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Die Nachtgedanken des Jägers: Salter rezensiert Salter

Bei Christie’s am Rockefeller Center fand am 2. Dezember 2014 eine Benefizauktion zugunsten des Schriftstellerverbands PEN statt. Schriftsteller hatten eigenhändig annotierte Erstausgaben gespendet. „The Hunters“, der Debütroman von James Salter, wurde für 8000 Dollar zugeschlagen. Kaum einer der Kollegen hatte das Auktionsmotto „First Editions, Second Thoughts“ so wörtlich genommen. Websters Wörterbuch definiert „second thought“ als „a feeling of guilt, doubt, worry, etc., that you have after you have decided to do something or after something has happened”. Die Bemerkungen, die Salter in seiner peniblen kleinen Schrift mit schwarzem Kugelschreiber an den Rand der Seiten des 1956 bei Harper & Brothers verlegten Buchs notiert hat, sind Verdikte eines bitteren Ungenügens.

Der Autor macht sich die Verwendung abgegriffener Vokabeln und kitschiger Bilder zum Vorwurf. Die gnadenlose Lakonie dieser Selbstkritik gibt zu verstehen, dass Geschmacksfragen und Schreibhandwerksprobleme in die moralische Sphäre hineinragen: Das ästhetische Versagen, das Salter beim Wiederlesen ins Auge springt, empfindet er als Schuld. Nachträgliche Korrekturen können hier nichts wiedergutmachen. Die Überarbeitung, die Salter für die Neuausgabe von 1997 vornahm, blieb insofern vergeblich: Viele Anstreichungen betreffen Stellen, die der Autor bei der Revision unverändert ließ.

© BahnersDas fängt ja schlecht an: Am Anfang des ersten Kapitels schickt Salter einen Seufzer zum Himmel.

Der Roman verarbeitet die Erlebnisse des Verfassers als Kampfpilot im Koreakrieg. Salters Held Cleve Connell wird dem Ruf, der ihm an die Front vorauseilt, nicht gerecht. Im Wettkampf unter den Kameraden, in dem es ausschließlich um die Zahl der Abschüsse geht, lässt er sich von Aufschneider unter seinen Untergebenen ausstechen. Wir lernen Cleve kennen, wie er in einer Winternacht am Fenster eines Schlafsaals steht und nach draußen blickt. „Dusk had arrived, and he felt a numb lethargy: Full animation had not yet returned to him.“ Kommentar des Autors: „My God – all so stiff.“ Er würde diese Wörter heute nie verwenden: Eingekreist sind „a numb lethargy“, „Full animation“ und „returned to him“. Salter stört offenkundig die Redundanz, die Verdoppelung der Substantive durch die Adjektive. Auf der folgenden Seite stellt er zu den „weightless eyes“ seines Helden die Frage, was mit diesem Adjektiv gemeint sei.

Der Roman ist ein Grenzerfahrungsbericht. Die Schilderung der Luftkämpfe, des Eintauchens in die Erdenferne, der Schleifen im Nichts bereitet Salter vor, in dem er schon die prosaische Anreise in einem Transportflugzeug mit einer Reise „through nothing but unbending time“ vergleicht. Das Wort „unbending“ ist eingekringelt, am Rand steht ein Fragezeichen. Will sagen: Es ist nicht klar, was über die Zeit gesagt wird, wenn man sie ungekrümmt nennt – zumal das Flugzeug seinen Kurs doch der Krümmung der Erdoberfläche anpassen musste. Am Rande des folgenden Absatzes dann ein Hinweis auf die Bearbeitung von 1997, die hier „of the gentlest sort“ durch „of the mildest sort“ und „a limited renown“ durch „a certain renown“ ersetzte: „This needs rewriting. In fact I did rewrite it, but still not good.“

© BahnersDem versteigerten Band beigegeben: Serie von Fotos mit Erläuterung Salters.

An Anfälle von Todessehnsucht soll sich Cleve erinnert haben, als hätte jemand anders diese „compulsion to press close to death“ erlebt. Salter reagiert auf diesen Satz sarkastisch, als hätte jemand anders ihn geschrieben: „Pressing close to pulp fiction is more like it.“ Im gleichen Ton geht es weiter: Die simpelsten Scherze sind am besten geeignet, ein Misslingen zu beglaubigen, das der Urheber der inkriminierten Sätze für evident hält. Auf dem Weg zum Einsatzort kommt Cleve mit einem namenlosen hageren Hauptmann ins Gespräch, der sich, „not so much soldier as wanderer“, aus dem „Ring des Nibelungen“ in den Roman verirrt haben könnte: „It was hard to tell about men like that, but Cleve could not help liking him.“ Salter: „I don’t like this.“

Zwei Seiten später gefällt der Hauptmann seinem Schöpfer dann doch noch, in einer Passage reinen Dialogs, in dem der Hagere japanische Kellnerinnen vor amerikanischer Zudringlichkeit rettet: „This is the first part I like.“ Dass der olympische Erzähler im zweiten Kapitel den nur fünf Jahre vor dem Ausbruch des Koreakriegs beendeten Zweiten Weltkrieg in eine vage Vorvergangenheit zurückschiebt, ist eine lakonische Geste, die in Salters Augen die Haltbarkeitsprüfung nicht bestanden hat. „Abbott had been a hero once, in Europe in another war.“ Am Rand steht: „Sounds cliché now.“ Über den ehemaligen Helden heißt es im Text weiter: „somewhere along the way he had run out of compulsion“. Randbemerkung zu „compulsion“: „not quite the right word“. Der Maßstab ist le mot juste.

© BahnersDas dritte Kapitel ist endlich Musik in den Ohren des Verfassers.

Am Kopf des dritten Kapitels eine versöhnliche Notiz: „Beginning here to have a rhythm and tone.“ Mark Greif, einer der Gründer der New Yorker Literaturzeitschrift „n+1“, hat soeben ein Buch über die existentialistische Anthropologie der mittleren Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts herausgebracht. Auf dem Sachbuchmarkt blühte die Krisenliteratur wie heute, aber es war typischerweise der Mensch als solcher, „man“, dessen Schicksal verhandelt wurde. Salter nimmt im Handexemplar an einer Stelle dieses Pathos heraus. „He had gone, this man whose name no one knew, taking his excellence with him.“ In diesem Satz über den nordkoreanischen Meisterpiloten ersetzt er „man“ durch „pilot“.

Am Kopf des vierten Artikels eine weitere Notiz: „Finally the book begins telling itself.“ Der Traum des Erzählers: sich unsichtbar zu machen, am Himmel zu verschwinden. Nun nimmt die Dichte der Annotation ab. Die Strenge bleibt. Im fünften Kapitel wird ein Abschusssammler, der in der Erstauflage Sheedy und in der Fassung von 1997 Robey heißt, in der Fliegerbar gefeiert. Der Erzähler ist vom Olymp hinabgestiegen, muss mitten unter den Fliegern an der Bar stehen, weil er das dem Sieger zuwachsende Charisma als Eigenschaft von dessen Person behandelt. Nicht nur die Wahrnehmung verändert sich, sondern auch der Wahrgenommene: „He received it passively; but there was an aura surrounding him, a cloak of satisfaction. He had been transmuted. He was more than just himself, he was symbolic“ – und so weiter. In der Art eines Lehrers schreibt Salter neben eine Schlangenlinie: „getting a little grand“.

Die Evidenz der Stilkritik lenkt davon ab, dass sie den heiklen Punkt von Salters poetischer Programmatik betrifft. Das Arbiträre eines heroischen Ideals, das in Tabellen Gestalt annimmt, wird enthüllt, ohne dass das Modell deshalb verworfen würde. Die große Manier des epischen Tons ist gerade deshalb nötig, weil sich die Ruhmverteilung nicht einfach meritokratisch umrechnen lässt. Der Kriegerdenkmalssturz ist nicht Salters Absicht. Ein Griff in die Vokabelkiste der epischen Tradition missfällt ihm an der Eröffnung des siebten Kapitels: Als „a little too regal“ rügt er den Vergleich zwischen der Stärke der kleinen Gruppe der Piloten im großen Verbund des Geschwaders und dem heraldischen Bild der „hand that bears the orb“.

Eine ausführliche Verteidigung von Sheedys Heldenstatus durch Cleve erinnert Salter zu sehr an ein Theaterstück. Ein innerer Monolog Cleves über die Seelenqualen des Verlierers bewegt den Autor dazu, seinen Doppelgänger direkt anzusprechen: „Oh, calm down!“ Im neunten und zehnten Kapitel beschränken sich die Anmerkungen auf ein gelegentliches „no“ zu einzelnen Wörtern und Bildern. Das kann freilich nicht bedeuten, dass Salter zu allem anderen Ja sagt. Im dreizehnten Kapitel artikuliert er wieder seinen radikalen Zweifel. Cleves Vortrag über die Lebensform des Fliegers als „a child’s dream and a man’s heaven“ ist ihm so peinlich, dass er an der eigenen Identität zweifeln möchte, der Identität des jungen und des alten Autors. „I can’t think now I didn’t see this as earnest and juvenile in the extreme when I wrote it.“

© BahnersAuszüge aus Salters Tagebuch wurden 2004 in dem Band „Gods of Tin“ veröffentlicht.

Das vierzehnte Kapitel endet mit sehnsüchtigen Gedanken Cleves an zwei japanische Mädchen und seiner Einsicht, dass er nicht vom Kriegsschauplatz in das friedliche Leben der Mädchen hinübertreten kann. „He had joined a dark, ultimate battle, as all the while the current of days bore him slowly down.“ Der letzte Satz dieses Kapitels ist Anlass für Salters letztes Wort zum ganzen Buch: „Coming at the end like this it is clearly a knell.“ In den restlichen elf Kapiteln beschränkt sich Salter darauf, den Text an einigen Stellen nach der zweiten Auflage zu korrigieren, bevor er im Schlusskapitel einen Eintrag aus seinem Tagebuch vom 1. August 1952 transkribiert. Unüberhörbar bimmelt das Totenglöckchen: Soll man diese Beobachtung höhnisch nehmen, oder gefällt Salter die Klarheit seiner Erwartungsregie? Das muss womöglich offenbleiben.

© BahnersIm Zweiten Weltkrieg hatte Salter noch am Boden bleiben müssen.

James Salter, der am Mittwoch seinen neunzigsten Geburtstag feierte, quittierte nach der Veröffentlichung von „The Hunters“ den Dienst bei der Luftwaffe, um das Leben eines freien Schriftstellers zu führen. Im Roman vollendet Cleve Connell seine Lebensbahn nach der Rückkehr des verschollenen Lieblingsfeindes, des nordkoreanischen Champions, der wahrscheinlich kein Koreaner, sondern en Russe ist. Wie sein Alter Ego verbuchte James Salter in Korea nur einen einzigen tödlichen Treffer. Aber er nahm in die Welt der Zivilisten ein ritterliches Ethos der einsamen Bewährung mit. Während der langen Pausen zwischen den Veröffentlichungsterminen seiner Romane muss er den Zweikampf zwischen Autor und Kritiker im eigenen Kopf ausgetragen haben. Wer ein Buch drucken lässt, gibt es zum Abschuss frei. Der Roman „The Hunters“ hielt sich fast sechzig Jahre lang am Himmel.

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