In Stanley Kubricks Atomkriegs-Satire „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, mit einem grandiosen Peter Sellers in der Titel- wie auch diversen Nebenrollen, gibt es eine Schlüsselszene, in der sich ein etwas schusseliger US Präsident von seinem obersten Militärwissenschaftler Dr. Seltsam erklären lässt, was es mit der sowjetischen „Weltvernichtungsmaschine“ auf sich hat. Wie es denn sein könne, will der Präsident wissen, dass der Automatismus, der dem Apparat innewohnt, nicht mehr durchbrochen und damit die nukleare Vernichtung der Welt aufgehalten werden könne? Darauf Dr. Seltsam:
„Mister President, es ist nicht nur möglich, sondern geradezu unabdingbar. Das ist die ganze Idee hinter dieser Vorrichtung, verstehen Sie? Abschreckung ist die Kunst, im Bewusstsein des Feindes Angst vor dem eigenen Angreifen zu erzeugen. Und genau dieser automatische und unwiderrufliche Ablauf, der menschliches Eingreifen absolut ausschließt, ist es, der die Weltvernichtungsmaschine so schrecklich und so leicht begreiflich macht – und so absolut glaubwürdig und überzeugend.“
Nun ist die Hypo Real Estate (HRX) zwar eine gigantische Volksvermögens- aber Gott sei Dank noch keine Weltvernichtungsmaschine, und Peer Steinbrück ist bekanntlich nicht Peter Sellers – auch wenn er sich vielleicht gelegentlich so anhören mag. Aber dennoch bietet diese Filmfarce aus den lustigen Sechzigern eine Menge Anknüpfungspunkte für die tagesaktuelle Diskussion zur Übernahme der bankrotten Hypothekenbank durch den Staat.
In gewisser Hinsicht hat sich nämlich die deutsche Politik sehr wohl ein zeitgenössisches, ordnungspolitisches Pendant einer „Weltvernichtungsmaschine“ gebastelt, mit dem kürzlich beschlossenen Enteignungsgesetz nämlich. Dessen Inhalt lässt sich hier in voller Länge nachlesen, aber im wesentlichen auch wie folgt zusammenfassen:
„Und bist du nicht willig, so brauche ich Gewalt.“
Das kann man nun insgesamt gut finden oder auch nicht, aber Fakt ist jedenfalls: Dieses Gesetz ist beschlossen und verkündet, und die Absichten der Regierung scheinen – zumindest legen das jüngste Äußerungen von Steinbrück & Co nahe – ebenfalls in diese Richtung zu gehen. Dummerweise sieht das Gesetz aber nicht jenen zwingenden Automatismus vor, den Kubricks Dr. Seltsam wegen seiner brutalen Effizienz als so unabdingbar für die Überzeugungskraft jeglicher Maximaldrohung herausgestrichen hat. Und genau darin liegt das Problem, mit dem sich Steinbrück jetzt herumschlagen muss, das es J.C. Flowers ermöglicht, ihm kaltlächelnd den Stinkefinger entgegenzustrecken und das Tausende von Kleinaktionären davon abhält, das großzügige Übernahmeangebot des Staates anzunehmen: Die Enteignungsdrohung ist schlicht nicht glaubwürdig, zumindest nicht zu den aktuell aufgerufenen Konditionen. Flowers wie auch die Kleinaktionäre können relativ sicher davon ausgehen, dass man ihnen für ihre Papiere schlussendlich einen höheren Preis bezahlen wird, als die aktuell gebotenen 1,39 Euro, oder dass sie sogar im Eigentümerkreis des vom Staat sanierten und wieder auf die Gewinnstrasse gebrachten Instituts bleiben können, was ihren finanziellen Verhältnissen auch nicht abträglich sein sollte.
Das ergibt sich übrigens schon fast zwangsläufig aus dem Enteignungsgesetz selbst. Dort heißt es nämlich zur Ermittlung der Entschädigung (i.e. des sogenannten „Verkehrswertes“):
„Der Verkehrswert bemisst sich in der Regel nach dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenpreis des Enteignungsgegenstandes während der letzten zwei Wochen vor dem Tag der Eröffnungsentscheidung, es sei denn, dass der Durchschnittspreis innerhalb der letzten drei Tage vor der Eröffnungsentscheidung niedriger ist: in dem zuletzt genannten Fall ist dieser niedrigere Börsenpreis zugrunde zu legen.“
Nun liegt der aktuelle Börsenpreis der HRX-Aktien zwar aktuell bei den von Steinbrück gebotenen 1,39 Euro. Aber was fehlt? – Genau: Die im Gesetzestext als maßgebliches Datum vorgesehene „Eröffnungsentscheidung“. Worum geht es dabei? Sehen wir noch mal im Gesetz nach, in den Verfahrensregelungen des §3. Dort heißt es im 2. Absatz:
„Das Verfahren beginnt mit der Entscheidung der Bundesregierung, ein Enteignungsverfahren nach diesem Gesetz durchzuführen (Eröffnungsentscheidung).“
Und nun können Steinbrück und seine Mannen zwar brüllen wie die Löwen, eines bleibt aber Fakt: eine derartige „Eröffnungserklärung“ der Bundesregierung gibt es bis zum heutigen Tage nicht! Und das bedeutet, dass der Fristenlauf für die Ermittlung des Verkehrswerts der HRX-Aktien, und damit der Entschädigung für die womöglich Enteigneten, noch lange nicht begonnen hat. Das tut er, sobald die Regierung besagten Entschluss trifft. Wann das sein wird? – Das weiß niemand, vermutlich noch nicht mal Peer Steinbrück selbst. Vielleicht auch nie, denn sollte die nächste Bundestagswahl eine CDU/FDP-Regierung bringen, heißt es für die HRX-Aktionäre womöglich: Neues Spiel, neues Glück. Es verwundert daher nicht im Geringsten, dass Großaktionär Flowers und in seinem Schlepptau tausende Hobbyspekulanten jetzt erst mal auf Zeit spielen. Der Staat – und hinter ihm der Steuerzahler-, der angetreten ist, bei dem bankrotten Institut mittels Milliardenspritzen zu retten, was noch zu retten ist, wird auf das Vortrefflichste vorgeführt.
Schuld daran ist aber niemand anders als die Politik selbst. Hätte sie eine Verhandlungssituation in der Logik der Kubrickschen „Weltvernichtungsmaschine“ herbeiführen wollen, beziehungsweise – um nicht immer auf diesen martialischen Begriff zu verfallen – die spieltheoretische Konstellation des „Brinkmanship„, dann hätte der Ablauf des Verfahrens von Beginn an anders gestaltet werden müssen: Als erstes die Eröffnungsentscheidung zum Enteignungsverfahren und erst danach das Übernahmeangebot! Das wäre zwingend und glaubwürdig gewesen, die Maschinerie hätte sich in Bewegung gesetzt, das Risiko der Nichtannahme des Übernahmeangebots wäre für die Aktionäre substanziell in die Höhe geschnellt. Aber so? – Es gibt praktisch kein Risiko, unterhalb der 1,39 Euro pro Aktie enteignet zu werden. Daher gibt es auch keine Veranlassung, Steinbrücks Übernahmeofferte jetzt anzunehmen.
Warum sich die Politik so dermaßen bloßstellen lässt, ist eines der vielen ungelösten Rätsel dieser merkwürdigen Hypo-Real-Estate-Saga. Steinbrück und Co sind ja gewiss nicht blöd, die wissen das alles, mindestens genauso gut wie ich, wenn nicht besser. Und ja, zugegeben: Enteignungen sind politisch eine heiße Kartoffel, und man wollte beim ersten Mal sicherlich nicht gleich einen auf „knallhart“ machen. Aber hier geht es immerhin um Steuergelder, und von denen stecken bereits über 100 Milliarden in der Pleitebank. Und darüberhinaus haben sich sowohl die Regierung wie auch Bundestag und Bundesrat in einem ordentlichen gesetzgeberischen Prozess darauf festgelegt, in ganz bestimmten, sachlich gerechtfertigten Fällen auf Enteignungen zu bestehen. Warum also jetzt das Zaudern und die Bereitschaft, sich vor aller Welt zum Idioten zu machen, vorgeführt von Herrn Flowers und seinen Finanzkameraden? Ist es wirklich die Panik, in die Geschichte der Bundesrepublik als diejenigen einzugehen, die sich genötigt sahen, erstmals seit Ende des 2. Weltkrieges wieder zu enteignen, wenn auch nur in ganz speziellen Einzelfällen? – Falls dem so ist, dann liefert Stanley Kubricks Filmvorlage auch darauf die passende Analogie für ein zeitgemäßes, politisches Leitmotiv, indem er einen General Turgidson zum US Präsidenten sagen lässt:
„Vielleicht wäre es besser, Mister President, wenn Sie sich mehr um das Wohl des amerikanischen Volkes sorgen würden, denn um ihr Image in den Geschichtsbüchern.“
Ähem ... "Dr. Seltsam" ist...
Ähem … „Dr. Seltsam“ ist ein Film aus den lustigen 60ern 🙂
@Reinhard
Stimmt! Ich war...
@Reinhard
Stimmt! Ich war aber erst in den Siebzigern alt genug, um ihn auch zu sehen, daher wahrscheinlich meine trügerische Erinnerung…
Wer enteignet wen? Und Warum?...
Wer enteignet wen? Und Warum? Ihr Rekurs auf die Weltvernichtungsmaschine ist naheliegend, allerdings nicht ganz originell: Unter dem Titel „Die Weltvernichtungsmaschine – Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ erschien schon am 17. April eine Untersuchung des Politologen und Publizisten Stefan Frank. Eine freundliche Empfehlung für alle, die das Thema nicht nur oberflächlich angehen wollen. Mit Sicherheit einer der besten Beiträge, die derzeit auf dem Markt sind. ISBN 978-3-936950-94-6.
@Verleger
Die...
@Verleger
Die „Weltvernichtungsmaschine“ aus Kubricks Film ist ein Klassiker der Spieltheorie. Ich kenne kaum ein Einführungswerk, in welchem sie nicht als DAS Beispiel für „Brinkmanship“ herhalten müßte (am zweithäufigsten übrigens die Kuba-Krise).
Natürlich läßt sich die Analogie auch beliebig umkehren: „Too big to fail“ ist gewissermaßen die „Weltvernichtungsmaschine“ des globalen Bankenapparats, mit der glasklaren Botschaft an die Politik: „Laßt uns nicht untergehen, oder ihr geht ebenfalls unter!“.
Mir ein Rätsel, weshalb sich demokratische Gesellschaften das bieten lassen, ja – wie ich an einigen Kommentaren auf meinen Beitrag zur „Zukunft des Kapiitalismus“ gesehen habe – einzelne Kommentatoren das offenbar sogar gut finden.
Naja, ganz so in den Sternen...
Naja, ganz so in den Sternen steht es ja dann doch nicht, wann mit der „Eröffnungserklärung“ des Bundes zu rechnen ist.
Dazu wird es genau dann kommen, sobald feststeht, dass die 100%ige Kontrolle mittels Kapitalerhöhung und Squeeze-out nicht zu schaffen ist, weil die Kapitalerhöhung bei der HV am 2.6. keine Mehrheit bekommt. Das steht übrigens auch genau so in der Angebotsunterlage des SoFFin. Sollte die Kapitalerhöhung am 2.6. also scheitern, dürfte auch die Eröffnungserklärung nicht mehr lange auf sich warten lassen. Bis zur Bundestagswahl würde es sicherlich nicht dauern.
Nach dem RettungsG gibt es allerdings noch eine andere Möglichkeit, die Enteignungsentschädigung im Falle einer Enteignung zu berechnen: den Börsenwert unmittelbar vor Bekanntwerden der Enteignungsabsicht des Bundes (§ 4 Abs. 4 Nr. 2 RettungsG), sofern diese Absicht vor der Eröffnungsentscheidung bekannt geworden ist. Würde sich der Bund auf den Standpunkt stellen, seine Enteignungsabsicht sei schon seit Monaten bekannt, käme es u.U. also auf den damaligen Börsenwert an. Es ist also keineswegs gesagt, dass Aktionäre mindestens 1,39 Euro pro Aktie bekommen.
Spannend bleibt die Sache aber auf jeden Fall, zumindest wenn der Bund am 2.6. keine HV-Mehrheit bekommt. Aber dafür hat er ja nun wirklich alles unternommen, indem er Aktionäre, die gegen die Kapitalerhöhung und damit die Einleitung des „Squeeze-out“ stimmen sollten, per Gesetz schadensersatzpflichtig macht. „Renitente Aktionäre“ (nette Bezeichnung für Aktionäre, die lediglich ihre Stimmrechte ausüben) laufen demnach Gefahr, durch Schadensersatzforderungen des Bundes direkt in die Privatinsolvenz zu rutschen. Um dieses Maßnahmenpaket noch wasserdichter im Sinne einer „Weltvernichtungsmaschine“ zu machen, hätte es eigentlich nur noch der Androhung standrechtlicher Erschießungen auf der HV bedurft…
Vielleicht habe ich da auch...
Vielleicht habe ich da auch was falsch verstanden. Aber nach dem das Angebot von 1,39 EUR niemand angenommen hat, ist doch nicht der nächste Schritt die Enteignung. Ziel ist es doch nun, mit dem neuen Gesetzt eine Kapitalerhöhung vorzunehmen unter Ausschluss des Bezugsrechtes der Altaktionäre. Natürlich wird der Staat dann alle Aktien erwerben und somit 90% des Unternehmens halten. Flowers wird sicherlich rechtlich dagegen vorgehen, aber das ist der nächste logisch Schritt. Denn Enteignung kann sich der Statt nicht leisten. Mann stelle sich sowas auf der Titelseite der Wall Street Journal oder so vor.
Ein schöner Artikel -...
Ein schöner Artikel – allerdinge fehlt mir die Präzisierung der von fast allen Medien Gebetsmühlenartig wiederholten ‚von denen stecken bereits über 100 Milliarden in der Pleitebank‘.
Fakt ist, das bis auf die für die übernommen Aktien gezahlten Beträge nicht ein Euro Steuergeld in der Bank versenkt ist. Auf der anderen Seite hat der Soffin bis Ende März 139 Millionen Euro mit den für die Bank abgegebenen Bürgschaften verdient. (Nachzulesen im letzten Quartalsbericht)
Erst wenn es zu einer Kapitalerhöhung kommen sollte, wird als das erste Mal tatsächlich Steuergeld eingesetzt – das aber nach der Sanierung mit Zins und Zinseszins von einem wie auch immer gearteten Käufer zurückgezahlt wird.
Das Risiko ist also für den Staat überschaubar – die Rendite wird sicher ordentlich sein. Erstaunlich nur, das unsere Regierung sich an so einer massiven Spekulation beteiligt !
@eFlation
Eine...
@eFlation
Eine Kapitalerhöhung erfolgt – soweit ich das verstanden habe – mindestens zu einem Preis von 3 € pro Aktie, da das anscheinend der Nennwert ist, und Kapitalerhöhungen unter Nennwert nicht zulässig sind. Dann könnten sich Flowers & Co ja freuen, denn zu einer Bewertung von 3 € dilutiert zu werden, ist allemal besser, als zu 1,39 € zu verkaufen.
@HRE-Aktionär,
wo steht denn...
@HRE-Aktionär,
wo steht denn das mit den Schadensersatzpflicht von Aktionären, die gegen den Squeeze-Out stimmen?
@eFlation
Im Prinzip stimmt...
@eFlation
Im Prinzip stimmt das schon, dass der nächste Schritt nicht die Enteignung, sondern der Versuch einer Kapitalerhöhung und damit der Erwerb von 90% durch den Staat ist. Dann nämlich könnte der Bund die verbliebenen Minderheitsaktionäre durch einen „Squeeze-out“ gegen Abfindung ganz aus der HRE drängen, ohne formal „enteignen“ zu müssen.
Das alles funktioniert aber nur, wenn auf der HV am 2.6. wirklich mehr als 50% der anwesenden Aktionäre für eine solche Kapitalerhöhung stimmen. Diese HV-Mehrheit wollte der Bund mit seinem Übernahmeangebot von 1,39 bekommen. Und zur Zeit sieht es ja fast so aus, als wäre ihm das auch gelungen….