Ich will diesen Beitrag mit einem Bekenntnis beginnen. Ein Bekenntnis, das schon lange überfällig war, das in mir drängt und schmerzt, schon seit Jahren, mit dem ich ringe, gegen das ich mich stemme, verzweifelt, resignierend, manchmal obsiegend – dann drücke ich es wieder zurück in das tiefe, dunkle Etwas meiner Seele -, dann aber wieder auch nicht, wenn es mich übermannt, wenn ich es förmlich hinausschreien möchte, in die Welt, alle sollen es hören, alle sollen meine Verzweiflung teilen, alle sollen meinen Schmerz fühlen:
ICH BIN SÜCHTIG!
Ja: süchtig, süchtig, süchtig! Jetzt ist es raus. Meine Sucht, sie ist erbarmungslos, sie hat von meinem gesellschaftlichen Leben Besitz ergriffen, sie bemächtigt sich fast jeder Minute meiner Freizeit – der Abende, der Wochenenden, ja selbst im Büro gelingt es mir bisweilen nicht, meine diabolische Neigung zu unterdrücken. Ich sitze dann vor dem Computer und suche, halte Ausschau nach immer neuen Objekten der Begierde, frequentiere die Websites der einschlägigen Dealer, hungrig, durstig, manchmal aber keine körperlichen Regungen mehr spürend, blind vor Sehnsucht, dagegen nur oberflächlich ankämpfend, mich schlussendlich immer wieder erneut ergebend. Meine Sucht – sie ist stärker als ich. Sie hat mich unter Kontrolle. Ich bin ihr ergeben.
Meine Dealer sind schuld. Man stelle sich vor: Sie betreiben ihr schmutziges Geschäft in völliger Legalität! Keine Polizei hindert sie daran, kein staatliches Ordnungsamt, keine Politik! Sie stehen mir gegenüber, in ihrer ungeschmälerten, kaltherzigen Übermacht. Meine Droge, sie halten sie nicht nur vorrätig, nein, sie präsentieren sie geradezu, offensiv und ohne moralische Schranke; mir, von dem sie doch mittlerweile wissen – ja, wissen!, aus Hunderten von bereits gelaufenen Deals können sie das doch ersehen! -, dass ich ihnen völlig schutz- weil willenlos ausgeliefert bin: ausgerechnet mir halten sie ihr Teufelszeug unter die Nase, kaum dass ich ihre Websites angeklickt habe. „Du hattest doch letztens soviel Spaß mit dem Stoff da – willst Du dann nicht mal das hier versuchen? Das könnte dir gefallen!“. Wie sollte ich da widerstehen können? Wer wollte mich da davon abhalten, mich wieder einmal restlos zu verausgaben, meine finanzielle Existenz zu riskieren, für den Kick, für dieses eine Mal, dieses eine Mal noch, ja, OK, dann lasse ich es ja gut sein. Aber dieses eine Mal noch! Come on … Diesmal hast du dich unter Kontrolle, weißt, dass es das letzte Mal sein wird, dass du dann endgültig damit aufhörst, dir zuliebe, deiner Familie zuliebe. Aber dieses eine Mal noch.
Und was macht der Staat? Er guckt weg. Nein, stimmt ja gar nicht: Er beteiligt sich sogar aktiv an diesem schändlichen Treiben! Er ist ein Mittäter, er profitiert davon, ihm ist es egal, wie es mir dabei geht. Die Post, ja die Post!, die gelbe, sie ist sein Werkzeug; mein Briefträger kennt mich, der weiß längst schon, was los ist, der versucht sein zynisches, schadenfrohes Lächeln auch gar nicht mehr zu verbergen, wenn er mir wieder einmal eine Sendung meiner Dealer an die Haustür bringt. „Na, Herr Strobl? Ist es wieder einmal so weit? – Na, dann wünsche ich Ihnen aber ein schönes Wochenende damit!“ – Was habe ich dem Mann getan? Er weiß doch, wie es um mich steht, dass ich nicht anders kann, dass ich es versuche, jeden Tag aufs Neue, dass ich mich wehre – vergeblich. Niemand kann mir helfen.
Meine Familie? Die Kinder? – Längst gegessen. Ich habe – das will ich ehrlich gestehen – auch gar nicht versucht, es vor ihnen zu verbergen. Wie hätte ich das tun sollen? Die Päckchen mit dem Stoff stapelten sich ja allzu oft direkt hinter der Eingangstür, wenn ich wieder einmal eine Großbestellung aufgegeben hatte, und die just geliefert wurde, als ich noch in der Arbeit war. Am Anfang war ihnen das vielleicht noch nicht klar, worum es dabei ging, was genau sich in diesen Päckchen verbarg. Aber irgendwann … eine Sendung aus Versehen geöffnet, zack: schon war’s passiert: „Papa, nicht schon wieder!“
Alleine schon ihretwegen muss ich meine Sucht in den Griff kriegen. So kann es nicht weitergehen. Ich brauche Hilfe.
Frau Bär, Frau Dorothee Bär, CSU-Abgeordnete, jung, dynamisch, engagiert, um das Wohl ihrer Mitmenschen besorgt: Ist sie vielleicht meine Rettung? Sie scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben, ist bereits mit ihren süßen 31 Jahren den Hinterfotzigkeiten der Moderne auf die Schliche gekommen, die für schlichte Gemüter wie mich vor allem eines bedeutet: Sucht, Sucht, Sucht – und neuer Stoff überall, Dealer an jeder virtuellen Straßenecke. Dagegen will Frau Bär angehen, wie es scheint. Will den Opfern zu Hilfe kommen, sie aus ihrem Elend befreien, ihnen den Weg weisen in ein anderes Leben, ein schöneres Leben, ein besseres Leben. Ein suchtfreies Leben!
„Fachleute sagen, dass alles, was über fünf Stunden am Tag hinausgeht, bedenklich sei“, meint Frau Bär im Interview mit der FAZ; und damit hat sie mich natürlich auf dem Schirm, klar, kein Zweifel. Wenn ich mal wieder „high“ sein will, abends nach dem Büro oder an regnerischen Wochenenden, dann sind fünf Stunden ja nix. 5 Stunden, pah – lachhaft! Bei Erstversuchern vielleicht, aber doch nicht bei Schwerstabhängigen wie mir.
Aber was höre ich da? Es klingelt an der Tür. Das wird doch nicht wieder? Habe ich noch eine Bestellung offen … stimmt! Jetzt aber schnell runter und aufgemacht….
Dasselbe gemeine Lächeln des Briefträgers wie immer; dasselbe scheinheilige „Wünsche viel Spaß damit!“ – in letzter Zeit versucht er ja noch nicht mal mehr, mit seiner Schadenfreude hinterm Berg zu halten. Seit einigen Monaten geht das schon so, seit er gemerkt hat, dass ich meinen Stoff nicht mehr nur bei Amazon bestelle, sondern über ZVAB bei den Antiquariaten auf der ganzen Welt. „Gucken Sie mal, diesmal sogar was aus Australien dabei“, meinte er letztens, schon halb im Gehen. Ja klar: „Tribal and Peasant Economies“, von George Dalton. Schwer zu bekommen, aber für Schwerstabhängige wie mich kein Problem, und wenn ich dafür bis zur Research Library der Reserve Bank von Sidney gehen muß. 530 Seiten wie unverschnittenes Gras frisch aus Afghanistan: über die Tutsis, die Kulas, Rossel Island, den Potlach und die Pomo. Ich werde Stunden und Tage damit zubringen, in mich versunken, teilnahmslos und ohne meine Umgebung auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. Meine dunkle Seite wird wieder von mir Besitz ergreifen, wie eine erbarmungslose Geliebte, niemanden sonst neben sich erduldend. Meine Frau wird schimpfen, die Kinder werden nörgeln – aber es wird nichts helfen.
Ich bin meiner Sucht ausgeliefert, ich kann ihr aus eigener Kraft nicht entrinnen: Ich bin ein Lese-Junkie!
Frau Bär, haben Sie Erbarmen: Helfen Sie mir! Bitte!
Na, herzliches Beileid! Klingt...
Na, herzliches Beileid! Klingt ja wirklich nicht gut. Man sollte twas dagegen unternehmen. Wie wär’s mit zwangsbedröhung vorm Fernseher?
Ich weiß gar nicht, warum...
Ich weiß gar nicht, warum viele ältere Menschen (in etwa die über 18 Jahre) so unglaublich dumm sind. Das ist unbegreiflich. Da möchte man manchmal fast mit Herbert Grönemeier summen.
Grüße
ALOA
Da hilft nur die harte Tour:...
Da hilft nur die harte Tour: Fünf Stunden am Tag diese Website anstarren
https://www.dorothee-baer.de
Entzugserfolg in kürzester Zeit garantiert.
Augenarzt statt Internet!
@Karl
Danke - oder, wie man...
@Karl
Danke – oder, wie man bei uns CSU-Fans sagt: „Vergelt’s Gott!“ – für diesen Tipp, aber alle schon versucht, nichts geholfen. ARD, ZDF, RTL, Premiere, Desperate Housewives, Tatort, Nipp Tuck … keine Chance.
Nein: der Staat muß sich darum kümmern. Nur er, unter Frau Bärs sachkundiger Führung, all der Lebenserfahrung, die sie mit ihren 31 da in die Waagschale werfen kann – nur er kann mir helfen!
Ich würde raten, die...
Ich würde raten, die Bibliothek aufzusuchen. Durch die Verbünde, die sie gebildet haben, sind sie sehr leistungsfähig, nur wenig läßt sich nicht beschaffen. Mir scheint, es ist keine Lesesucht, die dahintersteht, es ist die schlichte Kaufsucht, das bedröhnende Gefühl, ein Päckchen im Briefkasten zu sehen, der tägliche Adrenalinschub, auf Päckchen zu warten, Päckchen auszupacken, Waren online zu bezahlen, was mit dem Zahlen auf ein australischen Konto natürlich kaum noch zu übertreffen ist, die Versicherung, ein cooler, moderner Mann zu sein, trotz langweiliger Kinder und Frau.
@Jürgen Schwarz
Es ist viel...
@Jürgen Schwarz
Es ist viel schlimmer es ist die blanke Gier der Drang die Bücher zu besitzen sich mit Wissen das Gehirn vollzustopfen wie es andere mit Burgern machen… Ja ich beisse in den Apfel und schlinge ihn runter ich Sünder… Ich bin ein schlechter Mensch und wenn die Hölle auf mich wartet hab ich die Unendlichkeit um mich bei Gott zu entschuldigen…
Würde sie gerne an die Stelle...
Würde sie gerne an die Stelle von Sabine Bätzing setzen. Endlich mal jemand mit praktischer Erfahrung.
Der hochverehrte Herr Strobl...
Der hochverehrte Herr Strobl bezieht sich wohl auf diesen Text: https://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~E26881762212C470182DCDB3FCB2683EC~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Ich fürchte, wer nicht (wie wohl die meisten hier) ebenfalls rettungslos verloren ist, wird den Bezug nicht ohne Link herstellen können.
Für mich war der Artikel von Frau Bär jedenfalls auch ein Augenöffner. Bis dato war mir nicht klar, wie tief der Graben zwischen dem durchschnittlichen CDU-Wähler und den vernünftigen, den Herausforderungen des 21sten Jahrhunderts gewachsenen Menschen wirklich ist.
@ T. Strobl
"530 Seiten wie...
@ T. Strobl
„530 Seiten wie unverschnittenes Gras frisch aus Afghanistan“
Aus Afghanistan ? Du bist aber auch nicht auf dem Laufenden 🙂
Aber lass dich bloß nicht von Frau Bär erwischen, wenn du mal gerade in einem Rauschzustand ungezügelter Lesesucht bist, sonst gibts demnächst ne Kopf(schuss)pauschale:
https://www.dorothee-baer.de/images/bundespolizei%20oerlenbach.jpg
Dann mal das hier...
Dann mal das hier LESEN:
https://www.handelsblatt.com/politik/international/schweiz-fuerchtet-neuen-grossbanken-kollaps;2371091
…der Titel ist Blödsinn, der Inhalt eher weniger! Hoffentlich setzen sich unsere Schweizer damit mal durch…