Die Abschlussarbeit ist abgegeben, das Studium neigt sich seinem Ende zu – was wird nun aus den Freundschaften, die während der Uni-Zeit geschlossen wurden? Der Psychotherapeut Wolfgang Krüger über Studienfreundschaften und deren Haltbarkeit.
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Halten Freundschaften, die während der Studienzeit geschlossen wurden, wirklich am längsten?
Wolfgang Krüger: Ja! Tatsächlich ist es so, dass die Freundschaften, die wir in der späten Schulzeit und in der Zeit während des Studiums aufbauen, die tiefsten und prägendsten Freundschaften sind, die wir in unserem gesamten Leben haben werden. Nach dem heutigen Stand der Forschung ist klar, dass sogenannte Herzensfreundschaften, bei denen eine Beziehung besonders intensiv aufgenommen wird, eine Durchschnittsdauer von über dreißig Jahren haben. Herzensfreundschaften, die in der Uni entstanden sind, liegen sogar oft über diesem Durchschnitt und halten in vielen Fällen ein Leben lang.
Warum ist das so?
Da gibt es verschiedene Theorien. Unter anderem sind wir in dieser Zeit unseres Lebens noch nicht so gebunden, was Partnerschaften, Familie und Beruf betrifft. Während des Studiums sind wir meist schon vollständig von unseren Eltern abgelöst, eine lange Partnerschaft, über mehr als zwei Jahre hinweg, ist noch relativ selten – das gibt uns die Möglichkeit, für neue Freundschaften relativ offen zu sein. Außerdem sind wir während der Studienzeit noch wesentlich neugieriger, was uns zum Experimentieren verleitet. Wir sind viel eher bereit, neue Beziehungen mit unterschiedlichen Menschen einzugehen. Mit steigendem Alter ändert sich das auch wieder. Sehr viele Menschen weisen bereits mit 50 Jahren resignative Züge auf. Es wird sich dann darauf konzentriert, bereits bestehende Freundschaften zu erhalten und weniger darauf, neue Freundschaften zu schließen. Im Studium ist mehr Freiraum gegeben, um sich auszutesten.
Außerdem ist man mit seinen Kommilitonen oft auf einer Wellenlänge…

Genau. Die Gemeinsamkeiten sind ein wichtiger Faktor. Während der Studienzeit gibt es viel mehr Dinge, die man mit seinen Mitmenschen gemein hat – sei es der gleiche Studiengang oder Schwierigkeiten bei einer bestimmten Klausur. Die Lebensthemen sind einfach sehr ähnlich. Das intensiviert den Wunsch, eine freundschaftliche Beziehung einzugehen.
Aber halten alle Studienfreundschaften so lange?
Nein, das Interessante ist, dass man während der Studienzeit die meisten Freundschaften schließt, davon dann jedoch, im Laufe des Lebens, viele wieder verliert. Im Alter existiert dann oft nur noch die Hälfte dieser Freundschaften. Besonders schwierig wird es für junge Menschen gerade dann, wenn sie heiraten, eine Familie gründen, Kinder bekommen und gleichzeitig arbeiten. Da werden viele Freundschaften sehr leicht vernachlässigt und geraten letztlich in Vergessenheit.
Gibt es da Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Ja, die gibt es tatsächlich. Wir haben in unserer heutigen Gesellschaft nach wie vor das Problem, dass Männer oftmals – natürlich nicht immer – eher technische Freundschaften eingehen und viel weniger über persönliche Angelegenheiten oder Gefühle sprechen. Frauen gelingt es eher, selbst in Freundschaften über eine längere Distanz hinweg, diese Entfernung emotional zu füllen. Bei Männern brechen bestehende Beziehungen wesentlich schneller ein, es fällt ihnen jedoch auch leichter, neue Freundschaften einzugehen.
Woran liegt es, dass wir während des Studiums so viele Freundschaften eingehen?
So viele sind es gar nicht. Gerade bei den Studien-Freundschaften gibt es ein witziges Phänomen: Viele Menschen glauben, dass Beziehungen in der Uni oft zufällig entstehen – je nachdem, wer gerade neben einem sitzt oder mit wem man sich zwischen den Vorlesungen unterhält. Tatsache ist jedoch, dass solche Beobachtungen meistens falsch interpretiert werden. Der Beginn einer Freundschaft kann zwar wirklich so ablaufen, jedoch ist das Eingehen einer tiefen Herzensfreundschaft ein unglaublich langer Selektionsprozess. Nur zu einem Bruchteil der Leute, die wir kennen, nehmen wir dann tatsächlich auch eine persönliche Beziehung auf. Alleine diesen Menschen vertrauen wir unsere persönlichen Probleme und Ängste an. Solche Herzensfreundschaften sind es wert, bewahrt zu werden – vor allem, wenn man in Betracht zieht, wie kostbar es ist, einen Menschen zu finden, von dem man sich verstanden fühlt. Im gesamten Leben hat man von diesen nur zwei oder drei.
Wie gelingt es am besten, eine solche Freundschaft aufrecht zu erhalten – selbst wenn sich der Wohnort wechselt?
Die wichtigste Voraussetzung, um eine Freundschaft aufrecht zu erhalten, ist, eine Freundschaft mit sich selbst zu beginnen. Emotionaler Tiefgang lautet hier das Stichwort. Eine freundschaftliche Beziehung kann nur ein Leben lang halten, wenn sich auch über tiefergreifende Themen ausgetauscht wurde. Nur über den blöden Professor oder die nächste Hausarbeit zu sprechen, reicht da nicht aus. Private und intensive Gespräche sind unheimlich wichtig, um eine Herzensfreundschaft aufzubauen. Wenn solche Themen Bestandteil der Freundschaft sind, kann die beste Freundin auch in Stockholm leben – man wird diesen Kontakt weiter aufrechterhalten, egal auf welchem Wege. Der entscheidende Punkt ist, dass man sich innerlich berührt hat.
Und wenn das nicht der Fall ist?
…dann ist eine solche Freundschaft schlichtweg austauschbar. Jemanden, mit dem ich ab und zu Tennis spielen oder ein Bier trinken kann, finde ich überall. Jemanden zu haben, allerdings, von dem ich mich zutiefst verstanden und vor allem auch akzeptiert fühle – darin liegt einfach ein unglaublich hoher Seltenheitswert.
Die Fragen stellte Nina Haas
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Dr. Wolfgang Krüger ist Psychotherapeut und Buchautor aus Berlin