Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Was erwartest du 2018 für dein Land?

| 2 Lesermeinungen

Welche Debatte sehen junge Journalisten im nächsten Jahr auf ihr Land zukommen, wie stark ist die Rolle der Presse? Eine Umfrage unter sechs internationalen Erasmus-Studierenden an der Universität Aarhus.

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Umer Ali / Pakistan

© He Zhang.

Welche Debatte wird die Politik deines Land im kommenden Jahr am meisten prägen?

Im nächsten Jahr stehen bei uns Wahlen an und ich mache mir Sorgen, dass es deswegen zu Gewaltausschreitungen kommen könnte. Das Militär in Pakistan ist sehr mächtig und die Generäle schmieden bereits jetzt Allianzen mit einigen Parteien hinter verschlossenen Türen. Damit wollen sie erreichen, dass eine Partei gewählt wird, die dem Militär zugeneigt ist. Schon jetzt kontrollieren die Generäle seit Jahren die Außen-, Verteidigungs- und Innenpolitik Pakistans. Die aktuelle Regierung hat sich jedoch nicht solidarisch mit dem Militär gezeigt. Deswegen versuchen die Generäle nun, ihre Macht zurück zu erlangen – vor allem mithilfe einer Zusammenarbeit mit sehr radikalen Parteien. Für uns liberale Intellektuelle ist das besorgniserregend, aber der Rest des Landes hinterfragt das Militär überhaupt nicht – obwohl die Generäle nie demokratisch gewählt wurden! Daher mache ich mir für das Jahr 2018 vor allem Sorgen, dass das Militär durch die Wahlen noch mehr Macht gewinnen könnte.

In welcher Rolle siehst du die Presse deines Landes?

Lange Zeit gab es das Problem, dass die Zeitungen nicht für ihre Reporter eingestanden sind, wenn diese kritische Berichte über das Militär geschrieben haben und deswegen bedroht wurden. Das ändert sich jetzt: Mehr Journalisten äußern sich über den Einfluss des Militärs auf den Titelseiten unserer Zeitungen und zum ersten Mal treten Medienhäuser für ihre Mitarbeiter ein und drucken nicht einfach am nächsten Tag eine Entschuldigung. Das ist das, was wir jetzt brauchen: Solidarität unter uns Journalisten und den bedingungslosen Rückhalt unserer Arbeitgeber. Wir sehen schon jetzt, dass es funktioniert. Das Militär wird unsicher, es gibt mehr und mehr Drohbriefe und Entführungen, auch Freunde von mir sind verschwunden. Aber wir Journalisten sind so vereint wie nie zuvor. Das Militär wird aggressiver – wir werden immer lauter.

Umer Ali, 22, ist ein preisgekrönter pakistanischer Journalist, er berichtet über Menschenrechte und Terrorismus in Pakistan. Seinen Bachelor absolvierte er in „Massenkommunikation“ an einer privaten internationalen Universität in Islamabad.

Wie die übrigen Studierenden in dieser Umfrage studiert er in Dänemark den Erasmus Mundus Master „Journalism, Media and Globalisation“.

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Wentao Lu / China

© Guki Giunashvili.

Welche Debatte wird die Politik deines Land im kommenden Jahr am meisten prägen?

Chinas wirtschaftlicher Umbruch wird unsere größte Herausforderung im Jahr 2018. Es gab bereits viele Wirtschaftswissenschaftler, die einen Kollaps der schnell wachsenden chinesischen Wirtschaft vorausgesagt haben. Das sorgt momentan viele Menschen in China und auch die Länder, die mit uns handeln. Wir sind immer als die „Fabrik der Welt“ bezeichnet worden, aber jetzt wandern mehr und mehr Firmen für ihre Produktion in billigere Länder im Süden Asiens. Daher versucht mein Land noch mehr den heimischen Markt zu stärken, aber das geht nicht schnell genug.

Eine weitere wirtschaftliche Problematik momentan sind die immer größer werdenden ökonomischen Ungleichheiten zwischen den chinesischen Küstenregionen und dem Inland. Die Regionen, denen es wirtschaftlich besonders schlecht geht, sind abhängig von staatlichen Unternehmen. Diese Unternehmen werden jetzt allerdings mehr und mehr kritisiert, weil sie den Wettbewerb stören und nicht innovativ genug sind. Mit der „One Belt One Road“-Wirtschaftspolitik versucht man jetzt, auch diese Provinzen in den chinesischen Handel einzubeziehen: Indem man mehr mit den Nachbarstaaten handelt, werden auch diese Inlandsprovinzen aufgewertet – sie liegen näher dran. Aber ob diese Maßnahmen helfen, um unsere Wirtschaft vor dem Kollaps zu retten, bleibt abzuwarten und eine der großen Fragen für das kommende Jahr.

In welcher Rolle siehst du die Presse deines Landes?

Als Journalisten ist es vor allem unsere Aufgabe, die wahren Probleme des wirtschaftlichen Umbruchs aufzuzeigen, anstatt nur immer blind zu tun und positiv zu berichten. Nur so können wir wirklich herausfinden, warum manche Regionen wirtschaftlich so große Schwierigkeiten haben. Wir sollten die Verantwortlichen dazu bringen, sich dieser Wahrheit zu stellen und sich für Veränderung einzusetzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es funktioniert, wenn wir einzelne Menschen porträtieren und an ihnen erzählen, wie das Nachlassen der chinesischen Wirtschaft sie beeinträchtigt.

Wentao Lu, 23, ist ein Journalist aus Hefei, im Osten Chinas – mit dem Hochgeschwindigkeitszug zwei Stunden von Shanghai entfernt. Er hat in Macao „Chinesisch-Englisches Dolmetschen“ studiert und dort für das Studentenmagazin „Study in Macao“ gearbeitet.

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Isabela Bonfim / Brasilien

© He Zhang.

Welche Debatte wird die Politik deines Land im kommenden Jahr am meisten prägen?

Die große Frage in Brasilien ist momentan, ob es unserem ehemaligen Präsidenten Lula möglich sein wird, bei der Präsidentschaftswahl 2018 anzutreten. Lula war einmal ein sehr angesehener Politiker in Brasilien, bis er unter anderem wegen Korruption zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Seine Verurteilung ist jedoch umstritten, es wurden Beweise unterschlagen.

Die brasilianische Bevölkerung ist gespalten: Die einen glauben, dass Lula tatsächlich in Korruption involviert war und sich bereichert hat. Die anderen sind der Meinung, er sei ein Opfer politischer Verfolgung, die verhindern soll, dass die linkeren Parteien erfolgreich bei der Wahl antreten können. Das mag nach Verschwörungstheorien klingen, aber brasilianische Politik war in den letzten zwei Jahren tatsächlich vergleichbar mit einem Kino-Filmplot. Die Frage, ob Lula jetzt doch antreten kann, ist mehr als nur eine parteipolitische Unstimmigkeit zwischen links und rechts. Meiner Meinung nach entscheidet sich daran gerade auch das politische Schicksal des Landes: Können wir beweisen, dass unsere staatlichen Institutionen funktionieren und die Strafverfolgung von Politikern effektiv gewährleisten?

In welcher Rolle siehst du die Presse deines Landes?

Wir haben in Brasilien ein großes Problem mit der fehlenden Unabhängigkeit unserer Journalisten. Nationale Medien werden von einigen Familienunternehmen kontrolliert – die Berichterstattung daher ebenso. Ich finde, wir Journalisten sollten vor allem unabhängige Medien unterstützen, damit die politische Debatte demokratischer geführt wird. Ebenso sollten wir uns bemühen, auch bei unseren Quellen auf Vielfalt zu achten und nicht immer nur die Politiker von einer Seite der Debatte interviewen. Der politische Journalismus in Brasilien beschäftigt sich leider viel zu selten mit den Bedürfnissen und Meinungen der normalen Bürger. Neben all den politischen und juristischen Debatten ist ein Großteil der Wähler in Brasilien nämlich momentan vor allem damit beschäftigt, am Ende des Tages genug Essen auf dem Tisch stehen zu haben.

Isabela Bonfim, 26, hat in Brasilien als Parlamentsberichterstatterin bei der Zeitung „Estadão“ gearbeitet. Vorher studierte sie „Journalismus“ an der University of Brasilia und absolvierte Auslandssemester in den Niederlanden und Portugal.

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Brenda Okoth / Kenia

© Juan Carlos Gómez Henríquez.

Welche Debatte wird die Politik deines Land im kommenden Jahr am meisten prägen?

In Kenia gewinnt die Frage, zu welcher Ethnie man gehört, zunehmend an Relevanz. Die Politisierung von Ethnien wird daher in unserem Land im kommenden Jahr eine wichtige Rolle spielen. Uns fehlt das Gefühl einer Nation. Ethnienzugehörigkeiten definieren sich über religiöse Charakteristika oder auch verschiedene Stammesherkünfte. Das bestimmt unser gesellschaftliches Leben viel mehr als eine “nationale Identität”. Die Politiker heizen diese Stimmung an. Und weil diese Politiker und der Staat als Ganzes durch Korruption in ihrer Regierungsfähigkeit stark eingeschränkt sind, steigt die Relevanz ethnischer Gemeinschaften noch mehr. Ihre Loyalität kann das politische Überleben einzelner Würdenträger sichern.

In welcher Rolle siehst du die Presse deines Landes?

Leider waren gerade Journalisten bisher eher mit Schuld daran, dass kein Nationalgefühl entstehen konnte. Viele Redaktionen sind gespalten entlang von ethnischen Trennlinien – und das spiegeln sie durch ihre Berichterstattung auch in die Öffentlichkeit. Dieses einseitige Medienklima wird dann genutzt von Bloggern und Menschen in den sozialen Netzwerken, um den Hass gegen bestimmte Gruppen noch weiter zu schüren. Die Mainstream-Medien dazu zu bringen, die Diskussion über ethnische Identitäten anders zu führen, ist eine Herkulesaufgabe! Ein Schritt auf dem Weg Richtung mehr Demokratie ist daher sicher, diesen Verfall in unseren Medienhäusern anzuprangern und unsere Erzählweise über Ethnien zu ändern. Ethnienzugehörigkeit als solche ist ja nichts schlechtes, sie sollte nur nicht dazu verwendet werden, um Macht gegenüber anderen aufzubauen.

Brenda Okoth, 34, hat mehr als neun Jahre als Print-Journalistin in Kenia gearbeitet. Vorher absolvierte sie ein Bachelor-Studium in Kommunikation und Medientechnologie. Ihre Schwerpunkte sind Menschenrechte und Geschlechterdiversität. Brenda ist auch Mitglied eines Frauennetzwerkes, das sich für mehr Geschichten über starke afrikanische Frauen und Kinder in den Medien einsetzt.

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Karis Hustad / Vereinigte Staaten

© He Zhang.

Welche Debatte wird die Politik deines Land im kommenden Jahr am meisten prägen?

In meinem Land ist gerade jegliche Prognose denkbar schwer. Die Handlungen unseres Präsidenten und seiner Regierung sind so unvorhersehbar, dass sich die Agenda jederzeit blitzschnell ändern kann – mit einem hitzigen Tweet befinden wir uns plötzlich alle im Krisenmodus. Die wichtigste Frage im Jahr 2018 wird aber sicher sein, wie wir Einwanderungsfragen regeln werden. Demokraten und Republikaner sind da grundverschieden in ihren Ansichten. Momentan debattieren wir über den rechtlichen Status der sogenannten „Dreamers“, junger Immigranten, die als Kinder illegal in die Vereinigten Staaten gekommen sind. Jetzt ist es wahrscheinlich, dass sie ausgewiesen werden können – in „Heimatländer“, die sie nie kennengelernt haben. Wie wir diese Debatte führen, beeinflusst direkt das Leben sehr vieler Menschen und entscheidet, wer bleiben kann und wer gehen muss – und somit die Zukunft unseres Landes.

In welcher Rolle siehst du die Presse deines Landes?

Wir müssen qualitativ noch hochwertigere Geschichten schreiben: Komplexe Artikel, die aufzeigen, wie politische Entscheidungen direkt das Leben einzelner Bürger beeinflussen oder schlaue wirtschaftliche Stücke, die erklären, welchen langfristigen wirtschaftlichen Effekt bestimmte Beschlüsse haben werden. Journalisten in den Vereinigten Staaten können heute politische Artikel nicht mehr ähnlich „wegschreiben“ wie einen Sport-Bericht. Die Menschen müssen verstehen lernen, dass Immigrationsregulierungen sehr ernste und echte Konsequenzen haben – außerhalb von parteipolitischen Zugewinnen oder Verlusten!

Meine Studienzeit außerhalb der Vereinigten Staaten sehe ich daher auch als Chance: Hier in Europa kann ich beobachten, welche Lösungen andere Länder angewendet haben und wie Migration hier geregelt wird. Wir können immer auch etwas von anderen lernen.

Karis Hustad, 27, ist eine Tech-Reporterin aus den Vereinigten Staaten. Sie hat in Chicago Journalismus studiert und während des Studiums einige Zeit in Marokko verbracht. In Indien hat Karis als Freiwillige den Oberschülern in Hyderabad „digital storytelling“ beigebracht.

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Konstanze Nastarowitz / Deutschland

© Gabrielė Niekytė.

Welche Debatte wird die Politik deines Land im kommenden Jahr am meisten prägen?

Seit der Entscheidung Angela Merkels im Spätsommer 2015, die Flüchtlinge an den Grenzen Deutschlands aufzunehmen, beschäftigen wir uns in den Medien, der politischen Debatte, aber auch in vielen deutschen Familien mit Fragen der Integration. Eine schockierende Entwicklung des Jahres 2017 war es, dass eine rechtskonservative und zuweilen ausländerfeindliche Partei, die Alternative für Deutschland (AfD), es bei den Wahlen erstmals in den deutschen Bundestag geschafft hat. Für viele Menschen war das ein Weckruf – es schien mehr frustrierte Bürger in Deutschland zu geben als bisher angenommen.

Für 2018 sehe ich daher vor allem dieses Tauziehen weitergehen – vor dem Hintergrund von Integrationsfragen werden wir lernen müssen, mit diesen sehr kritischen Stimmen im Bundestag umzugehen und uns dabei nicht vom Kurs abbringen zu lassen. Persönlich hat mich der Einzug der AfD betroffen gemacht. Ich sehe aber im Jahr 2018 auch eine Chance: Wir können jetzt zeigen, dass unsere Demokratie stark genug ist, AfD-Positionen im Bundestag zwar zuzuhören, ihnen aber auch entschieden als Demokraten entgegenzutreten.

In welcher Rolle siehst du die Presse deines Landes?

Wir Journalisten pflegen eine Art Hassliebe zu den Politikern der AfD: Ihre Positionen sind oft so bahnbrechend, populistisch oder skandalös, dass sie einen großen Nachrichtenwert mit sich bringen. Somit haben wir eine Plattform für ihre Positionen geschaffen und – oftmals unbewusst – Öffentlichkeit ermöglicht.

Jetzt müssen wir als Journalisten ebenso wie die anderen Parlamentarier im Bundestag wohl noch stärker das Zuhören lernen. Die AfD ist in der politischen Öffentlichkeit angekommen, ihre Politiker haben sich Gehör verschafft – auch mit unserer Hilfe. Nun gilt es, die Parlamentarier der AfD, ihre Forderungen, Bundestags-Reden und Anfragen, mit dem gleichen Maß zu messen wie die der anderen Parteien. Als Journalisten müssen jetzt auch wir beweisen, dass wir gute Demokraten sind. Hinter den AfD-Parlamentariern steckt schließlich auch eine Wählerschaft, die von uns repräsentiert werden will – kritisch, aber zuhörend.

Konstanze Nastarowitz, 23, arbeitet als freie Journalistin aus Berlin, Dresden und Dänemark. Sie studierte in Dresden „Internationale Beziehungen“ und hat im Rahmen dieses Studiums ein Auslandssemester in der türkischen Universitätsstadt Eskisehir verbracht. Weitere Praktika führten sie unter anderem nach Sofia und London.


2 Lesermeinungen

  1. Petersen sagt:

    Vielseitig - einseitig
    Ein sehr schöner Überblick.

    Der Text von Konstanze Nastarowitz zeigt, warum Deutschland so gespalten ist und warum man Journalisten als Mit-Verursacher dieses Problems sehen muss.

    Während die anderen Befragten analysierten und abgewogene Ureilte versuchten, lieferte der deutsche Beitrag das übliche AfD-Bashing – und eben keine Problemanalyse.

    • NME sagt:

      Genau so siehts leider aus
      Das Problem liegt ja schon im offiziellen Selbstverständnis des deutschen Journalismus.
      Nämlich die politische Meinungsbildung aktiv mit zu gestalten und zu beeinflussen.
      Das ist wenigstens für mich unseriös und hat was von Meinungsverordnung.
      Eine freie Meinungsbildung auf Grund von, weitestgehend, neutralen Informationen ist damit in Deutschland leider kaum möglich.

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