Frau Bundeskanzlerin machte es der Nation gestern bei Anne Will wieder einmal vor: in der Krise nimmt der Mensch gerne Zuflucht bei der Metaphysik der Moral, um welche er sich gerade eben noch, im Aufschwung, keinen Deut geschert hat. Die Verantwortlichen für die Bankenkrise sind nun nicht mehr die Erfinder der tollen Finanzinnovationen, mittels derer der Traum vom Eigenheim auch für die Sozialschwachen und damit ein langersehntes politisches Leitbild in greifbare Nähe rückte; die dem deutschen Mittelstand konkurrenzlos günstige Kreditkonditionen verschafften, und damit den Aufschwung der letzten Jahre zumindest indirekt trugen; den Aufschwung, der selbstredend Angela Merkels Aufschwung war, weshalb sie sich seinerzeit natürlich für die Verbreitung all dieser neuartigen Kreditinstrumente stark machte, ohne Skepsis und ohne weiteren Hintergedanken. Keine Rede nunmehr davon, was der Joe aus der drögen Deutschen Bank doch für ein internationales Vorzeigeinstitut gemacht hat, der Joe, dieser gerngesehene Gast bei runden Tischen und Berliner Gartenfesten, dieser weitsichtige Spitzenbanker, in dessen professionelle Hände man die Konsolidierung des Bankenplatzes Deutschland doch gerne legte. Nein: schwere Schuld haben sie alle auf sich geladen, die Banker und die Manager, und all diese anderen, die hier konkret zu benennen, wir uns gar nicht erniedrigen wollen, die die Exzesse an den Finanzmärkten heraufbeschworen und damit die bürgerliche Beschaulichkeit unserer geliebten Sozialen Marktwirtschaft vollends durcheinandergebracht haben. „Empörend“ sei das, ganz genau, und empörend ist es auch, wenn Bankangestellte weiterhin das haben wollen, was sie vertragsgemäß für ihre Leistung bislang immer bekommen haben, nämlich ihren Bonus, obwohl ihre Häuser doch gerade erst um Hilfe vom Staat gebettelt hätten.
Ein gewisser Glaube an die Güte scheint tatsächlich in der Natur des Menschen zu liegen, ein eingepflanzter Widerwille, die Taten zu zerlegen und bei Lichte zu betrachten; auch bei Angela Merkel, obwohl die doch andernorts gerade so selbst- und so zielsicher in der Benennung von „Ursache und Wirkung“ in ihrer Neujahrsansprache auftrat. Das sozio-ökonomische Anreizsystem unserer Gesellschaft, namens Kapitalismus, für Marketing- und Promotionszwecke vorzugsweise auch im edlen Gewand der Sozialen Marktwirtschaft auftretend: es müsse doch irgendwie „gut“ sein, nicht wahr? – Das ginge doch gar nicht anders, bei alldem Schönen und Erstrebenswertem, das ihm zugrunde liegt, von der individuellen Freiheit, und den Aufstiegsmöglichkeiten und dem Fortschritt und, … Warum nur wird diese quasi gottgegebene Harmonie immer wieder gestört, von den bösen Buben, den Zockern, den Heuschrecken, all denen, die in ihrer maßlosen Gier mal wieder den Hals nicht voll kriegen konnten?
Womöglich ist dieser Glaube an das Gute, an die unbedingte Tugendhaftigkeit aller Menschen, auch solcher, denen man schon in den ersten Tagen on the job einbläut, Rendite wäre alles im Leben, und darüber hinaus gäbe es schlichtweg nichts, zumindest nicht in diesem, unserem irdischen Dasein, wichtig für das Funktionieren der modernen Welt: indem er den Menschen sich und seiner Umwelt gegenüber weniger misstrauisch macht, wodurch sich das Soziale und dessen Fortschritt überhaupt erst einstellen konnten. Die Helden aus den Erzählungen des Plutarch und den großen Sagen des Altertums ahmt man mit Begeisterung nach – den Motiven ihres Handelns mit gesunder Skepsis nachzuspüren, dagegen sträubt sich unser Innerstes. Die Wahrheit wird so um ihre Sternstunde zwar immer wieder betrogen, aber für die Aussöhnung der Menschheit mit sich selbst reicht es allemal. Der Rest sind Mythen, Legenden und Siegergeschichtsschreibung.
Nietzsche hat wohl recht, wenn er sagt, unser Moralempfinden würde unterschiedliche Phasen durchlaufen, und interessanterweise scheinen diese Phasen dem Zyklus des wirtschaftlichen Geschehens zu folgen: Im Aufschwung beurteilen wir Handlungen nach „gut“ oder „böse“ ohne besondere Rücksichtnahme auf die dahinterstehenden Motive, sondern alleine ihrer nützlichen oder schädlichen Folgen wegen: der Banker erfindet nützliche Kreditprodukte, mit denen sich Risiken streuen lassen, das weltweite Kapital effizienter zum Einsatz kommt, die Zinsen daher niedrig sind: Das mögen wir, das finden wir gut, Häuser werden gebaut, Jobs geschaffen, die Politik applaudiert, erfolgreiche Manager machen Millionen, zurecht, denn gute Leistung soll natürlich gut honoriert werden.
Schon bald aber sind es nicht mehr die Ergebnisse, sondern die Handlungen selbst, über die wir unser Werturteil fällen, und nur allzu gerne verwechseln wir bereits auf dieser Stufe Ursache und Wirkung. Und kurz danach liegt der Ursprung von gut und böse bereits in den Motiven der Handelnden: die vermeintlichen Finanzinnovationen werden als Betrügereien entlarvt, Ratingagenturen vergaben durchwegs Gefälligkeitsgutachten, Immobilienmakler verkauften überteuerte Plattenbauten, alle aus nur einem einzigen Grund: der Jagd nach dem schnellen Profit. Und zu guter Letzt reichen auch die einzelnen Motive nicht mehr aus: das Wesen der Akteure muss jetzt dafür herhalten, unserem moralischen Empfinden gerecht zu werden: DIE Banker waren, es nicht war? In ihnen haben wir die Schuldigen gefunden, sie sind überführt, wegen gemeinschaftlich begangener Untat. Gierige Hasardeure alle miteinander, wofür brauchen wir sie überhaupt? Und DIE Manager? – Zumeist auch nicht viel besser, ein- und dasselbe elende Pack!
Ähnliches übrigens auf Ebene ganzer Staaten und Völker: beneideten wir die Spanier nicht gerade eben noch wegen ihres sensationellen Booms? Und lieferten wir ihnen nicht gerne unsere Baumaschinen und Ingenieursleistungen, und den dort Reichgewordenen unsere Porsches und Daimlers, und Thyssen-Yachten und badische Edelweine? Und steckten wir die daraus fließenden Gewinne und Einkommen und Steuern nicht mit Freuden ein, ohne große Hintergedanken daran zu verschwenden, ob dieser spanische Boom überhaupt nachhaltig sein könne, oder nicht vielmehr eine einzige, große Blase? Rühmten wir uns nicht viel lieber unserer tollen Leistungen im Export, waren wir darin nicht sogar Weltmeister, mehrfacher sogar, und klopften wir uns darob nicht gegenseitig auf die Schultern, was wären wir doch für tolle Kerle? – Doch jetzt, was ist da aus den Spaniern plötzlich geworden? Dumme, weit über ihre Verhältnisse lebende Südländer, an der Peripherie des kulturellen Mitteleuropas. – Und für die sollten wir jetzt zahlen? Für DIE? Mit unseren hart und ehrlich verdienten Ersparnissen, jetzt wo sie ihren Schulden nicht mehr nachkommen können, weil ihnen das Geld dafür fehlt, Geld, das in nicht unerheblichem Ausmaß in unsere Taschen gewandert ist und jetzt dort friedlich schlummert?
Derart moralisierend lässt es sich natürlich ganz vorzüglich im eigenen Weltbild einnisten und auch den schlimmsten Winter überdauern. In unserem Verständnis der Krise und ihrer Ursachen kommen wir auf diese Art aber kein bisschen weiter: so sympathisch Kant und Schopenhauer ansonsten auch sein mögen: um hier klar zu sehen bedarf es keiner warmen, schöngeistigen Reden inklusive aller Appelle an das Edle und das Gute. – Hierfür bedarf es stattdessen einer gehörigen Portion nackten, kalten Nietzsches!
das ist ein guter artiek...
das ist ein guter artiek
Es ist schon so, dass die...
Es ist schon so, dass die Krise in einem System entstanden ist, welches politisch zu verantworten ist. Jetzt alle Probleme an vermeintlich Schuldigen festmachen zu wollen, verhindert eine vernünftige Analyse der Krisenursachen. Es verhindert aber auch, die notwendigen politischen Konsequenzen zu ziehen. Aus meiner Sicht wäre ein Soziales Konjunkturprogramm geboten.
Lieber Herr Strobl, wo sind...
Lieber Herr Strobl, wo sind denn Ihre Statements zur Vermeidung einer Krise davor? Hinterher ist jedermann schlauer als zuvor. Europa und den Deutschen könnte man allenfalls vorwerfen, sich vom leichtverdienten Geld blenden zu lassen. Und obwohl es vereinzelte Stimmen gab, die vor einer „Kreditblase“ warnte, haben unsere „Fachleute“ munter weiter gemacht. Moral scheint diesbezüglich und überhaupt deplaziert zu sein in unserer auf Erfolg und schnellem Geld ausgerichteten Gesellschaft. Mahner werden da ohnehin nicht gehört, sonder belächelt. Das ist die Realität der heute gültigen Moral.
Was fordern Sie? Nachdenken,...
Was fordern Sie? Nachdenken, reflektieren, sich selbst, seine Motive und Taten zu hinterfragen? Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, doch das muss man gelernt haben.
Die Anlehnung an Nietzsche...
Die Anlehnung an Nietzsche halte ich für misslungen. Man könnte genauso gut seine biologistisch-vitalistisch-egoistische Komponente hervorzerren, um derlei moralische Phänomene zu beschreiben. Die Krise des Kapitalismus ist immanent angelegt, vorbereitet, legitimiert und gebilligt. Sein Geist setzt geradezu auf die, die aus einer instrumentell-ökonomischen Weltbetrachtung nicht ausbrechen können.
Mein Vorschlag: Fahren wir doch unsere wirtschaftliche Ordnung bewußt gegen die Wand. Damit würde wenigstens diese unerbittliche Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, die so viele Menschen umklammert hält ein Ende nehmen. Unsere Gesellschaft hat ein derart großes Vermögen angehäuft. Es ist wahrlich wert, verschwendet zu werden, jeder könnte seinen angehäuften Besitz jedem zur Verfügung stellen. Feiern wir doch eine übermäßige Party, veranstalten wir Ausschweifungen, die die Geschichte noch nicht kennt und überlegen uns währenddessen, wie wir anders miteinander leben können. Die derzige Wirtschaftsordnung ist nicht nur sinnfrei, sondern wird auch von den meisten als Joch empfunden.
Der Hr. Strobl hat auf seinem...
Der Hr. Strobl hat auf seinem eigenen Blog „Weissgarnix“ schon seit langem entsprechende Statements abgegeben. Er war nämlich schon VORHER schlauer.
Ein Vorschlag, der sich gut...
Ein Vorschlag, der sich gut anhört, wohl aber nur in der Theorie. Warum? Die nachfolgende Wirtschaftskrise wird zu erheblichen Steuerausfällen und erschwerend teilweise zu Rückzahlungen von Steuervorauszahlungen führen. Das heißt, es fehlt einfach das Geld für soziale Maßnahmen. Ein Staat, der keine Rücklagen hat, dafür jedoch rd. 1,6 Billionen Schulden, ist diesbezüglich handlungsunfähig. Was weiterhilft, sind hachhaltige Investitionen, die vorgezogen werden können. Diese erhalten oder schaffen Arbeitsplätze und sorgen für Abgaben und Steuern. Ansonsten muss der Staat und die Bürger abspecken, sonst geht unseren Kindern das Licht aus.
Leider fällt der Schreiber...
Leider fällt der Schreiber hier in seine selbstgestellte Falle.
Wer ist den „wir“, denen hier wechselde Moralvorstellungen vorgeworfen werden?
Ist das nicht eine ebensolche Verallgemeinerung, gegen die der Autor hier anschreibt will? Ich persönlich kann mir dieses „wir“ nicht anheften, dazu habe ich die angesprochenen Akteure schon zu lange als Plage betrachtet.
Ansonsten klingt mir das hier zu deutlich nach Nebelkerze um von der tatsächlichen gesellschaftlichen Verantwortung von Politikern, Bankern, Managern abzulenken.
Tut mir leid, keine Zustimmung (schon zum 2. Mal in Folge, muss ich mir Sorgen machen?)
Ausgezeichneter Artikel,...
Ausgezeichneter Artikel, messerscharfe Analyse! Das Moral-Bramarbasieren der politischen Klasse und des über-„die Gier“-sich-erhebenden Gutmenschen, der es ohnehin „schon immer gewusst haben will, ist inzwischen schlicht unerträglich. Alle wollten im Aufschwung Zins und Rendite, alle Arbeitsplätze, billige PCs und Schnäppchen bei Aldi, Lidl und Co. dank Globalisierung. Jetzt tut’s plötzlich weh und alle schreien nach Staat, Moral und nochmal Staat, und vergessen, daß dieser die Superzockerei erst ermöglicht und befördert hat (Landesbanken und HRE lassen grüßen). Herr, laß Hirn regnen, Herr Strobl: großartig! Mehr davon. 😉
ich glaube, ich habe lange...
ich glaube, ich habe lange nichts aehnlich daemliches in der faz gelesen.
es scheint, die worte fallen passend in reihen & so soll wohl daraus eine art sinn erstehen; tut mir leid, mir bleibt das alles raetselhaft.
der eindruck, der bleibt… ist so eine art „winden“, eher eine art „gefangen sein in ueberkommenen wahrnehmungsmodellen“, was wirklich sein mag.
„der westen“, der sogenannte…, der hat ein problem, die wurzeln seines bewusstseins anzuerkennen. „moralitaet“, wie sie hier als „effekt“ beschrieben wird… ist vielleicht eben doch mehr als bloss zeitgenoessische debatte.
btw, to quote:
„Derart moralisierend lässt es sich natürlich ganz vorzüglich im eigenen Weltbild einnisten und auch den schlimmsten Winter überdauern. In unserem Verständnis der Krise und ihrer Ursachen kommen wir auf diese Art aber kein bisschen weiter: so sympathisch Kant und Schopenhauer ansonsten auch sein mögen: um hier klar zu sehen bedarf es keiner warmen, schöngeistigen Reden inklusive aller Appelle an das Edle und das Gute. – Hierfür bedarf es stattdessen einer gehörigen Portion nackten, kalten Nietzsches!“
: -> non-sense. einfach wortbrei. kein wort mehr dazu.