Literaturblog

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Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt 2019

So weit sind sie gekommen

Laterne, Laterne im Bockenheimer Depot© kueLaterne, Laterne im Bockenheimer Depot

Auch wenn man sich nicht die Mühe gemacht hätte, den Empfang in das eine, die Küche in das andere Zelt vor dem alten Bockenheimer Straßenbahndepot auszulagern, ein jedes groß genug, um darin ohne Platznot andere Anlässe zu feiern, ergäbe der alte Backsteinbau eine eindrucksvolle Festhalle. Der Konzern Random House hat sie am ersten regulären Abend der Buchmesse für eine Party hergerichtet, die in sympathischer Untertreibung “Feier-Abend” genannt und in ebenso sympathischer Schrulligkeit mit Bindestrich geschrieben wird.

Unter riesigen roten Seidenpapierkugeln sind Papphocker vor lange Tische gestellt, es gibt Sitzecken und Steh-Arrangements, und wo die Wände nicht mit Theken verbaut sind, ragen kleine Glasregale in den Raum, in deren vitrinenartigen Fächern Naschereien ausgestellt, abgegriffen und nachgelegt werden.

Nicht nur Bücher machen in Regalen ordentlich was her.© kueNicht nur Bücher machen in Regalen ordentlich was her.

Auch eine große Gesellschaft verteilt sich gut in dieser Halle, und wo sich andernorts Menschen mit Gläsern desorientiert durch Menschenmengen mit Gläsern drängen, flanieren hier die Gäste auf der Suche nach dem nächsten bekannten Gesicht. Das nimmt dem Fest ein wenig die Dringlichkeit. Und ein ganz klein wenig den Schwung. Es ist der erste Messeabend, das heißt, es sind sich noch nicht alle alten Bekannten sowieso schon dreimal über den Weg gelaufen, und es wird noch nicht getrunken, als sei es eh schon wurscht.

Zwischen all den Verlagsleitern, Vorzeigephilosophen, Fernsehvisagen und Vielliebchen kann man unversehens in ein Gespräch über ein seltsames soziales Netzwerk geraten, ohne Freunde oder Follower, ohne Datenpreisgabe, ersonnen in einem litauischen Wald, finanziert von einem russischen Oligarchen: Man schickt eine Botschaft los, die vier Leute in örtlicher Nähe erreicht, die ihrerseits diese Nachricht ablehnen, kommentieren oder gar weiterleiten können. Schneebälle geraten so ins Rollen, ganze Lawinen lösen sich unversehens, und wer will, kann sich auf einer Weltkarte in der Plag-App anschauen, wie sich die eigene Botschaft über den Globus ausbreitet.

Sie hätte einem Buch von Franzen entstammen können, diese Idee, und die ganzen Verwicklungen, die ein Netzwerk ohne feste Verknüpfungen mit sich bringt, noch dazu dieser Provenienz, zumal für eine Moderatorin im System, haben ihren literarischen Reiz. Doch nachdem sich die Musik bislang selbst für “Girl from Ipanema” nicht zu schade war, wird jetzt aufgedreht, und ein junger Mann mit hoher Stimme bekundet in einem mitreißenden Lied, man sei zu weit gekommen, um aufzugeben, wer man sei. Die ganze Nacht auf, um glücklich zu werden.

Vor dem DJ-Pult wird vereinzelt getanzt. Und selbst in den entfernteren Bereichen der Halle sieht man auf dem Weg zum Ausgang Menschen im Anzug zurückhaltend mit dem Kopf ruckeln.