
Nein, die Russian Publishers Party hatte exakt niemand auf dem Plan. Hätte ich nicht einen Kollegen eines Konkurrenzblattes vor der Messetoilette getroffen und hätten wir uns dort nicht verquatscht, wäre niemand von uns dorthin gegangen. So zog er einen etwas verknautschten Zettel aus der Sakkotasche und zeigte mir die Einladung. Er habe keine Ahnung, wie er zu der Ehre komme, aber es gebe ein Büfett.
Wir trafen uns etwas verspätet im Frankfurter Hof. Die Russen hatten den ganzen großen Festsaal gemietet, eine plüschige Angelegenheit mit ziemlich vielen Lüstern überall, runden, eingedeckten Tischen und einem großen Büfett. Niemand kontrollierte uns am Eingang. Es ist wirklich schön, zur Abwechslung einmal auf einem Empfang zu sein, bei dem es auf fünfzig Portionen Roastbeef nicht so genau ankommt. Ich hatte praktisch noch nichts gegessen außer einem Käsebrot und bekam sofort gute Laune.
Auf den runden Tischen standen Flaschen. Viele Flaschen. Es standen dort Wein und Sekt und Wodka, und unsere Tischnachbarn hatten schon allerbeste Laune. Anscheinend hatten wir bis jetzt nur einen Propagandafilm verpasst, nun aber betrat eine dunkelhaarige Schönheit in grellgrünem Kleid die Bühne und schmetterte los. “Time to say Goodbye” schmetterte sie auf englisch und auf Russisch, gut eingedeckt mit einem fetten Klangbrei aus der Konserve. Unsere Tischnachbarn waren begeistert. Wir kauten Roastbeef und Salat, sie hoben die Gläser und applaudierten ziemlich motiviert.
Ich bin es gewohnt, in überplüschten Sälen zu sitzen und seltsamen Darbietungen beizuwohnen, das passiert einem bei Pressereisen in ferne Länder öfter einmal. Aber in Frankfurt, bei einer Verlegerparty? Ich war verwirrt. Unsere Sitznachbarn trommelten nun auf den Tisch. Jemand holte sich eine Familienpackung Wodka ab. Es fühlte sich nicht mehr an wie Frankfurt, es fühlte sich an wie sehr, sehr weit weg.
Hinter der Sängerin war eine Leinwand angebracht, darin löste sich alsfort ein Malewitsch-Gemälde in seine geometrischen Bestandteile auf, um sich als stilisierte Matrjoschka wieder zusammenzusetzen. Dann stoppte die Animation, die Sängerin verstummte und ein Moderator, der sehr mit dem Englischen kämpfte, präsentierte uns den Trailer eines Kunstfilms von seinem superguten Kumpel Peter Greenaway, der sie russische Kunst und Musik und überhaupt alle kulturellen Hervorbringungen zu einem animierten Gesamtkunstwerk verwoben habe. Er habe das getan, weil der Moderator sein superguter Kumpel sei. Allmählich dämmerte mir, dass es sich wohl nicht um irgendeinen Moderator handelte, sondern anscheinend um einen höherrangigen Kulturfunktionär.
Auf der Leinwand startete nun der Trailer des Films des superguten Kumpels des Kulturfunktionärs. Ich tu mir jetzt ein wenig schwer mit der Beschreibung, denn ständig sagten Frauen in rautenförmigen Ausschnitten vervielfacht etwas auf russisch, dann war da plötzlich was Kubistisches und eine Gruppe graugekleideter Gestalten stand in dramatischer Beleuchtung herum und sagte auch was auf russisch. So flackerten Gesichter und Ornamente und Wabermusik so vor sich hin, ab und zu schob sich was Kubistisches ins Bild und ich begann, mich nach der grüngekleideten Sängerin zu sehnen, da war wenigstens Stimmung. Komm, wir holen uns Dessert, sagte der Kollege des Konkurrenzblattes. Das war eine gute Entscheidung, denn es kürzte die Sache ab.
Der Film war irgendwann zu Ende, die Malewitsch-Matrjoschka geometrisierte wieder von vorn. Aber die Sängerin kam nicht mehr, stattdessen kam eine Frau mit roten Haaren, rotem Kleid und einer Geige. Sie spielte “Sway”. Sie geigte auf diese Art, die vor allem beeindrucken will und nur sekundär schön klingen. Aber das störte den Saal nicht, alle begannen zu klatschen und zu johlen und auch unsere Sitznachbarn waren kaum zu halten. Sie stießen an, klatschten, trommelten und waren irgendwann ganz, ganz knapp vorm Headbangen angelangt. Es herrschte eine Stimmung wie auf einer russischen Hochzeit.
Wenn man den ganzen Tag nichts isst und von Menschen umgeben ist, die vergeistigt vor sich hinstarren, kann das wirklich eine sehr gute Abwechslung sein. Später noch tanzten Mädchen in engen Kleidern zu Macarena. Es hat uns zum großen Teil wirklich gut gefallen auf der Party der Russian Publishers, bis auf den Film des superguten Kumpels, aber guten Freunden verspricht man ja gern einmal etwas, und ist mit Kritik auch eher zurückhaltend. Vielleicht ist der Kulturfunktionär einfach nicht mehr aus der Nummer herausgekommen. Man kennt das ja. Wir jedenfalls kommen auch im nächsten Jahr gerne wieder und sind schon sehr gespannt auf das Showprogramm.
Andrea Diener