Chaos as usual

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Wer sich heutzutage in den Straßenschluchten des Kapitalismus bewegt, muss aufpassen, von einstürzenden Paradigmen und herabfallenden

Auf dem Cover des TIME-Magazine, vor 71 Jahren

| 4 Lesermeinungen

Im Nachgang meines gestrigen Beitrags, der sommerlich-leicht abgefasst und von Glücksgefühlen des V-förmigen Aufschwungs durchströmt war, stieß ich in einem meiner Lieblingsblogs, dem von US Philosophen und Historikern betriebenen „Edge of the American West" dann auf eher ernstes Anschauungsmaterial zum Thema, das ich meinen Lesern nicht vorenthalten möchte.

Im Nachgang zu meinem gestrigen Beitrag, der sommerlich-leicht abgefasst und von Glücksgefühlen des V-förmigen Aufschwungs durchströmt war, stieß ich in einem meiner Lieblingsblogs, dem von US Philosophen und Historikern betriebenen „Edge of the American West“ dann auf eher ernstes Anschauungsmaterial zum Thema, das ich meinen Lesern nicht vorenthalten möchte. Faszination übte zunächst einmal dieses Bild auf mich aus, welches das Cover des Time-Magazine vom 24 Januar 1938 wiedergibt:

Cover des TIME-Magazin 24.1.1938

Nun wissen wir alle: Die Zeit der Schwarzen-Diskriminierung und der Lynch-Justiz sind dunkle Kapitel in der Geschichte der USA, deren ganze Ekelhaftigkeit in zahlreichen literarischen und filmischen Werken aufgearbeitet wurde. Aber mir war bis gerade eben nicht bekannt, dass dazu auch zeitgenössische Darstellungen von Lynchszenen in Öl gehörten. Doch lassen wir uns von diesem historischen Cover des renommiertesten Nachrichtenmagazins der Welt überzeugen: offenbar doch.

Das Bild zeigt übrigens keinen weißen Rassisten in stolzer Jagdpose, sondern ganz im Gegenteil, den Bürgerrechtsaktivisten Walter Francis White. Er war damals Vorsitzender der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), und setzte sich vehement für eine Gesetzesvorlage zur Abschaffung der Lynch-Justiz ein, die sogenannte „Dyer Anti-Lynching Bill“. White selbst war Afro-Amerikaner, was man seinem Äußeren nach – zumindest so wie auf dem TIME-Cover dargestellt – wohl nicht auf Anhieb vermutet hätte. Dass er sich gerade vor diesem Bild ablichten ließ, war im Kontext der NAACP-Kampagne für diese Gesetzesvorlage wohl kein Zufall. Dass das TIME-Magazine das Bild aber auch genauso auf sein Cover setzte, überrascht dann doch etwas – Chuzpe, so nennt man das wohl.

Kein Cover ohne dazu gehörige Story, und wer diese auf der TIME-Website nachliest, wird bereits nach den ersten paar Zeilen zusammenzucken, denn auch dort kann Lee Jones nicht einfach Lee Jones sein, sondern „Neger Lee Jones“. Und auch in den Adern des NAACP-Vorsitzenden Walter White fließt, seinem Äußeren zum Trotz, „Negerblut“, worauf TIME expressis verbis hinweist, nämlich „1/64 gemäß Harvard-Anthropologen Earnest Alfred Hooton“.

Der verlinkte Text selbst ist absolut lesenswert, zumal wenn man meinen gestrigen Ausführungen über den „blinden Fleck der Eliten“ in einen konkreten, historischen Zusammenhang einordnen will. Bei Farmer Robert Knox Greene, der vermutlich eher schlichten Gemüts war, mag man es noch verstehen, wenn er einen Lynchmob mit dem Argument auseinander treibt „derlei Gewalttaten würden den Widerstand der Südstaaten-Senatoren gegen die Anti-Lynch-Gesetzgebung schwächen“, und sich mit dieser Parole auch noch im TIME-Magazine zitieren lässt. Aber mit welcher Hingabe besagte Senatoren den Gesetzgebungsprozess zu verzögern suchten, mit Endlos-Filibustern und diversen sonstigen Winkelzügen, erscheint dann auch noch heute, 71 Jahre später, entsetzlich. Auch die Tonalität des verlinkten Cover-Berichts wirkt auf mich ein wenig abstoßend, und das TIME-Magazine war bekanntlich auch in den 1930ern kein Schmierblatt des Pöbels.


4 Lesermeinungen

  1. Dass 'Eliten' in irgendeiner...
    Dass ‚Eliten‘ in irgendeiner Form moralisch oder zivilisatorisch ‚besser‘ seien als der Pöbel, das zählt zur hartnäckigen Folklore westlicher Gesellschaften, ein Mythos, der sich deshalb durchsetzen konnte, weil solche literarisierten Eliten monopolistisch über einen privilegierten Zugang zu den Medien verfügen. Und über sich selbst sagt man nicht gern Schlechtes …
    Faktisch war es wohl so, dass an der Spitze jedes Lynchmobs ein Friedensrichter, Plantagenbesitzer oder Baumwollhändler stand, ein Mitglied dieser zeitgenössischen Eliten also.

  2. stroblt sagt:

    Schon richtig, und anders war...
    Schon richtig, und anders war es ja auch nicht gemeint. Da gesellschaftliche Eliten auch zumeist die Referenzgruppe für alle anderen sind, macht es das Ganze nur noch schlimmer.

  3. staph.aureus sagt:

    Faust ballen, Mittelfinger...
    Faust ballen, Mittelfinger nach oben strecken:
    dieser gesellschaftlichen Elite darf man diesen Gesellschaftsfinger zeigen.
    Und wieviel hat sich seit den 30er Jahren geändert ?
    O-Ton aus betrieblichen Führungsebenen in den 70er Jahren: Wenn kein Mensch diese Arbeit machen will,nehmen wir dafür einen Türken.
    Und in den 90er Jahren nahm man einen Ossi.
    Und in Zukunft ? Sammelklagen von Ein-Euro-Jobbern wegen Zwangsarbeit ?

  4. Widerwärtig, zweifellos.
    Aber...

    Widerwärtig, zweifellos.
    Aber wer ohne Schuld, der werfe den ersten Stein…die Rassismusfalle lauert überall, schon ums nächste Eck, und ganz schnell tappt man rein.
    Ich kann mich noch erinnern , wie die´Sabine Christiansen als Tagesthemen-Moderatorin hineingetappt ist. Es war wohl Mitte der Neunziger, in South Central L.A. gabs riots, ARD war live drauf, und atemlos fragte die Christiansen den Korrespondenten, ob es wohl auch Aufstände in den anderen AUSLÄNDERvierteln gäbe, nicht nur in den schwarzen…die Christiansen ist wohl gebildet genug, in unaufgeregteren Zeiten sehr wohl zu realisieren, daß Schwarze in den USA mitnichten Ausländer sind, dort eigentlich sogar zur inländischsten Ethnie überhaupt gehören…aber so schnell können Klischees und Vorurteile Macht über uns gewinnen. In diesem Falle: nichtweiß in abendländischen Kulturkreis bedeutet automatisch Ausländer.
    Es bleibt immer eine Herausforderung.

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