Literaturblog

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Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt 2019

Wie ich einmal ein anderer war

Im vergangenen Jahr erhielt Pierre Lemaitre für „Wir sehen uns dort oben“ den Prix Goncourt, die wichtigste literarische Auszeichnung Frankreichs. Seitdem hat sich sein Leben verändert, und er ist froh, dass er keine fünfundzwanzig Jahre alt mehr ist. Sonst hätte er alles, was folgte, nicht überstanden.

© dpaNicht mehr lange: Der Goncourt-Preisträger Pierre Lemaitre

Als Pierre Lemaitre im vergangenen Jahr den Kaufvertrag für sein neues Appartement unweit des Pariser Montmartre unterschrieben hatte, hob er salbungsvoll die Hände: Merci à Jules et Edmond de Goncourt! – Besten Dank an die Brüder Jules und Edmond de Goncourt! Ihnen, so erzählt der 63 Jahre alte französische Schriftsteller beim Dinner seines deutschen Verlages Klett-Cotta, habe er ja schließlich all das Geld zu verdanken, mit dem er sich die neue Wohnung erst leisten konnte. Nicht, dass er vorher unglücklich gewesen wäre. Aber in Courbevoie zu wohnen (in der Nähe von La Défense im Westen von Paris) ist eben etwas anderes als am Montmartre – um genau zu sein, ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Überhaupt hat sich das Leben des Pierre Lemaitre sehr verändert. Seit er 2013 für seinen Roman „Wir sehen uns dort oben“ den Prix Goncourt gewonnen hat, passiert es ihm zuweilen nicht nur, dass er von sich selbst in der dritten Person spricht (natürlich nur ironisch gemeint). Er bedauert es jetzt auch nicht mehr, keine 25 Jahre mehr zu sein. „Wenn ich fünfundzwanzig wäre, hätte ich das alles nicht überstanden“, sagt er jedenfalls und lässt sich Rotwein nachgießen. Was er meint: Das Reden über sein preisgekröntes Buch, das begann, als er am 4. November 2013 den Goncourt erhielt, und das bis heute andauert.

So ein Preis hat eben Licht- und Schattenseiten. Und so schön es ist, in einem schicken Appartement zu wohnen, so gefährlich kann es sein, erst in Frankreich und dann in nahezu allen anderen dreißig Ländern, in die sein Verlag Albin Michel die Übersetzungslizenzen verkauft hat, über sein Werk zu sprechen. Gefährlich deswegen, weil es so schmeichelhaft ist. All diese Fragen! Das Interesse! Die freundlichen Menschen, die gerne bereit sind, so zu tun, als kenne man sich schon ewig! Die guten Wünsche, das hohe Lob! Das An-den-Lippen-hängen der kleinen Leute! Da muss man, sagt Pierre Lemaitre und ist auf einmal gar nicht mehr zu Späßen aufgelegt, seine Sinne beisammen halten, sich besinnen, um sich nicht in die Irre führen zu lassen von diesem Sirenengesang.

Und man muss wissen, dass all dieser Zauber endet – am 4. November dieses Jahres nämlich, wenn in Frankreich der nächste Goncourt-Preisträger bekanntgegeben wird. Für Pierre Lemaitre beginnt dann wieder einmal ein neues Leben.

Lena Bopp