Eine der Freiheiten im Umgang mit den geschichtlichen Tatsachen, die Steven Spielbergs Film „Lincoln“ sich herausnimmt, betrifft die Fotografie. Gebannt betrachtet Thomas Lincoln, genannt Tad, der elfjährige Sohn des Präsidenten, eine Serie von Porträts misshandelter Sklaven. Er will die Bilder nicht aus den Augen lassen, die Glasplatten nicht aus den Händen geben, schläft über dem gruseligen Schatz ein. Es soll sich um Leihgaben von Alexander Gardner handeln, der das erfolgreichste Fotostudio von Washington betrieb. Harold Holzer, Autor zahlreicher Kompendien der Lincolnologie, wies darauf hin, dass Gardner auch seinem prominentesten Klienten wohl schwerlich die empfindlichen Glasoriginale anvertraut hätte und dass sie jedenfalls nicht in die Obhut von Tad gelangt wären, der im Weißen Haus schon einmal einen Fotografen aus einer provisorischen Dunkelkammer ausgesperrt hatte – mit dem Ergebnis, dass alle Bilder ruiniert waren. Tad, der nicht zur Schule ging, legte tatsächlich eine Fotosammlung an, doch die bestand aus Papierabzügen.
Holzer wirkte beratend an der Abfassung des Drehbuchs mit, als eine Art Denkmalschützer der Überlieferung, konnte sich aber in diesem Punkt nicht durchsetzen. Man versteht, warum: In der Bildsprache des Films sind die Bilder aus Glas das viel stärkere Symbol. Die Bilder vom Leiden der Sklaven verbreiteten sich nicht wie von selbst, sondern mussten mit großem Aufwand hergestellt und in Umlauf gesetzt werden. Das Fotografieren war noch eine kostspielige Prozedur, die bürgerliche Bedürfnisse der häuslichen Repräsentation erfüllte. Zwischen der Kostbarkeit der Objekte und der dargestellten Grausamkeit tut sich ein empörender Widerspruch auf: Die Misshandlung der Menschen, die rechtlich als Dinge behandelt wurden, war das allseits bekannte Familiengeheimnis dieser Wohlstandsgesellschaft. Die Zerbrechlichkeit der Platten ist ein vieldeutiges Zeichen. Wo jedes Bild ein Unikat war, konnte leicht zum Verschwinden gebracht werden, was man nicht sehen wollte. Sind aber manche Abolitionisten vielleicht zu behutsam vorgegangen? Naturgemäß ruft das Glas mit dem silbrigen Untergrund auch die Assoziation des Spiegels hervor.

Das Metropolitan Museum of Art, dessen Presseabteilung Harold Holzer leitet, zeigt derzeit eine Ausstellung über die Fotografie und den Amerikanischen Bürgerkrieg, zu der Holzer Stücke aus seiner privaten Sammlung beigesteuert hat. Hier sieht man eines der Bilder der Sklavenporträtgalerie aus dem Film, als Papierabzug in dem kleinen Format von 5,5 mal 8,9 Zentimeter, das in Frankreich erfunden worden war und deshalb als „carte de visite“ bezeichnet wurde. Ein Schwarzer sitzt mit entblößtem Oberkörper auf einem Stuhl, hat den linken Arm in die Seite gestützt, wendet dem Betrachter den Rücken zu. Sein Gesicht sieht man im Profil. Der Rücken ist über und über bedeckt mit Narben. Die Beischrift identifiziert den Gezeichneten als Gordon, einen flüchtigen Sklaven aus dem Staat Mississippi. Das Foto wurde im März oder April 1863 in einem Lager der Nordstaatenarmee gemacht; Militärärzte aus Massachusetts erteilten einem Fotografen der Firma McPherson & Oliver den Auftrag, die in Baton Rouge und New Orleans tätig war. Beide Städte gehörten zu dem von den Unionstruppen eroberten Teil von Louisiana.
Am 4. Juli 1863 erschien in der Zeitschrift „Harper’s Weekly“ in einer Sonderausgabe zum Unabhängigkeitstag ein Artikel über Gordons Flucht mit der Überschrift „Ein typischer Neger“. Illustriert war er mit drei Holzschnitten, darunter dem Porträt mit dem vernarbten Rücken. Die schnelle publizistische Verbreitung von Fotografien war immer noch auf druckgrafische Kopien angewiesen. Auch als Bildreporter, die die Truppen auf die Schlachtfelder begleiteten, wurden noch nicht Fotografen, sondern immer noch Zeichner eingesetzt. Der dritte Holzschnitt, zu dem keine fotografische Vorlage bekannt ist, zeigt Gordon in der Uniform eines Soldaten der Unionsarmee. Das Foto von McPherson & Oliver wurde von Fotostudios im Norden reproduziert und in hohen Auflagen verbreitet.

Am 30. Januar 1864 wurde in „Harper’s Weekly“ ein Holzschnitt nach einem Gruppenbild veröffentlicht, das in New York aufgenommen worden war: drei Erwachsene und fünf Kinder mit ernsten Mienen, die Erwachsenen hinten, die Kinder vorne, zwischen Standardrequisiten eines Fotostudios, einem Säulenfuß und einem bemalen Vorhang. Überschrift: „Befreite Sklaven, farbig und weiß“. Jeder wurde mit seiner Biographie vorgestellt. Die Gruppe hatte im Dezember 1863 die Großstädte des Nordens bereist, um sich in verschiedenen Studios fotografieren zu lassen. Der Organisator des Unternehmens war Generalmajor Nathaniel P. Banks, Militärbefehlshaber der Golfküste, der vor dem Krieg Gouverneur von Massachusetts und Direktor einer Eisenbahngesellschaft gewesen war und also etwas von Werbung verstand. Als Reiseleiter fungierte der (weiße) Oberst des achtzehnten Regiments der farbigen Infanterie, einer Einheit des nach der Eroberung von New Orleans ausgehobenen „Corps d’Afrique“. Erst seit Inkrafttreten von Lincolns Emanzipationsedikt am 1. Januar 1863 wurden schwarze Rekruten systematisch angeworben, seit Mai 1863 gab es ein „Bureau of Colored Troops“.
Robert Whitehead, der Uniformträger rechts hinten auf dem Gruppenbild, wurde in „Harper’s Weekly“ als ordinierter Prediger vorgestellt. Er stammte aus Baltimore und war über Norfolk, Virginia, nach New Orleans verkauft worden, wo ihn sein Besitzer als Schiffsmaler arbeiten ließ. Durch Eintritt in die Unionsarmee, erfuhren die Leser, gehöre er nun der ecclesia militans an. In New York wurden auch Einzelporträts und Bilder in kleineren Gruppenkonstellationen in Visitenkartengröße hergestellt: schlichte Allegorien der patriotischen Hoffnung, die Kinder beim Lesen oder eingehüllt in das Sternenbanner („Unser Schutz“). Abzüge des großen Fotos wurden für einen Dollar verkauft, die Karten für 25 Cents. Der Erlös kam der „Erziehung der Farbigen“ im Kommandobereich von Generalmajor Banks zugute. In Louisiana war es seit 1830 verboten gewesen, Sklaven das Lesen oder Schreiben beizubringen.

Kurioserweise war von den fünf Kindern, die als Werbeträger ausgewählt worden waren, nur einer der beiden Jungen ein Schwarzer. Die hellhäutigen Kinder mochten dem Publikum im Norden die Realität der Familienverhältnisse im Süden vor Augen führen, so dass die Sklavenhalter auch als Lüstlinge und Heuchler angeklagt werden konnten. Aber Bilder von „weißen“ Sklaven legten auch die Vorstellung nahe, dass der rechtliche Status der Sklaverei vom historischen Schicksal der nach Amerika verschleppten Afrikaner getrennt werden könne. Heute berufen sich weiße Studenten vor Gericht auf Bürgerrechtsgesetze, die die langfristigen Nachwirkungen der Sklaverei abmildern sollten, um Studienplätze zu erstreiten. Die Fotografie, die die Unterschiede der Hautfarben wohl eher übertrieben hat, zumal vor dem Übergang zum Farbbild, hat zur Verbreitung des humanitären Konzepts einer Farbenblindheit beigetragen, die manche Bürgerrechtsaktivisten heute als willentliche Blindheit kritisieren.
Der sechzigjährige Wilson Chinn, links hinten auf dem Gruppenbild, der zusammen mit den Kindern das Lesen lernte, trägt ein Brandzeichen auf der Stirn: die Initialen des Eigentümers der Zuckerrohrplantage, auf der er arbeiten musste. Die Untersuchung des Negativs hat gezeigt, dass der Fotograf die hellen Linien der Buchstaben auf der dunklen Stirn nachgezogen hat. Wo Fotografien aus Kriegszeiten studiert werden, ist die Manipulation immer ein Thema. Dass über die Tricks der bekannten Fotografen des Amerikanischen Bürgerkriegs seit Jahrzehnten mit ungebrochener Leidenschaft diskutiert wird, hängt mit dem moralischen Anspruch der Sieger zusammen. Wegen der Blockade der Häfen fehlte den Südstaaten das Material für die Produktion fotografischer Propaganda. Schon am Neujahrstag 1862 wurden in einer New Yorker Zeitung die Nachschubschwierigkeiten der Fotostudios auf dem Boden der Konföderation zum Zeichen einer fatalen kulturellen Unterlegenheit des Südens stilisiert: „Unten im Süden ist die fotografische Kunst infolge des Krieges vollständig ausgestorben. Die erbärmlichen Rebellen sitzen fest wie die Ratten im Loch. Eine gewaltige Macht setzt sie von allen Seiten unter Druck, und bald werden sie zur Aufgabe gezwungen sein.“

Mit Rücksicht auf Maryland, Delaware, Missouri und Kentucky, die vier Sklavenhalterstaaten, die sich der Sezession nicht anschlossen, hatte Lincoln es zunächst vermieden, den Krieg unter den Staaten zum Sklavenbefreiungskrieg auszurufen. Das Kriegsziel der Nordstaaten war die Wiederherstellung der Union. Als Alexander Gardner 1866 den ersten Fotoband der amerikanischen Literaturgeschichte herausbrachte, eine zweibändige, chronologisch geordnete Sammlung von hundert Ansichten der Kriegszeit, da setzte er an die zweite Stelle der Bilderfolge in „Gardner’s Photographic Sketch Book of the War“ die Aufnahme eines Sklavenhändlergeschäfts in Alexandra, Virginia, dem Nachbarort der Hauptstadt Washington. Im Nachruf eines Freimaurerbruders wurde Gardner 1883 als „Liebhaber der Freiheit“ gerühmt, der von seiner frühesten Jugend an ein Feind der Sklaverei gewesen sei. Auf dem Foto von William R. Pywell, einem Angestellten Gardners, ist die Geschäftsbezeichnung über der Tür des dreistöckigen Hauses der Firma Price, Birch & Co., „Dealers in Slaves“, nur schwer zu entziffern. Der Zweck des flachen Anbaus muss dem Betrachter erklärt werden. Gerade die Unauffälligkeit des Gebäudekomplexes sagt freilich etwas aus. Wir sehen eine banale Fassade in einem ganz normalen Gewerbegebiet. Gardner stellte neben jede fotografische „Skizze“ eine ausführliche Erläuterung. So erklärte er, dass Firmen wie Price, Birch & Co. Auktionen abhielten und mit den überzähligen Sklaven der Farmer von Virginia die Nachfrage der Plantagenbesitzer in den Goldküstenstaaten bedienten. Die Drohung mit dem Verkauf in den tiefen Süden diente den Farmern als Druckmittel zur Disziplinierung ihrer Arbeiter.
Gleichzeitig mit der Fotografieausstellung zeigt das Metropolitan Museum eine aus Washington übernommene Schau über den Bürgerkrieg und die Malerei. Die Erwartung, das gewaltige Ereignis des Bruderkrieges werde die amerikanische Historienmalerei zur Blüte führen, erfüllte sich nicht, obwohl das in der hergebrachten Gattungshierarchie an oberster Stelle stehende Genre in Frankreich seinen Höhepunkt tatsächlich aufgrund der äußersten moralischen Zuspitzung der politischen Entscheidungen in der revolutionären Situation erlebt hatte. Eleanor Jones Harvey, die Kuratorin der Gemäldeausstellung, bebildert dort die These, dass die monumentale Landschaftsmalerei, die ohnehin schon als Beitrag Amerikas zur Weltkunst gefeiert wurde, auch die Funktionen der Historienmalerei absorbierte: Gewitter und Vulkanausbrüche waren die Chiffren einer tragischen Auffassung der geschehenden Geschichte, die in dieser düsteren Verklärung ohne Akteure auskam.
Der New Yorker Fotograf Matthew Brady, zunächst Chef und später Konkurrent Alexander Gardners, wurde am 1. September 1861 von derselben Zeitung, die vier Monate später das Aussterben der Fotografie im Süden bejubelte, mit Adam Frans van der Meulen verglichen, dem Schlachtenmaler, der Ludwig XIV. auf dessen Feldzügen begleitet hatte. Dabei hatte Brady aus der Schlacht von Bull Run in Virginia, der ersten Feldschlacht des Bürgerkriegs, die der Anlass dieser Eloge war, gar keine Aufnahmen mitgebracht. Er war mit drei Assistenten angereist, aber zu spät gekommen. Wegen der langen Belichtungszeiten war es ohnehin zwecklos, Truppen im Vormarsch oder gar im Gefecht zu fotografieren. Das bedeutet, dass Fotografen nicht die Nachfolge der Geschichtsmaler antreten konnten, was deren Aufgabe der Darstellung und propagandistischen Ausdeutung des Schlachtgeschehens betraf.
Im Vergleich zu den Malern waren die Gestaltungsmöglichkeiten der Fotografen im Hinblick auf die Lenkung der Reaktionen der Betrachter stark eingeschränkt. Ein Schlachtenmaler, ob er nun Augenzeuge gewesen ist oder nicht, darf die Massen der Kämpfenden mehr oder weniger frei in der Fläche verteilen. Er kann Posen so wählen und Blickachsen so konstruieren, dass Sieger und Verlierer, Helden und Verräter sich scheinbar von selbst sortieren. Außerdem gehört zur Tradition des Historienbildes ein aufwendiger allegorischer Apparat: gleichsam die Verdopplung der Feldzeichen. Dieses erklärende Beiwerk wandert bei den Fotografen in die Begleittexte aus.

Zwei klassische Bildformen bringt die Fotografie des Amerikanischen Bürgerkriegs hervor: die Ansicht des Schlachtfelds nach der Schlacht, mit oder ohne Leichen, und die moderne Ruinenlandschaft. Der unermesslichen Weite des Landes zum Trotz wurden auch die Städte zu Kriegsschauplätzen, ließ sich die Unterscheidung von kämpfender Truppe und Zivilbevölkerung nicht aufrechterhalten. Die Meisterwerke im Genre dieser Veduten der Verheerung stammen von George N. Barnard, den das „Sketch Book“ seines früheren Arbeitgebers Gardner dazu anregte, seine „Photographic Views of Sherman’s Campaign“ als Buch herauszubringen. Die fotografische Dokumentation von Generalmajor William Tecumseh Shermans Strategie der verbrannten Erde auf dem Gewaltmarsch von Atlanta, der Hauptstadt von Georgia, nach Savannah, der Hafenstadt in South Carolina, war das Nebenprodukt eines offiziellen Auftrags. Barnard war für die „topographische Abteilung“ der Armee rekrutiert worden, er kopierte Karten und fertigte Panoramaansichten möglicher Schlachtfelder an. Auf den Trümmern von Charleston, South Carolina, hat Barnard zwei sitzende Figuren plaziert. Einer der beiden Männer raucht eine Pfeife. Solche Stellvertreter des Betrachters sind ein Topos der Geschichtsmalerei wie auch der malerischen Geschichtsessayistik: Auf den Ruinen des Kapitols in Rom gibt sich ein Tourist aus Neuseeland Betrachtungen über die Vergänglichkeit hin. Jede Hauptstadt eines Bundesstaates war ein kleines Rom.

Eine zivile, intime Variante dieses Motivs bilden die „Ruinen von Mrs. Henrys Haus“ auf dem Schlachtfeld von Bull Run, die Barnard im März 1862 fotografierte, acht Monate nach der Schlacht, nachdem die Südstaatenarmee unter dem Kommando von General Robert E. Lee die Gegend geräumt hatte. Vom Bauernhaus der alten Dame, die erschossen in ihrem Bett aufgefunden wurde, stehen nur noch eine Mauerecke, die auf den ersten Blick wie der Bogen einer antiken Wasserleitung aussieht, und ein paar Balken, der Rest vom Umriss oder der Idee eines Hauses. Kahle Bäume rahmen den Schutthaufen. Zwischen den Balken die Silhouette eines Mannes mit Hut, der in die Ferne blickt, wahrscheinlich Barnard selbst. Jeff L. Rosenheim, der Chefkurator der Fotografieabteilung des Museums, sieht sich an Caspar David Friedrich erinnert.

In eklatantem Gegensatz zu den tropischen Landschaften des Malers Frederic Edwin Church in der Nachbarausstellung wächst hier nichts mehr. Geschichte geht nicht ins Naturgeschehen über, sondern scheint angehalten, erstarrt, vertrocknet. Das naturgeschichtliche Modell der Überwucherung der Kriegsspuren findet man eher in den berühmten Bildern wieder, deren schockierender Anblick zunächst den Gedanken an ästhetische Hintergedanken abweist. Timothy H. O’Sullivan fotografierte im Juli 1863 im Auftrag Gardners Gefallene auf dem Schlachtfeld von Gettysburg. Es wirkt barbarisch oder zeigt wenigstens die existentielle Überforderung der Überlebenden, dass die Toten noch nicht begraben worden sind. Oder erübrigt sich die Bestattung, weil die Verwesung schon eingesetzt hat und die Natur wieder Besitz ergreift an den Menschen?
Die Todeslandschaften der Bürgerkriegsfotografen sprechen in der elegischen wie in der drastischen Variante ein menschheitliches Mitgefühl an. Diese Bilder rufen nicht zu postumer Parteinahme auf, stimmen nicht ein auf den nächsten Krieg. Zum totalen Sieg der Nordstaaten, zur moralischen Vernichtung der „Rebellen“ passen sie schlecht. Es fehlen eben die comichaften didaktischen Bildelemente aus der Historienmalerei. Gardner wollte die moralische Eindeutigkeit in den Begleittexten herstellen. Die Tafel Nr. 36 des „Sketch Book“ trägt den Titel „Eine Ernte des Todes“. Das Gesicht des Mannes im Vordergrund ist aufgedunsen, der Mund steht offen. Die Gefallenen werden als Konföderierte identifiziert: „Sie bezahlten mit dem Leben für ihren Verrat, und als der böse Zwist beendet war, fanden sie anonyme Gräber, weit weg von der Heimat und den Verwandten.“ Die folgende Tafel zeigt laut ihrem Titel das „Feld, wo General Reynolds gefallen ist“. General John F. Reynolds fiel am Morgen des 1. Juli 1863, von einer Kugel getroffen. Wo er starb, liegen Unionssoldaten. Das verzeichnet die Legende, die mit phantastischer Genauigkeit ausmalt, dass die meisten von ihnen einen guten Tod gestorben sind. Einige scheinen gebetet zu haben. „Andere hatten ein Lächeln im Gesicht und sahen aus, als wollten sie gerade etwas sagen. Einige lagen ausgestreckt auf dem Rücken, als hätten freundliche Hände sie für die Beerdigung hergerichtet.“

Die Tafeln Nr. 36 und Nr. 37 zeigen dieselbe Gruppe von fünf Toten, fotografiert aus entgegengesetzten Richtungen. Der Gefallene mit dem offenen Mund rechts vorne auf dem ersten Bild liegt auf dem zweiten Bild links hinten. Der Tod hat seine Züge entstellt. Aber damit er auf zwei aufeinanderfolgenden Abbildungen in einem Buch einen Südstaatler und einen Nordstaatler darstellen konnte, mussten die Fotografen von den Spuren seiner Individualität absehen wollen.

Ihr Hauptgeschäft machten Fotografen mit dem Versprechen, die unverwechselbare Erscheinung einer Person zu fixieren. Der wandernden Front folgten mobile Fotostudios. Mit tiefer Rührung betrachtet man das Personal dieses auf massiven Menschenverbrauch berechneten Krieges, Rosenheims Auswahl aus den Abertausenden erhaltener Porträts von Soldaten: Einige sind zerzaust, viele adrett, sehr viele blutjung, manche erschöpft, ein paar scheinen aufgewühlt, ein paar mehr entschlossen, alle wirken gefasst. Nur die Musiker lassen sich ohne Waffen ablichten. Aber die Revolver ohne Holster und die Messer mit den riesigen Klingen stammen oft aus der Requisitenkiste des Fotografen. Die Aufnahmen auf schimmernder Platte, die man in einen Rahmen mit goldenem Fahnenschmuck und in ein Samtetui steckte, waren beliebt, weil man sie sofort ausgehändigt bekam. Für einen Papierabzug musste man am nächsten Tag wiederkommen, und dann war das Heer vielleicht schon weitergezogen. Diese Fotos sind ein beliebtes Sammelgebiet; auch hundertfünfzig Jahre nach dem Krieg werden jedes Jahr immer noch Verschollene identifiziert.

Durch die Verteilung des reichen Materials auf eine Folge intimer Kabinette kommt jedes Genre zur Geltung. Erschütternd die Porträts der Versehrten, die Reed Brockway Bontecou, Chefarzt eines Hospitals in Washington, zu Studienzwecken fotografiert hat. Der Artillerist John Parkhurst hat den Kopf gesenkt, damit die Kamera zeigen kann, wo auf seiner hohen Stirn ein großes Loch klafft. Für einen Moment kann man sich einbilden, dass man in dem in sich versunkenen Rauschebart mit den Furchen über den Augen ein Apostelporträt vor sich hat und dass nicht der Schädel ein Loch hat, sondern das Papier. Die Fotografie eines Haufens abgetrennter Beine und Füße, in Visitenkartengröße aufgezogen, versah Dr. Bontecou mit dem Titel „Die Arbeit eines Morgens“. Am Ende eines solchen Morgens konnte man Gott danken, wenn man das Leben aller Männer, denen man die Glieder abnehmen musste, gerettet hatte. So realistisch ist die Szene in Spielbergs Film, in der Lincolns älterer Sohn Robert draußen vor dem Hospital, in dem sein Vater eine Visite absolviert, auf einen solchen Haufen amputierter Gliedmaßen stößt.
Der letzte Raum hat die Ermordung Lincolns zum Thema. Alexander Gardner erhielt die exklusive Genehmigung, die Hinrichtung der vier Mitverschwörer des von einem Soldaten erschossenen Attentäters John Wilkes Booth zu fotografieren, nahm diese Bilder aber nicht in sein „Sketch Book“ auf. Matthew Brady stellte eine Auswahl von neun Lincoln-Porträts im Visitenkartenformat zusammen. Dieses Gedenkblatt mit einem stilisierten Grabmonument im Zentrum wurde verkleinert und wiederum als carte de visite vertrieben. Unten in der Mitte sieht man ein Bild, das man aus dem Film „Lincoln“ kennt: Abraham Lincoln und Tad Lincoln, ein Fotoalbum betrachtend.

(Die Ausstellung wandert nach der New Yorker Station in die Südstaaten. Vom 27. September 2013 bis zum 5. Januar 2014 ist sie im Gibbes Museum of Art in Charleston, South Carolina, zu sehen, vom 31. Januar bis zum 4. Mai im New Orleans Museum of Art. Der Katalog wird von Yale University Press vertrieben.)
(Kürzere Mitteilungen versende ich über Twitter.)
Eine Reise nach Amerika zum Besuch der Ausstellung erscheint lohnend
Matthew Brady war mehr Unternehmer und Organisator als Fotograf. Es gelang ihm, Talente um sich zu versammeln und Kontakte zu Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu knüpfen. Brady war nicht nur der Brötchengeber des jungen Alexander Gardner, sondern auch der beiden anderen im Text erwähnten wichtigen Bürgerkriegsfotografen Thomas O´Sullivan und George N. Barnard.
Heute, da uns eine fesche Angie, ein rundumerneuerter Brüderle und der schmucke Kavallerist von und zu Steinbrück tausendfach entgegengrinsen, vergessen wir leicht, dass es Zeiten gab, da der Wähler sich kein Bild über das Aussehen der Kandidaten machen konnte. Dem half Brady dadurch ab, dass er Lincoln, der als ausgesprochen unfotogen galt, so wirkungsvoll in Szene setzte, dass der letztendlich Gewählte diese Bilanz zog: “Brady and the Cooper Institute made me President.”
Brady blieb Lincoln treu: mehr als dreißig Fotografien ließ er von ihm anfertigen, darunter Aufnahmen, die als Vorlage für die 1-Cent-Münze, den so genannten “Lincoln head penny” (auf dem Gedenkblatt die Profilaufnahme unten links), und für zwei Fassungen seines Konterfeis auf der 5-Dollar-Banknote dienten. Die seit 2006 in Umlauf befindliche aktuelle Fassung ist das Bild im Zentrum des Gedenkblattes.
Auch nach seinem Tod geisterte Lincoln im Wortsinne durch die Fotogeschichte, gemeinsam mit hunderttausenden seiner gefallenen Soldaten, die sich vor ihrem Ableben fotografieren ließen. William H. Mumler, dem Meister der “spiritistischen Fotografie”, gelang eine Aufnahme, auf der Lincoln als Geistwesen seine Hände auf die Schulter seiner Witwe Mary Todd Lincoln legt. Zu bewundern ist das Foto in der William. B. Becker Collection im American Museum of Photography.
Zum Thema Manipulation von Fotografien in Zeiten des Krieges ließe sich Alexander Gardners “Home of a Rebel Sharpshooter, Gettysbury” anführen, ein Bild, auf dem nur die Leiche echt ist, nicht aber die Position, in der sie abgelichtet wurde. Sogar das Gewehr wurde von Gardner als Requisite mitgeführt und wirkungsvoll in Szene gesetzt! Das Drapieren von Leichen ist auch bei anderen Gelegenheiten verbürgt. Interessant ist, dass Gardner aus diesen gestalterischen Eingriffen keinen Hehl gemacht hat, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass diese Art der Kriegsfotografie sich im Dienste einer “höheren Wahrheit” wähnte, die ihre Verwandtschaft zum Schlachtengemälde belegt.
Der Ahnvater der dramatisierten Kriegsfotografie ist wahrscheinlich Roger Fenton, der 1855 seine Aufnahme des “Valley of the Shadow of Death”, eines berüchtigten Kriegsschauplatzes auf der Krim, durch das Säen von Kanonenkugeln aufwertete, die dort im Original gar nicht mehr aufzufinden waren, weil er erst viele Monate nach der Schlacht am Orte eintraf.
Während des Bürgerkrieges wurden Fotografen zwar gelegentlich als Spione verdächtigt, generell aber galten sie als neutrale Beobachter und blieben unbehelligt. Darin liegt ein Hinweis, dass Fotografie als Bestandteil des Alltags und als ein grundlegendes Hilfsmittel journalistischer Berichterstattung damals bereits weite Anerkennung gefunden hatte. Auf den Kriegs- und Bürgerkriegsschauplätzen der Gegenwart scheint sich das ja gerade zu ändern und der Bildberichterstatter zunehmend zur Zielscheibe zu werden. Das Schicksal der Mitglieder des Bang-Bang Clubs aus Südafrika sei hier nur stellvertretend für viele weitere genannt.
Besonders eindrücklich hat Bradley Manning auf die ungezügelte Aggression hingewiesen, die Journalisten bei den Experten des Tötens auslösen. Die besondere Qualität unserer gegenwärtigen Politik besteht darin, dass nicht länger das Töten mit fünfunddreißig Jahren Haft geahndet wird, sondern die Aufklärung über Tat und Täter.
Der Bürgerkrieg
Der Bürgerkrieg war der erste technische Krieg der Geschichte. Die Wirkung der ersten Sprenggranaten im Masseneinsatz führte in Europa zur “Entfestigung” der Städte als Ortsfestungen. Die alten Baukonstruktionen aus Vaubans Zeiten hatten der Wirkung der Geschosse wenig entgegenzusetzen. Die Städte konnten sich nun über das geplante Schussfeld hinaus ausdehnen (Köln, Magdeburg, Erfurt), was zur wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands in der Gründerzeit erheblich beitrug. Die “befreiten” Neger sind in der Montanindustrie des Nordens gelandet, was wohl der eigentliche, verborgene Kriegszweck war. Dass es ihnen als doppelfreien Lohnarbeitern (befreit vom Grundherrn, frei die Arbeitskraft zu verkaufen) von 1865 an besser ging, darf bezweifelt werden. Trotzdem gelang es, eine Befreiungsaktion christlicher Art vorzutäuschen.
Der Bluff der Bible Bashers
Ich habe auch nie geglaubt, dass es um die Befreiung der Sklaven ging. Auch eine der Lügen, die aus diesem Land hervorgekrochen sind. Genausowenig wie es denen um das Wohl der Menschheit geht. Erschreckend sieht es aus in deren Städten, verlassene Häuser, Berge von Müll, bis auf die Knochen abgemagerte Haustiere, die einfach dagelassen wurden. Jeder Bettler in Europa hat mehr Würde und Liebe für seine Tiere. Aber sich dann um alles in der Welt kümmern wollen. 50 Millionen offizielle Arme…, es werden wohl 40 Millionen mehr sein. Auf blutgetränkter Erde kann nichts entstehen. Außer dass man die Welt mit Kriegen überzieht.