Während der 30 Jahre Herrschaft der Borgia
regierten in Italien Krieg, Terror, Mord und Blutvergießen;
aber diese Epoche brachte Michelangelo hervor,
Leonardo da Vinci und die Renaissance.
In der Schweiz hingegen lebte man 500 Jahre hindurch
in reiner Nächstenliebe;
500 Jahre lang herrschte Demokratie und Frieden.
Und was haben die hervorgebracht?
Die Kuckucks-Uhr.„
(Harry Lime in „Der dritte Mann“)
Im Lego-Baukasten des kleinen Sprachbastlers hat sich das Begriffspaar „Friede und Wohlstand“ zu einem Allgemeinplatz hochgearbeitet, auf den Politiker, Medien und andere moderne Geschichtenerzähler oft und gerne zurückgreifen. Und auch ich würde à priori an der Logik nicht zweifeln, die sich hinter dem geflügelten Wort verbirgt. Eher anekdotisch war ja seinerzeit mein Beitrag über die konjunkturbelebende Wirkung des 2. Weltkriegs, ein Zitat von Paul Krugman aufgreifend – so nach dem Motto: wo viel kaputt gemacht wird, muss auch viel wieder aufgebaut werden. Aber darüber hinaus? Dass sich Friedenszeiten auf die Wirtschaft allgemein positiv auswirken – an dieser Vorstellung hätte auch ich nie ernstlich gekratzt.
Genau das machen aber jetzt zwei junge Wirtschaftswissenschaftler auf der Ökonomen-Plattform „Vox.Eu„: „Wie Kriege, Seuchen und urbanes Elend den Aufstieg Europas zu Wohlstand beschleunigten„, so der Titel ihres Arbeitspapiers in meiner Übersetzung. Und ihre darin geäußerte These: „Friede“ mag in der Moderne als Synonym für wirtschaftlichen Wohlstand taugen, aber in früheren Epochen verhielt es sich genau anders rum. Und soweit es Europa betrifft, so waren es gerade seine zahllosen Kriege und das mit ihnen einhergehende allgemeine Elend, die seinen wirtschaftlichen Aufstieg und seine weltweite Vormachtstellung begünstigten. Wie? – Indem sie die allgemeine Sterblichkeit erhöhten, damit das Bevölkerungswachstum bremsten und so zu stetig steigenden Pro-Kopf-Einkommen führten. Klingt interessant? Sehen wir uns das mal genauer an:
In einer vor-modernen Wirtschaft nach malthusschem Muster stagnieren üblicherweise die Einkommen auf lange Sicht: Was durch „Fortschritt“ an zusätzlicher Produktion pro Kopf kurzfristig gewonnen wird, geht nach einiger Zeit durch Bevölkerungszuwachs wieder verloren. Eine geringere Sterblichkeit führt zu mehr „hungrigen Mäulern, die gestopft werden müssen“, die Pro-Kopf-Einkommen sinken also wieder, die Arbeitsproduktivität fällt letztlich auf das Ausgangsniveau zurück. Voigtländer und Voth, so die Namen der beiden Autoren, verdeutlichen den Zusammenhang anhand dieses Charts:
Quelle: voxeu.org
Das Pro-Kopf-Einkommen ergibt sich darin als Gleichgewichtspunkt aus Geburten- (b) und Sterblichkeitsrate (d), und variiert in dem Ausmaß, in dem sich die Kurven zueinander verschieben: eine Erhöhung der Sterblichkeitsrate von d auf d‘ erhöht das Pro-Kopf-Einkommen, eine Verringerung der Geburtenrate von b auf b‘ ebenso. Halten sich beide hingegen die Waage, bliebe das Pro-Kopf-Einkommen langfristig stabil im Gleichgewichtspunkt Eo.
Wie gelang es nun den europäischen Ländern, aus dieser „Bevölkerungsfalle“ auszubrechen und zwischen 1500 und 1700 ihre Einkommen deutlich zu steigern, um mindestens 35% die einen und sogar satte 180% die anderen, wie jüngere Studien meinen? Wobei die imposantesten Zuwachsraten durch die Bank in den nordwestlichen Regionen Europas verzeichnet wurden, wo es bekanntlich die meiste Zeit über politisch und militärisch ziemlich hoch herging?
Voigtländer und Voth sehen drei Gründe für diesen Aufschwung, den sie in Anlehnung an das bekannte Bibelzitat aus der Offenbarung als die „3 Reiter des wirtschaftlichen Wohlstands“ bezeichnen: Kriege, Seuchen und städtisches Elend.
Der Nordwesten Europas sei besonders häufig mit Kriegen überzogen worden, schreiben sie, Seuchen hätten darüber hinaus eine dramatische Zahl an Todesopfern gefordert, und in den Städten seien die allgemeinen Lebensumstände ohnehin so erbärmlich gewesen, dass die Sterblichkeitsziffern die Anzahl der Lebendgeburten bei weitem überstiegen; und da die Urbanisierung Europas im 16. und 17. Jahrhundert merklich voranschritt, wurde die hohe Sterblichkeit in den Städten ein bestimmender Faktor für das Bevölkerungswachstum insgesamt. Die Kriege hatten politische Ursachen oder waren – insbesondere ab 1500 – auch religiös motiviert und während die Auseinandersetzungen selbst nur relativ wenige Todesopfer forderten, waren die über die Lande marschierenden Armeen ein wandelnder Seuchenherd, an dem sich die übrige Bevölkerung ansteckte und zu Hunderttausenden den Tod fand. Zwar werde mit der großen Pest-Epidemie üblicherweise das Jahr 1348 verbunden; gleichwohl kamen die Epidemieausbrüche aber damit nicht zum Stillstand, sondern traten weiterhin gehäuft auf – bis etwa ins Jahr 1720.
Alle drei Faktoren zusammen bewirkten eine deutliche Erhöhung der Sterblichkeitsziffer, wie im nachfolgenden Chart dargestellt:
Quelle: voxeu.org
Gegenüber einer gedachten Entwicklung ohne die besagten 3 „Reiter“ (gestrichelte Linie) nimmt die konkrete Sterblichkeit bei ihrer Berücksichtigung einen gänzlich anderen Verlauf (schwarze, durchgezogene Linie) und zu neuen Gleichgewichtspunkten mit der Geburtenrate auf einem Niveau deutlich höherer Pro-Kopf-Einkommen (EH). Auf diese Weise, so die beiden Autoren, ließe sich rund die Hälfte des europäischen Wohlstandszuwachses zwischen 1500 und 1700 alleine aus der erhöhten Sterblichkeit erklären. Und darüber hinaus, so ihre Schlussfolgerung, würde auch das gegenüber anderen Weltregionen (China) deutlich höhere Wohlstandsniveau Europas zu Beginn des 18. Jahrhunderts erklärbar.
Soweit Voigtländer und Voth zum 15. und 16. Jahrhundert auf Vox.Eu. Eine interessante, mutige These, die ich so noch nirgendwo sonst gelesen habe.
"dass die...
„dass die Sterblichkeitsziffern die Anzahl der Lebendgeburten bei weitem überstiegen“
Warum erinnert mich das so sehr an das „katastrophale“ Demografieproblem in D?
...
https://www.youtube.com/watch?v=P5Avat4ArAY
a) Zustimmung. Jede Studie,...
a) Zustimmung. Jede Studie, egal welche Denkbarrieren sie verletzten mag, ist gut.
b) trotzdem: I beg to differ. Oder sagen wir mal so: Für heute auf jeden Fall irrelevant. Schauen wir auf den Kontinent mit den meisten Pestilenz, Kriegen und vielen Kindern: Afrika. Sehen wir da ein hohes BIP-Wachstum pro Kopf? Nöh. Im Gegenteil: Die meisten Länder sind froh, wenn das BIP-Wachstum mit dem Bevölkerungswachstum mithält.
c) Ich führe als These für den Wohlstandszuwachs die Tatsache an, dass sich die Weizensorten in den 200 Jahren durch Züchtung deutlich verbessert haben. Und die Kartoffel eingeführt wurde. Also Technologiefortschritte im weitesten Sinn.
Ich stimme Ihnen zu, daß dies...
Ich stimme Ihnen zu, daß dies eine interessante und sicherlich mutige These ist und durchaus eine gewisse Logik aufzeigtt. Nun ist dies eine ex post Betrachtung und daher eine Erklärung der Vergangenheit,. Sie läßt sich durchaus auch auf das 20. Jahrhundert insofern übertragen, daß das Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre nicht ohne die Katastrophe des 2. Weltkrieges geschehen wäre. Was aber sagt uns diese These in einer ex ante Betrachtung? Sollen die Menschen sich jetzt global abschlachten, damit der verbliebene Teil der Menschheit hernach einen schönen Aufschwung erleben darf?
Irgendwie einleuchtend....
Irgendwie einleuchtend. Gibt´s noch Fragen zur gegenwärtigen & zukünftigen Situation ?
"Malthus reloaded"? Und mal...
„Malthus reloaded“? Und mal wieder die Nummer mit den Generalaggregaten „pro Kopf“? Nix da. Read my lips: Ak-ku-mu-la-tion heisst das Zauberwort. Und historisch konkret haben wir da auch noch den Kolonialismus, die muntere Ausplünderung vor allem Amerikas. Sowas erhöht auch den Wohlstand – nicht für alle natürlich, aber „pro Kopf“ aggregiert natürlich immer.
Naja ich kann dem nicht...
Naja ich kann dem nicht folgen. Der These nach stände ja der südliche Teil von Schwarzafrika vor einer Einkommensexplosion. Irgendwie schwer vorstellbar wo den das zu verteilende höhere Einkommen erwirtschaftet werden soll.
mfg dreas
@lemming
Verteilungsfragen...
@lemming
Verteilungsfragen bleiben ja von obiger These völlig unberührt.
Wir haben, weiß Gott keinen...
Wir haben, weiß Gott keinen Grund, über die wirtschaftlichen Lösungen für die Probleme der Angloamerikaner nachzudenken. Wenn die Karre an die Wand geklatscht wird, warum nicht ? Ob mit Pulverdampf und Pestilenz oder ohne, völlig Wurst. Denn langfristig haben wohl doch eben die Eidgenossen weitaus besser abgeschnitten, mit ihren „Kuckucksuhren“. Der Grund ist relativ einfach. Sie waren relativ flexibel, sind aber nicht sinnlosen wirtschaftlichen Modewellen hinterhergerannt und haben vor allem kein know how verhökert. Was haben wir nur all die Jahre „richtig“ gemacht ?
Wo soll das Problem mit der Geburtenrate liegen ? Wozu sollen wir noch Pestilenz brauchen ? Haben wir mit der „Gesundheits-, Rentner- und Pflegeindustrie“ nicht die größten Wachstumsraten ?
„Wirtschaftswunder“, ohne den II. Weltkrieg hätten wir dieses „Wirtschaftswunder“ nicht gebraucht, wir wären Weltwirtschaftsmacht Nr. 1 gewesen. Wir waren die Letzten, die ein Interesse an einem neuerlichen Weltkrieg haben konnten. Qui bono ? Nicht nachbeten, nachdenken ! Und wir sollten uns wirklich befleißigen, auch mal von den Erfolgen kleinerer Völker zu LERNEN, statt immer wieder zu glauben, wir wären die Größten. Damit sind wir schon zweimal fürchterlich auf die Klappe geflogen, sei angemerkt. Ich möchte doch hoffen dürfen, das der senilen Gemeinde Deutschlands das noch im Hinterstübchen sitzt, obwohl sie heute schon wieder Kriege gutheißen bzw. Kriegsbeteiligungen dulden. Nicht mit uns, wenn ich bitten darf.
@egghat
Einspruch. Durch die...
@egghat
Einspruch. Durch die Hilfen aus der westlichen Welt wird eine Anpassung der Bevölkerungszahlen nach unten verhindert. Somit kann es hier keinen sinnvollen Vergleich geben.
@ Thomas Strobl
Gregory Clark hat unter
https://www.cesifo-group.de/portal/page/portal/ifoHome/a-winfo/d7teachmat/10videolect
bereits im Juli 2002 eine Vorlesungsreihe zu dem Thema gehalten. Fand ich persönlich recht interessant.