
Mit ein bisschen Talent zur Simplifizierung lassen sich die Buchmesse-Eröffnungsreden der letzten Jahre auf wenige Thesen zusammenfassen, genaugenommen auf zweieinhalb. Erstens: Aus dem Internet kommen alle möglichen Gefahren. Zweitens: Literatur ist das Völkerverständigendste, was es gibt. These zweieinhalb wird beharrlich seit Jahrzehnten von wechselnden Oberbürgermeistern der Stadt vorgetragen und besagt, dass Frankfurt die wichtigste Buchstadt überhaupt ist, aber lassen wir das einmal beiseite.
Interessant ist, was sich innerhalb der Internetthese so bewegt, nämlich in erster Linie die Feindbilder. Waren das in den letzten Eröffnungsreden noch die bösen Piraten, die Parasiten und Contentdiebe, daneben auch gern einmal eine ferndiagnostizierte Schnellklickmentalität, die sich per Facebook und Handy verbreite und Leserhirne zersetze, so scheint all das auf einmal kein Problem mehr zu sein. Offenbar sind die Leserhirne gesundet, alle wollen wieder Bücher kaufen, was sich in den Zahlen niederschlägt, die Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller denn auch gleich zu Anfang freudig verkündet. Die Zahlen sind prima. Das lesewillige Volk hat anscheinend genug geklickt, es blättert wieder, das Problem ist nur: Es kauft die Bücher beim falschen Händler, nämlich beim Internet-Großmonopolisten.
„Wir wollen einen Marktplatz, keine Monopole“, fordert auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier, und kommt sogleich zu These zwei. Literatur sei nötig, um die Träume und Traumata unserer Nachbarn zu verstehen, sagt er. Und auf das Verstehen kommt es ihm an: Das Wort „Putinversteher“ sei zu Unrecht von einem Empörungsjournalismus diskreditiert, denn Verstehen bedeute ja noch nicht Verständnis. Das kann man in einem Nebensatz prima fallen lassen, da ist der schnelle Applaus sicher.
Halten wir uns lieber an Sofi Oksanen, die als estnischstämmige Finnin zwei Länder zur Heimat hat, die einst zu Russland beziehungsweise zur Sowjetunion gehörten. Um ihr Putin-Nichtverständnis auszudrücken, braucht sie mehr als einen Nebensatz, nämlich eine ganze Rede. Es ist ja auch kompliziert: Auf der einen Seite ist es schön, kleine Sprachen zu fördern, denn man fördert damit kulturelle Nischen und Eigenarten. Das kann aber, wie bei der etwas übereifrig betriebenen Finnlandisierung, nachdem das Land unabhängig wurde, auch ein wenig ins Fanatische ausarten. Plötzlich kommen dann Kulturwächter, die bestimmen wollen, was finnisch ist und was nicht. Aber das ist kein Grund, kleine Sprachen nicht zu pflegen, denn nur wer spricht und schreibt, verschafft sich Gehör. Die finno-ugrischen Völker, die momentan das Pech haben, auf russischen Bodenschätzen zu siedeln, können das nicht. Allenfalls ein bisschen Trachtentragen sei ihnen erlaubt, berichtet Oksanen, womit die Kultur zur Kulisse verkomme.
Frauen und Sklaven, zitiert Oksanen den englischen Philosophen John Stuart Mill, wüssten erst, wer sie seien, wenn sie frei sind. Das gelte auch für Sprache, nur das freie Wort könne fliegen. Damit endete ihr Vortrag, der mehr war als eine flauschige Eröffnungsrede, der engagiert war und zum Teil provokant – also genau der Grund, warum man trotz aller Erwartbarkeit doch immer zu solchen Eröffnungen gehen sollte, weil man sonst etwas verpasst.
Andrea Diener
Vogel-Strauß-Taktik
Das Thema Piraterie hat sich insofern (vorläufig) erledigt, als Verlage und Verband diesbezüglich in der Regel die Köpfe tief im Sand vergraben haben. Letztes Jahr kam es nicht vor, und auch dieses Jahr sehe ich keine entsprechende Veranstaltung. Es würde nämlich enorm stören, wenn doch jetzt alle gutgelaunt ihre neuen E-Book-Geschäftsmodelle vorstellen wollen, Flatrates, Social Reading etc. Das ist sehr naiv, schaut man sich empirisch die Lage im Internet an, wo es einzelne Piratenseiten auf über 2 Mio. (weitgehend aktuelle) Titel bringen. Obwohl Tablets und Reader sich bestens verkaufen, flacht sich die Verkaufskurve von E-Books schon jetzt kräftig ab. Warum nur? Ich würde mich mal bei den Kollegen der Musikindustrie erkundigen.