Literaturblog

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Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt 2019

Lebensthema Achtsamkeits-Pommes

| 5 Lesermeinungen

© Andrea DienerNa gut, für nur 7,40 Euro mehr hätte es auch eine homöopathische Lasagne gegeben.

Also, unter uns: Ich bin nach diesem Programmpunkt ins Restaurant “Sky” gegangen, habe mir Burger und Pommes bestellt und finde, die haben an diesem grauen Tag nicht unwesentlich zu meiner Selbstoptimierung beigetragen. Sie enthielten alles, was nicht gesund ist, und ich habe sie sehr, sehr bewusst gegessen. Im Zeichen der Achtsamkeit, wenn Sie so wollen. Im Zeichen der Resilienz sowieso.

Ich war nämlich am Stand von Droemer-Knaur, und ich habe dort alles über den Programmbereich “Body Mind Spirit” gelernt. Das hat zwar auch mit Yoga zu tun, aber längst nicht nur, auch wenn ich heute lerne, dass es in Berlin 300 Yoga-Studios gibt und in München 200, in Deutschland 40.000 Yogalehrer und 80 Milliarden Dollar Yoga-Umsatz jährlich weltweit. Den Hintergrund des Gespräches bildete ein schickes Leuchtbild, auf dem ein Bambuszweig, ein Kerzchen und ein Stapel Steine abgebildet waren, die heilige Entspannungstrias der westlichen Welt.

Das Problem ist nämlich, dass es sehr viele Leute gibt, die bewusst leben wollen und von Uli Hoeneß bis VW keiner Institution mehr trauen können. Doch, das wurde genau so gesagt, und ich habe auch gestaunt. Aber es geht noch weiter: Die wollen ja nicht gleich die ganze Buddha-Geschichte auswendiglernen, deshalb muss der Einstieg in die Bücher “leicht und lifestylig” sein. Und am besten überhaupt als Hörbuch, weil lesen ja auch schon wieder stresst. Deshalb saßen da Kilian Kiesling von Argo Hörbücher und Carlo Günther, Verlagsleiter von Knaur Balance und sagen: Weg mit den Lehren, her mit den Häppchen. Die Idee der Achtsamkeit, die ist buddhistisch, aber man muss ja nicht gleich die Familienpackung kaufen, wenn man nur mal bisschen genervt ist. Man kann auch mit dem Achtsamkeits-Malbuch anfangen. Hilft ja vielleicht.

Und es muss ja nicht immer alles so asiatisch sein. Auch das Christentum, die Psychologie und das Coaching haben Ideen. “Wir wollen wissen, was hat einer zu bieten?” fragt Carlo Günther. So knallhart werden hier Heilslehren auf Verwertbarkeit abgeklopft. Wer nix bringt, fliegt raus, Kultur hin oder her. Und auch Crossover-Ideen seien ja total spannend. Man sehe das auch an der veganen Bewegung, die mittlerweile viel mehr sei als nur kein Fleisch und kein Fisch essen. Das ist ein Lebensthema geworden, da schmeißt man noch ein bisschen Buddhismus und Achtsamkeit rein, fertig ist die Laube rundrum korrekter Lebensweise. Und durch diese vielen möglichen Verbindungen von irgendwas mit irgendwas gehen die Themen für potentiell zu veröffentlichende Balance-Bücher auch nie aus.

An dieser Stelle spielt nun das Buch “Süß und Gesund” (“vegane Rezepte für Soul-Cakes und -Cookies, die dem Gaumen und der Seele guttun”) eine Rolle, dessen Untertitel lautet: “Backen ohne Zucker, Laktose, Eier und Weizen”. Meine Oma, die die Hände immer ellenbogentief in der Teigschüssel hatte, rotiert im Grab. Ihr und ihren Zeitgenossinnen zu Ehren habe ich letztens das große Dr. Oetker-Backbuch in der Klassiker-Auflage von 1954 gekauft, und wenn ich jemals etwas backe, dann wird da nicht nur Laktose bis zum Anschlag drin sein, sondern auch Eier satt, Weizen sowieso und Zucker ist ohnehin nicht verhandelbar. Der Moderator blätterte durch das Buch, auf einem Kuchen lag eine brauen Kruste, die nach Klärschlamm aussah. Dann hielt er eine Seite hoch, auf der freudlose, bröselige Klumpen abgebildet waren. “Hm, Haselnusstrüffel!” Er grinste, als freue er sich wirklich.

Der Verlag will, auch das wurde wieder genau so gesagt, eine Säule im Leben der Menschen werden. Und ein Angebot, das man durchsuchen kann, wenn es irgendwo zwickt. Etwa, wenn der Freund einen Eifersuchtsanfall hat. Nein, ich denke mir dieses Beispiel gerade nicht aus. Wahrscheinlich kann man das irgendwie wegatmen. Man erreiche ja auch die entsprechenden Seiten in den Frauenzeitschriften. Weil man wohl denkt, solchen Quark nur Frauen verkaufen zu können. Der Kerl zündet den Grill an, die Frau malt bei Duftkerzenschein Mandalas aus, so kommen wir alle prima klar. Wieder einmal hat es die Aufklärung schwer gegen die Religion in ihrer schlimmsten Psychoquatschausformung: Wo bleibt das große Leibniz-Malbuch? Käsekuchen nach Kant?  Das war ungefähr der Punkt, an dem ich beschloss: Nur noch eine Schale Soul-Pommes kann mich retten.


5 Lesermeinungen

  1. 7Bernstein1 sagt:

    ... und Hirn frei essen!
    Hat Spaß gemacht, Ihren Bericht zu lesen.
    Was glauben Sie, an welcher Stelle der gesellschaftlichen Entwicklung beginnen sich all diese Eskapaden herauszubilden? Obwohl in Indien die Übergewichtigkeit ebenfalls ein immer größer werdendes Problem wird, hat die Mehrheit der Bevölkerung mit der Beschaffung
    der Grundernährung zu kämpfen. Yoga spielt dort auch nicht die Rolle wie im Wunsch- und Vorstellungsdenken der Mitteleuropäer.
    Schönen Gruß an Ihre Oma, wenn es denn möglich wäre.

    Mit fielen Grüßen,

    Bernard del Monaco

  2. […] Viele Leserinnen werden mit dem Buch dennoch nicht unzufrieden sein. Die Methode reicht aus um das politische Gefühl und die Absicht entgegen der Welt zu beflügeln, zu bestätigen. Wer nach Selbstversicherung sucht, für den ist das Buch ideal. Das ist nur leider eher esoterisch und absolut nicht politisch, geschweige denn ernsthaft analytisch. Vielmehr eine Beimischung zum Lifestyle, gerade urbaner Gefilde. Dass Buchverlage zu solchen Werken neigen, konnte man zuletzt auf der Frankfurter Buchmesse erfahren. […]

  3. […] Lebensthema Achtsamkeits-Pommes “Wo bleibt das große Leibniz-Malbuch? Käsekuchen nach Kant?” Da ich früher selbst einige Jahre regelmäßig auf der Frankfurter Buchmesse war, kann ich diesen amüsanten Artikel nur zum Nachlesen empfehlen. […]

  4. ThorHa sagt:

    Frau Diener, ich habe den leider viel zu spät gelesen.
    Ich habe Tränen gelacht. Und ich hoffe, Sie sind nicht beleidigt, wenn ich hiermit kund und zu wissen tue, dass ich Sie wirklich gerne persönlich kennen würde. Meine Frau wird damit leben können.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

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