An Kurzvideos im Internet kommt man nicht mehr vorbei. Jugendliche sind geradezu versessen auf sie. Das hat die Frage zurücktreten lassen, was sie eigentlich bringen. Unsere Autorin sagt: nichts.
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Man kommt an ihnen nicht mehr vorbei, überall lauern sie, wollen angeschaut, bewertet und weitergeleitet werden: Videos im Internet, die ich im weitesten Sinn als Amateur-Videos bezeichnen würde. Suche ich ein Kochrezept, muss ich mich erst an zahlreichen Filmchen vorbeiklicken – kläglichen Versuchen von Backdilettanten oder peinliche Selbstdarstellungen von Profis – bis ich zu einer schnöden Textversion für die Zubereitung eines Hackbratens komme. Bei Anleitungen ist es ähnlich, von der Fahrradreparatur bis zur Computerprogramminstallierung, alles muss sich bewegen statt Schwarz auf Weiß dazustehen. Und erst die ganzen (Spaß-)Spots, die das Netz und die sozialen Medien bevölkern: Katzen, die dumme Dinge tun und dabei niedlich aussehen; Menschen, die dumme Dinge tun und dabei grässlich aussehen. Mittlerweile habe ich einen regelrechten Hass auf Videos entwickelt. Warum? Weil sie Zeit rauben. Weil sie peinlich sind. Und weil sie sich selten lohnen.
Der Zeitaspekt ist eklatant. Anders als bei einem Text, den man überfliegen kann, bei dem man durch Querlesen von mehreren Passagen schnell zur zielführenden Information kommt, gibt es diese Möglichkeit beim Bewegtbild nicht. Spule ich vor auf Minute 1:36 – ein Zeitpunkt, der sich durch verschiedene Selbstversuche als sinnvoll erwiesen hat (hier hat der Computerfreak/Fahrradfreund/Backinteressierte seine Einleitung beendet und kommt zum eigentlichen Inhalt) – kann man trotzdem nie sicher sein, ob man nicht die wesentliche Information (Zutat/Zubehör) verpasst hat. Um auf der sicheren Seite zu sein, zwingt mich das Video, es in seiner ganzen Unerträglichkeit anzusehen.
Womit wir bei Punkt zwei wären, der Peinlichkeit. Kürzlich kursierte im Netz eine Selbstdarstellung der Fachhochschule Mittweida (das Video wurde inzwischen weitestgehend aus dem Netz entfernt). Ganz nach dem „Du bist irgendwas“-Prinzip, dem König der subjektiven Videobotschaft, versuchen die Mitarbeiter dieser Hochschule durch die direkte Anrede den Zuschauer zum potentiellen Studenten zu machen. Das Groteske in ihren sichtbar vorgefertigten Aussagen (Mitarbeiterin: „Du bist die Hand. Du bist 5000.“, Studentin: „Du bist der Baum“, Angestellter: „Du bist das Fernsehen.“) finden vielleicht einige lustig. Mich berühren sie unangenehm, machen einen zum unfreiwilligen Voyeur, gerade im Zusammenhang mit Auftreten, Gestik und Mimik (und breitestem sächsischen Dialekt) der Person. Durch das Video kommen mir die Akteure einfach zu nah, als dass ich befreit lachen könnte.
Ähnliches gilt auch für die meisten gefilmten Koch-, Schmink- und Modetipps, die ich wider meiner Abneigung ab und zu anklicke. Da wird geworben, was das Zeug hält. Von „best video ever“, über „epic fail“ und „must see“ reichen die Versprechungen, doch nur in den seltensten Fällen werden die Inhalte dem auch gerecht. Da lacht beispielsweise ein Mädchen in die Kamera und beteuert, dass ich im Handumdrehen, ja in nur drei Minuten, die aufwendige Flechtfrisur von Julija Timoschenko hinbekommen werde. Das ist ja toll, denke ich und klicke “Play”. Ein Fehler, ich hätte es besser wissen müssen. Nach zwei Minuten Dauermonolog über die neuesten Beautyhaarprodukte von L’Oreal und ihren Ausflug zu DM die große Enttäuschung. Eine Friseuse taucht im Video auf und zaubert ihr die Frisur einfach auf den Kopf. So schnell, dass man nicht folgen kann, geschweige denn über vier Hände und Augen am Hinterkopf verfügt. Epic Fail!
Verweigern kann man sich den Videos nicht mehr, sie sind Teil des Internet-Alltags. Die sozialen Netzwerke Instagram und Snapchat sind voll von privaten Videos. Mal sind es sekundenlange Stummfilmchen in Dauerschleife, sogenannte GIFs, mal klassische Eigenproduktionen mit der Handykamera. Gerade das 2011 gegründete Snapchat erfreut sich bei den Jungen extremer Beliebtheit. Hier dreht sich alles um das bewegte Bild. Und dank der unsäglichen Emoticons, die in ihrer Beliebtheit eine ähnliche Steigerung wie Videos erfahren haben, lassen sich die Posts personalisieren, verzieren und emotionalisieren – als würde das eigene Abbild samt Stimme nicht mehr ausreichen, um Persönlichkeit und Emotionen auszudrücken. Außerdem versteht natürlich nur dank des weinenden Emotis auch wirklich jeder, dass man gerade traurig ist.
Facebook springt natürlich, wo es kann, auf’s (Video-)Pferd mit auf. Inzwischen kann man als Profilbild ein Kurzvideo von sich hochladen – vorbei die Zeiten, in denen ein perfekt ausgeleuchtetes Duckface zur Unterstreichung meiner Coolness ausgereicht hat, nun muss es sich auch noch bewegen. Und seit einigen Tagen ist es jetzt auch möglich, mit kleinen Filmchen auf Videobotschaften anderer User zu antworten. Endlich, das war dringend nötig! Noch mehr Videos auf meiner Startseite, die lautstark losgehen – auch wenn ich nur möglichst schnell versuche, über sie hinweg zu scrollen. Ich kann nicht mehr.
Schwarmblödheit
…wenn wir erstmal so weit sind, dass die bewegten Bilder direkt auf den Augapfel projiziert werden können, Realität und Fiktion miteinander verweben, Avatare und Zweitexistenzen mit virtuellen Beschäftigungen reale Prozesse auslösen, wird die heutige Diskussion aussehen, wie uns heute 1984 by Orwell vorkommt – nämlich zutiefst historisch, fast schon wie antike Literatur. Und alle, wirklich alle werden freiwillig, gern und voller Freude ihre vollständigen Datensätze in die Cloud geben. Kein Zwang, alles easy, Denken macht die Cloud, alles total groovy hier….
Verweigerung
Doch! Man kann die Kurzvideos verweigern, auch als Internet-Vielnutzer. Die Kurzvideos sind eine kurzzeitige Mode, die bald durch einen neuen Trend ausgetauscht werden. Junge Leute integrieren die Kurzvideos in ihr Leben wie ältere das Radio. Andere Zeiten, andere Trends. Unsere Eltern und Großeltern waren nicht unbedingt intellektueller.
Textverständnis
Nachdem das Verblödungssystem Schule das Textverständnis weitgehend beseitigt hat, sind Texte als Anleitung out. Und nehmen Sie doch mal die dicken Handbücher zu den technischen Geräten oder deren Ersatz als Datei elektronisch abrufbar. Diese Anleitungen haben doch auch kaum noch Leser, weil sich immer mehr Dumme für superklug halten. So ist das nun mal mit den Generationen Doof und Superdoof, wunderschön beschrieben von Bonner+Weis. Aber deren Bücher verstehen die Angehörigen der Generation Doof und Superdoof auch nicht.
Nicht doch lieber videos?
Lieber Wolfgang Hennig,
nach der Lektüre Ihres Kommentars frage ich mich, ob videos nicht doch die bessere Alternative sind.
:-)
Wer weiß, wer weiß....
aber nicht immer sind Video-Alternativen die besseren…
obwohl andererseits Worte auch nur Bewegungsdrehorte sind…
besonders meine…entscheiden Sie für sich…selbstbestimmt,
selbstbewußt, selbstbewegt…von Ihrer Ratioreife:=)
Video kills the radio star
Sie sprechen mir aus der Seele, liebe Frau Rhan!
Neben der unsäglichen Verbreitung der von Ihnen beschriebenen Hobbyfilmchen nerven mich drei Dinge ganz besonders:
1. Die völlig kritiklose Einstufung solchen Vorgehens als “modern”, “zeitgemäß” oder gar “jugendlich”, häufig anzutreffen bei Menschen und Organisationen, denen anderweitig die Felle wegzuschwimmen drohen.
2. Dies ist dann oftmals verbunden mit einem entsetzlichen Nachahmungsdrang – vermutlich, um sich die oben genannten Etiketten selbst anheften zu wollen. So kommen dann die beschriebenen Mittweidaer Machwerke zustande, oder die Videobotschaft des CDU-Kreisvorsitzenden von Klein-Kleckersdorf. Fragen Sie ihn ruhig: Der kommt sich darin wirklich hip vor…
3. Auch professionelle Medien und Presseorgane jeglicher Coleur, ja selbst Ihre Arbeitgeberin springen leider viel zu häufig auf den Zug auf und veröffentlichen derartige Zeitfresser ohne jeden inhaltlichen oder sonstigen Zusatznutzen. Vielleicht, weil sich vor jedes Video eine einträgliche Werbebotschaft schalten lässt?
Zusammen genommen hat der Nerv-Faktor inzwischen ein geschäftsschädigendes Ausmaß erreicht und eine trotzige Verweigerungshaltung provoziert, anzusiedeln kurz hinter dem Errichten einer Bezahlschranke…
Dabei wären die Möglichkeiten da...
Ich schließe mich voll und ganz Ihren Meinungen an, sowohl der Artikel als auch das Kommentar sprechen mir aus der Seele.
Dabei gäbe es die Möglichkeit, dass Videos deutlich sinnvoller als Texte wären – ideal als Kombination beider Medien.
Texte als kurze Grundinformation, die schnell überflogen und in den interessanten Teilen gelesen werden kann. Und dazu ein Video, dass besondere Kniffe *zeigt*. Versuchen Sie die im Artikel angesprochene Frisurenerstellung mal in Textform zu beschreiben. Sie werden bei mehrdeutigen Textungetümen landen. Dabei wäre ein gut gemachtes Kurzvideo, dass die nötigen Griffe zeigt, deutlich hilfreicher. Gerade bei komplexen Sachverhalten sind Videos in der Lage, das Wesentliche deutlich klarer zu vermitteln. Nur leider sind sie so oft schlecht gemacht und viel zu aufgebläht um unnötige (Eigen-)Werbung.
Lassen Sie uns aber auch nicht vergessen, dass es auch einige sehr lange Texte gibt, die in ihrer Art den kritisierten Videos ähneln. Es kommt halt immer auf eine gute Technik an und nur in zweiter Linie um das Medium.
Warum muss sich immer alles be"weg"en?
Sie befinden sich sowohl als zeugendes Individuum ihres
Selbstsein(erzeugende/r) Human, als auch als gezeugtes Individuum
ihres Selbstsein(gezeugte/r) Human, der Humangenerationen-Evolution-
Erzeugungsenergien, auf dem Reifeweg der Vernunft?
Den Gleichgewichtweg suchenden Evolutionsselben mit den dafür
notwendigen, Gleichgewicht-Not wendenden, Schöpfungsenergien?
Dieser Vernunftreifeweg über die Zeit, = Weg, bietet jedem Generierten,
jeden Generationen ihrer Zeit, ihres Weges, den zeitreifegemäßen
Vernunftreife-Status Quo zu erkennen und einzusehen?
Um dann mittels dieser “Spiegel-Vernunft-Reflexion-Fähigkeit”,
(Spiegel-)Dialog-(Spiegel-)Bildung, zur Selbstbegreifung von
Lebensweg(en) als Reife-Zweckwege für
Gesamt-Human-Schwarmvernunftreifewegweisen…Schwarm = heit…
zu einer reifend-BE”WEG”TEN Mensch-heit mit human BE”WEG”TEN
Lebensweisen zu finden?
Zitat:
Nehmen sie die Menschen wie sie sind, es gibt keine anderen…(zur Zeit)
Konrad Adenauer
:=)
"Verweigern kann man sich den Videos nicht mehr ..."
Wirklich nicht?
Ihre Behauptung halte ich für falsch.
Korrekt
Ich schaue solche Videos nie, schon gar nicht gezwungen, und bin daher beinahe nicht in der Lage, den Ausführungen der Autorin zu folgen. Glücklicherweise bin ich dank meiner Arbeit in der Lage, FB, Snapchat und Co. zu identifizieren – aber benutzen? Nein danke. Dementsprechend werde ich von ihnen auch nicht gestört.
Allerdings hat die Qualität von Texten im Internet in den letzten Jahren stark nachgelassen, gerade auch auf “Selbstmachseiten” (Kochen, Handwerkern, etc). Quantität statt Qualität – die meisten Menschen können wohl leider nicht besser.