Für viele junge und junggebliebene Literaturfreunde ist der heutige Tag ein schöner Tag, weil Harry-Potter-Tag: der nächste Teil der Saga, der „Halbblutprinz“ kommt in die Kinos – volle Kassen garantiert, die krisengeplagte Binnenmarktkonjunktur bedankt sich, der DAX steigt um satte 3%. Geschlagene zwei Jahre ist es her, seit der vorletzte Harry Potter in die Kinos kam – „Harry Potter und der Orden des Phönix“ – und fürsorgliche Eltern von Vorschulkindern mit Einschlafschwierigkeiten erinnern sich mit Schaudern zurück: nicht gerade eine Story, die sich für eine flotte, unkomplizierte Gutenachtgeschichte eignet. Aber wenn wir uns ehrlich sind, dann trifft das auf keinen einzigen der insgesamt sieben Harry-Potter-Bände zu, auch auf den allerersten nicht – angeblich ja ein harmloses, kleines „Kinderbuch“, das die gute Joanne K. Rowling seinerzeit in bitterster materieller Not für ihren eigenen Sprössling verfasste. Schwarze Zauberer, die im dunklen, unheimlichen Märchenwald des Nachts die friedlich vor sich hindösenden Einhörner massakrieren, um ihr Blut zu trinken und dadurch die Apotheose zum Adolf Hitler des Zauberer-Reiches zu erfahren – schreibt man das wirklich seinen kleinen Kindern als Erzählgeschichte auf, wenn der Giro voll auf Anschlag steht und die Stadtwerke drohen, das Gas für die Heizung abzudrehen? Na, ich weiß nicht. Aber bei den spleenigen Engländern kann man sich da ja nie so sicher sein.
Heute ist Miss Rowling bekanntlich die reichste Frau des Muggel-Universums, aber damals, als sie in einem Aufwasch den Harry, seine vielen Freunde und das magische Hogwarts-Lehrpersonal literarisch zur Welt brachte, da hatte sie ungefähr soviel Geld auf dem Konto, wie der Quelle-Versand am Tag nach der Insolvenzanmeldung von Arcandor. Arm wie eine Kirchenmaus war sie, sozusagen das britische Pendant zur Hartz-IV-Empfängerin, und weil es auf der Insel keine 1-Euro-Jobs gibt und das sinnlose Herumhocken zuhause auf die Dauer auch nicht befriedigt, fing sie halt an zu schreiben. Pay-TV von „Sky“ gab’s zwar, klar, und „Premiere“ ist ja jetzt auch „Sky“ – insofern ein bizarrer Zufall, der sich da in unsere kleine Geschichte einschleicht -, aber wer das britische Bezahlfernsehen kennt, der weiß: dann schon lieber Bücher. Und wenn man die vom Sozialamt nicht bezahlt kriegt, dann schreibt man sie halt selber. Ja, Freunde: klingt unglaublich, aber genau so war’s. Und dann ging’s bekanntlich Schlag auf Schlag: Band eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben – und die Queen war in der Forbes-Reichenliste plötzlich nur noch „ferner liefen“.
Dass sie mit ihrem Nebenher-Geschreibsel zur Milliardärin aufsteigen würde, konnte Frau Rowling damals natürlich beim besten Willen nicht ahnen und angesichts ihrer sicherlich trostlosen Lage zur Zeit der Genese von „Harry Potter und der Stein der Weisen“ – wer weiß, was ihr da neben der eigentlichen Story sonst so alles an persönlicher Verbitterung durch den Kopf ging. Vielleicht haderte sie ja mit sich und ihrem Schicksal, der zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit, die ihr, der alleinerziehenden Mutter, schon in so jungen Jahren widerfahren war. Vielleicht schob sie ihr Unglück sogar auf das wirtschaftliche Umfeld, den Kapitalismus angelsächsischer Prägung, der eine studierte Altertumswissenschaftlerin nicht gerade mit wehenden Fahnen und mehrstimmigen Gloriengesängen empfing. Und womöglich verarbeitete sie derartige, verbiesterte Gedanken sogar in Harry Potter, wer weiß? Ich meine: ich bin zwar nicht Ludwig von Mises, aber so ein bisschen was von „Detektiv“ hat unser Harry ja auch, oder? Und dieser Lord Voldemort? Ich bitte Euch: braucht es wirklich viel Fantasie, um sich ein elendes Kapitalistenschwein in diese Figur reinzudenken? Wiedergeboren werden will er, der dunkle Lord, und sich hernach rücksichtslos und brutal zur Weltherrschaft aufschwingen – wonach klingt denn das? Vielleicht nicht nach „Stetige Akkumulation des Kapitals“ und „Dominanz weltweit operierender Monopolkonzerne“? Ja, je mehr ich drüber nachdenke: Harry Potter ist Kapitalismuskritik pur! Das sieht man ja auch am Gegenpol zu Lord Voldemort, bestehend aus Harry selbst und seinen aus proletarischen Kleinbürgerverhältnissen stammenden Freunden: allesamt ein Musterbeispiel der Askese, bescheiden und bodenständig, konformistisch, klassenbewusst. Die heimliche Kritik, die hier zum Ausdruck gebracht wird – Frau Rowling, ich habe sie durchschaut -, sie folgt dem typischen, klassenkämpferischen Muster : dieser Lord Voldemort, er wächst über sich hinaus, ist innovativ, will etwas bewegen, die Dinge nicht einfach akzeptieren, wie er sie vorfindet, sie stattdessen zerlegen und auf eine effektivere Art wieder neu zusammensetzen: er ist ein Schumpeterscher Unternehmer im besten Wortsinn, den die Autorin, als ihr noch jegliche Vision ihres zukünftigen Milliardär-Seins fremd war, hinterrücks in das Gewand des bourgeoisen Bösewichts kleidete! Das hat er aber nicht verdient: Lord Voldemort ist ein Macher und Harry Potter nicht mehr als ein zaudernder, kleiner Held der Arbeiterklasse!
Und wie es der Zufall so will, bringt uns das direkt zu Ferdinand Piech und Wendelin Wiedeking, den beiden Protagonisten der anderen Headline des Tages. Weil ganz im Ernst, Freunde: ist das nicht exakt das gleiche Drama? Galt nicht der Wiedeking auch lange Zeit als begnadeter Zauberer, wie er das alles so famos hinkriegte, mit dem Porsche-Turnaround und den exorbitant steigenden Gewinnen, den tollen neuen Modellen, den gewagten Finanztransaktionen und nicht zuletzt seinen kolportierten 50 Millionen Jahresgehalt? Come on guys, das müssen wir doch neidlos anerkennen: Das war doch Magie pur! Wendelin Wiedeking war der Harry Potter des Managements! Und alles, wirklich alles schien dem Mann zu gelingen, schien ihm so leicht und mühelos von der Hand zu gehen, wie dem Harry im Roman ein knackiger „Patronus“ von den Lippen. Wendelin Wiedeking war eigentlich nicht mehr zu bremsen, alles hätte der Mann erreichen können, jeden auch noch so verrückt herumschwirrenden goldenen Schnatz fangen und sämtliche Hogwarts-Hauspokale für Gryffindor gewinnen. Wenn – ja, wenn er nicht den mächtigen, schwarzen Lord das entscheidende Mal zu oft herausgefordert hätte. Ferdinand Piech – ich meine: Leute, das klingt doch schon nach schwarzer Magie, nach unbändiger, negativer Energie und grenzenloser Ambition zur Herrschaft über alle anderen, gleich ob Vollgas-Zauberer oder Bleifrei-Muggels. Was bleibt einem da noch groß zu sagen? Harry Potter hatte Dumbledore, seinen väterlichen Lehrer und Beschützer, der ihn vor dem allzu leichtfertig herbeigeführten Showdown mit Voldemort bewahrte, den Harry mit Bestimmtheit nicht überlebt hätte. Zum großen Unglück für Wiedeking liegt Zuffenhausen aber ein ganzes Stück weit entfernt von Hogwarts, der große, gütige Zaubermeister konnte sich seiner daher nicht annehmen, er war dem dunklen Lord weitgehend schutzlos ausgeliefert. Und so kam es, wie es kommen musste, und Wiedeking flog auf seinem Hexenbesen Marke „Nimbus 911″ direkt ins Verderben: Voldemort und seine Handvoll unheimlicher Verbündeter, die niedersächsischen „Death Eaters“, machten ihm den Garaus, noch bevor er den Zauberstab richtig aus dem Halfter ziehen konnte. Traurige Geschichte – das werden mit Sicherheit keine sieben Bände -, und ob so ein Debakel jemals verfilmt werden wird, ist für mich auch noch längst nicht raus. Die Fama von Wiedekings Verbannung nach Askaban wurde zwar zwischenzeitlich durch das Zaubereiministerium offiziell dementiert, aber das kennen wir ja schon aus früheren Vorfällen dieser Art: Gesicht wahren, bis die Dementoren kommen und dann ist endgültig Schluss mit lustig. Kein Happy End, jedenfalls soweit ich den Plot überblicke. Das Böse gewinnt, Lord Voldemort besiegt den Vollgasprinzen – im Buch vielleicht nicht, im Kino womöglich auch nicht, aber in Wolfsburg schon!