Chaos as usual

Chaos as usual

Wer sich heutzutage in den Straßenschluchten des Kapitalismus bewegt, muss aufpassen, von einstürzenden Paradigmen und herabfallenden

Ist die ZEIT reif für die Post-Wachstums-Ökonomie?

| 120 Lesermeinungen

In der jüngsten Ausgabe der ZEIT beschäftigt sich Wolfgang Uchatius sehr eingehend mit dem Thema „Wirtschaftswachstum"; oder besser: mit der Abwesenheit desselbigen, denn sein Beitrag mit dem Titel „Wir könnten auch anders" dreht sich ausschließlich um die Frage, ob eine Post-Wachstums-Gesellschaft vorstellbar wäre, und wenn ja wie. Ich halte seinen Beitrag insgesamt für sehr gut, zudem verständlich auch für Leser ohne Doppeldoktor in Ökonomie und Sozialwissenschaften, daher will ich mich gerne etwas eingehender damit beschäftigen. Die Kollegen von der ZEIT haben sicherlich nichts dagegen, wenn ich die sagenhafte Popularität der FAZ-Website dazu nutze, einem gelungenen Artikel wie diesem zu einem deutlich höheren Share of Voice zu verhelfen.

In der jüngsten Ausgabe der ZEIT beschäftigt sich Wolfgang Uchatius sehr eingehend mit dem Thema „Wirtschaftswachstum“; oder besser: mit der Abwesenheit desselbigen, denn sein Beitrag mit dem Titel „Wir könnten auch anders“ dreht sich ausschließlich um die Frage, ob eine Post-Wachstums-Gesellschaft vorstellbar wäre, und wenn ja wie. Ich halte seinen Beitrag insgesamt für sehr gut, zudem verständlich auch für Leser ohne Doppeldoktor in Ökonomie und Sozialwissenschaften, daher will ich mich gerne etwas eingehender damit beschäftigen. Die Kollegen von der ZEIT haben sicherlich nichts dagegen, wenn ich die sagenhafte Popularität der FAZ-Website dazu nutze, einem gelungenen Artikel wie diesem zu einem deutlich höheren Share of Voice zu verhelfen.

Quasi zur Einstimmung auf das schwierige Thema verwendet Uchatius zunächst mal eine volle Seite auf das Dekor, spricht viel über die Adam Opel GmbH und ihre anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, präsentiert uns kurz deren Finanzchef Marco Molinari, dem – so Uchatius – als Privatmann ein bisschen weniger Wirtschaftswachstum womöglich ganz recht wäre, als Opel-Geschäftsführer aber definitiv nicht; dazu die statistischen Durchschnitts-Meyers, Heike und Martin samt Sohnemann Max, die ein monatliches Haushaltseinkommen von 3.250 Euro erzielen, einen Mittelklassewagen der Kategorie Opel Astra fahren, und die in 20 Jahren das anderthalbfache von heute verdienen würden, wenn – ja, wenn – die deutsche Wirtschaft stetig um 2% wächst und Meyers voll daran partizipieren. Und dann könnten sie sich theoretisch viel mehr kaufen als heute, sagt Uchatius; das würde sie aber keinen Deut glücklicher machen, sagt die Glücksforschung. Daher die Frage an Radio Eriwan: Wozu das Ganze?

Bevor diese Frage beantwortet wird, tritt auch Keynes auf – der bei solchen Debatten natürlich nie fehlen darf -, und präsentiert seine angebliche Überzeugung, dass eine hochentwickelte Wirtschaft kein Wachstum mehr braucht. An dieser Stelle müssen wir ein wenig korrigierend eingreifen, denn Keynes war der Meinung, dass eine entwickelte Wirtschaft unter ganz bestimmten Umständen kein Wachstum mehr braucht, die man kurz mit „Frieden“ und „Beschränkung auf Basisbedürfnisse“ zusammenfassen kann. Bedingungen, die bekanntlich heutzutage keinesfalls vorliegen, weder was die überproportionale Ressourcenverwendung für Rüstungs- und Militärausgaben betrifft, noch was die durch Werbung und Marketing sorgsam unterfütterten künstlichen Bedürfnisse des modernen Zeitalters anbelangt. Keynes‘ Traum vom „sanften Tod des Rentiers“ wird sich daher auf absehbare Zeit nicht erfüllen, und falls doch, dann nur deshalb, weil ihm ein allgemeiner sozio-kultureller Bewusstseinswandel vorausging, statt simpler ökonomischer Einsicht.

Soweit, so gut, und hätte sich Uchatius in seinem Dossier auf derlei Fingerübungen beschränkt: Ich würde bestimmt nicht hier sitzen und jetzt einen eigenen Beitrag dazu tippen.

Auf Seite 2 seines Vortrages kommt er aber dann zum Punkt:

„Nahezu jedes große Unternehmen muss sich Geld leihen, um Geld zu verdienen. Es braucht den Kredit, um Arbeit zu bezahlen, Maschinen zu betreiben, Autos zu bauen. Hinterher, wenn die Autos verkauft sind, werden die Schulden beglichen. Nur leider kann man sich Geld nicht umsonst leihen. Jeder Finanzvorstand wird versuchen, mit Banken und anderen Geldgebern möglichst günstige Konditionen auszuhandeln, aber das ändert nichts am Kern des Problems: Schulden haben die unangenehme Eigenschaft zu wachsen. Und deshalb wird jedes Unternehmen von seinen Schulden erdrückt. Außer es wächst ebenfalls. Deshalb also ist Opel in diesen Tagen der Krise von der Insolvenz bedroht, obwohl es immer noch ziemlich viele Autos verkauft, nur eben nicht genug. Und deshalb müssen sich die Ingenieure ständig Gedanken über neue Erfindungen machen.

 Es ist nicht der Durchschnitts-Meyer, der das Wachstum braucht. Es ist auch nicht die Arbeitsgesellschaft. Es ist der Kapitalismus selbst. Ohne Wachstum würde Opel nicht einfach nur einige Arbeiter entlassen. Es würde schlicht aufhören zu existieren. Genauso wie Daimler und Siemens und Bayer und BASF. Als Nächstes gingen die Banken pleite, die den Unternehmen das Geld geliehen haben. Und dann würde es auch nicht mehr helfen, die Arbeitszeit zu verkürzen, denn dann hätte überhaupt niemand mehr Arbeit.“

Dazu meint die schwedische Jury des diesjährigen Eurovisions-Song-Contests: Douze Points!

In ganz ähnlichen Worten lässt sich das übrigens in einem Meilenstein-Artikel des Bremer Professors Gunnar Heinsohn in der gestrigen FAZ (Serie „Zukunft des Kapitalismus“) nachlesen, die auch heute noch am Kiosk erhältlich ist. So sieht es aus, und kein Bisschen anders: Der Kapitalismus selbst ist es, der den Wachstumszwang erzeugt, und ob wir ihn nun schöngeistig „Marktwirtschaft“ oder „nachhaltiges Wirtschaften“ nennen oder mit sonstigen Euphemismen belegen: das ändert an dieser simplen Tatsache schlicht überhaupt nichts. Der „Kapitalismus ist ein Kettenbrief“ (Version Paul C. Martin), die „Autopoiesis der Wirtschaft verlangt nach immer neuen Zahlungen, sonst hört sie auf zu existieren“ (Version Niklas Luhmann) oder „Wie schafft es die Kapitalistenklasse, beständig 600 Pfund aus der Zirkulation zu entnehmen, obwohl sie beständig nur 500 Pfund in die Zirkulation gibt?“ (Version Karl Marx). Mann kann es also ideologisch drehen und wenden, wie man will, aber eines steht fest: Ohne neue Schulden, und damit zwangsweise neues Wachstum, läuft im Kapitalismus gar nichts. Wäre die Akkumulation des kapitalistischen Systems tatsächlich so verlaufen, wie sich die Lieschens und die Hans-Werners das so vorstellen, wir würden heute noch mechanische Webstühle betreiben oder in Kohlegruben unser karges Dasein fristen.

Weil Uchatius wirklich gut ist, belässt er es aber nicht bei saloppen Sprüchen, sondern fragt einen der wenigen Experten, die sich tatsächlich mit so was auskennen: Den ehrenwerten Schweizer Professor emeritus Hans-Christoph Binswanger, zufällig der Doktorvater von unserem Joe „Mister 25 Prozent“ Ackermann:

„Als ersten Schritt, den Wachstumszwang zu mildern, schlägt Binswanger vor, Aktiengesellschaften in Stiftungen zu verwandeln. Der Opel-Mutterkonzern General Motors zum Beispiel wäre dann noch immer in privater Hand. Aber er stünde nicht mehr unter einem solchen Expansionsdruck, wie ihn heute Kapitalgeber aus der ganzen Welt auf die Vorstände der Aktiengesellschaften ausüben.“

Binswanger kann sich zudem für Regionalwährungen und alle möglichen anderen Alternativen erwärmen, einige praktikabler als andere, aber allesamt zumindest wert, in aller Öffentlichkeit diskutiert zu werden. Binswanger ist kein alternativer Spinner und kein post-marxistischer Pseudo. Er weiß, wovon er redet, aber keinen interessiert’s.

Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Die öffentliche Diskussion über Alternativen zum Wachstumszwang findet nicht statt. Eine offenbar von Industrielobbys ganz und gar ferngesteuerte Politik zeigt keinerlei Interesse, jenseits des wohlfeilen „Nachhaltigkeits“-Bruhahas in derartige Themen mal konkreter einzusteigen; mal zu sehen, was es überhaupt an Ideen gibt, was davon kurzfristig umsetzbar wäre, was – wenn überhaupt –  nur langfristig. Ich hatte vor kurzem an dieser Stelle mit dem Gedanken gespielt, dass Bundespräsident Köhler bei seiner Berliner Rede, in der er die Abkehr vom Wachstumszwang in den Raum stellte, vielleicht tatsächlich mehr im Hinterkopf hatte, als bloß massentaugliche Rhetorik. Eine glatte Stunde hatte ich auf den Text verwendet, und in der Retrospektive kann ich nur frustriert feststellen: Was für eine Zeitverschwendung!

Wer es noch deutlicher haben will, für den ein kurzes Ständchen unserer hochverehrten Frau Bundeskanzlerin aus jüngsten Tagen:

„Die deutsche Wirtschaft ist sehr exportabhängig, und das ist nicht etwas, was Sie in zwei Jahren ändern können. Es ist auch nichts, was wir ändern wollen“

Genau. Müssen wir auch gar nicht, Angie. Das ändert sich nämlich alles ganz von selbst, wirst schon sehen.

Wird nur nicht sehr schön werden, fürchte ich.


120 Lesermeinungen

  1. stroblt sagt:

    @Enno

    Stimmt. Das ist ja im...
    @Enno
    Stimmt. Das ist ja im Prinzip auch Keynes‘ Idee gewesen, dass es eben weder groß was zu sparen noch zu investieren gibt, daher alle Arten von Einkommen mehr oder weniger konsumiert werden. Aber wie gesagt: ohne Vorliegen gewisser Nebenbedingungen ist das Eintreten eines solchen Zustands nicht sehr wahrscheinlich. Vor allem solange nicht, als Regierungen wie zB die deutsche auf eine stetige Akkumulationsphilosophie (aka „Supply Side Politics“) als Beschäftigungsmotor setzen.

  2. stroblt sagt:

    @Rüdiger Kalupner

    Ja, darfst...
    @Rüdiger Kalupner
    Ja, darfst Du. Zum wievielten Male eigentlich? 🙂

  3. Dagny sagt:

    Kein Wachstum heisst...
    Kein Wachstum heisst beibehalten des Status Quos- wie gut dass die Neanderthaler da anders dachten! Dass wir heute nicht mehr mit dem Pferdewagen herumfahren und Aspirin gegen Kopfschmerzen haben ist auch ein Zeichen von Wachstum, denn Ideen werden nur dann zu innovativen Produkten, wenn sich ein Kreditgeber findet, der diese Idee finanziert.

  4. Ashitaka sagt:

    @naivlikng

    In deiner...
    @naivlikng
    In deiner MINIÖKONOMIE fehlt das gesetzliche Zahlungsmittel namens GELD. Du fügst stattdessen mit Muscheln ein allgemein, jedoch fragwürdiges Zahlungsmittel ein. Wer verleiht den Muscheln ohne Nachdruck den geglaubten Wert?! Würde sowas in unserer Ökonomie allgemein als werthaltig empfunden werden? Nein! Und eben deshalb gibt es Gesetze, welche gesetzliche Zahlungsmittel als Allerorts übertragbar versprechen.

    Dein Modell geht davon aus aus das alle Produkte aus eigener Leistung ohne Subunternehmer geliefert werden. Die Tatsache das das uns bekannte Wirtschaften zeitliche Vorfinanzierungen benötigt drängt den Produzierenen dazu sich GELD für „die Schuldbefreiungen gegenüber seinen Subunternehmern“ zu beschaffen. Dies beschafft er sich bei seiner Geschäftsbank durch die Hingabe von Sicherheiten (Eigentumstitel) gegen GELD. Dieses GELD besitzt bei Übertragung auf die Subunternehmer schuldbefreiende Wirkung. Nach Begleichung seiner Schuld gegenüber den Subunternehmern besteht ein Darlehen gegenüber der Geschäftsbank, welches er durch Verkauf seiner Leistung versuchen muss zu tilgen. Er muss folglich einen positiven Cash Flow erzielen um sich von den Schulden gegenüber seiner Geschäftsbank zu befreien. Dies ist wie unsere Realität zeigt mit Termineinhaltungen verbunden, welche (auf ALLE Subjekte bezogen) alleine schon durch die Wechselwirkung abermillionen Kontrakte NIEMALS erfüllbar sind. Ein Verlustwirtschaften steht dem gleich!

    Deshalb bedarf es NEW KREDITS zur zeitlichen Überbrückung. Diese Kredite holt sich das Wirtschaftssubjekt gegen hingabe von Sicherheiten bei seiner Geschäftsbank, oder gegen erhöhten Zins bei Privatgeldgebern, welche bereits GELD der Geschäftsbank besitzen.

    Das Problem: Es werden ewig neue Kredite benötigt, die Sicherheiten in Form von Eigentumstitel sind jedoch begrenzt. Vergesse (auf einen Einzelkontrakt bezogen) niemals: Die Schuldbefreiung des Einen, gleicht der Schuldauferlegung des Anderen. Auf die Weltwirtschaft betrachtet ergeben sich ewige Ungleichgewichte.
    Herzlichst,
    Ashitaka

  5. der Zwang zum Wachstum kommt...
    der Zwang zum Wachstum kommt nicht aus der wachsenden Verschuldung, umgekehrt wird ein Schuh daraus: aus dem Zwang zum Wachstum entsteht meist wachsende Verschuldung.
    Ein Unternehmen erwirtschaftet im Normalfall eine Gesamtkapital-Rendite, die über den Fremdkapitalzinsen (diese reduziert um anteilige EE-Steuern) liegt; es ist also im Normalfall in der Lage, Fremdkapital zu tilgen anstatt zu akkumulieren. Wäre es anders, wäre das Unternehmen nach einer gewissen Zeit überschuldet, also pleite.
    In der Realität geht es nicht immer „normal“ zu:
    Das Unternehmen will oder muß – z.B.aus Konkurrenzgründen – wachsen, dann wächst idR auch das Fremdkapital, oft überproportional zur Bilanzsumme. Oder es werden mehr neue Unternehmen gegründet als alte abgewickelt….. Gesamtwirtschaftlich betrachtet wächst dann die Geldmenge, wenn der Saldo aus Kredit-Tilgungen und -Neuaufnahmen aller – incl.Staat – so ausfällt, daß die Kreditsumme insgesamt wächst, was in einer wachsenden Volkswirtschaft die Regel ist.
    Nicht die wachsenden Schulden erzeugen das Wirtschaftswachstum, sondern die Dynamik der Realwirtschaft drückt sich auch in wachsende Schulden und wachsenden Eigenkapital-Volumen aus.
    Da die Realwirtschaft aber zyklischen Schwankungen unterworfen ist, gibt es den Spezialfall, daß auch in der Rezession die Schulden wachsen können, wenn die Unternehmen nur so ihren Geschäftsbetrieb weiter finanzieren können. Das ist so lange unkritisch, als berechtigte Aussichten bestehen, daß die Unternehmen in der erhofften, kommenden Konjunkturerholung diese Schulden wieder zurückfahren können; gelingt dies nicht – z.B. weil die Erholung ausbleibt oder das einzelne Unternehmen nicht davon profitiert, kann es zur bilanziellen Überschuldung, also zur Pleite kommen. In der Rezession kann dann die gesamtwirtschaftliche Geldmenge schrumpfen, wenn es mehr Kreditvernichtung = Abschreibung uneinbringlicher Kredite als Neuausleihungen gibt; bis zur unteren Konjunkturwende ein sich selbst verstärkender Prozeß (positive Rückkopplung).
    Wenn die Unternehmen sehr hohe Renditen erwirtschaften, die sie nicht mehr sinnvoll im eigenen Betrieb reinvestieren können, wird das erwirtschaftete Geld der Realwirtschaft entnommen und in der Finanzwirtschaft investiert – Staatsanleihen, Aktien, Rohstoff- und andere Derivate. Warum ist die Reinvestition in die Realwirtschaft nicht mehr sinnvoll möglich? Weil durch die „Überrenditen“ der Unternehmen bei den potenziellen Nachfragern der Realwirtschaft die Kaufkraft fehlt, sie ist ja bereits in die „Überrenditen“ abgeflossen. Dies führt dann zu tendenziell rezessiven Konjunktureffekten bis hin zu der Depression, die wir derzeit erleben, wobei diese natürlich noch ganz andere, z.T. auch stärker wirkende Ursachen hat.
    Daß der Kapitalismus also ein „Kettenbrief-System“ ist, wie manche behaupten, kann ich nicht nachvollziehen; er ist dynamisch, oft instabil, nicht immer menschenfreundlich. Wenn man ihm erlaubt, wie in den letzten Jahrzehnten, unangemessene Überrenditen zu erwirtschaften, gräbt er sich selbst das Wasser ab, wie oben angedeutet; er gerät in die jetzt diskutierte „Legitimationskrise“.
    Kapitalismus ohne Wachstum? Falsche Frage! Da die menschlichen Bedürfnisse grundsätzlich nahezu unendlich sind…. angesichts der bekannten Probleme sollte es aber selbstverständlich sein, daß über die Qualität weiteren Wachstums und entsprechende steuernde Lenkungsmaßnahmen öffentlich diskutiert werden darf.

  6. @ Thomas Strobl um 21.38

    Ihr...
    @ Thomas Strobl um 21.38
    Ihr Hinweis erschüttert mich. Sollte die Ökonomie des Blog-Diskurses allein dem Ziel ‚Maximierung des Diskursstroms‘ gehorchen und der Schritt zur wahren Erkenntnis der Zusammenhänge und zur praktischen Anwendung unerwünscht sein? Will man das WAHRE hier tabuisieren? Soll das FALSCHE herrschen? Goethe hatte schon erkannt: ‚ Das Falsche hat den Vorteil, dass man immer darüber schwätzen kann. Das Wahre muß gleich getan werden, sonst ist es nicht da‘. Und er hätte wohl sofort die Teilnahme an diesem Blog gekündigt, wenn alle sich der Häme ‚Ja, Du darfst‘ stillschweigend anschlössen. Was ich sehr bedauerte.

  7. „Es ist nicht der...
    „Es ist nicht der Durchschnitts-Meyer, der das Wachstum braucht. Es ist auch nicht die Arbeitsgesellschaft. Es ist der Kapitalismus selbst. “
    Dabei denkt man sich: Der arme Durchschnitts-Meyer. Er ist Opfer des bösen Kapitalismus. Wird von ihm gezwungen im Wachstums-Hamsterrad zu laufen – bis er nicht mehr kann.
    Zur Erinnerung: Der Durchschnittsmeyer wohnt in einem Eigenheim (Reihenhaus im Vorort heisst es im Artikel) und fährt ein Mittelklasewagen.
    Weiter heisst es in der Zeit: „Heike Meyer ist 35 Jahre alt, ihr Mann Martin 2 Jahre älter“
    Man kann sich nach ca. 20 Jahren Arbeit bei einem Einkommen von 3.250€ ein Reihenhaus und ein Mittelklassewagen leisten?
    Nartürlich kann man! (es ist so selbstverständlich, dass man sich die Frage gar nicht stellt)
    Aber wie denn das bitte?
    Mit einem Kredit!
    Die Meyers können sofort das Haus haben, und nicht erst wenn sie den gesamten Kaufpreis zusammengespart haben. Dafür müssen sie allerdings etwas zahlen – Zinsen.
    Insofern profitiert gerade der Durchschnitts-Meyer enorm vom bösen Kapitalismus. Er Kann sofort Haus und Auto haben und nicht erst wenn er 40 Jahre gearbeitet und gespart hat.
    Würden die Meyers überhaupt 40 Jahre sparen um sich dann wenn sie alt und grau sind ein Haus zu kaufen? Wohl kaum.

  8. JWerther sagt:

    D'accord. Und die Ursache für...
    D’accord. Und die Ursache für die zwangsläufige Wende, ob wir es nun wollen oder nicht, wird das Ölfördermaximum sein. Z.B. sagt die Internationale Energieagentur in ihrem „World Energy Outlook 2008“, dass wir bis 2030 die zusätzliche Förderkapazität von 5-mal Saudi Arabien brauchen, um den Produktionsrückgang bei den bestehenden Feldern (6,7% pro Jahr) auszugleichen und dazu noch den wachsenden Verbrauch (BRIC Staaten) zu befriedigen. Selbst wenn man neue Felder und Quellen, die allesamt kleiner und schwieriger als die bisherigen sind, erschließt, kann man sich ausrechnen, dass man irgendwann von den Produktionsrückgängen eingeholt wird und die Gesamtproduktion sinkt. Dieser Zeitpunkt wird von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Ressourcen für 2020-25 erwartet. Mit dauerhaft hohen Ölpreisen, verursacht durch zunehmenden Produktionsrückgang und damit auch Ölmangel, werden der Globalisierung und Dienstleistungswirtschaft wahrscheinlich einige Pfeiler entzogen. Wenn die Ölproduktion jedes Jahr weiter fällt (egal was wir tun), ergibt das eine dauerhafte „rollende Rezession“ womit auch Schulden nicht mehr adäquat bedient werden können. Was dann?
    U.a. nachzulesen bei:
    https://www.n-tv.de/939588.html
    https://www.n-tv.de/943782.html
    https://www.worldenergyoutlook.org/2008.asp
    https://uu.diva-portal.org/smash/record.jsf?pid=diva2:169774

  9. nörgler sagt:

    Sehr geehrter Herr Thomas...
    Sehr geehrter Herr Thomas Strobl.
    Sie und auch Herr Wolfgang Uchatius haben beide etwas gemeinsam. Es ist ihnen vermutlich nicht aufgefallen, wie sollte es auch, aber um über Wirtschaft im Allg. und Wirtschaftspolitik schreiben zu können braucht der Mensch ein gewisses Grundverständis über eben diese Themen – und das haben sie beide auch, gewiss.
    Was Sie und Herr Wolfgang Uchatius allerdings nicht haben ist ein tiefgreifenderes Wissen (!) über – sagen wir – für den gemeinen Schreiber und Leser nicht immer ersichtlichen Prozesse, die unter der Oberfläche ablaufen. Der Unterschied zwischen ihnen beiden ist: Er ist Journalist und damit einer der Meinungsmacher, die täglich mit allerlei Quatsch die Zeitungen füllen. Sie hingegen sind einer derer, die den ganzen Mist glauben (!) und dann voller Tatendrang Kommentare oder Blogs schreiben und dadurch die Binsenweisheiten nur noch weiter in die Welt hinausblasen, ohne – und das ist der Punkt – die präsentierten Artikel auf stichhaltige Fakten zu prüfen.
    „aufmerksamer Beobachter und kritischer Kommentator“ – so heißt es jedenfalls in ihrer Info – gut gelacht habe ich daraufhin! Danke sehr!

  10. Daniel sagt:

    @Thomas Strobl: Aber gucken...
    @Thomas Strobl: Aber gucken wir uns doch die Nebenbedingungen mal an, und damit meine ich nicht nur „Frieden“ und „Deckung der Grundbedürfnisse“, das ist doch noch viel mehr, zB. halbwegs gleichverteilte Einkommen oder die Abwesenheit von Neid. Weil wenn man das letzte Jahrhundert ansieht, dann scheint es mir eine wahnsinnig starke Korrelation zwischen politisch wünschenswerten Dingen (individuelle Freiheit, Demokratie, Chancengleichheit usw.) und starkem Wirtschaftswachstum. Auf der anderen Seite sieht man überall dort, wo die Wirtschaft stagniert und sich die Lebenslagen vieler Leute nicht verbessern (oder verschlechtern), das entstehen von „wir vs. die“-Dynamiken; das sieht man im Vorkriegsdeutschland, oder -japan und das sieht man auch heute wieder, mit dem Aufkeimen von Protektorismus und Nationalismus. Eigentlich sieht man das überall, wo es über lange Zeit kein Wachstum gibt, gibt es wahnsinnig schlechte Regierungen — und sogar wenn schlechte Regierungen Pro-Wachstumsziele äußern, dann verbessern sich die Situationen der Menschen auf jedem Level … auch auf der individuellen/politischen (China, auch wenn das immer noch weit von uns weg ist). Da kann man eine Zeit lang darüber meditieren, wie rum die Kausalität genau läuft, aber ich finde das Ben-Friedman-Argument aus „The Moral Case for Economic Growth“ recht plausibel, nämlich, das sie im wesentlichen von „steigender Wohlstand“ nach „mehr Freiheit“ läuft.
    Darum fürchte ich, das wenn man jetzt (oder „nach der Krise“) auf eine Null-Wachstums-Wirtschaft abziehlt, wirklich sozialen Unfrieden heraufbeschwört und damit seine eigenen kritischen Nebenbedingungen verstärkt. Eine Null-Wachstums-Ökonomie ist ein politisch instabiles Gleichgewicht.
    Ich sehe auch nicht, wo die ganzen Probleme mit der Wachstumsökonomie sind, gut, vielleicht wachsen die Zinsen und Schulden (ich denke zwar, das Argument ist recht unplausibel, aber hey), aber das passiert schon seit den Zinsen der Alten Römer und ich sehe nicht, wieso wir jetzt an einem kritischen Punkt angekommen wären. Dazu kommt, das die drastischen ökologischen Konsequenzen auch nicht wirklich auf uns zukommen (nach IPCC kostet uns der Klimawandel in 100 Jahren etwa 4% unseres BIP … also etwas weniger als die aktuelle Wirtschaftskrise) und von einem „Peak Everything“ ist auch weit und breit nichts zu sehen, die Rohstoffpreise inflationsbereinigt sind recht flach.

Kommentare sind deaktiviert.