„Ist der Kapitalismus reformierbar? Man kann den Virus der Gewinnorientierung nicht abschaffen, sondern durch Einbettung und Rahmung nur zähmen wollen“, schreibt Soziologe Dirk Baecker heute im Feuilleton der FAZ, in seinem sehr interessanten Beitrag zur Reihe „Zukunft des Kapitalismus“. Daraus ein paar Zitate und persönliche Anmerkungen von mir:
„Der Kapitalismus ist jenes Wirtschaftssystem, das Eigentümer auffordert, sich als Schuldner in eigener Sache zu betrachten.“
Gewiss: worum es beim Kapitalismus im Innersten geht, das war Baecker, der sich zuletzt im Sammelband „Kapitalismus als Religion“ eher mit transzendalen Betrachtungen des topos befasste, schon sehr früh klar: gemeinsam mit Lehrmeister Niklas Luhmann zog er 1988 den Schleier vom Sockel der Nationalökonomie und konstruierte den Kapitalismus als Verkettung von Schuldkontrakten und daraus resultierenden Zahlungen. Eine Sichtweise, die bereits Max Weber nicht fremd war, von seinem Schüler Joseph A. Schumpeter weitergesponnen und von John Maynard Keynes in der „General Theory“ in den Rang einer monumentalen Wirtschaftstheorie gehoben wurde. „Kettenbrief“ nennen das die unbedarften Blogger des post-modernen Zeitalters heutzutage, aber bei Luhmann und Baecker klingt das natürlich wesentlich eleganter:
„Ein System, das auf der Basis von Zahlungen als letzten, nicht weiter auflösbaren Elementen errichtet ist, muss daher vor allem für immer neue Zahlungen sorgen. Es würde sonst von einem Moment zum anderen schlicht aufhören zu existieren. […] Die Wirtschaft ist demnach ein autopoietisches System, dass die Elemente, aus denen es besteht, selbst produziert und reproduzieren muss.“
Doch wo man der Kettenbrief-Metapher eine gewisse lausbubenhafte Leichtfüßigkeit kaum absprechen kann, zeigt Baecker in seinem Feuilleton-Text wenig Interesse an seichtem Smalltalk: kurzerhand zieht er den Vergleich zu einer ganz anderen Art von Autopoiesis, nämlich der eines Virus.
„So what?“, mag sich da jetzt der eine oder andere denken. Was hätte das für praktische Konsequenzen? Dazu noch mal kurz zu Luhmann:
„Der adäquate Bezugspunkt für die Beobachtung und Analyse des Systems ist daher nicht die Rückkehr in eine Ruhelage, wie die Theorien des „Gleichgewichts“ suggerieren, sondern die ständige Reproduktion der momenthaften Aktivitäten, eben der Zahlungen, aus denen das System besteht.“
Jetzt klar? – Automatische und garantierte Glückseeligkeit ist nicht, da können die Talkshow-Ökonomen und die Wirtschaftspolitik versprechen, was sie wollen. Keynes „General Theory“ war ursprünglich dazu gedacht, eine Erklärung für die „Economics of Chaos“ zu liefern und deren Auswirkungen abzumildern, woraus einige seiner Jünger leichtfertig eine Art wirtschaftspolitisches Viagra machten und einer willigen Zielgruppe von interventionistischen Politikern gegenüber sehr erfolgreich vermarkteten; völlig zu unrecht, denn die vorstehende Einsicht Luhmanns ist weitestgehend inhaltsgleich mit der von Keynes. Und sie ist natürlich Lichtjahre von dem entfernt, was uns die Lehrbuch-Ökonomie auftischt.
Aber kehren wir zurück zu Baeckers Text:
„Mit anderen Worten, der Kapitalismus ist eine Zumutung. Er ist eine intellektuelle Zumutung, denn wer steigt nicht bereits nach diesen wenigen Sätzen aus und hört auf mitzurechnen, weil die sachliche, zeitliche und soziale Komplexität sich als Überforderung darstellt? Es geht um eine riskante Produktion, eine Überbrückung von Gegenwart und Zukunft und eine Vernetzung zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern, die so viele Variablen enthält, dass unklar ist, ob die Gleichung aufgehen kann.“
Sachlich, zeitlich und sozial – sprich in allen Sinndimensionen – wäre der Mensch mit dem Kapitalismus überfordert, schreibt er. Und dennoch scheint er zu funktionieren, die meiste Zeit jedenfalls! – „Der Markt ist das beste Koordinationssystem für eine Vielzahl unwichtiger Entscheidungen“, meinte dazu US Ökonom und Finanzkrisenguru Hyman Minsky einmal. Aber die ganz, ganz großen Klopper, die sollte man ihm besser nicht anvertrauen. Natürlich lebt es sich an den Hängen des Vesuvs in glückseeliger Beschaulichkeit – die meiste Zeit jedenfalls. Aber wenn er dann doch ausbricht, der Vesuv, dann ist halt nicht nur die Ernte vom letzten Sommer beim Teufel, sondern alles. Kapisch? Finis universalis! Und das muss es ja nun wirklich nicht sein, oder? Vielleicht lebt es sich gerade einmal 20km weiter auch nicht so schlecht, und die regelmäßige Totalvernichtung bleibt einem erspart? – Wie heißt es bei Hayek, Popper und Dahrendorf immer so schön: Der Fortschritt wäre einer des Irrens und Entdeckens? Warum unser Wirtschaftssystem von einem solchen Fortschritt ausnehmen? Der „Irrtum“ sollte mittlerweile offenkundig sein, aber wie steht’s jetzt mit dem „Entdecken“?
„Was also ist der Kapitalismus, ein Virus der Kostenrechnung und Gewinnorientierung, das man auch wieder loswerden kann, oder eine Institution der menschlichen Gesellschaft und ihrer Wirtschaft, die man durch Rahmung und Einbettung zähmen, aber nicht abschaffen kann?“
Tja, das ist die 64.000 Dollarfrage, nicht wahr?
Xenophon verdanken wir einen der frühesten Texte zur Ökonomie überhaupt, sieht man von den Rechenlegungen babylonischer und ägyptischer Palastwirtschaften ab, nämlich den sokratischen Dialog Oekonomikos, in dem sich Sokrates von dem Edelmann Isomachos erzählen lässt, wie man ein Haus gut führt. […] Aber wichtiger ist der Ausklang des Dialogs. Das Gespräch mit Isomachos endet mit der Einsicht in die Tugend der Sophrosyne, der Selbstbeherrschung. Nur wer das Geheimnis dieser Tugend beherrsche, herrsche über Subjekte, die sich freiwillig unterwerfen. Wer es jedoch nicht beherrsche, der sei dazu verdammt, tyrannisch über Subjekte zu herrschen, die sich nicht freiwillig unterwerfen, und das sei ein Schicksal, schlimmer als das des Tantalos im Hades.
Was ist das Geheimnis der Tugend der Selbstbeherrschung? Dirk Baecker offeriert am Schluß seines Werkes Max Weber. Liberale vom Schlage eines Hayek oder eines Popper rekurrieren üblicherweise auf Kant. Das habe ich zwar irgendwie noch nie verstanden, dass ausgerechnet in einem individualistisch-utilitaristisch geprägten Umfeld der Kantsche Imperativ angeblich immer dann einsetzt, wenn man ihn am dringendsten benötigt, aber sei’s drum: soll niemand behaupten, es gäbe zu Max Weber keine alternativen Wohlfühl-Konzeptionen.
Fazit: ein faszinierender Text von Dirk Baecker, den man zwar unbedingt als Abstraktion verstehen und von dessen ganze eigener Ästhetik man sich nicht in die Irre führen lassen sollte. Aber wer genau liest, stößt meiner Einschätzung nach auf ein wahres Kleinod.
Beim Streben nach Wissen wird...
Beim Streben nach Wissen wird täglich etwas hinzugefügt.
Bei der Einübung ins Tao wird täglich etwas fallen gelassen.
Weisheit waltet durch Nicht-Tun. Je mehr Verwaltung und Verbote, umso mehr Gewalt und Armut. Je mehr Gewalt und Waffen, umso mehr Unruhe und Widerstand. Je mehr Schlauheit und Berechnung, umso mehr Verschlagenheit und Rückschläge. Je mehr Verordnungen, umso mehr Feinde der Ordnun
Die Geldwirtschaft ist das...
Die Geldwirtschaft ist das Problem an der Oberfläche
Das Problem sitzt tiefer, und daher ist es an der Oberfläche der Finanzwirtschaft auch nicht vollständig zu begreifen, obwohl diese Definition „Schuldner in eigener Sache“ so nicht verkehrt ist. Aber sie trifft nur die (pervertierte) Erscheinungsform!
Wenn Werte auf dem Markt realisiert werden, werden sie das nur, weil ihnen ein „abstrakter Wert“ zugrunde liegt – abstrakte Arbeit. Und doch ist es so, dass diese abstrakte Arbeit gar nicht existiere, wenn es diesen Markt nicht gäbe. In jenem „Quidproquo“ (ein diesbezüglich häufig verwendeter Begriff von Marx im „Kapital“), dem ein mehrfach vermittelter dialektischer Prozess zugrunde liegt, nämlich des eines fortlaufenden (auch antagonistischen, siehe: Kapital und Arbeit) Widerspruchs, liegt das ganze Problem. Kapital und (abstrakte) Arbeit entstehen so besehen erst auf dem Markt, bricht dieser zusammen, ist es für beide die definitive Katastrophe. Es ist dann so, als wären sie nie gewesen, obwohl sie sich in der Produktion (und eben nicht in der Verteilung) – also solche aber eben nur substituierend – begegnen. „Existieren“ gewissermaßen, tun sie erst viel später. Marx formuliert das so: „Erst innerhalb ihres Austausches erhalten die Arbeitsprodukte eine von ihrer sinnlich verschiednen Gebrauchsgegenständlichkeit getrennte, gesellschaftlich gleiche Wertgegenständlichkeit“ (MEW 23, Kapital I, S. 87 – Die Ware). Abstrakte Arbeit, Wert, Kapital, ja Waren, sind gesellschaftlich vermittelte „Gegenstände“, welche hier also nicht wirklich sinnlich noch privat (d.h. ohne diese Gesellschaft eigentlich gleich Null) sind. Hinzu kommen die nun eingangs erwähnten Verzerrungen durch die Finanzwirtschaft („Überkreditierung“), die das Kapital auf dem Weg seiner Konstituierung noch einmal erheblich strapazieren, da zunächst weiter in Richtung Verflüssigung umleiten (und die Arbeit obsolet werden lassen, denn 25 % Zinsen – Ackermann – kann man in der Realwirtschaft nicht erwirtschaften). Genau genommen sollen die Profite nicht aus dem investierten Kapital gewonnen werden – das wäre nur die Referenz hierfür -, sondern aus jenen Momenten wo das Kapital sich jeweils kurz vor bzw. nach einer jeweiligen Investition befunden hat – als Kredit nämlich im Geldkreislauf. Idealerweise ist Geld somit eigentlich nicht wirklich als Kapital investiert, vom Standpunkt des Finanzkapitals! Diese Art von Profitmaximierung untergräbt dauerhaft die Substanz des Kapitals (wie der Arbeit), ist sozusagen räuberischer Natur. Eine Reproduktion des Kapitals kann daher nur als Nebenprodukt stattfinden.
Das heißt: Es kommen praktisch (im Verhältnis zur Geldwirtschaft) allein deshalb immer weniger reale Produkte auf den Markt, auf einen jenen, der für die Konstitution von Kapital wie Arbeit nachwievor von existentieller Bedeutung ist. Nicht nur die Substanz von Kapital, die (abstrakte) Arbeit, wird obsolet, sondern Kapital selber. Reale Produkte werden damit nicht nur unverkäuflich, sondern auch „unwertlich“. So ist die Karawane der „Verwertung des Werts“ zum Weiterziehen gezwungen. Es ist mehr als nur eine Ironie, wenn ausgerechnet die Hedge Fonds die dafür zu eignenden „Vollzugsbeamten“ werden, die münteferingschen „Heuschrecken“ also. Es klingt wahrlich verrückt: Kapital und Arbeit werden abgebaut, zu „Geld“ /Zertifikaten/Derivaten/Schuldscheine verflüssigt, damit die „Verwertung des Werts“ weiter stattfinden kann. Nur welchen Wert?- bleibt doch die bange Frage! Und es lässt einen nichts Gutes ahnen.
Ob es sich um ein Kleinod...
Ob es sich um ein Kleinod handelt, will ich nicht beurteilen. Es ist der Versuch den Kapitalismus nicht als eine historische Erscheinung zu betrachten, sondern ihn zu naturalisieren. Baecker verleiht im Ewigkeitswert. Das mag ja so sein, nur für mich ist seine Schlussfolgerung die entscheidende Passage im Text.
„Aber genau das ist der Kapitalismus, ein durch Gewalt erzwungener Verzicht auf sofortige Bedürfnisbefriedigung, um die dadurch gewonnene Zeit und die dadurch gewonnenen Ressourcen derart zur Produktion zu nutzen, dass der Verzicht aus den Früchten, die er bringt, entschädigt werden kann und diese Entschädigung schließlich zur intrinsischen Motivation werden kann, zur Grundlage der Sophrosyne.“
Ist der Kapitalismus wirklich ein durch Gewalt erzwungener Verzicht auf sofortige Bedürfnisbefriedigung? Das mag in der Phase der ursprünglichen Akkumulation der Fall gewesen zu sein, gab es aber ansonsten in modernen Gesellschaften nur in der Sowjetunion und China. Genau dort ging es in den 30er und 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts um den mit Gewalt erzwungenen Verzicht auf Bedürfnisbefriedigung zugunsten des Aufbaus einer modernen Industrie. Wittvogel nannte das die orientalische Despotie. Der entwickelte Kapitalismus lebt von seiner Fähigkeit scheinbar den Widerspruch zwischen Konsum und Investition aufheben zu können. Der Finanzkapitalismus hat das ja nun in einzigartiger Weise gezeigt. Selbst Assetblasen mit letztlich fiktiven Wertsteigerungen vermögen es einen Wachstumsschub auszulösen – wenn man die diversen Ungleichgewichte nicht zur Kenntnis nimmt oder sich daran stört. Der Kapitalismus hat also nichts mit Verzichtsethik zu tun, er suggeriert die Existenz einen Schlaraffenlandes. Es ist die Rückkehr in das Paradies, wo alle irdischen Nöte durch die Fähigkeit zum Kredit scheinbar beseitigt werden. Die doppelte Buchführung – also mein Vater verstand wirklich etwas davon – war ja nur deshalb ein Fortschritt, weil sie analog zu den Naturwissenschaften die wirtschaftliche Welt messbar werden ließ. Als ich ihm aber den Charakter dieser Krise erklärte und ihm vorschlug, er hätte doch einfach seine Vermögenswerte in der Bilanz etwa mit dem X-fachen des realen Wertes hätte bewerten können, rief er spontan aus: Das wäre ja Betrug gewesen! Unvorstellbar für einen ehrlichen Buchhalter, dass er systematisch Bilanzfälschung hätte betreiben sollen. Wie wir wissen, ist das das Prinzip des zusammengebrochenen Finanzsystems gewesen. Und man hat das sogar noch mit gutem Gewissen gemacht – und sich die entsprechenden Gehälter genehmigt. Der Betrug wird ja erst nach dem Crash als solcher erkennbar – und ich rede nicht von den Madoffs. Hier ging es gerade nicht um den ehrlichen Buchhalter wie ihn uns Baecker vorstellt. Im Gegenteil – es ging um die Aufhebung der Messbarkeit dessen was wir wirtschaftlich tun. Die heutigen Debatten um die bad bank sind ja das Ergebnis dieses Verlust an Messbarkeit. Wir können keiner Bilanz mehr trauen und die bad bank soll uns die Messbarkeit zurückbringen. Und damit das Minimum an Verläßlichkeit und Vertrauen in die Folgen unseres Handelns, die uns Menschen halt möglich ist.
Der Kapitalismus ist aber wie alles Irdische nicht sehr lange in diesen Garten Eden zu Hause. Im Boom versuchen alle – und nicht allen gelingt es bekanntlich – möglichst viele Früchte zu ernten. Der Boom ist die Gewißheit (oder der Wahn) im Schlaraffenland zu leben, dass der Konsum die Investition stimuliert und umgekehrt. Da ist von Entsagung nichts zu spüren. Und von Gewalt schon gar nicht. Selbstbeherrschung wird zu einer altmodischen Tugend, die dieses Mal wirklich endgültig keine Rolle mehr spielt. Die schlichten Geister propagieren dann die Gier als zeitgemäße Tugend. Erst mit dem Ausbruch der Krise bricht diese Fiktion des Schlaraffenlandes zusammen – und dass der Kapitalismus offenbar doch nicht im Garten Eden endet. Jetzt wird der Rekurs auf die Tugenden des Kapitalismus nützlich – mit Selbstbeherrschung, Bedürfnisaufschub und allen sonstigen Ingredenzien der gar nicht so modernen Ethik namens Bescheidenheit. Frau Horn hat ja auch schon die großen Fragen gestellt und gleich beantwortet … . Der Kapitalismus ist dann nicht mehr die wunderbare Produktivitätsmaschine, die wie geölt – strukturiert gewissermassen – uns aus dem irdischen Jammertal schnurstracks in den Garten Eden des ewigen Booms führt. Nein, dann ist der Kapitalismus plötzlich wieder eine Idee des Verzichts und der Einsicht in die Grenzen menschlichen Handelns – aber dafür unter dem Begriff „menschlich“ mit Ewigkeitswert ausgestattet.
Baecker hat einen wunderbaren Text darüber geliefert, welchen Zyklen die Legitimation des Kapitalismus ausgesetzt ist. Von der Propagierung der Gier zur Askese und wieder zurück. Wie schreibt Baecker:
„Was also ist der Kapitalismus, ein Virus der Kostenrechnung und Gewinnorientierung, das man auch wieder loswerden kann, oder eine Institution der menschlichen Gesellschaft und ihrer Wirtschaft, die man durch Rahmung und Einbettung zähmen, aber nicht abschaffen kann?“
Zähmung ist das spannende Thema. Da hat er Recht. Aber da sind wir ja schon auf gutem Wege … . Zum Leidwesen der Marktgeister bei uns im Blog wie ich gelesen habe.
@Devin08
da das aber so...
@Devin08
da das aber so ziemlich jedes Denkvermögen übersteigt, sucht man woanders,
„Es klingt wahrlich verrückt: Kapital und Arbeit werden abgebaut, zu „Geld“ /Zertifikaten/Derivaten/Schuldscheine verflüssigt, damit die „Verwertung des Werts“ weiter stattfinden kann. Nur welchen Wert?“
Das ist der Kern des Problems, das ein ungedecktes Tauschmittel bringt, das als einziges aller Güter keinem physischen Verfall unterliegt-und anders als seine pendants der Natur auch noch unendlich vermehrbar ist
Baeckers funktionale...
Baeckers funktionale Sichtweise sollte meiner Meinung nach nicht mit der Seligsprechung des Kapitalismus verwechselt werden. Ich bezweifle, dass er ihm „Ewigkeitscharakter“ verleihen wollte. Wenn er noch immer in den systemtheoretischen Kategorien von Luhmann denkt, dann wäre sein Urteil wohl eher: „Das ist der aktuelle Status der Geldwirtschaft, zu dem sich diese bis dato funktional ausdifferenziert hat, solange sie weiterläuft differenziert sie sich in irgendeine Richtung weiter, aber in welche wissen wir nicht.“ Das ist ja gerade, was ich an dieser ganzen Luhmann-Denke so spannend finde. Nicht das, was das suchende Kinderherz vielleicht gerne hätte, weil so ein klitzeklein Bisschen Determiniertheit – zumal auf Positives gerichtet – wäre ja durchaus was schönes – aber mei, das spielt’s halt net. In diesem Sinne bin ich übrigens – man mag es mir glauben oder auch nicht – voll bei Karen Horn: Natürlich sollten wir alle Vorteile des Systems mitnehmen wollen, das ist soch wohl völlig klar. Aber hinsichtlich der gelegentlichen Eruptionen des Vesuvs verkommt das ganze zu nicht mehr und nicht weniger als einer knallharten Kosten-Nutzen-Rechnung. Oder, um der alten Börsenweisheit zu sprechen: es gilt, die Gewinne laufen zu lassen, aber Verluste nach unten zu begrenzen.
Interessant ist aber, dass bei dieser funktionalen Sicht der Dinge am Schluß ausgerechnet Max Weber aufgerufen wird, den man eigentlich eher in einem institutionalistischen bzw subjektivistischen Vortrag vermutet hätte. Aber OK, so wie Baecker ihn montiert, gibt’s eigentlich nichts zu bekritteln.
"der Kapitalismus ist eine...
„der Kapitalismus ist eine Zumutung. Er ist eine intellektuelle Zumutung, denn wer steigt nicht bereits nach diesen wenigen Sätzen aus und hört auf mitzurechnen,“
Daraus könnte man voreilig schließen, der Kapitalismus bezöge seine Daseinsberechtigung daraus, das man noch keine genug leistungsfähigen Computer gefunden hätte, welche – vom Menschen gesteuert – diese Kalkulations- und Vermittlungsleistungen erbringen könnten.
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Aber nicht nur, dass ein solcher Planwirtschaftscomputer immer durch seine in der Vergangenheit liegende Programmierung determiniert wäre und also deshalb mit dem Wirtschaften, ja ein Handeln in eine unbekannte Zukunft hinein, überfordert wäre, da ist auch etwas anderes:
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Das Wichtige dem Staate anvertrauen, den Damen und Herren im Bundestage? Die hätten nach unternehmerischen Gesichtspunkten schon Bankerott gemacht!
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Seien wir doch alle froh, dass ein großer Teil unserer Gesellschaft, das Wirtschaftssystem nämlich, zum Gewinne machen verurteilt ist!
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Das zwingt zu einer entideologisierten, aktivistischen, an Sachzwängen statt parteipolitischen Ideologemen ausgerichteten Haltung. Unternehmer machen Bankrott, Politiker wechseln nur ein paar Jahre in die Opposition. Wer wird da wohl verantwortlicher handeln?
[Man muss nur beachten, dass Manager ähnlich geringe Konsequenzen für
<<Er ist eine praktische...> Dann wäre der Eigentümer ein abgeleiteter Gläubiger. Die These hat Charme und sie wird in 98% der Fälle auch zutreffen. Die übrigen 2% mögen die zusätzlichen Dimensionen des Eigentums für sich ausloten.
<
Kein Grund zur...
Kein Grund zur Verzweiflung
@Wisi: Es scheint so, als würde das Kapital (seine Staatsmacht) daran glauben, an diese „unendliche Vermehrbarkeit“. Es werden Milliarden locker gemacht, die durch nichts gedeckt sind, als durch die Hoffnung, auf eine profitreiche Zukunft. Allerdings glaube ich nicht daran. Ich denke, ein Teil der Herrschenden, ihrer „Think Tanks“, ihrer Buchmacher und Geldmacher, sind nicht halb so naiv, wie wir hier glauben möchten. Es zählt nicht die Substanz, das mag sein, und dies für eine gewisse Zeit, wenn man sich Hoffnung machen darf, dass die „Anderen“ die Rechnung bezahlen. Kapitalismus ist kein soziales System, das auf Ausgleich aus ist, es ist ein Raubsystem, indem der Gewinner für das Ganze steht. Die Verlierer werden weggeblendet. Die Abstraktion vom Realen erhält Glaubwürdigkeit dadurch, dass es immer noch Grund gibt anzunehmen, dass man persönlich reich dabei wird. Dies ist auch der Grund, warum man das Kapital nicht rein abstrakt, oder rein objektiv, bzw. deduktiv, analysieren kann. Die Brüche, die Sinnwidrigkeiten, die Paradoxien, die Absurditäten, geben den Raum für das Subjekt, für den Klassenkampf, für den Widerstand, für den Sinn, für die Logik („die Vernunft“), die Dialektik. Zusammen wird es ein Ganzes, ein höchst komplexes wie widersprüchliches, aber doch ein Ganzes. Ein solches, das bekanntlich mehr ist als die Summe ihrer Teile.
Auf sich alleine gestellt ist das Problem nicht begreifbar, nicht lösbar. Es gibt daher auch keine „innere Schranke“ (wie Robert Kurz annehmen möchte) der Verwertung – trotz der aufgezeigten jeweiligen Schranken. Diese Schranken können nur am Subjekt aufgebaut werden, sonst nirgendwo.
So betrachtet, kann das Kapital „ewig“ weiter existieren, und sei es auch als verloschener Stern. Vom Kosmos hinaus befördert werden, kann es nur durch das Subjekt, durch die Massen.
Es wäre sehr vermessen anzunehmen, dass die Massen erheblich dümmer seien als jeder einzelne von uns, wo wir doch zusammen diese Masse(n) bilden. Es gibt also keinen Grund zur Verzweiflung.
@Lübberding
Der "gewaltsame...
@Lübberding
Der „gewaltsame Verzicht“ von Baecker erscheint mir schon recht nach vollziehbar, auch in modernen Zeiten: er ergibt sich einfach aus dem Umstand, dass neben den Faktoreinkommen der Konsumgüterindustrie auch noch andere Einkommen anfallen, die Kaufkraft hinsichtlich des gesamten Konsumgüteroutputs darstellen. Sind also zB die Faktoreinkommen in der KG-Industrie 100, und in anderen Sektoren (Investitionsgüterindustrie, Staat, Soziale Transferleistungen, …) zusammen auch noch mal 100, dann bedeutet das nichts anderes, als dass bei maximaler Konsumneigung die Beschäftigten der KG-Industrie nur 50% ihres Outputs auch selbst konsumieren können. Der Rest geht an die anderen Faktoreinkommenbezieher. Soweit so gut.
Aber jetzt: Wenn in der VoWi 200 an Kaufkraft auf einen Konsumgüteroutput von 100 treffen, und letzteren zur Gänze vom Markt räumen, dann ist die Differenz zwischen 200 Gesamtkaufkraft und 100 Faktoreinkommen in der KG-Industrie exakt was? -> Yep, der Gewinn in der KG-Industrie. Und aus dem findet dann, über Käufe bei der Investitionsgüterindustrie (= Kapitalinvestitionen) der eigentliche Akkumulationsprozess statt, quasi in einem rekursiven, reflexiven Prozess. Die Investitionen fallen damit gewissermaßen den Unternehmen umsonst zu (Version Nell-Breuning) bzw die bösen Kapitalisten klauen den Arbeitern den „Mehrwert“ (Version Charlie M., Rosi L., Rudolf H.)
Natürlich ist der Umstand, dass sich der gesamte Output der Konsumgüterindustrie gemäß der relativen Preise für verschiedene Arbeitsleistungen auf alle Beschäftigten verteilt, trivial: Jede Arbeitsteilung basiert darauf, sonst könnte man sie ja gleich vergessen. Das besondere im Kapitalismus aber ist, dass jegliche über die Faktorkosten der Arbeiter in der Konsumgüterindustrie anfallenden Einkommen gleichsam als Unternehmergewinne anfallen. Nell-Breuning argumentierte daher ja auch immer für eine substanzielle Beteiligung der Arbeitnehmer an ihren Unternehmen.
Interessanterweise zeigt sich hier auch eine der Schattenseiten des modernen Wohlfahrtsstaats: wenn ich künstlich Einkommen schaffe, i.e. durch Staatsverschuldung, die Kaufkraft bezüglich eines begrenzten Konsumgüterausstosses darstellen, dann verbessere ich damit zwar die Lage der Empfänger dieser künstlichen Einkommen, verschlechtere aber die Situation für alle übrigen. Nehmen wir mal im obigen Beispiel an, aus Staatsdefiziten würden zu den 200 an Einkommen noch 100 an zusätzlichen Einkommen geschaffen (Renten, Sozialhilfen, Militärpersonal, Beamten, …), dann hätten wir also 300 an Kaufkraft in Bezug auf einen Output, der mit 100 produziert wurde. Je nachdem, ob Vollbeschäftigung herrscht oder nicht, hätten wir also einen mehr oder weniger hohen nominalen Preisanstieg bei Konsumgütern, in extremis von 200 auf 300. Was aber nichts anderes bedeutet, als dass die bisherigen Empfänger von 200 Einkommen, die sich damit den gesamten Konsumgüterausstoß leisten konnten, nunmehr nur noch 2 Drittel davon real leisten können. Der Rest ist reine Gewinninflation bzw im obigen Sinne Akkumulation (wenn auch nur nominal und nicht real).
@Thomas:
"Aber wer genau...
@Thomas:
„Aber wer genau liest, stößt meiner Einschätzung nach auf ein wahres Kleinod.“
Das trifft nur auf Luhmann-Spätentdecker zu. Und auch nur, wenn man sich auf Luhmann selbst bezieht statt auf diese Baeckersche Second-Hand-Version, die schon fleissig postmodern antikisiert und willkürlich Chromteile über die Karosserie verteilt.
Aber es ist beruhigend, dass du Lübberding dann wieder ganz korrekt mit Zahlen kommst.
Die „Zumutungen“ von Baecker sind halt ein catchall. Next train stop: Heideggers Geworfensein. Irgendwie kriegen wir es schon hin, die doppelte Buchführung als Fortschritt der menschlichen Selbstbeherrschung zu verkaufen, obwohl es bei Luhmann noch nüchterner klang. Vielleicht ist der Kapitalismus ja auch die Wirtschaftsordnung, in der sich das Seiende ins Sein entbirgt. Oder so – da habe ich mich im Gymnasium nämlich verweigert.
Die ganze Luhmann/Habermas-Diskussion um System- und Zweckrationalität, instrumentales und kommunikatives Handeln war da schon weiter als Baeckers Umkehrung des Vorzeichens in der von Adorno und Horkheimer angezettelten Diskussion um eine sekundäre Naturbeherrschung des menschlichen Wesens.
Ich komme also zu dem Schluss, dass Baecker meint, angesichts der Krise müsse jetzt ein entkomplexifizierter Luhmann her. Oder er meint es nicht so, kann es aber nicht besser sagen.
(Wobei ich zugebe, dass auch ich Luhmann ein wenig interpretiere. Er hat Texte über Kunst geschrieben, die mir inhaltsleer zu sein scheinen. Aber den Baeckerschen „Kunstgriff“ hätte er, glaube ich, vermieden.)