Gestern verbrachte ich nach langer Zeit wieder einmal einen Tag in Wien. Ein wunderschöner Tag, wenn auch mit extremen Temperaturen, die selbst eingefleischte Strache-Sympathisanten daran erinnern sollten, dass Österreich untrennbarer Teil des Balkans ist: bereits gegen 9 Uhr morgens herrschte Rijeka, und spätestens ab 11:30 befand man sich zwischen Schwarzenbergplatz und Graben mitten im hochsommerlichen Dubrovnik. Abgesehen davon war Wien wie immer – „just Wien“ – und so ketzerisch das klingen mag, aber die Weltwirtschaftskrise tut der Atmosphäre der Stadt gut: keine 5 Millionen japanische Touristen auf den Straßen und in den feinen Läden der Kärntnerstraße kann man jetzt auch wieder ohne fließende Russischkenntnisse einkaufen. Darüber hinaus gibt man sich in den essenziellen Dingen des Lebens weiterhin traditionsbewusst, kocht das „weiche Ei“ zum Frühstück auch tatsächlich „weich“, was gar nicht anders sein darf, weil man sonst das Eigelb mit dem Kornspitz nicht austunken kann; etwas, was die Anderen, die Deutschen etwa, nie kapieren werden, weil bei denen sind auch die als „weich“ deklarierten Eier notorisch hart gekocht; aber wie sollten sie es auch verstehen, die Armen, sie haben ja auch keine Vorstellung davon, was ein echter Kornspitz ist, und unter derartigen Bedingungen stellt sich natürlich kein kulinarisches Bewusstsein ein.
So saß ich also im „Frauenhuber“ und genoss mein Frühstück, sehr zuvorkommend bedient vom korrekt gekleideten Herrn Ober, der obendrein durch beredten Smalltalk auszugleichen suchte, dass er mich eingangs für einen verdammten deutschen Touristen hielt. Wie meinen? Na, sooo lange war ich nun aber auch wieder nicht weg gewesen! Aber gut: vermutlich nichts weiter als die typische déformation professionelle des rot-weiß-roten Gastgewerbes – es sei ihm also verziehen. Sitze ich also wie gesagt so da im Frauenhuber, erfreue mich der riesigen Auswahl an Tageszeitungen (übrigens auch etwas, was die Deutschen nie begrei… aber OK, lassen wir das, hat eh keinen Sinn) und erblicke im Kulturteil des „Standard“ eine Grußbotschaft der Bregenzer Festspiele an die Hollywood-Filmstudios, sie wären auch in der nächsten James Bond-Produktion gerne wieder Schauplatz der Handlung:
(Quelle: Der Standard vom 23.07.2009)
Wobei sie dazugelernt haben, die smarten Vorarlberger Kulturmanager, denn während Tosca letztens wirklich nur als Kulisse für Agent 007 taugte, ist das diesjährige Bühnenbild von Aida – mit apartem Nuklearsprengkopf in maßstabgetreuer Replica der Bundeslade – multi-thematisch verwertbar, und nach allem, was man so hört, ist der nächste „Indiana Jones“ ja schon in der Mache.
Und damit kommen wir nun, nach kurzer – meinen sentimentalen Heimatgefühlen geschuldeter – Vorrede zum eigentlichen Thema dieses Beitrags: Gold & Atomblitz, Atomblitz & Gold. Passt nicht, meinen Sie? Wäre außerdem nach Gert Fröbe in „Goldfinger“ bereits ziemlich ausgelutscht? – Tzz… Sie haben ja keine Ahnung! Gucken wir mal gemeinsam in die „Financial Times“ vom letzten Mittwoch:
„How to liquidate the USA debts without entering the nuclear war?“
Steht dort auf Seite 3 in großen Lettern, no joke. Zwar nicht im redaktionellen Teil, sondern in der Anzeige eines gewissen „Anticrisis Settlement & Commodity Centre“, kurz ASCENT. Dahinter verbirgt sich wiederum der russische Geschäftsmann German Sterligoff, eine durchaus bemerkenswerte Persönlichkeit, die vom millionenschweren Oligarchen zum ultra-religiösen Eremiten mutierte, und ihre Botschaften auch im Netz unter der Adresse sterligoff.com in die große, weite Welt hinausträgt.
Wie werden die Amis also ihre Schulden los, ohne gleich einen Atomkrieg anzuzetteln? – Tja, dammned good question, sage ich da leise bei mir – erst jetzt realisierend, wie schlimm die große Anzeigenflaute offenbar auch Blätter vom Schlage einer FT bereits erfasst hat, sodass sie wirklich jeden Scheiß drucken müssen, für den irgendeiner zu zahlen bereit ist. Und außerdem hadere ich mit mir selbst, ärgere mich, dass mir der Titel nicht eingefallen ist, als ich seinerzeit meinen Beitrag über die Krugi-Schelte schrieb. Ich meine: Große Krisen schreien nach großen Überschriften, und da kommt mein „Konjunkturprogramm Weltkrieg“ ja doch eher lauwarm daher. „Atomkrieg“ – das wär’s gewesen! Aber andererseits: Ich lerne ja noch. Schauen wir also mal, was der Herr Sterligoff und sein Anticrisis Centre unter besagtem Titel der Welt ans Herz legen:
Die gesamten Schulden der USA beliefen sich auf über 100 Billionen Dollar, schreiben sie, und um aus denen realistischer Weise jemals wieder rauszukommen, bedarf es einer „force majeure“, sprich: einer Ausrede auf die „höhere Gewalt“, etwa folgender Machart (wenn ich sie für unsere amerikanischen Freunde formulieren dürfte): „Sorry Freunde, tut uns ja echt leid, dass wir Euch nix mehr zurückzahlen können, aber hey: ist ja wohl wirklich nicht unsere Schuld, gell?“
Derartige Formen „höherer Gewalt“ seien in der Geschichte immer wieder Revolutionen und Kriege gewesen – klaro, das wissen wir, seit der frühesten Antike hauen wir uns wegen der Kohle gegenseitig die Schädel ein – und angesichts der monumentalen Beträge neuzeitlicher Außenstände läuft unterhalb von „Atomschlag“ natürlich gar nichts.
Muss aber ja gar nicht sein, schreibt Herr Sterligoff, weil neben der schuldbefreienden Wirkung hat so ein Atomkrieg ja auch eine ganze Reihe Nachteile, die man womöglich nicht in Kauf nehmen möchte. Daher sein Vorschlag zur Güte (Achtung Goldbugs, jetzt kommt Euer Part!): auf die goldgedeckte ASCENT-Währung umsteigen, die auf den schönen Namen „Golden“ hört. Originell, nicht wahr? Wusst‘ ich’s doch, dass Euch das gefällt!
Was ihm dabei konkret vorschwebt, ähnelt dem Prozedere, dass der erst kürzlich hier präsente Sachbuchautor Paul C. Martin bereits in den späten 80ern als „Goldlösung ex ante“ beschrieb (und gleich auch wieder verwarf): Staaten werten ihre Währungen gegenüber Gold extremissimo ab, sagen wir mal spaßeshalber auf 1 Billion Dollar pro Unze, und zahlen dann ihre gesamte ausstehende Schuld mittels ein oder zwei Maple Leafs, Kruegerrands, Philharmoniker oder was sie halt sonst so in ihren Tresoren vorrätig haben. Martin schildert die Szene der fiktiven Schuldentilgung als eher surreal anmutende Gala-Vorstellung, bei der der Präsident der USA vor die auf der Ehrentribüne versammelten Staatsoberhäupter der Gläubigerstaaten tritt, eine kurze Ansprache hält und ihnen dann eine lausige Unze Gold vor die Füße wirft; was dann zunächst vor Ort unschöne, tumultartige Szenen und den Einsturz der Tribüne hervorruft, und Tags darauf den Zusammenbruch all derjenigen Länder, die – anders als Deutschland, die USA und eine Handvoll weiterer Staaten – zufälligerweise nicht LKW-Ladungen voll Gold ihr Eigen nennen und auch über keine nennenswerten Vorkommen im heimischen Boden verfügen.
Das scheint auch Sterligoff zu wissen, denn in seiner FT-Anzeige beschreibt er die Auswirkungen seines Planes auf einzelne Nationen u.a. wie folgt:
[…] 4) As for China guess for yourself;
Tja, ganz genau: guess for yourself, ob die Chinesen als der mit Abstand größte Dollar-Gläubiger des Planeten eine solche Aktion wirklich witzig finden würden. Was uns geradewegs wieder zu den Nuklearsprengköpfen zurückbringt, von denen China ja durchaus ein paar auf Lager haben soll, und damit zurück auf Feld 1 der ganzen Misere.
Vermutlich wird es also so, wie sich das Herr Sterligoff in seiner FT-Kampagne vorstellt, in der Praxis nicht ablaufen. Gleichwohl ist das beschriebene Verfahren – wenn auch in deutlich abgeschwächter Form – noch immer das prinzipielle Szenario, auf dem die feuchten Träume vieler Goldbugs beruhen, wie man sie in einschlägigen Blogs, Freiheitsforen und ähnlichen para-ökonomischen Selbsterfahrungs-Workshops zuhauf nachlesen kann. Von Frieden und Freiheit ist dort fast ständig die Rede, so wie auch in besagter Anzeige in der Financial Times. Aber mal ganz im Ernst: daran kann ich angesichts der skizzierten Auswirkungen, die den Globus einmal mehr aufteilen in „Haves“ und „Have-nots“, aber dieses Mal so richtig und im ganz großen Stil, ernsthaft nicht glauben. Eine derartige Goldlösung wird es daher bestimmt nicht geben; und jede andere, bei der zunächst die Goldparitäten der einzelnen Weltwährungen festgelegt werden und dann erst das Settlement der wechselseitigen Forderungen und Schulden stattfindet – eine „Goldlösung ex post“ also – ändert am Gläubiger-/Schuldnerstatus der einzelnen Länder überhaupt nichts: warum sie dann überhaupt in Erwägung ziehen?
Weshalb meine feste Überzeugung seit jeher lautet: es wird im internationalen Währungsgefüge zu überhaupt keinem neuen Goldstandard kommen. Gold mag man schätzen oder nicht, Freunde, aber wer seine Vision von Reichtum, Friede und Freude auf der Erwartung eines zukünftigen Goldstandards aufbaut, hat in meinen Augen nur die Wahl, ob er lieber auf dem Holzweg oder dem falschen Dampfer reisen möchte.