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Im Fiebertraum mit David Hockney

| 1 Lesermeinung

img_6329Sind es Worte – oder doch das Brummen einer Aura?

Folgender Tatsachenbericht wirkt wie eine Szene aus einem Fiebertraum. Viel mehr Legende als Realität. Doch ich habe jedes Wort erlebt. Es trug sich während der Frankfurter Buchmesse 2016 zu, an einem stürmischen Mittwoch. David Hockney materialisierte sich auf der Bühne des Taschen Verlags, als sei er aus einer spontanen Erdspalte empor gestiegen – um eine Audienz zu gewähren.

Der “place to be”: Halle 4.1 / N69. Alle sind sie gekommen. Journalisten, Besucher, Sympathisanten und erlebnisorientierte Schaulustige. Wie die Lemminge. Aufgeregt. Wirr. Vollkommen bereit, Hockneys Aura einzuatmen. Ja, seine Worte in die Welt hinaus zu tragen. War es doch erst Hockneys zweite Messe und seine allererste Buchmesse überhaupt. Da muss man dabei gewesen sein.

Und es waren anscheinend auch alle dabei. Der  komplette Buchmessenmittwoch war da und hat sein versammeltes Blitzlicht mitgebracht. Einmal in der Traube vor der Bühne, gab es kein Entkommen, kein Vor und kein Zurück. Auch für mich nicht. Ich stand dichtgedrängt von Fremden (wir schlossen in unserer ausweglosen Situation schnell Freundschaft, Hockney schweißt zusammen [Anm. d. Red.: auch unter den Armen]).

Im Stimmengewirr der Zuschauer breitete sich irgendwann ein Brummen aus. War das eine Stimme? War das Hockney? Ja, er war es! “Er muss da irgendwo auf der Bühne sitzen!”, rief ein Mann neben mir, hörbar in Schnappatmung. Die wenigsten konnten ihn aber verstehen, aus den Lautsprechern drang nur Brei. Betäubte Worte. Und zu sehen war er auch nicht. Vermutlich saß er.

Das Buch das niemand lesen kann.© Felix-Emeric TotaDas Buch das niemand lesen kann.

Schräg gegenüber der Taschen-Bühne ist ein Stand, der dem Voynich-Manuskript gewidmet ist. Ich stand genau zwischen Hockney und Voynich. Das mythenumrankte Voynich-Manuskript ist in der Popkultur als “das Buch, das niemand lesen kann” verschlagwortet. Seit über hundert Jahren beißen sich die Voynich-Forscher die Zähne daran aus, herauszufinden, was in dem Manuskript steht. Erfolglos. Und ich biss mir die Zähne daran aus, was Hockney da gerade sagt. Waren es Worte oder doch das Brummen einer Aura? Ich wollte weg. Doch ich konnte nicht.  So sehr ich auch wollte. Der Boden unter meinen Füßen verschwand, es wurde unübersichtlich. Befand ich mich in einem Fiebertraum, in einer Subsphäre?

Ich war gefangen. Und habe einfach nichts verstanden.

Es gibt Termine im Zeitgeschehen, da erinnert sich jeder Mensch sein Leben lang dran, wo er sich aufgehalten hat, als er in den Nachrichten davon erfahren hat. Der 11. September beispielsweise ist so ein Datum. Oder der Mauerfall.  Wenn mich heute jemand fragt, wo ich war, als David Hockney auf der Buchmesse sprach, dann ist meine Antwort: Also, ich war gefangen, irgendwo zwischen dem Buch, das niemand lesen – und dem Mann, den niemand verstehen kann. Es hat Stunden gebraucht, bis mich das F.A.Z.-Bergungsteam befreite und diesen Text schreiben ließ.


1 Lesermeinung

  1. Katjestobi sagt:

    Super
    Großartiger Artikel !
    Erlebnis statt Gelaber .

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