
Carlos Arana hat heute noch keine Pause gemacht. Zwischen weißen Stellwänden steht er auf vier Quadratmetern und hilft einem Mann namens Jochen dabei, seine Aura zu reinigen. „Sprichst du mit deinen Vorfahren?“, fragt Jochen hoffnungsvoll. „Hast du Zugang zum Universum?“ Arana hebt ein schwarzes Tongefäß und schwenkt es über Jochens Kopf. Dazu ertönen Laute, die für eine Messehalle das nötige Aufsehen erregen. Er drückt ihm eine Münze an die Stirn und murmelt auf Spanisch. Er betätigt auf einen Gong. Dann nickt er zufrieden und sagt: „Jochen, deine Seele war hier.“ Der nächste Gast wartet schon.
Seinen Messestand hat der Peruaner Carlos Arana kurzfristig bekommen, sein Buch „Ayakuna – Das Enigma der Fantasie“ gerade noch rechtzeitig gedruckt. Er sucht jetzt einen Verlag dafür. „Indem du dieses Buch liest, unterstützt du den wilden Widerstand der Mutter Erde“, steht auf dem Umschlag.
In Peru haben die Menschen einen emotionaleren Bezug zur Natur als in Europa. Es kann vorkommen, dass man in Cusco einem Stadtführer begegnet, der einem rät, hin und wieder einen Schluck Bier auf den Boden zu gießen, um seinem Land die Würde zu erweisen. Carlos Arana hat die Liebe seiner Landsleute zur Mutter Erde bei ausgedehnten Aufenthalten im Urwald noch vertieft. Als Schamane lässt er sich dennoch ungern bezeichnen. Das sei in Europa doch ein anderer Begriff für Scharlatan. Seine eigene Wissenschaft nennt er Ethnomagie.
Weil ihn höhere Mächte dazu aufgefordert haben, sagt Arana, sei das Buch entstanden. Er will den Menschen verständlich machen, dass in jedem von uns ein Teil der Erde steckt. Und dass es fremde Energien gibt, die uns beeinflussen. In seinem „Übungsbuch“ auf dem Weg zum besseren Leben hört sich das so an: „Du bist wichtig für das Universum. In unserer Abstammung befinden sich die Gebote des Himmels, seine Symbole und die Codes der Seele. Deine Aufgabe ist es, diese im Tempel deiner Stille zu entdecken.“ Die Gesten, die er im Gespräch benutzt, wenn er die tierförmigen Tonschalen über seinen Gästen kreisen lässt, hat er im Buch in Ausrufezeichen übersetzt. Sie verleihen seiner Botschaft noch mehr Nachdruck: „Eine vergiftete Seele kann das Leben nicht schätzen, weil man sterbend lebt. Aber es gibt immer das Gegengift: die Liebe!“
Man überlegt kurz: Würde es nach drei Messetagen nicht der Reinigung der Aura dienen, mit ihm durch den Urwald zu streifen und mehr von den Geistern seiner Kindheit, vom Tempel des Jaguars, den Lichtwesen und dem Geheimnis des Waldes hören? Ganz sicher. Aber daraus wird leider nichts. Er wohnt in Salzburg, hat vorerst genug von seinem Land und will sein Buch in die Welt bringen. Und der nächste Patient wartet schon.