Chaos as usual

30% auf alles, inklusive Tiernahrung

Die Krise wütet und Banken fallen
Das Gespenst der Armut zieht durch das Land

Die falschen Propheten sich weiter gefallen
Ein wackerer Held uns nimmt bei der Hand

Die Schulden des Landes, wer wird sie begleichen?
„Wo kommt das Geld her?“ rätselt das Land
Seid nicht bange, das machen die Reichen
Nicht mehr lange sie so genannt

(aus: Politisches Gedicht, ca. 1932)

 

Wahrscheinlich hätte Oskar Lafontaine auf dem jüngsten Parteitag der Linken auch das Manna vom Himmel regnen lassen können – die vernichtende Kritik der erhabenen Loge der Leitartikler wäre keinen Strich positiver ausgefallen. NATO abschaffen? Mindestlohn einführen? Vermögenssteuer für Reiche? – Gleich in mehrfacher Hinsicht der casus belli für das Elitekommando der bundesdeutschen Nachrichten-Streitkräfte: Was nicht sein darf, das kann nicht sein. Ende der Durchsage. Over and out.

Sehr schade, meiner bescheidenen Meinung nach; zumal ich glaube, dass das professionelle Auge der medialen Beobachter sich von typischen Parteitags-Kindereien allzu leicht ablenken hat lassen, wie dieser Ode an die Friedfertigkeit, die in dem Beschluss zur NATO zum Ausdruck kommt. Denn seien wir uns mal ehrlich: Einseitig die NATO abschaffen oder auf einen Weltmeistertitel für die DFB-Elf pochen – worin bestünde da in der Praxis der Unterschied? Beide Anliegen sind jenseits von Gut und Böse, nicht spruchreif, absolut unrealistisch, damit muss man sich doch wirklich nicht lange aufhalten! Wer so was fordert, der will lediglich ein Zeichen des guten Willens gegenüber den zahlreich erschienenen Fans setzen, sie für ihre Mühen und ihr persönliches Engagement belohnen, aber damit doch nicht wirklich ein politisches bzw. sportliches Programm bestreiten! Das weiß man doch. Jede Zeile darüber deshalb eine verschwendete Zeile.

Viel interessanter hingegen scheint mir, dass die Linke als einzige Partei in Sachen Steuerpolitik Tacheles redet: Einkommenssteuer rauf, Vermögenssteuer rein, Börsenumsatzsteuer auch – der Millionär soll zahlen. Unerfreulich, höchst unerfreulich – aber so weit hergeholt ist die Idee andererseits auch wieder nicht. Die Wahrheit lautet nämlich schlicht – das erkennt auch der ungeübte Beobachter auf einen Blick: Der Staat braucht Geld. Und absehbar braucht er sogar richtig viel Geld. Das Gespenst des einbrechenden Steueraufkommens macht die Runde, die Schreckenszahl von 300 Milliarden kursiert durch die Gassen, nur um sich in der Mitte des Dorfes mit einer nicht minder fürchterlichen Erscheinung zu vereinen, den rasant wachsenden Sozialausgaben nämlich, der steigenden Arbeitslosigkeit ist’s geschuldet.

So ist das eben: Wenn man keine von beiden sehen will, dann kommen sie stets zu zweit – unangenehm, aber schon so oft geschehen. Auch wenn es einige Berufene weiterhin nicht wahrhaben wollen, unsere ehrenwerte Frau Bundeskanzlerin zum Beispiel, die sich wie immer wendet und windet, ihr demütiges Volk mit semantischen Kabinettstückchen zu unterhalten trachtet, dabei letztens sogar den Begriff „Steuersenkung“ in den Mund genommen hat. „Was schon wieder?“, durchfuhr es da zunächst freudig die Erben und Chefarztwitwen zwischen Starnberger See und Hamburg Blankenese, ihre fortgesetzte Glückssträhne kaum fassend. Aber das Entzücken währte nur kurz, denn auch sie mussten alsbald zerknirscht einsehen: Wer angesichts der aktuellen Nachrichtenlage von Steuerentlastungen für alle schwadroniert, ist a) gemeingefährlich b) in seiner Wahrnehmung gestört oder c) hartnäckiger FDP-Sympathisant. Von letzteren soll es zwar noch immer eine ganze Menge geben, wenn man jüngsten, besorgniserregenden Berichten Glauben schenken darf; aber dass ausgerechnet die Kanzlerin, so umsichtig wie sie sich bislang stets gezeigt hat, in Guidos brachial-radikalen Steuerfußstapfen wandeln möchte, das klingt dann doch eher unwahrscheinlich. Bleiben a) oder b), wobei „gemeingefährlich“ für einen deutschen Politiker aus dem konservativen Lager kein wirkliches Unterscheidungsmerkmal mehr ist, sondern ganz im Gegenteil: ein „Erkennungszeichen“; bleibt daher als plausible Antwort im Prinzip nur b), die gestörte Wahrnehmung.

Die zählt zu den ganz üblen Leiden, das wissen wir, seit wir alle zusammen anfangs 2006 dachten, wir wären kollektiv von ihr befallen, damals, als aus der kategorischen Ablehnung einer Mehrwertsteuererhöhung durch die einen, und der Ankündigung einer bloß 2-prozentigen Erhöhung durch die anderen, schließlich der „Kompromiss“ einer 3-prozentigen Erhöhung geboren wurde. Mich durchfuhr damals ein jähes „Ich glaube ich spinne!“, und noch nie war ich als Österreicher meinen deutschen Brüdern und Schwestern im Geiste so nah, denn 82 Millionen Bundesbürger dachten in diesem Augenblick sicher das Gleiche.

Aber so geht’s eben dahin, noch zerreißen wir uns alle das Maul über den Gysi und den Lafontaine, schimpfen über die populistisch motivierte Abzocke, die elende, linke Neidgenossenschaft, und spätestens ab Januar 2010 fragen wir uns dann einmal mehr, warum wir eigentlich trotz angekündigter Steuersenkung durch die CDU/CSU und moderater Steuererhöhungspläne durch die SPD plötzlich 30% Mehrwertsteuer auf alles bezahlen, inklusive Tiernahrung.

Mehrwertsteuern erhöhen ist bekanntlich eine der Lieblingsbeschäftigungen der deutschen Politik, das kann sie gut, darin hat sie mittlerweile langjährige Übung, wenn man so will ist das eine fiskalische Kernkompetenz. Angesichts der News vom Binnenmarkt natürlich das exakt falsche Mittel, das wirtschaftspolitische Pendant zur irrtümlichen Beinamputation am Patienten mit Blinddarmentzündung, die Verwendung von Schweine- statt Kalbsfleisch für ein echtes Wiener Schnitzel, die Aufstellung von Michael Ballack in einer DFB-Elf, die irgendwann noch mal einen Titel gewinnen soll. Mit einem Wort: die Mutter aller Fehlentscheidungen!

Aber andererseits: Überraschen würde es mich nicht, schon die jüngste Schelte aus Frau Merkels kritischem Munde in Richtung der sich verzweifelt gegen die Deflation stemmenden Notenbanken hinterließ den recht unkomfortablen Eindruck, die Kanzlerin habe womöglich keinerlei Ahnung, was konjunkturell derzeit so vor sich geht. Und selbst ausgewiesene Ökonomie-Profis stellen neuerdings eine drastische Mehrwertsteuererhöhung als reale Perspektive in den Raum, wie dieser Beitrag des SPIEGEL zeigt. Man sollte also wohl besser auf das Schlimmste gefasst sein!

Da scheint mir das Programm der Linken nicht gänzlich vom anderen Stern zu sein. Selektive Steuererhöhungen für die Vermögenden oder Mehrwertsteuererhöhungen für Alle – darauf läuft die politische Alternative wohl hinaus, die im September zur Wahl steht. Aber an echte Steuersenkungen glaubt im Ernst ja wohl keiner mehr. Warum Müntefering und Steinmeier da weiterhin die Fiktion kultivieren müssen, die SPD könne unmöglich mit den Linken koalieren, bleibt ihr Geheimnis. Und Merkel wäre ihrerseits gut beraten, im Wahlkampf erst gar nicht groß über Steuersenkungen zu reden, allenfalls den ungestümen Guido ein wenig im Zaum zu halten. Und falls nicht, dann wünscht man Schwarz-Gelb einen überzeugenden Wahlsieg und satte Mehrheiten für die nächste Legislaturperiode: Zu sehen, wie CDU/CSU und FDP aus der Nummer wieder rauskommen wollen, ohne entweder Wahlversprechen zu brechen oder Rekorddefizite in Kauf zu nehmen, könnte gleichermaßen interessant wie unterhaltsam werden.

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