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Transzendenz muss man sich erarbeiten

| 5 Lesermeinungen

Bruce Springsteen in Frankfurt© Helmut FrickeBruce Springsteen in Frankfurt

Er kommt, er liest, er lacht, wie man es von der Bühne kennt: dieses dreckige, heiser-dunkle Lachen von irgendwo ganz unten, tief aus seiner Seele – und dass dieser Bruce Springsteen eine besonders große und tiefe Seele haben muss, glaubt man auch nach dieser durchchoreographierten und etwas sterilen Stunde am Donnerstag Abend noch ein bisschen mehr.

Eine lang geheim gehaltene und dann genau nach Plan abgehaltene Stunde mit der Presse in einem Frankfurter Hotel, Sachsenhausener Mainseite. Dessen Name man nicht nennen soll, bitte. Bruce Springsteen ist gekommen – zur Buchmesse, wenn auch nicht auf die Messe –, weil er sein Leben aufgeschrieben hat, „Born to Run“ heißt die Autobiographie, ist gerade auf deutsch bei Heyne erschienen und hat die Charts gestürmt wie wenige von Springsteens Songs es taten, wie „Hungry Heart“ oder „Dancing in the Dark“ vielleicht noch, in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren.

Heute ist Springsteen 67, er setzt eine kleine Brille auf, jedes Mal, wenn er kurze Passagen aus dem Buch liest („die hab ich nicht gebraucht“, sagt er, „als ich noch ein Surfer war“), er trägt Jackett und Jeans und die Lippe so leicht trotzig vorgeschoben wie immer, wie damals, als er den Song schrieb, der „Born to Run“ heißt, und er ist einfach ein glänzender Entertainer: Daran kann auch der abgearbeitete Fragenkatalog des Moderators Thomas Steinberg vom WDR nichts ändern, der wenig Spielraum lässt, vielleicht war auch nicht mehr drin.

Springsteens Mutter wollte immer, dass ihr Sohn ein Autor wird – das hat der Sohn auf seinen Konzerten selbst oft erzählt. Jetzt ist der Sohn ein Autor geworden. Sieben Jahre, erzählt Springsteen, habe er an seinem Buch geschrieben, es zwischendurch auch mal anderthalb Jahre liegen lassen: „Ich musste“, sagt er, „die Musik darin finden“, Gitarren konnte er ja nun schwerlich benutzen. Aber wenn er jetzt beim Gespräch Passagen aus dem Buch nacherzählt, dann werden sie trotzdem wie von selbst zu Zeilen wie aus seinen Songs. Das Buch wiederum fügt sich ein in die großen Männererzählungen der amerikanischen Literatur, irgendwo zwischen „Mein Leben als Sohn“ von Philip Roth und vierzig Jahrgängen des „Rolling Stone“-Magazins. Was Springsteen liest aus seinem Buch, ist anrührend intim, etwa wenn er von seinem „Pop“ erzählt, Doug Springsteen, von dem er die manisch-depressiven Züge geerbt hat. Oder es ist komisch und stilistisch perfekt und erhellend: Die Reeperbahn, schreibt und liest er uns vor, sei für die blutjungen Beatles in Hamburg „training ground and classroom“ gewesen. Vieles könnte man kaum besser in Worte fassen, als Springsteen es in diesem Buch getan hat.

Und dann ist er auch noch so ein Entertainer! Er lacht, auch über sich selbst. Er ist komisch. („Ich bin mir sicher, er ist happy“, sagt er über Bob Dylan, der immer noch nicht ans Telefon geht, wenn die Schweden anrufen.) Er ist höflich. Und er ist auch kurz und knapp: „No“, antwortet Springsteen, als ihn der Moderator fragt, ob er denn das Geheimnis des Lebens gefunden habe. „You have to earn transcendence in your music“, hatte Springsteen schon ganz am Anfang gesagt: Transzendenz muss man sich erarbeiten in der Musik. Dass er so eine Erkenntnis (und noch ein paar mehr davon) an diesem Abend einfach so rausfeuern kann, spricht für lebenslange Arbeit. Und dass man als komplett entwaffneter Zuhörer dann auch noch glaubt, Springsteen habe solche Erkenntnisse in dieser Sekunde zum ersten Mal ausgesprochen, ganz genauso.

Dann ist es vorbei, Springsteen will an die Bar und das Publikum signierte Exemplare. Auf dem Weg zur Straßenbahn über den Main pfeift man die Melodien zum Buch vor sich hin, wie verliebt.

Tobias Rüther


5 Lesermeinungen

  1. […] Blogs | Literaturblog: Transzendenz muss man sich erarbeiten    Blogs | Literaturblog: Transzendenz muss man sich erarbeiten […]

  2. Syntaxa sagt:

    Sprinsteenerkenntnis entwaffnet Zuhörer...erarbeitete Transzendenz.
    Transzendenz…kann man sich nicht erarbeiten…auch nicht in der Musik…aber erlieben…auch in der Musik..das Erl(i)ebnis, hinter der
    sichtbaren Horizontgrenze, selbst Musik-Quelle von berührungswirksamen, geliebten, Melodien zu sein; nach dem
    Ideen-Transport, Melodienphilosophie, aus dem Transzendenzraum in/vor den/dem sichtbaren Horizontgrenzbereich, als wirkende Realität?
    Musik-Ideen-Raum-Philosophie-Transzendenz-Liebe-Transport-Raum-Melodien-Berührung-Gegenliebe/Hass?
    Ich denke Springsteen erlebt Musik mehr als Liebe/Gegenliebe, denn
    als Arbeit/Hass?…falls nicht…ist er auch nicht transzendent…
    oder liebe(s)müde…weil die Lust durch “Fehlmaß halten” zur Qual/Arbeit geworden ist? :=)

  3. ChiefJoseph49 sagt:

    Transzendenz muss man sich erarbeiten
    Abgesehen von der künstlerischen Leistung ist doch hervorzuheben
    wie er es geschafft hat sich vom Elternhaus und trotz der Krankheit zu entwickeln. Ob das Spießern und scheinbar Gesunden passt oder nicht.

  4. Alexandrina sagt:

    Innerste Empfindungen heraus auf ...... übertragen.
    So habe ich verstanden, was sich ein Künstler “erarbeiten” muß. Das ist doch die kreative Fähigkeit eines Menschen, seine innersten Empfindungen und innersten Gedanken herauszuholen und mit Tönen in einen Gesang (Arie, Chor), mit Worten und Sätzen auf ein Papier (Buch, Essay, Erzählungen), mit Farben und Formen auf eine Leinwand (Malerei) und eben auch mit Fingern und Pusten auf ein Musikinstrument (Gitarre, Saxophon, Trompete, Piano, Violine, Akkordeon) zu übertragen. Das Ergebnis ist dann allseits bewunderte, mitempfundene Kunst.

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