Wenn – wie man liest – sich selbst Edelkarossen-Hersteller Porsche jetzt um ein warmes Plätzchen unter Mama Angelas Rockzipfel bemüht, dann ist es wirklich höchste Zeit, Friedrich August Hayek zu bemühen und mal wieder ein wenig in seinem Anti-Staatswirtschafts-Klassiker „Road to Serfdom“ (deutsch: „Der Weg zur Knechtschaft“) zu blättern. Zudem wäre der österreichische Ökonom und Nobelpreisträger vor rund einer Woche, am 8. Mai, 110 Jahre alte geworden, da kann man ihm ohnehin ein wenig die Ehre erweisen, und das will ich nachfolgend gerne tun. Mit Robert Misik hatte ich mich ja letztens noch über Hayeks Werk unterhalten, am Wochenende dann mal wieder darin gelesen, und was soll ich sagen: Ja, es ist immer noch verdammt aktuell. Bei dem was die Damen und Herren Volksvertreter in Berlin so treiben – wer weiß, was da noch alles an schönen Dingen auf uns zukommt -, da liest man so ein Werk gerne schon mal zur Prophylaxe. Und auch wenn man die Ansichten Hayeks zu Sozialpolitik und Verteilungsgerechtigkeit nicht immer für der Weisheit letzter Schluß nehmen muss, als wortgewaltiger Mahner vor dem schleichenden Weg in den Totalitarismus ist er noch immer unerreicht. Sehen wir uns also mal auszugsweise an, was der Friedrich August da so schreibt:
„Kann man sich eine größere Tragödie vorstellen als die, dass wir in dem Bestreben, unsere Zukunft bewusst nach hohen Idealen zu gestalten, in Wirklichkeit und ahnungslos das genaue Gegenteil dessen erreichen sollten, wofür wir gekämpft haben?“
Nein, kann man nicht, und in der Tat ist diese Passage aus der Einleitung des Werkes für mich einer der Kerngedanken des Buches. Auf ihn kommt Hayek in „Road to Serfdom“ mehrfach zurück, spricht den sozialistischen Vordenkern keineswegs ihre guten Absichten ab, warnt sie aber gleichzeitig vor den realen Folgen ihrer Politik; davor, dass ihre hohen Ziele nichts weiter als eine Utopie wären, die in der Praxis ins Gegenteil verkehrt würde. Das macht er sehr vehement, wenn auch nicht in jener Art von persönlicher Bitterkeit, die man bei den an Stalins Sowjetunion verzweifelnden Edelmarxisten Rudolf Hilferding, Max Eastman oder Walter Benjamin herausliest, und die etwa Hilferdings Mahnung vor der totalitären Staatswirtschaft noch diese spezielle Art von „human touch“ angedeihen lässt. „Road to Serfdom“ wird 1944 veröffentlicht, zu einer Zeit, als der industrielle Westen politisch ziemlich rot ist oder ohnehin in Trümmern liegt. Hayek bewies also zumindest Chuzpe, ein solches Werk gerade zu diesem Zeitpunkt zu veröffentlichen, noch dazu überwiegend in einer Deutlichkeit abgefasst, die keine Missverständnisse aufkommen lässt. Das Buch machte gewaltigen Eindruck auf die Liberalen aller Herren Länder, so auch auf die Väter der deutschen „Sozialen Marktwirtschaft“: Eucken, Röpke (dessen Frau Eva die erste deutsche Übersetzung verfasste), Rüstow, Müller-Armack – sie alle rekurrierten auf Hayek in ihren später erschienenen Werken. Ja selbst ein John Maynard Keynes, der das Werk während seiner Schiffsreise nach Bretton Woods im Juni 1944 las, fand durchaus warme Worte:
„Ihr Buch ist großartig und wir alle sollten Ihnen aus vollstem Herzen dankbar dafür sein, dass Sie so gekonnt aussprechen, was ausgesprochen werden muss. […] Moralisch wie auch philosophisch betrachtet, sehe ich mich fast vollständig einer Meinung mit Ihnen; und Sie haben nicht nur meine Zustimmung, sondern meine tief bewegte Zustimmung.“
„Road to Serfdom“ ist natürlich zuvorderst ein Bekenntnis für die Marktwirtschaft, geht aber darüber hinaus: es war insbesondere auch eine Art Pilotlicht für die spätere Transformation der zentral gelenkten Wirtschaft Nazideutschlands in ein marktwirtschaftliches System. Anno 1944 war die Niederlage der Nazis absehbar, die Frage für die Alliierten also akut, wie man wirtschaftlich mit dem in Kürze geschlagenen Feind umgehen solle. Hayek wollte die Antwort darauf klar und unmissverständlich liefern, aber damit nicht genug: er wandte sich mit „Road to Serfdom“ auch an die Öffentliche Meinung der westlichen Siegermächte, die seiner Meinung nach selbst in erschreckendem Maße Vorstellungen übernommen hatte, welche er im Denken der Nazis ausmachte. Unsicherheit und Ziellosigkeit wirft er ihnen darin vor, was daran läge, dass sie von ihren eigenen Idealen und dem, was sie von den Nazis trennt, nur verworrene Vorstellungen besäßen.
Hayek verfolgte mit seinem Werk also durchaus ambitionierte Ziele. Grundsätzliche Überlegungen für die Nachkriegszeit wollte er darin anstellen, die Wirtschaft, Politik und Kultur einschließen und das Individuum im Spannungsverhältnis zwischen Staat und Gesellschaft darstellen sollten. Die Verwirklichung der Freiheit stand dabei im Vordergrund, und so ist dieses Buch gleichsam ein flammendes Plädoyer für die Individualität und eine ebenso dringende Warnung vor jeglicher Art von Kollektivismus. Der Begriff der „Freiheit“ erfährt bei Hayek – wie bei durchwegs allen liberalen Autoren – eine rein formal-rechtliche Definition. Von „politischer Freiheit“ schreibt er in diesem Kontext, im Gegensatz zur „wirtschaftlichen Freiheit“, die der Sozialismus darüber hinaus zwar verspräche, und weshalb er auf Intellektuelle wie auch die Menschen auf der Straße so anziehend wirke; ein Versprechen, das er aber nicht einhalten könne. Zudem eines, bei dessen Realisierungsversuch die politische Freiheit nur allzu leicht auf der Strecke bliebe.
Die unmittelbare Nachkriegszeit sah er daher vor einer grundlegenden, ordnungspolitischen Weichenstellung: entweder freier Wettbewerb oder zentrale Planwirtschaft – jegliche Form des „Mittelwegs“ zwischen diesen beiden Polen, wie er Alfred Müller-Armack zwei Jahre nach „Road to Serfdom“ in seinem eigenen Werk „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ durchaus vorschwebte, lehnte er entschieden ab. Ein solcher würde nur dazu führen, dass die Gesellschaft umso schneller auf eine vollständige Zentralwirtschaft zuliefe:
„Wenn wir trotzdem rasch einem solchen Zustand zutreiben, so zum großen Teil deswegen, weil die meisten Leute immer noch glauben, es müsse möglich sein, irgendeinen „Mittelweg“ zwischen „atomistischem“ Wettbewerb und zentraler Steuerung zu finden. Nichts erscheint in der Tat auf den ersten Blick einleuchtender und geeigneter, auf durchaus vernünftige Leute eine Anziehungskraft auszuüben, als der Gedanke, unser Ziel dürfe weder die äußere Dezentralisierung des freien Wettbewerbs sein noch die vollständige Zentralisierung nach einem einzigen Plan, sondern eine wohl bedachte Mischung aus beidem. Bloßer gesunder Menschenverstand erweist sich auf diesem Gebiet als ein unzuverlässiger Führer. […] Sowohl das Wettbewerbsprinzip wie das der zentralen Steuerung werden zu schlechten und stumpfen Werkzeugen, wenn sie unvollständig sind. Sie sind einander ausschließende Prinzipien zur Lösung desselben Problems, und eine Mischung aus beiden bedeutet, dass keines von beiden wirklich funktionieren und das Ergebnis schlechter sein wird, als wenn man sich konsequent auf eines von beiden verlassen hätte.“
Für eine Wirtschaftspolitik, die sich just diesem „dritten Weg“ verschreibt, bietet das Werk deshalb auch wenig konkrete Hilfestellungen, was u.a. von Keynes sehr scharf kritisiert wurde. Dass das Extrem einer sozialistischen Planwirtschaft keine große Verlockung darstellt, wird wohl keiner mehr bestreiten, aber wo genau die Grenze zwischen staatlich gelenkter und reiner Wettbewerbswirtschaft verlaufen soll, dazu bleibt der Meister sehr vage. Aber seine grundsätzliche Überzeugung ist eben, ganz die Finger davon zu lassen: es mag zunächst die beste und ehrlichste Absicht bestehen, schreibt er, mit zentralwirtschaftlichen Interventionen nur bis zu einem gewissen Punkt zu gehen und keinesfalls darüber hinaus – politische oder soziale Erwägungen würden schließlich doch dazu führen, dass dieser Punkt überschritten wird.
„Road to Serfdom“ ist – allen anderslautenden Gerüchten zum Trotz – kein Manifest des Laisser-faire – ganz im Gegenteil: wo der Wettbewerb aus irgendwelchen Gründen nicht funktionieren kann, sieht Hayek ganz klar den Staat am Zug. Auch sieht er, dass staatliche Zwangseingriffe in Fragen wie z.B. Arbeits- und Umweltschutz durchaus verträglich mit dem Wettbewerb sein können. Und selbst ein „ausgedehntes“ System der „Sozialfürsorge“ steht laut Hayek dem Wettbewerb nicht im Wege – solange es so organisiert wird, dass es ihn nicht weitgehend lahm legt. Was darunter genau zu verstehen ist, darüber schweigt er sich leider erneut aus, aber zumindest gibt es Hinweise:
„In allen Fällen, in denen eine Gemeinschaftsaktion Schicksalsschläge zu lindern vermag, die der einzelne nicht abzuwenden im Stande ist, gegen deren Folgen aber er ebenso wenig Vorsorge treffen kann, sollte zweifellos eine solche Aktion unternommen werden.“
Gleichzeitig lehnt er aber eine pauschale Sozialversicherung wegen vermeintlich negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb ab. Verteilungsgerechtigkeit käme als politisches Ziel ebenso wenig in Frage: wenn es extreme Einkommensunterschiede gäbe, schreibt er, dann wäre es allemal besser und für die Betroffenen auch würdevoller, wenn sie auf den „anonymen“ Kräften des Marktes beruhen, denn auf zentraler staatlicher Verteilungspolitik. Ebenso wenig kann er sich für staatliche Konjunkturpolitik zur Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit erwärmen. Und das, obwohl er sich der ungeheuren Bedeutung dieses Problems, insbesondere zur damaligen Zeit, durchaus bewusst war:
„Dies ist natürlich eines der ernstesten und dringendsten Probleme unserer Zeit. Gewiss wird zu seiner Lösung viel Planung im guten Sinn notwendig sein.“
Diese Einsicht hindert ihn aber nicht daran, noch im selben Absatz seinen großen Antipoden Keynes und dessen Konzept der staatlichen, fiskalpolitischen Steuerung zu kritisieren:
„Indessen fordert es nicht jene besondere Art von Planung, die nach Ansicht ihrer Verteidiger den Markt ersetzen soll. […] Andere glauben allerdings, dass ein wirklicher Erfolg nur von öffentlichen Arbeiten erwartet werden könne, die zur rechten Zeit und in sehr großem Maßstab vorgenommen werden. Das könnte aber zu einer weit größeren Einengung des Bereiches der Konkurrenz führen, und unternehmen wir Versuche in diese Richtung, so müssen wir vorsichtig zu Werke gehen, wenn wir vermeiden wollen, dass alle Wirtschaftstätigkeit in zunehmendem Maße von der Lenkung und dem Umfang der Staatsausgaben abhängig wird.“
Keynes schrieb ihm aufgrund dieser Passage eine scharfe Kritik, in der er ihm vorwarf, er würde moralische und materiell wirtschaftspolitische Fragen durcheinanderwerfen und sich um eigene Antworten drücken. Da er das Problem der Massenarbeitslosigkeit als solches erkannt habe, müsse er einsehen, dass die Grenze zwischen freiem Markt und staatlicher Intervention irgendwo gezogen werden muss. Er selbst hätte versucht, den Verlauf dieser Grenze nach seinen Vorstellungen aufzuzeigen, Hayek jedoch bliebe seinen Vorschlag schuldig.
Hayek wäre nicht Hayek, wenn das Buch nicht auch eine Reihe von Zitaten enthalten würde, bei denen es Sozialdemokraten, Linken und Gewerkschaftern die Zornesröte ins Gesicht treibt. Insgesamt ist es aber ein in meinen Augen recht unaufgeregtes Buch, das auch dadurch interessant wird, dass sich Hayek darin über weite Strecken direkt an den Ansichten großer Denker seiner Epoche abarbeitet, Karl Mannheim etwa, Walter Lippmann oder Werner Sombart.
In unseren heutigen, bailout-geschwängerten Zeiten, bietet „Road to Serfdom“ noch immer markante Orientierungspunkte. Die Politik setzt derzeit allerhand wirtschaftspolitische Akzente, die nicht nur jedem Hardcore-Liberalen, sondern auch ernsthaften Keynesianern die Haare zu Berge stehen lassen müssen: Bankenrettung hier, Opel-Rettung da, Abwrackprämie – alles Maßnahmen, die man mit einer Wettbewerbswirtschaft typischerweise nicht in Verbindung bringt. Es wäre interessant gewesen, Hayeks Kommentar zur aktuellen Situation zu hören, in welcher der von ihm so heftig kritisierte Sozialismus nicht zu leugnende Züge eines „Socialism for the Rich“ trägt bzw. darauf ausgelegt zu sein scheint, Kapitalinteressen mindestens ebenso zu schützen, wie die Jobs der betroffenen Arbeitnehmer. Alle diese Maßnahmen hätte er wohl rundweg abgelehnt, und in dieser Ablehnung ist ihm meiner Überzeugung nach zuzustimmen. Zumal es bei den heutigen Staatsinterventionen, im großen Gegensatz zu dem, was Hayek so scharf kritisierte, ja noch nicht mal um eine wie immer geartete höhere wirtschaftpolitische Logik geht, die man als solches gutheißen oder ablehnen könnte, sondern um nichts anderes als die Jagd nach Wählerstimmen. Während Hayek sich also noch darum bemühte, eine öffentliche Meinung zu bekehren, die von der Vision – aus seiner Sicht Utopie – einer besseren Welt beseelt war, treffen wir heute auf wenig mehr als parteitaktisches Kalkül und massentaugliche Interessenspolitik. Eine Politik, die in vielen Fällen noch nicht mal so tut, als ging es um etwas anderes als ihren eigenen Machterhalt.
Und ja: da wird Hayek, bei allem, was man ansonsten an dem Werk kritisieren könnte, plötzlich wieder brandaktuell.