
Ein durchschnittlicher Tag beim Bachmannpreis ist schon ein ziemlicher Mindfuck. An diesem Freitag ist man mit einem Tiefkühllieferanten in einen österreichischen Horrorkeller gestiegen, in dem sich ein Krebskranker auf gefrorenem Rehragout zur letzten Ruhe betten will, schaute in eine andere Wohnung, die offenbar mit animistischer Kraft ihre Bewohner getötet hat, stieg in ein Zollfreilager, in dem eines der beiden Klaviere aus dem Film “Casablanca” von seelenlosen Kunstsammlern weggesperrt wird (eine Welt, in welcher der Song “As Time Goes By” nicht an Liebe erinnere, sondern nur die Hoffnung auf Wertsteigerung des Sammlerobjekts ausdrücke, wie Jurypräsident Hubert Winkels bemerkte), und hörte schließlich in der Geschichte eines an Objektophilie leidenden Paläontologen, der sich, ja, wirklich, in eine Kapelle verliebt hat, den folgenden Satz: “Nicht einmal Atem erschütterte den kalzitisierten Chitinpanzer seiner Muskulatur.”
Also alles in allem die Bestätigung der alten Anwürfe gegen den Bachmannpreis-Wettbewerb, dort würden nur Experimental-Texte angeschleppt, die nicht abwegig genug sein können, nur auf Pointe geschrieben sind und außerdem oft unter stilistischer Überladung und Vollstopfung mit Funden der Wörterbuchwilderei fast zusammenbrechen? Das letzte galt zumindest für den Text des 1960 in Bremen geborenen Jörg-Uwe Albig über jenen in die Kapelle verliebten Mann, und fast die gesamte Jury störte sich auch massiv daran, während Meike Feßmann, die den Text vorgeschlagen hatte, ihren Kollegen vorwarf, sie könnten keine pathetischen Liebesgeschichten mehr goutieren, sondern nur noch ironische Erzählungen.
Aber den anderen Geschichten dieses Tages, so abwegig sie auch zunächst klingen mochten, war dann doch noch so manche interessante – und auch durchaus welthaltige – Facette abzugewinnen: Handelte es sich bei dem Text der 1980 in Belgrad geborenen Barbi Markovic über jene grausame Wohnung also um eine vage Parabel in der Tradition von Poes “Untergang des Hauses Usher”, oder ging es hier doch um die ganz konkrete Realität von Menschen mit schlimmen Erfahrungen, die in einem fremden Land nicht heimisch werden?
Hatte die 1982 in Wien geborene Verena Dürr in ihrem Stück über das Casablanca-Klavier, das von einigen in der Jury als figurenloser journalistischer Text bezeichnet wurde, nicht doch eine traurige literarische Figur eingebaut, nämlich die eines Klavierstimmers, der das Objekt, das er sich niemals selbst leisten könnte, im Gegensatz zu seinen Besitzern mit Interesse bespielt, und hatte sie nicht außerdem dieser Geschichte auch ein ziemlich grotesk-präzises Setting gegeben, in dem sogar beschrieben wird, was für Musik im Zollfreilager läuft: nämlich eine Ambient-Version von Erik Saties “Möbelmusik”?
Sicher, eine gewisse Ballung von absurden Einfällen hat man in Klagenfurt tatsächlich oft zu gewärtigen. Aber das ist auch nicht verwunderlich, wenn dann ein allzu simpel gestrickter Realitäts-Text wie jener der 1972 in Halle geborenen Jackie Thomae ziemlich einmütig als solcher abgeheftet wird. Da fühlt man sich eben, so wie der 1985 in Graz geborene Mann, der sich Ferdinand Schmalz nennt und die Idee für die Tiefkühlgeschichte hatte, zum (gerne auch mit Mundart oder zumindest gesprochener Sprache arbeitenden) Performance-Text animiert und wird für die Gaudi mit Lob belohnt, auch wenn das depressive österreichische Vorortssetting manchem schon etwa abgegrast scheint. Und das stilistische Überdrüber, wie man es bei Jörg-Uwe Albig sah, hat ja auch sein Gutes: Es provoziert nämlich dann die Kritiker zu ebenso ulkigen Repliken. So sah der neu in die Jury gekommene Michael Wiederstein in diesem Text ganze Lastwagenladungen von “ursprungsmythologischem Schmonz”.