Des stärkeren Recht ist stets das beste Recht gewesen
Ihr könnt’s in dieser Fabel lesen
(aus: Jean de La Fontaine, Sämtliche Fabeln)
In der heutigen Ausgabe der ZEIT die einsame Stimme eines Rufers, altersweisen Mahners, wortgewaltigen Anklägers: Martin Walser schreibt einen offenen Brief, an die „sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin“ – ganz old school, dem Anlass angemessen, was auch die Ohren von uns jungen Wilden zur Abwechslung als durchaus angenehm empfinden, die wir die Regierungs- und Parteichefin ansonsten nur salopp „Angie“ nennen, in der leichtsinnigen und eigentlich durch nichts begründeten Fehldeutung, sie sei „eine von uns“.
Walser, weder als Politiker noch politischer Schriftsteller auftretend, wie er gegen Ende des Schreibens selbst ausdrücklich betont, bedauert darin den Afghanistan-Krieg – den Krieg, der nach offiziellem dictum alles sein darf, nur das nicht – als grandiosen Irrtum und fordert den raschen Abzug der deutschen Truppen. Als Kronzeugen ruft er den gerade eben verstorbenen, früheren Vietnam-General Robert McNamara auf, der auch prompt und prägnant im Sinne der Anklage aussagt, und orientiert sein Plädoyer ansonsten an den Prinzipien eines gesunden Menschenverstands, nur gelegentlich abschweifend in die leise Andeutung klammheimlichen Spotts:
„Und Sie haben eine so solide Herkunft und Bildung, dass Sie wohl kaum in Gefahr sind, die ins Pop-Fach gehörige Zeile von der „Verteidigung unserer Sicherheit am Hindukusch“ nachzuplappern.“
Nein, diese Gefahr besteht nun wirklich nicht – das sieht er ganz richtig, der Martin Walser -, denn man mag Frau Merkel unterstellen, was man will, aber sie würde sich im Leben nicht dazu herablassen, ein dermaßen ekelhaftes Kondensat deutscher Polit-Unkultur aus Gott-sei-Dank längst vergangener Epoche rot-grüner Eindimensionalität im Geiste mit ihrem persönlichen Schwur zu ehren, noch dazu wenn vom politischen Gegner stammend. Stattdessen hätte Frau Merkel ihre ureigenste Parole bei einem der zahlreich an ihrem Rockzipfel hängenden Medienprofis in Auftrag gegeben, diese von den üblichen Verdächtigen aus Berlin-Mitte auch prompt gespindoktert bekommen und hernach stolz ins grelle Licht der Öffentlichkeit gestellt; was genau weiß ich auch nicht, aber vermutlich irgendein feines, hauchdünnes Gespinst aus „transatlantischer Freundschaft“, aufgehangen an einem soliden Gerüst aus „Freiheit“ und „Menschenrechten“ in dutzendfacher Wortwiederholung; und wäre dies geschehen, Walser könnte heute der offenen Briefe gleich mehrere schreiben, inhaltlich weitestgehend identisch und sich nur hinsichtlich der Örtlichkeit des jeweiligen Kriegsschauplatzes unterscheidend. Das weiß er natürlich auch selbst, und daher kommt sie, Merkel, die sie sich seinerzeit bemüßigt sah, einen widerspenstigen Kanzler Schröder oppositionell zu kontrastieren und flugs an die Seite des mächtigen Feldherrn George „Mission accomplished“ Bush zu eilen, des Bruders im Geiste und im Kriege, nur bedingt ungeschoren davon:
„Natürlich waren es nicht Sie allein, die uns lieber als US-Kriegskameraden gesehen hätte. Hoch notierte Intellektuelle haben damals den Irak-Diktator kurzum zum Hitler gemacht. Dann ist ja alles erlaubt. Sie haben aber, als Sie Regierende wurden, so viel fabelhafte Eindrücke geliefert, dass der Washington-Makel aus Ihrem Bild einfach verschwand.“
Ich kenne nun Martin Walser leider viel zu wenig, um einschätzen zu können, ob der letzte Satz dieses Zitats tatsächlich so gemeint war, wie wir Schleppnetzfischer der Medienozeane ihn in unserer, den harten und wechselhaften Elementen geschuldeten, Grobschlächtigkeit auffassen würden, nämlich als „Verarsche vor dem Herrn“; ich vermute jedoch, dass er sich – aus Respekt vor dem hohen Amt seiner Brieffreundin – gegen eine solche Einordnung mit aller Entschiedenheit des feinsinnigen Literaten verwehren würde, was wir deshalb auch sehr gerne respektieren wollen. Lassen wir die Eloge einfach unkommentiert so stehen, und wenden wir uns der anderen Hälfte dieser Passage zu, die einerseits aufgreift, was wir weiter oben schon angedeutet haben, und andererseits auf den Punkt bringt, wie es um die felsenfesten Überzeugungen unserer bundesdeutschen Fingerfood-Intelligenzia bestellt ist, sobald auf den Parolen-Keyboards der militärischen Interventions-Semantiker erst mal die richtigen Tasten gedrückt wurden: Entweder haben sie damals flat out dem George Walker und seiner kriegstreibenden Entourage an den Lippen gehangen, haben ihm in ihrem Broken English hochnotpeinliche Ständchen auf den Titelseiten der Zeitungs-Welt dargebracht, unreflektierte Liebesschwüre aus falsch verstandener Treue, die ihnen hier ausnahmsweise einmal auch zur Ehre gereichte, obwohl solcherart Nexus natürlich üblicherweise verpönt; oder sie haben ihren Widerspruch in kaum vernehmbarer Lautstärke vorgetragen, eingebettet in ein wahres Architekturwunder aus rhetorischen Ambivalenzen und begrifflichen Mehrdeutigkeiten – naja, das könnte man natürlich schon alles so sehen, aber andererseits natürlich auch ganz anders.
„Warum beteiligen sich eigentlich so wenige Afghanen an diesem Krieg, den wir für sie führen? Warum drängen sie sich nicht danach, ihr Land von den Taliban zu befreien? Darf man so schon nicht mehr fragen?“
Doch, doch, lieber Martin Walser: Fragen dürfen Sie das natürlich schon. Nur vernünftige Antwort wird man ihnen keine geben, außer das übliche Allzweck-Wischi-Waschi, das Sie entweder oben schon als Marketing-Slogan aus dem radical chic post-imperialer Außenpolitik identifiziert haben; oder natürlich – auch immer wieder gerne genommen – die Geschichte von der Freiheit und den Menschenrechten, die ausgerechnet unsereins jetzt in diese Länder trägt, und sei es mit Waffengewalt.
Soundsoviele auf offener Straße erschossene Kinder, zerbombte Hochzeitsgesellschaften und Abu Ghraib-Folterszenen später klingt das natürlich alles längst nicht mehr so überzeugend – einverstandenen – und die Derrida-Leser unter uns haben zudem dieses ständige, tinnitus-gleich penetrant wie nervtötende Klingeln im Ohr, diese schmerzvolle Schlussfolgerung aus den „Schurken“:
„Was bedeutet das in Hinblick auf die Schurkenstaaten? Es bedeutet ganz einfach, dass die Staaten, die in der Lage sind, solche Staaten anzuprangern, sie der Rechtsverletzungen und Rechtsverstöße, der Perversionen und Verirrungen zu bezichtigen, deren sich dieser oder jener von ihnen schuldig gemacht hat – dass die Vereinigten Staaten, die als Garanten des Völkerrechts auftreten und über Krieg, Polizeioperationen oder Friedenserhaltung beschließen, weil sie die Macht dazu haben, dass die Vereinigten Staaten und die Staaten, die sich ihren Aktionen anschließen, als Souveräne zuallererst selbst rogue States sind.“
Aber so genau wollten wir es dann eigentlich gar nicht wissen, daher programmieren wir in unseren moralischen Labeldrucker schnell das böse Wort vom „Anti-Amerikanismus“, kleben das Etikett auf derartige, sich der konstruktiven Mitarbeit gänzlich verweigernde Ansichten und lassen sie hernach kurzerhand verschwinden – unter einem Stapel Fukuyama- und Kristol-Bücher vielleicht, das sollte reichen, und zwecks ansprechenderer Ästhetik noch mit einem hübschen Ganzkörper-Foto von Ann Coulter obendrauf. Und außerdem – auch das spendet Trost – ist Derrida eh tot und beerdigt und wird anno 2009 von keinem Schwein mehr gelesen.
Walser schließt seinen offenen Brief an Merkel:
„Und es hängt von Ihnen ab, ob wir dort weitermachen oder ob wir uns sachte lösen. […] Bedenken Sie, bitte, wenn man diesen Krieg ernst nimmt, sollte man dann an der Großen Koalition zweifeln? Das können Sie nicht wollen.“
Nein, das will sie natürlich nicht, Herr Walser. Aber andererseits: an der Großen Koalition zweifeln bereits so viele aus ebenso vielen Gründen, dass es auf einen mehr oder weniger auch nicht ankommt. Und der Hindukusch ist nun mal – obwohl von seiner Verteidigung angeblich unser aller Leben abhängt – politisch viel zu weit weg, um auch nur irgendwen zu beeindrucken.
Man kann ja meiner Ansicht...
Man kann ja meiner Ansicht nach lange und ausdauernd über die moralischen Probleme die sich aus dem Einsatz in Afghanistan ergeben diskutieren. Kann über die Sinnhaftigkeit diskutieren. Letztendlich kommt jeder vernünftige Mensch früher oder später darauf, dass die westlichen Nationen nicht in diesem Land zu suchen haben. Natürlich wird es immer Leute geben, die glauben dass dieser Krieg, und ein Krieg ist es ohne wenn und aber, unverzichtbar ist. Sei es um ein Rückzugsgebiet für Terroristen zu verhindern oder um die ach so segensreichen westlichen Errungenschaften wie Demokratie, Freiheit und Wohlstand in dieses rückständige Land zu bringen. Ich bin allerdings der Meinung dass kein Politiker so naiv sein kann, das aufrichtig zu glauben. Schon gar nicht Frau Merkel.
Die meisten aller Aussagen, die man zur Verteidigung des Afghanistaneinsatzes vorgebracht hat, sind nichts als Nebelkerzen sind, die verschleiern sollen warum man wirklich dort ist.
Und da gibt es bekanntlich viele Gründe, die vielmehr was mit Realpolitik zu tun haben. Für die Amerikaner ist es sicher mal für alle Fälle günstig Irans Hintertüre zu besetzen. Für alle Fälle, man weiss ja nie.
Zweitens muss man den amerikanischen Steuerzahlern auch irgendwie erklären warum man Billionen von Dollar in die Militärindustrie stecken muss, wo man doch im eigenen Land so viele Probleme buchstäblich auf der Strasse liegen.
Merkel kann sich ganz sicher nicht einfach so aus Afghanistan davon machen, weil ganz sicher ein Deal mit den USA besteht der knackige politische Konsequenzen androht falls man diesen Deal bricht. Schröder hat es damals geschafft die Bundeswehr aus dem Irak zu halten, bei Afghanistan konnte er aber sicher nicht nein sagen. Das war ganz sicher letztendlich realpolitisch unmöglich. Genausowenig ist es zum jetzigen Zeitpunkt, auch mit Obama.
@goodnight:
Helmut Schmidt...
@goodnight:
Helmut Schmidt sprach einst als deutscher Bundeskanzler vom „schmutzigen Krieg“ der Amerikaner in Vietnam. Natürlich verstehen wir mittlerweile, dass er damals – zu Zeiten der Zugehörigkeit der BRD zum Warschauer Pakt – einfach nicht anders konnte, als nach der Pfeife Moskaus zu tanzen.
„German theorists love to drill holes in other people’s brains“ (A Hitchhiker’s Guide to Hegelian Hell)
... Wow!
"... Zugehörigkeit...
… Wow!
„… Zugehörigkeit der BRD zum Warschauer Pakt – “ Das ist wohl Eile ohne Weile! – Bitte: Festina lente! – Wenn das noch Sinn von Bildung und Politik in Frieden ist.
Ja, Walser ist ein weiser Wann, ach: Mann. Weil man das nicht immer susste, ach wusste.
Alte Pfade
Afghanistan ist die...
Alte Pfade
Afghanistan ist die Möglichkeit, die Bundeswehr und damit die Bundesdeutschen wieder kriegstauglich/wehrtüchtig zu machen. Darüber hinaus sind das alles Stellvertreterkriege, Vorbereitungskriege, taktische Kriege, schlicht: „Weltordnungskriege“ (Robert Kurz). Und wie es scheint – und „Logik-Ratio“ hat da den historischen Punkt erwischt – ist die Geschichte noch nicht abgeschlossen gewesen, jene von der Einkreisung Chinas, wie zuvor der Expansion der Russen.
Lenin warnte davor, die Afghanen schlecht zu behandeln, er hielt daher viel von guten Beziehungen zum „Emir von Afghanistan“, die einzige Zeit in der neueren Geschichte, in der die Afghanen mit Respekt behandelt wurden. Denn die Engländer konnten sich nicht einmischen.
Nun können sie wieder alle, und sie machen was sie wollen. Verwandeln Afghanistan in ein internationales Testfeld für den 3. Weltkrieg – ich sehe schon das Schwergewicht vom Nahen Osten verlagert – für einen Krieg, der niemals enden kann, sowenig wie schon dieser Krieg, oder im Irak, oder am Balkan…
Die Haltung Walsers ist wie immer oberflächlich. Überhaupt ist er mir verdächtig seit seinen antisemitischen Ausfällen. Ich habe nicht gehört, dass er sich dafür entschuldigt hätte, bei Reich-Ranicki, wie überhaupt bei den Juden. Und auch die FAZ hält nun ihre schützende Hand über ihn. Frank Schirrmacher scheint von seiner Kritik nichts mehr wissen zu wollen. Meine Versuche, diese Wunde in Leserbriefen oder Beiträgen, wie zum Beispiel zu seinem Seniorenwerk „Ein liebender Mann“ (https://lesesaal.faz.net/walser/) wurden genau immer dort zensiert, sauber zensiert – man merkt es kaum -, wo ich darauf zu sprechen kam.
Bedauerlich, denn Deutschland sucht hier falsche Pfade, falsche Auswege, alte Formen der Krisenbewältigung und der Pazifismus – auch der eines Walsers – ist ihm dabei behilflich (siehe auch meinen Leserbrief „Landesverrat am Hindukusch“ – https://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E646E326F46754395815ECC66083EA86D~ATpl~Ecommon~Scontent.html , oder: https://blog.herold-binsack.eu/?p=299).
Korrektur: Es muss natürlich...
Korrektur: Es muss natürlich vollständig heißen: „Meine Versuche, diese Wunde in Leserbriefen oder Beiträgen, wie zum Beispiel zu seinem Seniorenwerk „Ein liebender Mann“ (https://lesesaal.faz.net/walser/), nicht schließen zu lassen, wurden genau immer dort zensiert, sauber zensiert – man merkt es kaum -, wo ich darauf zu sprechen kam.“
Frau Bundeskanzlerin hat sich...
Frau Bundeskanzlerin hat sich zum Thema schon geäußert:
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„Trotz der zunehmenden Gewalt hält Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Bundeswehreinsatz in Afghanistan fest. Das deutsche Engagement am Hindukusch sei ohne vernünftige Alternative, sagte Merkel am Donnerstag im Bundestag. „Wir werden vor dieser Aufgabe nicht weglaufen.“ Der Tod der drei Soldaten, die in der vergangenen Woche bei einem Feuergefecht gestorben waren, habe erneut gezeigt, dass die internationale Gemeinschaft in Afghanistan vor großen und schwierigen Herausforderungen stehe.“
https://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/23/0,3672,7600535,00.html
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Es gibt keine „vernünftige Alternative“.
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Ist das eine Begründung?
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Das Argumentationsmuster kennen wir schon:
Zur Bankenrettung gibt es keine Alternative.
Und demnächst wird es zur Erhöhung der Mehrwertsteuer und zur Senkung von Hartz IV auch keine Alternative geben.
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Nein, die Behauptung, dass es keine Alternative gebe, ist solange keine Begründung, wie nicht dargelegt wird, WARUM es keine Alternative geben soll.
WAS SOLLEN DIESE LESERBRIEFE...
WAS SOLLEN DIESE LESERBRIEFE ÄNDERN WIRD SICH GOTTSEIDANK AUCH
WEITERHIN NICHTS GESCHÄFT IST GESCHÄFT DANKET DEM MENSCHEN
warum les ich einen solchen...
warum les ich einen solchen Artikel im Blog und nicht in der FAZ?! bitte adaptieren …
lasst doch endlich die...
lasst doch endlich die afghanen das problem selbst lösen. wenn sie die taliban mögen, sollen sie sie haben, wenn nicht sollen sie selbst dagegen kämpfen.
„mischt euch nicht in fremde händel“ – zitat des heiligen niklaus von flüeh, als im mittelalter die eidgenossen grossmachtträume hatten.
Deutschland hat im Zwanzigsten...
Deutschland hat im Zwanzigsten Jahrhundert so viel Federn gelassen, dass es als eigenständige Nation einfach nicht weiterging. Der deutsche Staat tut fortan besser daran, sich mit dem Stärksten zu verbünden, als stets moralisch zu hinterfragen und am Ende wiedermal auf der „falschen“ Seite zu stehen. Wenn man etwas von englischen Politikern lernen muss, dann dies, dass Politik nicht irgendwelche Rechtsgrundsätze zu verteidigen hat, sondern lediglich dem Interesse des eigenen Staates dienen soll.
Im Gegensatz zu dieser politischen Notwendigkeit ist kein deutscher Bürger gezwungen, amerikanischen Kulturwerten hinterherzulaufen oder sich der englischen Sprache zu bedienen. Während der deutsche Politiker seine Grenzen erkennen muss (also bis auf weiteres ein Vasall der USA und Englands zu bleiben hat), darf hingegen der deutsche Bürger sich einer recht freien Meinung erfreuen und diese auch kundtun. Frau Merkel ist insofern die beste Politikerin, die sich die Deutschen wünschen können.