Literaturblog

Literaturblog

Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt 2019

Handys hoch, das Denkmal kommt!

| 3 Lesermeinungen

Helmut Kohl kommt zum Droemer-Stand. Das reicht schon, um die gesamte Presselandschaft in Wallung zu versetzen: Nix wie hin!

© Norbert MüllerUnbeweglich inmitten von Moves: Helmut Kohl auf der Messe

Die Pressedame freut sich, immerhin eine, denn der Rest des Volkes schiebt und drückt mit verzerrten Gesichtern und hält verzweifelt Handys hoch. „So will man jeden Pressetermin!“, sagt sie gutgelaunt. „Stand voll, viele Journalisten.“ Dann verhandelt sie wieder mit der drängelnden Masse. Der Hörfunk will nur bisschen Atmo, die Lokalpresse delegiert eigens mitgebrachte Platzhaltergattinnen, „so, stell dich mal da hin!“ Die Dame vom Stern ist verzweifelt, weil das Magazin über sechshundert Euro für einen Flug ausgegeben hat, wie sie nicht müde wird, zu betonen, und nun was sehen will für ihr Geld.

„Der Kanzler der Einheit“ kommt, so stellt Verleger Hans-Peter Übleis vor, „gerade kommt er von einem Gespräch mit Henry Kissinger.“ Die Presseabteilung hat andere Sorgen: „Haben wir die leicht erotischen Buchcover abgedeckt?“ Alle Buchcover rund um die Kohl-Aufsteller haben weiße Anstandsblättchen übergezogen bekommen, alles gut also, alles staatstragend. Im November erscheine sein neues Buch „In Sorge um Europa“, erklärt die Pressedame und macht die Schultern breit, damit niemand durchdrängelt. „Da brauchste Türsteher-Moves.“

Alle warten auf den Kanzler der Einheit, von hinten soll er kommen, von vorn kommt er schließlich, das überrascht jetzt auch die Pressedame mit den Türsteher-Moves. Langsam schiebt sich eine Raupe aus Kameras und Mikrophonen durch den Rowohlt-Stand, an dem jede Geschäftigkeit zum Erliegen kommt, dann von schräg auf den Droemer-Stand zu. „Seltsam, dass es so still ist“, konstatiert die Pressedame, „kein Oh oder Ah.“ Und tatsächlich ist es erstaunlich still, bis auf das Klacken der Kameraspiegel natürlich.

Verleger Übleis leitet ein, freut sich über den hohen Besuch, der es sich nicht nehmen ließ, sein Buch und so weiter, und er freut sich über den Auftrieb, denn das zeige die Attraktivität des Mediums Buch und die Attraktivität von Helmut Kohl, das sagt er wirklich. Und es schiebt und drängelt, und die Handys halten drauf und die Kameras und dann redet Helmut Kohl selbst.

Was Helmut Kohl genau sagt, ist schwer zu sagen. Erst sind alle ganz ruhig und hören angestrengt hin, aber es ist nur „Deutschland“ zu verstehen und „Europa“ und nochmal „Deutschland“ und wieder „Europa“, dann irgendwann auch „Zukunft“, dann geben die Zuhörer es auf, es bilden sich kleine Murmelinseln im Gedränge, die immer größer werden. Es ist vielleicht auch egal, was Helmut Kohl sagt, irgendwas mit Deutschland, irgendwas mit Europa, passt schon, Denkmäler müssen nicht reden, das erwartet man nicht von ihnen. Denkmäler müssen fotografiert werden, das reicht. So recken sich wieder die Handys über die Köpfe hinweg, jetzt wollen doch alle wenigstens noch ein Foto.

„Ich bedanke mich sehr, dass Sie gekommen sind, vielen Dank für Ihr Interesse“, sagt Helmut Kohl schließlich noch, das ist gut zu verstehen, und: „Wer dieses Buch kauft, wird einen Vorteil davon haben.“ Die Masse lacht erleichtert, doch noch zwei Sätze des Denkmals verstanden zu haben. Dann halten die Kameras nochmal drauf, jetzt aber richtig, „wars das schon?“ sagen die ersten, „ja, das wars“, sagen andere. Nur eine kurze Begegnung war das, von der nicht viel bleibt, außer ein verwackeltes Handyfoto und einer Ahnung von Zeitzeugenschaft. Die Masse verstreut sich wieder. Es gibt nichts mehr zu sehen. Nur einen alten Mann im Rollstuhl, auf den jetzt allmählich keine Kameras mehr draufhalten, denn die Fotografen haben genug und müssen weiter.

„Können Sie alle bitte Samstag nochmal wiederkommen?“, sagt die Pressedame. „Da kommt MC Fitti mit vierzig Kilo Konfetti. Und wir haben nur einen Handstaubsauger am Stand!“ Das wird ja lustig. Da brauchste auch Türsteher-Moves.

Andrea Diener


3 Lesermeinungen

  1. Peters1961 sagt:

    Ich brauch ne neue Sehhilfe. Hab ich doch erst gelesen: Hände hoch, das Denkmal kommt!
    So was aber auch 😉

  2. […] macht der Spießer, wenn ein Monument um die Ecke kommt? Hände, nein, Handy hoch! (via Kaltmamsell) Nicht, dass Sie mich irgendwelcher Sympathien für den Herrn von der CDU […]

  3. […] erkrankten Alt-Kanzlers wird stets zu einem kleinen Medienereignis, worüber Andrea Diener in einem Blog der FAZ schreibt. Sie beschreibt ein geradezu skurriles Ereignis, dessen Sinn für alle Beteiligten […]

Kommentare sind deaktiviert.