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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Wie sollen Lehrkräfte vermitteln, was sie selbst nicht können?

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Am Institut für Germanistik der Universität Duisburg-Essen (UDE) ist man besorgt: Viele Lehramtsstudierende haben große Probleme mit Rechtschreibung und Grammatik – und stehen bald selbst vor Schulklassen.

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Eigentlich erwartet man von Lehrkräften, dass sie ihr Fach beherrschen. Doch die Realität sieht oft anders aus. Patrick Voßkamp und Ulrike Behrens lehren an der UDE im Bereich der Linguistik und der Sprachdidaktik. In ihren Seminaren vermitteln sie ihren Studierenden den Gegenstand der Sprache unter Aspekten der Lehr- und Lernbarkeit, um sie auf die baldige Schulpraxis vorzubereiten. Die Texte, die sie von Studierenden zu Gesicht bekommen, lösen bei ihnen zum Teil Erschrecken aus, sagen sie. Voßkamp hat das Thema erst neulich in einer seiner Lehrveranstaltungen zur Sprache gebracht. In einigen Texten hätte es von Zeichensetzungsfehlern, lexikalischen und grammatikalischen Fehlern sowie erheblichen Defiziten in der Kasusbildung und Flexion gewimmelt. Grundlegende Sprachregeln würden nicht beherrscht. „Im Prinzip werden hier Standards nicht erfüllt, die am Ende der Sekundarstufe I – und eigentlich schon nach der 6. oder 7. Klasse – erfüllt sein müssen“, sagt er und fügt hinzu: „Und das im Lehramtsstudium im Master im Fach Deutsch.“ Dabei handele es sich nicht um Einzelfälle. Allein in seinem Seminar seien ihm in drei Texten erhebliche Sprachdefizite aufgefallen. „Es ist ein gravierenderes Problem, als man anfänglich denkt“, so Voßkamp.

Seine Kollegin Ulrike Behrens verlangt inzwischen von ihren Studierenden zu Beginn jedes Semesters Schreibaufgaben. „Das habe ich früher nicht gemacht. Dann fliegen solche Defizite erst bei den Hausarbeiten auf“, sagt sie. Mittlerweile hat man sich im Fach darauf geeinigt, dass die Korrektur von Arbeiten nach mehr als 15 Fehlern auf den ersten drei Seiten abgebrochen und die Leistung mit “mangelhaft” bewertet wird. Auf wie viele Arbeiten das zutrifft, können die Dozierenden nicht sagen, da keine Statistik hierzu vorliegt. Wenige seien es jedoch nicht. „Wenn es nur ganz punktuell im Semester vorkommen würde, hätten wir uns ja nicht im Fach in einer Qualitätskonferenz Gedanken machen müssen. Das ist ein ganz schön erschreckendes Signal,“ fügt Voßkamp hinzu.

„Ein gravierendes Problem”

Ihr Institutskollege Albert Bremerich-Vos hat gemeinsam mit Dirk Scholten-Akoun vom Zentrum für Lehrerbildung eine empirische Untersuchung zu schriftsprachlichen Fähigkeiten von Lehramtsstudierenden zu Beginn ihres Studiums durchgeführt. „Da zeigt sich, dass die Situation auch – aber nicht nur in Essen – nicht so bleiben kann, wie sie ist“, fasst Behrens die Ergebnisse zusammen. „Man muss dazu sagen, dass die schriftsprachlichen Leistungen von Lehramtsstudierenden in der Studieneingangsphase in den einzelnen Studiengängen unterschiedlich ausfallen“, ergänzt Voßkamp. Am besten haben angehende Grundschullehrer*innen abgeschnitten – das könnte mit dem relativ hohen Numerus Clausus zusammenhängen, vermutet er. Im Mittelfeld liegen Studierende, die an Gymnasien und Gesamtschulen sowie an Berufskollegs unterrichten wollen. „Wir haben also noch mal ein gravierenderes Problem in der Studierendenschaft, die ‚nur‘ für die Sekundarstufe I studiert“, so Voßkamp weiter über angehende Lehrer*innen, die an Haupt-, Real- und die Unterstufe von Gesamtschulen unterrichten wollen. Es gebe insgesamt eine große Streuung innerhalb der Studierendenschaft und sogar innerhalb eines Studiengangs. „Dort gibt es auch Studierende, die einfach brillant sind.“

© Philipp FrohnBei vielen ist nicht einmal ein Problembewusstsein für die eigenen Schwächen vorhanden

Für Behrens und Voßkamp ist es unverständlich, wie Schüler*innen und Studierende mit solch defizitären schriftsprachlichen Leistungen die Schullaufbahn durchqueren, durchs Abitur kommen und eine Bachelorarbeit bestehen konnten. „Erschreckend finde ich, dass bei manchen kein Problembewusstsein vorhanden ist“, so Voßkamp. Für die Zukunft der Betroffenen sehe er schwarz. „In maximal zwei Jahren stehen diese Studierenden nicht nur vor einer Klasse, sondern auch vor Fachleitern, Schulleitern und Mentoren“, erklärt er. Während des anderthalbjährigen Vorbereitungsdienstes müssen Referendar*innen einen Spagat hinlegen: Einerseits geben sie eigenständigen Unterricht, andererseits befinden sie sich selbst noch im praktischen Teil ihrer Ausbildung. Sollten auch im Referendariat noch derart große Defizite in der Schriftsprache bestehen, könnten gravierende Konsequenzen auf die Betroffenen zukommen. „Wenn ein Fachseminarleiter im Worst Case den Referendar nicht zur unterrichtspraktischen Prüfung zulässt, verlängert sich die Nummer noch mal um sechs Monate bei gekürzten Bezügen“, warnt Voßkamp. Bei solch schlechten Rechtschreibleistungen – ob im Unterrichtsentwurf, in Aufgabenblättern oder an der Tafel und beim Korrigieren – sei das ein durchaus realistisches Szenario.

Dozenten sind keine Lektoren

Das alles betreffe nicht ausschließlich Deutschlehrer*innen. Vielmehr müsse die gesamte Lehrer*innenschaft einen korrekten (schrift)sprachlichen Umgang vorweisen. Denn auch beispielsweise Mathematiklehrkräfte müssen sich darüber im Klaren sein, dass es Missverständnisquellen gibt, die rein sprachlicher Natur sind – in Textaufgaben beispielsweise. „Lehrer müssen Behördenschreiben und Elternbriefe verfassen können, Sprachvorbild und Sprachreflexionsvorbild sein. Und zwar in allen Fächern“, so Ulrike Behrens.

Der Kernlehrplan für das Fach Deutsch an Gymnasien schreibt vor, dass Schüler*innen am Ende der Sekundarstufe I „Grundregeln der Rechtschreibung und Zeichensetzung sicher beherrschen und häufig vorkommende Wörter, Fachbegriffe und Fremdwörter richtig schreiben“ müssen. Eigentlich sollten basale sprachformale Regeln also vorausgesetzt werden können, damit im Universitätsstudium inhaltliche Aspekte und Debatten des Fachs behandelt werden können. „Wenn man bis in den Master hinein Stoff aus der Sekundarstufe wiederholt, dann heißt es im Umkehrschluss auch was für die fachliche Ausbildung – und das ist ein Problem“, so Behrens. Daher verzichten einige Dozierende darauf, die Sachlage zu thematisieren und schieben die Schuld auf die Schule. Behrens und Voßkamp jedoch wollen das Problem angehen und lösen. Man mache es sich zu einfach, wenn man die Verantwortung zurückweise.

© Uli SchmeltingPatrick Voßkamp

„Wir arbeiten in der Sprachdidaktik und bilden angehende Lehrer*innen aus, die dann wiederum Schüler*innen das beibringen sollen, was sie selbst nicht können. Ich finde, es ist verdammt nochmal unsere Aufgabe, dass wir uns darum bemühen“, so Voßkamp. In ihren Seminaren räumen sie und ihre Institutskolleg*innen regelmäßig Zeit für Auffrischungsübungen ein. Zu Beginn jeder Lehrveranstaltung wiederholen sie mit den Studierenden unter anderem Regeln der Groß- und Kleinschreibung oder der Zeichensetzung. Zirka zehn Minuten der Sitzung verwenden sie dafür. Das sei Zeit, die für eine Auseinandersetzung mit Seminarinhalten fehle, fügt Behrens hinzu. Von den Studierenden erhalten sie jedoch dankbare Rückmeldung. Auch über die Seminarsitzungen hinaus bieten sie Hilfestellung an. Studierende können Teile ihrer Hausarbeit vor der Deadline einreichen und ein Feedback erbitten. Ungefähr ein Viertel der Studierenden nutzt das Angebot von Behrens. „Dabei lese ich faktisch jede Arbeit zweimal“, beschreibt sie den Mehraufwand. Beim ersten Auftreten eines Fehlers notiert sie die jeweilige Regel an den Seitenrand. Von den Studierenden erwartet sie, dass sie anhand dieser Notizen selbständig die Arbeit korrigieren. „Ich bin ja nicht das Lektorat“, sagt sie und verweist darauf, dass eine bloße Korrektur den Lernfortschritt nicht positiv beeinflussen würde.

Die Angebote sind da

Voßkamp erwartet von den betroffenen Studierenden ein ausgeprägteres Problembewusstsein und mehr Ehrlichkeit zu sich selbst. Oftmals bekomme er zu hören, dass es sich um Flüchtigkeitsfehler handle oder dass der Text unter Zeitdruck entstanden sei. Doch in der Regel sei dies nur ein Vorwand. Auf einer Seite erkenne man sehr gut, ob es sich tatsächlich um Flüchtigkeitsfehler oder ein größeres Defizit handle. Voßkamp versteht diesen Schutzmechanismus – schließlich möchte niemand zugeben, Probleme in der Rechtschreibung zu haben.

Neben Bemühungen von Dozierenden scheint auch die Universität die Dringlichkeit des Themas zum Anlass zu nehmen, verschiedene darauf zugeschnittene Angebote zu schaffen. Schon bei der Einschreibung müssen Studieninteressierte am Projekt Sprachkompetenz angehender Lehramtsstudierender (SkaLa) verpflichtend teilnehmen. Anschließend bekommen sie ein Feedback über mögliche Defizite. Das könne bis Januar des jeweiligen Folgejahres dauern, so Behrens, sei aber immer noch früh genug, um diese aufzuarbeiten. Auch das Projekt Studiport vom Landesministerium für Kultur und Wissenschaft bietet verschiedene Tests – zum Beispiel zu Rechtschreibung und Grammatik, aber auch zur Gestaltung wissenschaftlicher Texte –, um Studierende und Studieninteressierte über persönliche Fehlerfelder zu informieren.

Mit neuen Projekten sollen an der UDE die Sprachkompetenzen von Lehramtsstudierenden verbessert werden, etwa durch Professionalisierung für Vielfalt (ProViel). Im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung von Bund und Ländern soll dadurch der Ausbau des Umgangs mit Heterogenität in der Schule gefördert werden. Ein Teilprojekt ist das fördernde Beurteilen schriftlicher Studienleistungen (FöBesS), mit dem über Fächergrenzen hinweg dieselben Beurteilungsraster etabliert werden sollen. „Wir glauben, dass es sinnvoll ist, dass Studierende während des Studiums immer wieder mit denselben Anforderungen konfrontiert sind“, so Behrens.

Seit über 20 Jahren ist zudem die Schreibwerkstatt eine feste Institution an der UDE. Dort können Studierende Hilfe beim Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten, aber auch bei Fragen hinsichtlich der Formulierung von Texten finden. Jedoch nehmen dieses Angebot eher Studierende wahr, die keine großen schriftsprachlichen Probleme haben, schildert Voßkamp seinen Eindruck. Es sei ähnlich wie bei Nachbesprechungen von Hausarbeiten: „Da kommt eher die Person mit einer 1,3 und fragt, was sie für eine 1,0 hätte machen müssen.“ Doch gerade von Studierenden mit Defiziten wünscht sich Voßkamp, dass sie die Probleme reflektieren und ihnen entgegenwirken – zu ihrem eigenen Wohl und dem der künftigen Schüler*innen. „Man kann da nur appellieren: Macht was. Die Angebote sind da. Ob online, in den Seminaren oder in zusätzlichen Institutionen innerhalb der Uni“, so der Dozent.

 

Dieser Text erschien zuerst in der Studentischen Zeitung für Duisburg, Essen und das Ruhrgebiet ak[due]ll


155 Lesermeinungen

  1. Eine Mutter sagt:

    Titel eingeben
    Frau Richter, ich möchte Ihnen mal entgegenkommen: Niemand steckt in des anderen Schuhen und wahrscheinlich reden wir aneinander vorbei, jede mit ihrem Alltag vor Augen. Ist wohl ein Kommunikationsproblem…Mein Alltag ist, meinen Kindern allgemeine Lebensgrundlagen mitzugeben und zunehmend auch das, was ich noch an allgemeinen Bildungsgrundlagen in der Schule gelernt habe und meine Kinder in ihren Schulen nicht mehr lernen. Und ich habe es satt, meine Kinder vor dem Verblöden zu bewahren zu müssen.

    Bei allem Mitgefühl für diejenigen, denen im Elternhaus nicht hinreichend Alltagsfähigkeiten vermittelt werden: Sie propagieren die Orientierung nach unten. Mir kommt in Ihrer Argumentation zu kurz, dass auch gerade diejenigen, denen es an der Basis fehlt, zur Ausbildungsfähigkeit verholfen werden muss (bei den anderen passiert auch das im Elternhaus), dazu gehört Sprachkompetenz.

    Ich möchte noch weitergehen: Vor der Sprachkompetenz kommt das Durchhaltevermögen. Warum soll denn von den benachteiligten Schülern nicht dasselbe verlangt werden wie von den anderen, nämlich dranbleiben und das Beste geben, Hausaufgaben machen, ein Buch lesen. Ich kenne viele Kinder, die die Förderung im Elternhaus nicht haben, und habe genügend Lehrerinnen erlebt, die eben von diesen Kindern (die haben es ja so schwer!!) nichts verlangen und nichts erwarten. Das ist diskriminierend und hilft niemandem. Stereotypisierung führt hier im schlimmsten Falle zur Weitergabe von Hartz IV- Lebensläufen.

    Nur wenn die Rechtschreibkompetenz ihren Stellenwert behält, können Lehrer nachfolgen, die diese Kompetenzen beherrschen und vermitteln können, darauf geht der Artikel ja deutlich ein.

    In dem Zusammenhang möchte ich abschließend an das hervorragende Schulmodell am Ernst- Abbe- Gymnasium in Berlin erinnern. Hier wird der Erwerb von Sprachkompetenz der deutschen Sprache durch Ausbau des Lateinunterrichts vorangetrieben (bei mehr als 90 % Migrationshintergrund in der Schülerschaft). Hier ist das Schlagwort “Integration durch Sprache” und dahinter steckt “wir machen das jetzt”.
    Dem Projekt wird auf allen Ebenen Erfolg bescheinigt.

    https://www.ernst-abbe.de/unterrichtsf-zus-ii/unser-fach-in-der-presse-latein/

  2. Gast sagt:

    Titel eingeben
    So ist es!

    Goethe und Schiller drehen sich hoffentlich im Grab rum!

    Es gäbe viel zu sagen. Lassen wir das. Es erscheint- leider- zwecklos!

    Da haben nicht die richtigen Leute die Entscheidungen zu treffen.

    Jochen Marten LEKTOR (PA+PD)

  3. Adler sagt:

    Vom Kindergarten bis zum Studium
    Die Universitäten bekommen nun das zu spüren, was in den Schulen und Kindergärten längst Realität ist: Wir müssen mit den veränderten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen anders umgehen bzw. ihnen andere, auf sie zugeschnittene Angebote machen.

    In den Kindergärten sind Erzieherinnen z.B. immer häufiger mit Kindern konfrontiert, die noch nicht alleine aufs Klo gehen können oder nach dem Schnuller verlangen. Da bleibt weniger Zeit für das Training der grundlegenden Fertigkeiten, die für eine erfolgreiche Mitarbeit in der Schule notwendig sind: phonologische Bewusstheit, mathematische Basiskompetenzen, Training der Feinmotorik und des friedlichen Miteinanders etc. Dies Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.

    Das zieht sich weiter durch die Grundschulschulzeit bis hin zum Abitur. Während meiner Studienzeit in den 90er Jahren war das große Schlagwort “die veränderte Kindheit”. Damals konnten wir noch nicht absehen, wie sehr diese Veränderungen (Verinselung, Digitalisierung etc.) unseren Unterricht beeinflussen würden. Wir müssen – mehr denn je – die Kinder, Schüler, Studenten dort abholen, wo sie stehen und unseren Unterricht an die neuen Gegebenheiten anpassen.

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