Jonathan Randall war ein Farmer und Schreiner. Aus Greenwich in Connecticut gebürtig, kam er als junger Mann nach New York. Er erreichte ein biblisches Alter, hatte aber nur einen Sohn. 1784 kaufte er die Insel im East River, die bis heute seinen Namen trägt. Seine Erben verkauften sie 1835 der Stadt New York. Der Ortsname weist also ein Eigentum aus, das schon längst nicht mehr besteht. Wenn es nach der symbolischen Bedeutung der Insel für die Geschichte für New York gehen sollte, müsste sie Moses’ Island heißen.
Robert Moses, der allmächtige Stadtplaner, hatte hier sein Büro als Vorsitzender der Triborough Bridge Authority. Das Gebäude der Behörde stand und steht direkt unterhalb der Brücke, die genauer gesagt ein Stadtautobahnkreuz aus vier Brücken ist. Sie verbinden die drei Stadtbezirke Manhattan, Queens und die Bronx sowie Randall’s Island und die Nachbarinsel Wards Island. Die Brücke, deren offizieller Name heute Robert F. Kennedy Bridge lautet, war Instrument und Symbol der weiträumig ausgreifenden, gewachsene Einheiten überwölbenden und im Notfall auch beseitigenden Infrastrukturpolitik, durch die Moses den Bedürfnissen der modernen Riesenstadt Rechnung tragen wollte.
Der Journalist Robert Caro hat dem großen Umbaumeister 1974 eine monumentale Biographie gewidmet. Die Behörde mit dem obskuren Namen der Dreibezirks-Brücken-Autorität, die nur die wenigsten New Yorker kannten, obwohl sie für weit mehr zuständig war als nur für den Unterhalt dieser einen Brücke, war in Caros Deutung ein Staat im Staate. Auf den ersten Seiten von „The Power Broker“ beschreibt Caro den Verwaltungssitz der Brückenbehörde im Stil eines Renaissance-Geographen, für den das natürlich Vorgefundene ebenso viel bedeutet wie das künstlich Hergerichtete, als Modell dieses Modellstaates, als Freilichtmuseum des Ehrgeizes des Vorsitzenden. „Randall’s Island lag nahe am geographischen Zentrum von New York, aber das Wasser von East River, Bronx Kill und Hell Gate bildete einen Graben zwischen der Insel und der Stadt, und wenn man sie aus der Luft betrachtete, mit ihren zwei Quadratkilometern Rasen, sah die Insel abgetrennt aus, eine helle grüne Oase, scharf definiert durch eine blaue Grenze, mitten in der grauen Weite der Stadt. Und die Abgetrenntheit war nicht nur symbolisch: Kein Bewohner der Stadt konnte über die Insel fahren, ohne der Triborough-Behörde einen Tribut in Münzen zu entrichten.“
Zwischen Randall und Moses hatten die New Yorker diejenigen Mitbürger auf die Insel abgeschoben, die sie sich aus Sicherheitsgründen vom Leibe halten wollten: Schwererziehbare, Geisteskranke, Soldaten. Moses wollte die Insel für das bürgerliche Leben gewinnen durch Verwandlung in einen Park. Er stieß im innersten Bezirk seiner Macht an die Grenzen seiner Sozialingenieurskunst beziehungsweise seiner politischen Phantasie. Die Einwohner des nahegelegenen Harlem ergriffen von den Grünanlagen nicht Besitz. Moses, der seine Doktorarbeit über die Meritokratie des britischen Civil Service geschrieben hatte, glaubte, dass vor allem die Angehörigen der Mittelschicht auf Erholung durch Luftveränderung angewiesen seien. Man brauchte ein Auto, um Randall’s Island zu erreichen. Eine Busverbindung nach Harlem hatte Moses nicht vorgesehen. Erst in jüngster Zeit hat eine Bürgerinitiative die Belebung des Parks zu ihrer Sache gemacht.

Am vergangenen Wochenende war Randall’s Island wieder exterritoriales Gebiet. Die Londoner Kunstmesse Frieze hatte hier zum zweiten Mal das Zelt ihrer New Yorker Dependance aufgeschlagen – im wörtlichen Sinne: Der langgezogene Bau, der sich den Kurven der Küstenlinie anschmiegt, so dass die Monotonie der langen Messehallengänge gebrochen wird, wurde vom Architekturbüro SO-IL (Florian Idenburg und Jing Liu) aus Brooklyn entworfen. Wie die Triborough-Monarchie nach Caro „ihre eigenen Flotten“ von Yachten und Automobilen und „ihre eigene Armee“ von Brücken-und-Tunnel-Offizieren und Parkwächtern hatte, so überwachten natürlich Sicherheitsleute in mehreren Reihen den Zutritt zum Messegelände. John Liu, der Kämmerer der Stadt New York und einer der demokratischen Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters, das Michael Bloomberg in diesem Jahr aufgeben muss, reihte sich bei den Teamsters ein, den Gewerkschaftern, die jenseits des Parkplatzes gegen die Beschäftigung unorganisierter Arbeitskräfte protestierten. Bloomberg, der die Messe am Tag der Vorbesichtigung besuchte, von seinem persönlichen Stilberater mit großer schwarzer Tasche begleitet, hatte sich für die Freiheit der Londoner Gäste ausgesprochen, Löhne unter der Tarifgrenze zu bezahlen.

Um Besucher zu bewirten, hatte Moses neben seinem Büro einen luxuriösen Speisesaal einrichten lassen, in dem ein Koch und eine weiß livrierte Servicebrigade Bereitschaftsdienst versahen. Caro versichert, Gäste hätten von der Qualität des Essens in den höchsten Tönen geschwärmt. Wie im vergangenen Jahr warb die Frieze damit, schicke Restaurants für das Catering gewonnen zu haben. Für Tische bei Frankies Spuntino wurde eine Reservierung empfohlen. Eine der Auftragsarbeiten der Messe unter dem Markenzeichen Frieze Projects New York war eine Installation mit Bewirtung von Liz Glynn. Auf einem weißen Fleck des Messeplans, zwischen den Kabinen C34 und C36, befand sich eine Bar, versteckt wie ein Speakeasy der Prohibitionszeit. Zutritt erhielt, wem im Gedränge ein Briefchen mit einem Schlüssel zugesteckt wurde. Der Schlüssel gehörte zu einer Kiste, der der Barkeeper Requisiten für eine Geschichte entnahm, die er beim Mixen des passenden Cocktails erzählte. So waren etwa ein Buch, ein Balkonmodell und eine Maske die Zutaten für die Legende von einem Korangelehrten, der durch eine Freilichttheateraufführung an den seiner Kultur angeblich fremden Unterschied zwischen Vortrag und Schauspiel herangeführt wird. Trotz Koran enthielt der Cocktail Alkohol. Die Schlüssel wurden mit Sicherheit nicht ausschließlich nach dem Zufallsprinzip verteilt.

Draußen auf dem Rasen war eine Versuchsküche aufgebaut, die dem von Gordon Matta-Clark 1971 im Greenwich Village gegründeten Künstlerrestaurant FOOD Reverenz erwies. An jedem Tag stand ein anderer Künstler hinter dem Herd. Matthew Day Jackson teilte eiserne Rationen für härtere Tage aus, inspiriert von den Konservierungstricks, die der Mensch in Kriegszeiten entdeckt hat: Man bekam Käse, Honig, Trockenfrüchte, Eintopf, Dosenfleisch, eingelegtes Gemüse sowie Hard Tack, einen von der Firma G. H. Bent in Massachusetts hergestellten, im Amerikanischen Bürgerkrieg millionenfach an die Truppen ausgegebenen „fast geschmacklosen“ Keks, der angeblich auf antike Vorbilder in Ägypten und Rom zurückgeht. Knochentrocken, man hätte ihn gern in die Schwarze Suppe von Sparta getunkt! Das Klassische auf dieser Kunstmesse: ein unentbehrlicher Notbehelf.

Caro bemerkt, dass die Autofahrer, die Randall’s Island überquerten, den Dienstsitz von Moses bei den Brückenpfeilern gar nicht sehen konnten. Im Stadtführer des American Institute of Architects wird das Gebäude nicht gewürdigt. Drückt die weiße Baracke der Frieze in ähnlicher Weise den Wunsch der Mächtigen nach Unauffälligkeit aus? Eher spricht die Federleichtbauweise für eine Sensibilität, die dem Denken von Robert Moses entgegengesetzt ist. Caro zeichnet Moses als titanischen Charakter, der stolz darauf war, gestaltend in die Landschaft einzugreifen. Der heitere Zweckbau aus dem Büro SO-IL repräsentiert dagegen den state of the art einer Architektur auf Zeit, die keine materiellen Spuren hinterlassen will. Es gab nun einen Bus, der von Manhattan nach Randall’s Island fuhr. Ein Schulbus brachte die Messebesucher für 5,50 Dollar auf die Insel und zurück, hielt allerdings nicht in Harlem, sondern nur vor dem Guggenheim-Museum an der Fifth Avenue.

Wer für 12,50 Dollar von der 35. Straße aus die Fähre nahm, konnte vom Wasser aus einen ersten Blick auf den Skulpturengarten werfen. Die Intimität von Verkaufsgesprächen sollte auf dieser Messe nicht das einzige Setting für die Betrachtung von Kunstwerken sein. Auch für das Innere des Zelts gilt, dass die Werke gleichsam frei stehen beziehungsweise bestehen mussten. Es floss mehr Tageslicht in die Halle als in den meisten New Yorker Museen; die Ablenkung durch Dekorationselemente oder Werbebotschaften blieb aus. Die allermeisten Aussteller zeigten nur wenige Stücke, oft sogar nur ein Werk oder einen Werkkomplex eines Künstlers.

Bei der Galerie Elba Benitez aus Madrid war der Verschlag die Werkschau, eine Zusammenstellung von Pappwänden, Blindfenstern und ausgeräumten Schachteln von Carlos Bunga – Allegorie der Widerstandsfähigkeit der Kunst im Zeitalter der Austerität. Bei Luhring Augustine hing an einer ganzen Wand nicht mehr als ein Stück ungeröstetes Röstbrot – ganz gewöhnliches Röstbrot wie zuhause in Brooklyn, allerdings in einer Größe, die Bürgermeister Bloomberg im Zuge seines Feldzugs gegen die Fettleibigkeit verbieten müsste. Die solistischen Auftritte erleichterten die Entdeckung und den Vergleich. Es fiel ins Auge, wie viel Ähnliches gemäß dem evolutionären Zusammenspiel von Variation und Selektion in diesem Bereich der höchstpreisigen Unikate angeboten wurde. Man konnte Tom Friedmans Riesenröstbrot abwägen gegen die Röstbrotscheibe im Normalformat, die Jiří Kovanda bei gb agency aus Paris auf einer schiefen Ebene vor ein Spielzeugauto gestellt hatte. Friedmans Styroporskulptur hat kein Verfallsdatum, während Kovanda das reale Brot in seiner „Real Situation“ nicht konservatorisch präpariert hat. Die liebenswürdige Galerieangestellte legte nahe, dass es regelmäßig ausgetauscht werden sollte.

Das Provisorium des weißen Zelts spielt, so mag man meinen, mit diskreter Eleganz auf die Momente des Willkürlichen und Zufälligen im Preiskampf auf dem Kunstmarkt an. Einige Werke nahmen die mit dem Ort und dem gebauten Ambiente gegebene Thematik der zeitweiligen Behausung und vorläufigen Ordnung auf. Hans op de Beecks Schwarzweißfilm „Staging Silence“ bei Marianne Boesky schildert Gründung, Aufstieg und Untergang einer Stadt, in der man sehr gut New York erkennen kann, in Modellen aus einfachsten Materialien. Die Insel, von der aus die Zivilisation sich verbreitet, ist aus Kartoffeln geschnitzt, wie sie die Entdecker in den Diensten Königin Elisabeths als kostbarsten Schatz der neuen Welt aus Amerika nach England schickten. Zoe Leonard (Galleria Raffaella Cortese) hat 6266 Postkarten der Niagarafälle gesammelt und nach den Hauptmotiven sortiert. Diese Stapel hat sie so auf einem Tisch verteilt, dass ihr „Survey“ einerseits eine Karte der Naturwunderlandschaft zwischen amerikanischer und kanadischer Seite ergibt und andererseits das Modell einer Stadt, deren ganze Energie in den Turmbau schießt, sozusagen die Gegenbewegung zum Wasserfall.

Der Koreaner Do Ho Suh hat unter dem Titel „Wielandstr. 18, 12159 Berlin“ den Flur der Wohnung nachgebildet, die er unter dieser Charlottenburger Adresse 2009 als Stipendiat des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes bewohnte. Die Lichtdurchlässigkeit der meeresgrün schimmernden Stoffbahnen konterkariert das Prinzip der Wand und führt auf den Gedanken, dass man die Wohnung, zumal den besonders wertvollen Altbau, besser als eine Form der Kleidung versteht. Dieses Nachthemd am hellichten Tag stellt eine Intimität zur Schau, für die gar kein Schutz der Privatsphäre gesucht wird. Das wirkte sehr triftig in New York, wo man, wenn man sich jemandem vorstellt, sofort gefragt wird, wo man denn wohnt.
Die Auswahl von 180 Galerien, die man in London für ein New Yorker Publikum getroffen hatte, offenbarte jedenfalls, dass die interessantesten Künstler oft in Berlin wohnen wie der Comiczeichner Sarnath Banerjee oder gewohnt haben wie Agnieszka Kurant, die Kartographin der Phantominseln.

Als Robert Moses zum Vorsitzenden der Triborough Bridge Authority ernannt worden war, ließ er den Chefingenieur Edwin A. Byrne zu sich kommen, um mit ihm die Verteilung der Mittel für das Brückenbauprojekt zu besprechen. „Ich fragte ihn, was er für wichtiger hielt – angemessene Zufahrtsstraßen oder dekorativen Granit. Ohne zu zögern antwortete er: ,Granit.‘ Damit war die Besprechung beendet, und ich sagte ihm, er solle kündigen und sich seine Pension auszahlen lassen.“ Das Tagesticket für die Frieze kostete 42 Dollar, für Studenten 26 Dollar. Am Tag vor der Öffnung für das allgemeine Publikum war der Zutritt gestaffelt: Sehr wichtige Leute durften das Zelt um sieben Uhr abends betreten, sehr, sehr wichtige Leute um zwei Uhr nachmittags und sehr, sehr, sehr wichtige Leute wie John McEnroe um elf Uhr früh.
Ein besonderer Service, so wohl nur in New York denkbar, wo erwartet wird, dass reiche Leute ihren Lebenssinn in der Wohltätigkeit suchen: Auch für die Betreuung der VIPs war ein VIP (mit Emailadresse für Rückfragen) zuständig, sogar ein VVVIP, Renee Rockefeller. Sie ist die Ehefrau von Mark Rockefeller, dem Vorsitzenden des Vereins Historic Hudson Valley, der so etwas wie das Gegenteil der Triborough Bridge Authority ist. Der Verein kämpft gegen Bauprojekte, die die historische Gestalt der landschaftlichen Umgebung von New York zerstören. Mark Rockefeller ist der jüngere Sohn von Nelson Rockefeller, der die Triborough Bridge Authority mit den New Yorker Verkehrsbetrieben zur Metropolitan Transit Authority vereinigte. Das war der Anfang vom Ende des Reiches von Robert Moses.