unserer Vorlesungsfreienzeit liegt ohne großartig etwas zu verpassen. Und eine Überschneidung des Kursstartes und Prüfungen bin ich umgegangen indem ich das Gespräch mit meinen Professoren/Lehrern gesucht habe und nicht an der regulären Klausur teilgenommen habe, sondern an einer eigenen bzw. Nachschreibklausur oder über einen Antrag beim Prüfungsamt die Prüfungsart ändern konnte. Ja das war mit Aufwand verbunden aber hat sich auch gelohnt. Ich bin trotz 2 Auslandsaufenthalten immer noch in Regelstudienzeit. Und hatte tollen Zeiten im Ausland und trotzdem meine sozialen Kontakte hier.
Ebenso sollte man dazu sagen, dass es in anderen Ländern weit schrecklicher zugeht. Eine Semesterpause von 2 Tagen zwischen Herbst und Frühling, so wie in Schweden erlebt, fand ich persönlich schrecklich. Ich war hudnemüde und auch da hatte ich Prüfungen direkt nach Weihnachten und habe Weihnachten durchgearbeitet weil eine Deadline doch tatsächlich der 27.12. 8:00 in der Früh war. Da lobe ich mir die deutschen Semesterferien zum Arbeiten schreiben. Welch eine Entspannung!
Genauso wenig hatte ich jemals das Gefühl trotz Mathe und Physikprüfung mit einer Zwischenzeit von 2 Tagen im Juli meinen Sommer nicht genügend genutzt zu haben.
Im Vergleich zu einer Homogenisierung der Semesterzeiten sehe ich andere Bereichen in der Universität viel mehr im Argen. Zum Beispiel wie man als Wissenschaftler Karriere und Familie untern einen Hut bringen soll mit 2-Jahres Verträgen oder die Starrheit der Module über die jedes Jahr erzählt wird wie schlecht und unnütz sie doch sind, aber trotzdem immer so bleiben.
nicht voreilig
“bis in die zweite Aprilhälfte hinein zu prokrastinieren” ? – Das erlauben mehrere Hausarbeiten pro Vorlesungsfreie Zeit (nicht Semesterferien) leider nicht. Das ‘Studierendenleben’ ist spätestens seit Bologna nicht (mehr) mit unbegrenzter Freizeit oder gar mit ‘studieren’ im etymologischen Sinne verbunden. Sofern man in Regelstudienzeit abschließen möchte – und dazu gibt es wenige Alternativen, wenn das Bafög aussetzt und die Eltern selbst wenig finanziellen Spielraum haben.
Eine Angleichung bzw. Vorverlegung der Semesterzeiten reicht folglich nicht aus. Es ist vergleichbar mit der Debatte um das G8: Die Studieninhalte müssten zunächst angepasst werden.
Bei einem Auslandsaufenthalt sind im Übrigen nicht nur die unterschiedlichen Semesterzeiten ein Problem, sondern (je nach Fachrichtung) insbesondere die Anrechnung der im Ausland erworbenen ECTS-Punkte.
Ergo: Nicht so voreilig.
Leider sehr einseitig
Die Verlegung der Semesterzeiten auf den US-Fahrplan habe ich in der Schweiz als Dozent miterlebt. Das hatte viele Nachteile. Abgesehen davon, dass einmalig die Semesterferien und damit die Zeit für Forschung ausfiel, können seitdem Wissenschaftler nur schwer in die USA oder nach England zu einem Forschungsaufenthalt. Für deutsche Wissenschaftler lässt sich das immer noch bequem einrichten, da die Zeiten eben gerade nicht parallel sind. Und das gilt andersherum natürlich genauso!
Für Studierende ist es praktisch, den September frei zu haben, in dem Reisen preiswert sind und Praktika sinnvoll. (Nein, über den Sommer macht das wirklich weniger Sinn, und es wird wenig Firmen geben, die mit einer Einstellung im Juli und August glücklich wären.)
Und dass ausländische Studierende schon zum Sprachkurs erscheinen, wenn die Prüfungen noch laufen, liegt einfach daran, dass diese ein par Monate vor Vorlesungsbeginn (bei uns!) anlaufen müssen. Eine Verschiebung der Semesterferien verlegt das Problem lediglich in einen anderen Monat. Viele könnten dann aber noch gar nicht nach Deutschland kommen, weil sie daheim noch in den Prüfungen stecken. Gerade für den Austausch sind die unterschiedlichen Zeiten nützlich, da sie beim Wechsel eine extra lange Ferienzeit ergeben, die mit Sprachkursen gefüllt werden kann!
Kurz und gut: Wir sollten nüchtern überlegen, was gut für uns ist. Von anderen Ländern lernen ist sicher gut. Aber es ist nicht automatisch so, dass anderswo alles besser ist: “Alle Affen machen alles nach”!
Vereinheitlichung auf welcher Grundlage?
Der Artikel unterstellt, dass Deutschland der Exot wäre, der seine Vorlesungszeiten den ansonsten scheinbar weltweit gültigen Zeiten anpassen müsste. In den USA gibt es zum Beispiel Semester, aber auch Trimester, die zeitlich nicht kompatibel sind, Unis, die bis Mai lehren, andere bei denen die Lehrveranstaltungen zum Teil bis Juni reichen. Ähnliches gilt im Winter. In anderen Ländern ist auch nicht alles gleich. Wir sind also keineswegs das Land, das alles anders macht als der Rest der Welt.
Schulferien
Für mich als Lehrenden sind die späten Zeiten ein Riesenproblem, da ich mich für die Betreuung der Kinder während der Kindergarten- und Schulferien verrenken muss. Wegen Kehre ist dann kein Urlaub möglich, nach der Prüfungsphase beginnt mitunter schon die Schule wieder. Wir arbeiten beide voll und haben keine Großeltern zur Hilfe hier.
Gerade die abweichenden Semestertermine sind hilfreich
Gerade die Abweichung der Semestertermine machen erst Doktorandenaustausch und Forschungsaufenthalte von ein bis drei Wochen moeglich. In beide Richtungen.
Wer glaubt, die Universitaeten koennten es sich erlauben, dass deutsche Lehrkraefte (=Doktoranden bis Professoren) ganze Semester “im Ausland Forschungssemester […] verbringen, die mit einer Freistellung von Lehrverpflichtungen an der heimischen Universität einhergehen [würden]” ist Traumtänzer.
Die Personaldecke der Universitäten ist so duenn, dass der Lehrbetrieb zusammenbrechen wuerden. Gremien koennten das niemals im groesserem Umfang genehmigen.