
Es ist natürlich immer einfach, Häme über Menschen mit Visionen auszukippen. Da muss man den berühmten Satz mit dem Arzt nicht mal andeuten, aber, hoppla, schon passiert. Trotzdem sind Visionen eine feine Sache. Dass sie häufig mit Besserwisserei einhergehen – nun ja, Sturm und Drang, nicht wahr.
Da die Krautreporter sich jetzt ins selbstgewählte Exil hinter der Paywall zurückgezogen haben, braucht es natürlich dringend ein anderes Projekt, das mit seinen Visionen strunzt. Das gerne öffentlich erklärt, die etablierten Medien hätten vieles verdummbeutelt, sich daraufhin ein rotes Cape umhängt und zum Retter des Journalismus wird. Diese Rolle nimmt jetzt Tell Review ein, das die Literaturkritik neu erfinden und in ein großartiges Online-Feuilleton mit Musik, Bildender Kunst und Debatten einbinden will.
Die Initiatorin Sieglinde Geisel hatte bei der Vorstellung des Projektes auf der Messe denn auch klare Vorstellungen davon, was eine neue Literaturkritik zu leisten habe: Sie möge “Kriterien transparent machen”. Dass nun aber den Reiz der Literatur gerade ausmacht, dass ihre Qualität nicht in klare Kriterien zu fassen ist – geschenkt. Journalisten und Blogger sind aufgerufen, sich an dem Projekt zu beteiligen, Neuerscheinungen und Klassiker zu rezensieren und, natürlich, die Leser einzubinden und irgendwie was mit Multimedia zu machen. Mittlerweile wäre es schließlich wahrhaft visionär, wenn sich mal ein Start-up hinstellen würde und sagen: “Wir machen eine Homepage, aber ohne Filme oder Audio, wir betten keine Tweets ein, und auf Kommentare haben wir auch keinen Bock.” Man müsste ihm echte Chancen einräumen.
So aber erklärt der Blogger Lars Hartmann noch eben, nur Blogs könnten auch mal ein Buch verreißen, das sonst alle gut fänden, weil die etablierten Medien befürchteten, der Verlag räume ihnen keine Interviews mehr ein. Steile These, durch nichts belegt, aber wir sind ja hier nicht beim großen Faktencheck. Es geht um Visionen, da muss man auch mal wild um sich schießen!
Dabei sollte allerdings kein Mäzen versehentlich ins Schussfeld geraten, denn auf die zählt die Tell Review. Man habe einen Antrag auf Förderung an die Reemtsma-Stiftung geschickt, da gehe das alles ganz formlos, das sei super. Überhaupt schwebe dem Team eine persönliche Beziehung zu den Förderern vor. Aber ein Unterstützersystem, in dem man quasi ein Lesungs-Abo kaufe, sei auch denkbar. Klingt wolkig? Joa. Aber so ist das nun mal mit Visionen.
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