
Fast hätte man hier schreiben können, dass die Reden wieder mal von ausgesuchter Langeweile waren. Messedirektor Juergen Boos so knapp, dass wir einen veritablen Buchmesseschnupfen vermuten und, falls das zutreffen sollte, an dieser Stelle verständnisvoll “Gute Besserung” wünschen (we feel you, Herr Boos, we feel you). Der Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller dem sonst üblichen Boos-Duktus folgend halb metaphorisch, halb mahnend über die Freiheit des Wortes und eine Grußadresse der inhaftierten türkischen Autorin Asli Erdogan vorlesend, die den Weg irgendwie aus ihrer Gemeinschaftszelle heraus auf diese Bühne geschafft hat (Allahs Wege sind unergründlich). Die Lokalmatadoren Peter Feldmann und Boris Rhein, bekräftigend, dass Frankfurt Literaturstadt sei, was ja gerade der Kirchhoff wieder bewiesen, aber dauernd werden Bücher über dieses Internet raubkopiert, was den Wert mindert, obwohl das Buch lebt und Frankfurt auch usw.

Man ist schon froh, wenn einer wie Martin Schulz erzählt, was Bücher für ihn bedeuteten, denn er stammt aus einer einfachen Familie und brach früh die Schule ab. Die Lehre zum Buchhändler brachte ihn wieder auf die Spur, und seitdem wirbt er für die Bildung und für Europa fürs freie Wort und möchte nicht auf sich sitzen lassen, dass die Politik schweige, wenn türkische Autorinnen gleich dutzendfach verhaftet werden. Aber Martin Schulz sollte das hier besser auch glänzend bewältigen, wenn er wirklich seine Karriere in Berlin fortsetzen möchte, wie derzeit allenthalben gemunkelt wird.

Die Ehrengäste sind die stumm in der ersten Reihe verharrenden Königspaare von Belgien und der Niederlande, die dem papiernen Ritual allein durch die Adressierung als “Majestäten” durch die Vortragenden schon ungewohnten Glamour verleihen. Doch richtig glitzernd wird es mit Arnon Grünberg und Charlotte Van den Broeck, die beiden Autoren, die auf der Bühne zum vermutlich ersten Mal (oder erstmals seit sehr, sehr langer Zeit wieder) eben keine aufrüttelnde Rede zur politischen Lage zum besten geben, denn das machen ja schon alle anderen. Sie hielten einen Dialog. “Ohne Nabel” heißt der, dreht sich um Empathie und Vaterland und wer man eigentlich ist und in wieweit man sich für andere eigentlich interessieren soll und darf und kann.
Da standen die beiden auf der Bühne und kamen sich näher in diesem Gespräch und endeten in Umarmung und Kuss und man denkt sich, herrje, dass so etwas lyrisches auf dieser öden Buchmessebühne derart gewagt und fremd wirkt, das sagt auch etwas über diese Veranstaltung aus, und vermutlich nichts Gutes. Am Ende bekommen wir den Nabeltext als Büchlein zugesteckt, dreisprachig, hübsch gestaltet, in einer einmaligen Sonderausgabe von 3000 Exemplaren. Die Liebe, so heißt es darin, sei die Illusion, etwas ganz Exklusives zu teilen. Wir blättern gedankenverloren in den Seiten, in drei Farben blau getönt, und fragen uns, wie lange solche zarten Gedanken wohl in die Woche hineintragen. (Wir halten Sie auf dem Laufenden.)
Das Buch ist eben eine aussterbende Spezies, vielleicht darum? ... und mehr wäre dann dazu auch
kaum noch zu sagen. Also vielleicht als eines: Wer hin-und-wieder evtl. sagen wir “Golem” oder “Netzpolitik” oder “Wikileaks” u.ä. besuchte, schon aus reiner Zeitgeistneugier sollte das ggfls. auch mal mit angebracht sein, der stellte eben quasi wie im Vorbeigehen mit fest, dass die junge Intelligenz – sie in ihrer Zeit und das ist recht – sich auf ganz andere Inhalte konzentrierte – intellektuelle Leistungen wie Softwareprodukte, dazu zählten eben auch “Trojaner und Co.”, selbstfabriziert womöglich, stünden viel höher in Kurs, als die bloße Rezeption von Vorgefertigtem. Vom eigenen Schreiben bei Fazzebuck oder in eigenen BLOGS und VLOGS ganz zu schweigen.
Das Buch ist halt oft auch so eine sprachlose Sache. (OK, wenn es Weltliteratur ist nicht so ganz, aber wo entstünde denn heute noch Weltliteratur, es sei denn bei ganz hartnäckigen Außenseitern? Und die füllten aber nun einmal keine Messe und kein Podium.)
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