Er ist Seelendoktor, Witze-Erzähler, Schauspieler – und vor allem Barchef im Frankfurter Hof. Für Ömer Gezer ist die Buchmesse mehr als die Zeit, in der er hinter der Theke zum Ferrari wird.
Wie viele Buchmessen haben Sie an der Bar im Frankfurter Hof schon erlebt?
Das ist meine 42. Buchmesse. 1973 habe ich als Praktikant im Frankfurter Hof angefangen. Ich habe in der Türkei eine Hotelfachschule besucht. Wir mussten ein Jahr in Deutschland Erfahrungen sammeln. Ich konnte am Anfang kein Wort Englisch oder Deutsch. Ich habe hier im Haus in allen Abteilungen gearbeitet. Seit 1988 bin ich hier an der Autorenbar, die ich seit 1998 leite.
Warum sind Sie nach Ihrer Ausbildung in Frankfurt geblieben?
Ich sage immer, das war Schicksal. Ich komme aus einer armen Familie. Ich musste hier arbeiten, um meine Eltern versorgen zu können. Später habe ich eine Engländerin geheiratet und zwei Kinder bekommen. Jetzt haben wir noch einen Hund gekauft, der kommt aus Bulgarien. Mein Leben ist wie ein gemischter Salat.
Was ist das Besondere an der Zeit der Buchmesse im Vergleich zum restlichen Jahr?
Es sind die vielen intellektuellen, freundlichen Menschen. So viele kluge Köpfe bringt nur die Buchmesse zusammen. Viele von ihnen kenne ich schon sehr, sehr lange. Für mich ist die Buchmesse ein Familientreffen. Ein Mal saß ein Stammgast traurig an der Bar, weil ihr Vater gestorben war. Ich habe hier alles liegen gelassen und bin mit ihr auf den Friedhof gegangen, um das Grab des Vaters zu besuchen.
Was bedeutet Ihnen die Buchmesse?
Auf der einen Seite freue ich mich sehr, aber auf der anderen bin ich manchmal auch sehr traurig. Während der Buchmesse erinnere ich mich auch an alle, die leider schon gestorben sind. Frank Schirrmacher war zum Beispiel wie ein Freund für mich. Er hat immer hier an der Bar gesessen. Er war einer der nettesten Menschen, die ich kennengelernt habe. Auch Marcel Reich-Ranicki oder Hellmuth Karasek waren zwei meiner Lieblingsgäste. Oder Johannes Mario Simmel, das war ein sehr lieber Mensch.
Im Frankfurter Hof treffen sich Verleger, Autoren und Agenten. Warum gerade hier?
Weil ich ein guter Gastgeber bin. Wir Türken sind in der Welt dafür bekannt, gute Gastgeber zu sein. Wir pflegen unsere Gäste, bis es nicht mehr geht. Wir gehen auf ihre Wünsche ein. Bei uns gibt es nichts, was es nicht gibt. Wenn es etwas nicht gibt, gehen wir es einkaufen.
Wie lange wird hier während der Buchmesse gefeiert?
Bis morgens um 5 oder 6 Uhr. Ich habe schon erlebt, dass die Bar 24 Stunden lang auf hatte. Früher habe ich durchgemacht. Mein Körper ist auch heute noch daran gewöhnt, immer in Bewegung zu sein. An normalen Tagen bin ich hinter der Theke jedoch eher ein Oldtimer. Während der Buchmesse werde ich zum Ferrari.
Wie hat sich die Messe in den letzten Jahren verändert?
In den Siebzigerjahren waren vor allem Westeuropäer auf der Messe. Leute aus Ländern wie Afrika konnten nicht herkommen, weil die Flüge noch sehr teuer und die Verbindungen sehr schlecht war. Aus dem Ostblock konnte man nicht ausreisen. 2013 war Swetlana Alexijewitsch, die jetzt den Nobelpreis gewonnen hat, hier bei uns. Sie hat mir sogar ein Autogramm gegeben. Das wäre früher nicht möglich gewesen. Auch von Indonesien hat man früher nie etwas gehört. Und es kommen viel mehr junge Leute her. Es gibt viele Nachwuchstalente wie zum Beispiel Charlotte Roche oder Kat Kaufmann. Ich habe die beiden Damen dieses Jahr kennengelernt.
Gibt es ein Getränk, das während der Buchmesse besonders beliebt ist?
Es wird meistens Champagner oder Whisky getrunken. Dieses Jahr mache ich eine türkische Limonade, die viele mit Gin oder Wodka trinken.
Stimmt es, dass in jedem Barkeeper auch ein Psychologe steckt?
Dem einen Gast müssen wir Witze erzählen, den anderen müssen wir trösten, weil er ein schlechtes Geschäft abgeschlossen hat. Mein Job ist manchmal schon komisch. Ich kann meinen Gästen an den Augen ablesen, wie sie drauf sind. Aber keiner fragt, wie es mir geht. Als Barkeeper ist man Witze-Erzähler, Schauspieler, Politiker, Seelendoktor. Wir machen hier alles.
Lesen Sie auch?
Wenn ich Zeit habe. Ich lese sehr viele türkische Bücher.
Welche türkischen Autoren können Sie empfehlen?
Orhan Pamuk natürlich oder Yasar Kemal. Aber ich lese auch gerne die türkischen Übersetzungen von Ken Folletts Büchern.
Dieser verdiente Mann hätte ein besseres Foto verdient.
Find’ ich.