
David Nicholls raunte mir zu: „This is the strangest publicity event I ever did.“ Und da war noch kaum eine Viertelstunde davon vorbei. Trotzdem dürfte es das ehrlichste Zugeständnis gewesen sein, das mir je ein Schriftsteller gemacht hat. Und dann noch so ein prominenter.
Wer Nicholls nicht kennt, hat Pech. Wer seine Bücher nicht kennt, hat selbst Schuld. Sein Roman „Zwei an einem Tag“, vor fünf Jahren erschienen, war ein Welterfolg, sein neuestes, im Original schlicht „Us“ betitelt, jetzt als „Drei auf Reisen“ auch auf Deutsch erschienen, war in diesem Jahr für den Booker Prize, die wichtigste englische Literaturauszeichnung, nominiert. Der achtundvierzigjährige Mann dürfte also einiges in seiner Karriere erlebt haben. Aber so etwas wie in Frankfurt eben noch nie.

Die Buchmesse übrigens auch nicht. Als Peter Haag, der Verleger von Kein & Aber, bei der Messeleitung die Anlieferung eines Busses als Messestand ankündigte, erzeugte das Stirnrunzeln. Von seriösen Schweizern hätte man anderes erwartet. Aber der Bus durfte in die Halle. Als dann noch ein zweiter Bus angemeldet wurde, mit dem am Donnerstag Abend die ganze Standbesatzung plus Gästen durch die Stadt gefahren werden sollte, zweifelten die deutschen Messeleute an Haags Verstand. Aber Verrückten muss man entgegenkommen, also stand am Abend um 18 Uhr ein knallroter Doppeldeckerbus vor der Halle 3, mit Rechtssteuerung, wie es sich für London gehört, wo Nicholls wohnt.
Aber wenn er’s doch so gut kennt, was soll das Gefährt dann? Die Anzeige am Bug des Fahrzeugs verkündete: „Little Grand Tour“. Das spielte auf den Inhalt von „Drei auf Reisen“ an. Der seit zwei Jahrzehnten mehr oder minder glücklich verheiratete Douglas will seine Ehe retten und nimmt Frau und den gerade erwachsen werdenden Sohn mit auf eine Europareise – die klassische Grand Tour eben. Natürlich fahren sie nicht mit dem Bus. Und natürlich besuchen sie auch nicht Frankfurt. München ist im Roman der Ort der Wahl in Deutschland. Und darüber heißt es: „Die Stadt ist eine seltsame Kombination aus pompöser Förmlichkeit und lärmender Bierseligkeit.“ Das kann Frankfurt besser: Im strömenden Regen des Donnerstagabends schob sich der Bus durch die obligatorisch verstopfte Innenstadt, um zu baustellenübersäten Ausfallstraßen zu gelangen, an denen es nichts zu sehen gab, was man hätte pompös, geschweige denn überhaupt sehenswert nennen können. Und statt Bier gab es im Bus Gin Tonic. Das also waren die Rahmenbedingungen für „the strangest publicity event“ in David Nicholls’ Leben.

Es wurde aber noch seltsamer. Aus unerfindlichen Gründen fuhren zwei mexikanische Mariachi-Musiker mit. Vielleicht kommen sie irgendwo in den 180 Kapitel von „Drei auf Reisen“ vor, aber ich kann mich nicht daran erinnern, und das liegt nicht am Gin. Jedenfalls begeisterte ihre Musik die mitfahrende Elke Heidenreich derart, dass ich nicht mehr überprüfen konnte, ob der am Kein-&-Aber-Stand noch startbereite Harald Martenstein auch eingestiegen war. Denn hören konnte man erst einmal im Bus nur Elke Heidenreich, und ein Doppeldecker hat eben zwei Ebenen. Wenn man hinten in der unteren eingeklemmt sitzt, kann man nicht mehr viel vom Rest überblicken.
Wobei die Nachbarschaft grandios war. Links Nicholson, rechts der Verwaltungsratspräsident von Kein & Aber samt reizender Gattin, zwei soignierte Schweizer, die im Laufe der anderthalbstündigen Fahrt vom Zauber mexikanischer Musik um ihre Contenance gebracht wurden. Dann ein dreiköpfiger britischer Begleittross des Autors gegenüber und zudem als Gesprächspartner von Nicholls der Moderator und Schriftsteller Jörg Thadeusz, der ein Englisch spricht, das britischer klang als das Idiom der vier Engländer um ihn herum. Dazu unerreichbar woanders im Bus die beiden Mexikaner, zwei Fernsehteams, die Verlagscrew und etliche Medienmenschen. Insgesamt rund vierzig Leute.

Zu viel mehr als dem mir zugeraunten Satz führte die unmittelbare Nachbarschaft zu David Nicholls nicht. Denn der sollte ja mit Thadeusz ein öffentliches Gespräch führen, das aber leider nur im unteren Busteil verständlich war, weshalb das Duo noch die obere Etage erklimmen musste, um das Ganze dort zu wiederholen. Die freigewordenen Plätze enterten dann die Mariachi, die mit „Guantanamera“, „Macarena“, „Oye come va“ und ähnlichen Latino-Gassenhauern Stimmung machten, nur unterbrochen durch die Ausgabe kleiner Speisen und den Auftritt eines Bauchladenverkäufers, der den Gästen kleine Geschenke machte. Ich besitze nunmehr einen Plastik-Flachmann in der Gestalt eines Walkmans. Seltsam, wie das Leben so spielt.
So ging es durch Frankfurt, doch niemand schaute hin, denn wir waren uns selbst genug. In Nicholls’ neuem Roman findet sich die kluge Reiseregel: „Gib dir Mühe, Spaß zu haben und spontan zu sein.“ Mühe brauchte man sich auf der Little Grand Tour aber gar nicht zu geben. Am Schluss wurde gesungen und geklatscht, und Nicholls saß freudestrahlend wie ein kleiner Junge neben den Musikern, mutmaßlich, weil er endlich einmal auf einer Promotion-Tour nicht promoten musste. Um 20 Uhr war alles vorbei, nur der Regen nicht. David Nicholls grauste es schon vor einem Fernsehauftritt am nächsten Tag. Man sollte ihm die beiden Mariachi mitgeben. Eins ist sicher: Das war the strangest promotion event I ever took part in.
Andreas Platthaus