Grand Central

Grand Central

New York, die erstaunlichste Stadt des Universums.

Zwei Männer im Schnee: Donald Duck und das New Yorker Hauptpostamt

Am Montag vor zwei Wochen, als ganz New York sich warm anzog, weil ein Wintersturm seine eisflockigen Boten vorausschickte, schrieb ich eine Feuilletonglosse, in der ich meinem Briefträger ein kleines Denkmal setzte. Ich freute mich auf das vertraute Geräusch des Posteinwurfs durch den Briefschlitz in der Haustür, malte mir behaglich aus, wie das Plumpsen des fest verschnürten Briefpackens ein Loch in die Stille reißen würde, die sich über die Stadt zu legen begann.

Wer weiß, vielleicht würde ich ja just an diesem Tag nach Entfernen der Gummibänder im täglichen Haufen der Werbesendungen den lange vor Weihnachten in Deutschland abgeschickten Umschlag mit dem neuesten Heft des „Donaldisten“ finden, der Fachzeitschrift der Duckforschung. Dann hätte ich meinen Lesesessel vor den Kamin geschoben und über brandheißen Debattenthemen wie den „Wirkungen des elektrischen Stroms auf die Ducks“ ganz vergessen, dass im Kamin gemäß einer Verfügung des Vermieters kein Feuer entzündet werden darf.

Ein Schneesturm mit allen Schikanen war angekündigt. Der Schneesturm blieb aus, verfehlte die Richtwerte für einen „blizzard“ im Handbuch der Meteorologen, von den in ortstypischer Voreiligkeit angepeilten Rekordmarken zu schweigen. Mit den Schikanen mussten die New Yorker trotzdem zurechtkommen. Gouverneur und Bürgermeister versetzten das öffentliche Leben vorsorglich in den Ruhezustand. So gab es doch noch einen Eintrag in die Geschichtsbücher: Zum ersten Mal wurde wegen Schneefalls der U-Bahn-Betrieb eingestellt. An der Metropolitan Opera fiel die Premiere des Doppelabends aus Tschaikowskys „Iolanta“ und Bartóks „Blaubart“ aus, und auch die Postboten wurden nach Hause geschickt.

So horchte ich am Montagnachmittag vergeblich auf die Klangfolge, die als bruitistische Vollzugsmeldung das romantische Posthornsignal ersetzt hat: metallischer Schlag des Öffnens der Klappe, dumpfer Aufprall des abgeworfenen Briefpakets. Keine Einladungen zum einmaligen Hemdensonderverkauf, keine Angebote der New Yorker Philharmoniker für spontane Kurzabonnements zum Selberbasteln, kein „Donaldist“. (Das Heft ist noch immer nicht eingetroffen, obwohl die Post naturgemäß schon seit Dienstag vorletzter Woche wieder ausgetragen wird.)

In der Glosse hatte ich die Inschrift über dem Portal der New Yorker Hauptpost an der Achten Avenue zitiert: „Neither snow nor rain nor heat nor gloom of night stays these couriers from the swift completion of their appointed rounds.“ Dieses Versprechen ist keine Garantie im Sinne des Gewährleistungsrechts. Höhere Gewalt kann auch eine hochgesinnte Staatsdienerschaft nicht außer Kraft setzen. Was ist aber der Sinn des Spruchs, wenn er nur im materiellen Sinne in Stein gemeißelt ist, wenn es entgegen dem Wortlaut eben doch vorkommen kann, dass Schnee diese Kuriere von ihren vorgeschriebenen Rundwegen abbringt?

Seit 1982 ist das New Yorker Hauptpostamt nach James Farley benannt, dem Postminister unter Franklin Roosevelt.© WikipediaSeit 1982 ist das New Yorker Hauptpostamt nach James Farley benannt, dem Postminister unter Franklin Roosevelt.

Der Spruch wird häufig als Credo („creed“) des Postdienstes der Vereinigten Staaten bezeichnet, obwohl er in amtlichen Mitteilungen nur als inoffizielles Motto der Postbeamten firmiert – so sollen vielleicht Klagen von Postkunden unterbunden werden. Der Satz, der schon durch seine schiere Länge die Ausdauer der Briefträger ins Bild setzt, war ein Lieblingszitat des legendären Juristen Thurman Arnold (1891 bis 1969). Dieser Sohn des Wilden Westens, aus Wyoming gebürtig, Professor in Yale und Leiter der Kartellabteilung im Justizministerium unter Präsident Franklin Roosevelt, schrieb unter dem Titel „The Folklore of Capitalism“ ein Buch über die goldenen Worte und ungedeckten Versprechungen der reinen Lehre der Marktwirtschaft und ist selbst in die Folklore seines Berufsstandes eingegangen, der akademisch gebildeten Handwerker des Regierens.

Thurman Arnold und seine Familie, 1939 oder 1940. Die Söhne Thurman jr. und George wurden ebenfalls Juristen.© Harris & EwingThurman Arnold und seine Familie, 1939 oder 1940. Die Söhne Thurman jr. und George wurden ebenfalls Juristen.

Arnold wird der Schule der „Gesetzesrealisten“ zugerechnet, die das Recht als Machtinstrument beschrieben und die Interessen hinter abstrakten Gerechtigkeitsprinzipien wie der Privatautonomie freilegten. Sein Beitrag zu dieser soziologischen Rechtslehre war die sozialpsychologische Betrachtung der Formen, in denen Verbindlichkeit zum Ausdruck gebracht wird. In seinem Buch „The Symbols of Government“ legte er da, dass die Rechtstreue der Bürger sich an Losungen und Emblemen festmache. Das wörtliche Verständnis dieser Symbole im allgemeinen Rechtsbewusstsein dürfe man hinter den Kulissen des Staatsschauspiels nicht einfach als irrational abtun.

Von 1943 an war Arnold für zwei Jahre Richter am Berufungsgericht für den Hauptstadtbezirk, das oft als Pflanzstätte für Richter des Obersten Gerichtshofs charakterisiert wird. Arnold schied aus dem Richteramt aus und wurde wieder Rechtsanwalt, denn er wollte „lieber vor einem Haufen von Idioten reden als einem Haufen von Idioten zuhören“. In seiner kurzen Amtszeit verfasste er ein wegweisendes Urteil zur Pressefreiheit, das der Praxis der Post ein Ende bereitete, bestimmten Druckerzeugnissen wegen moralischer Bedenken gegen ihren Inhalt das verbilligte Porto für Drucksachen zu verweigern. Der Schlusssatz dieses Urteils zugunsten der Zeitschrift „Esquire“ lautet: „Wir glauben, dass die Postbeamten Grund haben, erleichtert zu sein, wenn sie auf die prosaischere Funktion beschränkt werden, dafür Sorge zu tragen, dass weder Schnee noch Regen noch Hitze noch Dunkelheit der Nacht diese Kuriere davon abhalten, ihre vorgeschriebenen Rundgänge zu vollenden.“

Der Satz, in dem die prosaische Funktion beschrieben wird, erfüllt seine Funktion mit poetischen Mitteln. Es kommt auf Wortstellung und Rhythmus an, wie die Entstehungsgeschichte beweist. Die Idee, die wetterfesten Boten auf der langen Steinstrecke oberhalb der zwanzig Säulen der Fassade zu verewigen, hatte William Mitchell Kendall, der für den 1912 vollendeten Bau zuständige Architekt des Büros McKim, Mead, and White, das auch die 1963 abgerissene Pennsylvania Station auf der gegenüberliegenden Seite der Achten Avenue gebaut hatte.

Kendall war der Sohn eines Lehrers für alte Sprachen und hatte in Harvard studiert. Er fand den Weihespruch seines Postamts bei Herodot, dem Vater der Geschichte. Im achten Buch berichtet Herodot darüber, wie der persische Großkönig Xerxes die Nachricht von der Niederlage in der Schlacht von Salamis nach Persien übermittelte, und beschreibt aus diesem Anlass das Staffelsystem des persischen Reichsbotennetzes. Jeweils im Abstand von einer Tagesreise standen ein frischer Kurier und ein frisches Pferd bereit. Kendall sichtete englische Herodot-Übersetzungen, doch die vorhandenen Fassungen liefen für seinen Geschmack beziehungsweise Zweck nicht richtig. Er bat George Herbert Palmer, einen Philosophieprofessor in Harvard und Homer-Übersetzer, der in Tübingen studiert hatte, um eine neue englische Version.

Palmer formulierte: „No snow, nor rain, day’s heat, nor gloom hinders their speedily going on their appointed rounds.” Kendalls Umarbeitung bildet mit der Folge der vier einsilbigen Glieder „snow – rain – heat – gloom“ und dem dreifachen „nor“ den getakteten Rhythmus der Staffelübergabe ab, fügt die ausdrückliche Erwähnung der Kuriere ein und zieht den Bogen ihres Rundgangs bis zum Ende aus. In dieser Form ist der Satz insofern keine Prosa mehr, als er durch eine vollständige Zusammenfassung der in ihm enthaltenen Informationen nicht ersetzt werden kann. Thurman Arnold soll in diesem Sinne den Wahlspruch der Postboten in jeder seiner Vorlesungen zitiert haben, um die Grenzen der Versachlichung behördlicher Kommunikation zu illustrieren.

So verwendet Arnold das Zitat auch in mehreren Aufsätzen, in denen er sich mit Kritikern seiner Lehre von der symbolischen Regierungssprache auseinandersetzte. Eine Replik auf Sidney Hook, einen marxistischen, später zum Antikommunismus konvertierten Schüler des berühmten pragmatischen Philosophen John Dewey beschloss Arnold 1938 mit einer kritischen Anmerkung zum „debunking“, der intellektuellen beziehungsweise journalistischen Technik der routinierten Entzauberung. Wenn man die Inschrift des New Yorker Postamts nach der Methode des „debunking“ behandelt, also allen bombastischen Unfug herausnimmt, behält man einen anderen Satz zurück: Die Post wird auch bei schlechtem Wetter zugestellt. „Aber wer den Satz in dieser Weise umschreiben würde, hätte weder die Funktionen der Architektur verstanden noch die emotionalen Faktoren, die Organisationen zusammenbinden.“

Null Fehlertoleranz: Nur komplett richtige Beantwortung des Fragebogens öffnet die Tür in den Öffentlichen Dienst.© BewerbungNull Fehlertoleranz: Nur komplett richtige Beantwortung des Fragebogens öffnet die Tür in den Öffentlichen Dienst.

Eine hübsche Bestätigung dieser These, sozusagen eine Übersetzung des Beispiels in eine Fabel, findet man in der zeitgenössischen gezeichneten Literatur. Im Märzheft des Jahrgangs 1953 von „Walt Disney’s Comics and Stories“ macht Carl Barks Donald Duck zum Postboten. Aufgrund eines Bewerbungsschreibens, für das Duck mehrere Rechtshandbücher konsultiert hat, wird er eingestellt und zunächst in der Abteilung für Eilzustellungen eingesetzt. Sein erster Arbeitstag ist der Valentinstag. Draußen tobt ein Schneesturm, ein „blizzard“. Duck kennt die Dienstvorschrift, nach der die Post auch bei schlechtem Wetter zugestellt werden muss. Nachdem er entdeckt hat, dass der letzte, mit einem Herz versiegelte Brief in seinem ersten Packen an seine Cousine Daisy addressiert ist, tröstet er sich über den langen Weg durch den Schnee, der ihm bevorsteht, weil Daisy auf der anderen Seite des Flusses wohnt, mit dem Gedanken hinweg, dass ihm die Entfernung gleichgültig zu sein hat. So sei es nun einmal im Beruf des Postboten: Ob über eine Meile oder zwanzig Meilen, er müsse die Briefe austragen.

Dienst ist Dienst, und Marsch ist Marsch.© DisneyDienst ist Dienst, und Marsch ist Marsch.

Aber die Kenntnis der Vorschrift hält Duck nicht davon ab, den Brief hinter sich in den Schnee zu werfen, als er die Handschrift seines Vetters Gustav Gans auf dem Umschlag erkannt hat. Wohl nicht zu Unrecht nimmt er an, dass bei extremem Wetter immer eine gewisse Verlustquote zu verbuchen ist und seine entsprechende Ausrede seinen Vorgesetzten nicht misstrauisch machen wird. Im Moment dieses Entschlusses zur Abgabe einer falschen dienstlichen Erklärung kommt Duck auf dem Rückweg zum Postamt im Park an einem Denkmal vorbei, das er zuvor noch nie bemerkt hat. Geehrt wird hier ein Postbote, den man an der Uniform und der schweren Umhängetasche sofort erkennt. Die Inschrift auf dem hohen Sockel lautet: „Erected in honor of Mailman Mike, who never lost a letter. Through joy or sorrow, sun or storm, his faithful feet never strayed from the path of duty.”

Hoch soll Mike stehen: Der Botenstoff gibt ein Heldenepos her.© DisneyHoch soll Mike stehen: Der Botenstoff gibt ein Heldenepos her.

Duck blickt kleinlaut auf zu seinem großen Kollegen und macht sofort kehrt, um den Pfad der Pflicht wiederzufinden. Er fällt wie von selbst in die Haltung der Figur auf dem Sockel, stapft vornübergebeugt voran, mit dem linken Arm sein Gesicht gegen den peitschenden Schneefall abschirmend. In der gleichen Haltung hatte Duck allerdings auch schon seine Dienststelle verlassen. Die Pflicht verlangt dem Beamten keine Verrenkungen ab, sondern Grazie unter dem Druck der Verhältnisse.

Carl Barks war ein Individualist mit anarchistischen Instinkten, was man hier seiner bildpolitischen Fortentwicklung der New Yorker Proklamation ablesen mag. Postbote Mike, den Mitbürgern offenbar so vertraut, dass der Vorname genügt, stemmt sich dem Eiswind entgegen. Auf Mütze, Rücken, Tasche und Knie haben sich Schneeablagerungen gebildet. Im Sommer, wenn der strahlende Azur picknickende Liebespaare in den Park lockt, muss der schräge Mike eine komische Figur abgeben. Aber die Einsamkeit des Helden wird dann erst recht zur Anschauung kommen.

Der aufrechte Gang wäre beim Postboten kein Zeichen für Courage.© DisneyDer aufrechte Gang wäre beim Postboten kein Zeichen für Courage.

Neben der Arbeit des Bildhauers trägt auch die Inschrift das Ihre zur Wirkung des Denkmals bei. Man sieht Duck förmlich an, wie ihn bei der Lektüre ein zweites, sittliches Frösteln ergreift. Die Ehrentafel für Mike verschiebt die Objektivität Herodots noch weiter ins Poetische. Als pars pro toto stehen beziehungsweise gehen die treuen Füße für den Zusteller, die Körperteile, die die Treue zu spüren bekommen. Bei der Aufzählung der Elemente, die den Boten nicht beirren können, beschwor schon Kendall mit dem vierten, dem „gloom of night“, eine Stimmung. Bei Barks stehen neben zwei meteorologischen Zuständen zwei Gemütslagen, Freude und Sorge, wie im Kirchenlied.

In guten wie in schlechten Tagen: Der Bote ist mit der Post verheiratet.© DisneyIn guten wie in schlechten Tagen: Der Bote ist mit der Post verheiratet.

Im November 1953 erschien die Geschichte vom Postboten Donald Duck in der deutschen „Micky Maus“, in der Übersetzung der Chefredakteurin Dr. Erika Fuchs. Die Handlung spielt im deutschen Entenhausen nicht am Valentinstag, sondern an Daisys Geburtstag. Zwar hatten amerikanische Soldaten nach 1945 den Brauch der Valentintagsgrüße nach Deutschland mitgebracht, doch hätte man für die Übernahme dieses Stichtags für den Liebesbriefversand die Geschichte bis zum Februarheft aufheben müssen. Mike hat seinen Vornamen verloren und wird nun gemäß deutscher bürokratischer Üblichkeit allein beim Nachnamen genannt. Das Denkmal wurde „errichtet zu Ehren des wackeren Hilfspostboten Säbelbein, der nie in seinem Leben einen Brief verloren hat“.

Nie im Leben: Säbelbein ist das Staunen seiner Mitbürger.© DisneyNie im Leben: Säbelbein ist das Staunen seiner Mitbürger.

Barks, der alle Obrigkeiten skeptisch sah, erlaubt sich den Scherz, dass in Duckburg einem Postangestellten ein Denkmal gesetzt werden muss, der das nicht unterlässt, was laut den Riesenbuchstaben auf der New Yorker Hauptpost alle Bediensteten des U.S. Postal Service ohnehin tun. Allzu weit tragen die treuen Füße Mikes Kollegen offenbar nicht! Erika Fuchs spitzt diese Pointe noch einmal zu, mit einer literarischen Anspielung. Bei ihr ist der Musterzusteller ein bloßer Hilfspostbote. Obgleich Säbelbein zäher als die Zähesten bei der Erledigung der Dienstgeschäfte war, muss seine Übernahme ins reguläre Beamtenverhältnis an der Nichterfüllung irgendwelcher laufbahnrechtlicher Voraussetzungen gescheitert sein. Besonders hübsch zu Säbelbeins wohlfeilem, mutmaßlich postumem Lob das altmodische Adjektiv „wacker“ für den unbelohnten Tugendhelden. Wacker hat sich immer der Verlierer geschlagen.

Der Posthilfsbote Säbelbein ist der tragische Held eines satirischen Gedichts von Heinrich Schäffer, das 1896 im „Illustrierten Briefmarken Journal“ gedruckt wurde. Es schildert ein System der hierarchischen Beaufsichtigung einfachster Verrichtungen vom Hilfspackmeister über den Praktikanten und den Obersekretär bis hinauf zum Direktor, das so viel Arbeitskraft bindet, dass der Zug nach Berlin abgefahren ist, bevor Säbelbein sämtliche Pakete eingeladen hat. Der Hilfsbote trägt seinen Namen, weil ihm niemand hilft. Die Moral von der Geschichte: „Auf dem Perron steht ganz allein / Der Posthilfsbote Säbelbein / Und spricht: So geht es allemal, / Weil Mangel ist am Personal.“

Für den Pfadfinder Säbelbein war der gerade Weg der längste.© DisneyFür den Pfadfinder Säbelbein war der gerade Weg der längste.

Zum Ruhme des Entenhausener Namensvetters und Berufsschicksalsgenossen verkündet die Inschrift in der „Micky Maus“ weiter: „Ob Schnee, ob Regen, ob Freud‘ oder Leid, nie wich er auch nur einen Fingerbreit vom Pfade der Pflicht ab.“ Der Finger ersetzt die Füße: Für das Pathos der verselbständigten Gliedmaßen findet Erika Fuchs eine emphatisch sachliche Entsprechung aus dem Geist der rechenhaften deutschen Beamtenethik. Pflichterfüllung kann exakt gemessen werden. Das Gleichgewicht von zwei inneren und zwei äußeren Elementarzuständen hat die Übersetzerin bewahrt, allerdings die Reihenfolge umgekehrt. Die Umstellung erscheint sinnvoll: So führt der Weg der moralischen Reflexion von außen nach innen, vom Gefühl zur Empfindung.

Eine verblüffende Einzelheit: Obwohl die Übersetzung für die Verhältnisse von Erika Fuchs ausnehmend wörtlich ausfällt, ist sie näher am New Yorker Vorbild der Vorlage von Barks als diese. Frau Fuchs ersetzt Sonne und Sturm durch Schnee und Regen und stellt die beiden Niederschlagsarten nach vorne. Die Spitzenstellung der widrigen Wettervarianten hatte Kendall in den alten Herodot-Übersetzungen gefehlt.„Neither snow nor rain“: Mit diesem Anfang hat sich das Lob der amerikanischen Nachfolger der persischen Kuriere dem kulturellen Gedächtnis eingeprägt. Eine Amerikareise von Erika Fuchs ist nicht überliefert. Vielleicht hat sie in einer Zeitung von der Inschrift über Kendalls Kolonnade gelesen, eventuell sogar im „Reader’s Digest“, in dessen Diensten sie die Arbeit einer Übersetzerin aufnahm, bevor man ihr die Bildergeschichten vorlegte.

Wären wir, wie Voltaire spekulierte, noch Barbaren, wenn Xerxes bei Salamis gesiegt hätte? Die Post hätten wir trotzdem.© DisneyWären wir, wie Voltaire spekulierte, noch Barbaren, wenn Xerxes bei Salamis gesiegt hätte? Die Post hätten wir trotzdem.

Dass in die Inschrift auf dem Säbelbein-Sockel Erinnerungen aus der Gymnasialzeit eingeflossen sind und Frau Fuchs die abgeleitete englische Version des Postbotenlobs unter Rückgriff auf den griechischen Urtext korrigierte, ist wohl sehr unwahrscheinlich. Immerhin kommt die Schlacht von Salamis in der Übersetzung einer späten Barks-Geschichte über Donald Duck als Tauchunternehmer vor.

Sturm und Drang: Der Briefträger schleppt sich zur Schwelle der Geliebten.© DisneySturm und Drang: Der Briefträger schleppt sich zur Schwelle der Geliebten.

Wer die New Yorker Sommer kennt, wird bedauern, dass die Sonne ihren Platz unter den Plagen verloren hat, da sie dem wackeren Zusteller ebenso schlimm zusetzen kann wie der Schnee. Erika Fuchs brauchte wohl gar keine Quellen, um die Ruhmestitulatur des unfehlbaren Briefträgers noch einmal aus demselben klassischen Geist zu komponieren wie Kendall das Original. Die Betrachtung der Berufsrisiken des Postboten beginnt naturgemäß mit Schnee und Regen. Sollte eine literarische Reminiszenz in die Säbelbein-Inschrift eingeflossen sein, dann dürfte sich Erika Fuchs bewusst oder unbewusst an Goethes Gedicht „Rastlose Liebe“ mit den Anfangsversen „Dem Schnee, dem Regen, / dem Wind entgegen“ erinnert haben. Duck wirft sich nach der Begegnung mit Säbelbein mit melancholischem Ausdruck dem Wind entgegen. Dass er die Jagd auf das glücklich entsorgte Billet des Nebenbuhlers aufnimmt, ist selbstlose Liebe.