Chaos as usual

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Wer sich heutzutage in den Straßenschluchten des Kapitalismus bewegt, muss aufpassen, von einstürzenden Paradigmen und herabfallenden

Die Rebellen sind unter uns

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Die Rebellen drohen mit der Gründung einer sozial-liberalen Partei in Hessen? Potzblitz - dabei dachte ich, die bedrohen unsere Sicherheit am Hindukusch. Aber nein: In Wahrheit ist das moderne Rebellentum überall - in der bergigen Hochebene Afghanistans wie auch in der politischen Tiefebene Hessens. Und wenn ich mal meine Kindheitserinnerungen Revue passieren lasse, dann gelange ich zu der Erkenntnis: Das war eigentlich auch nie anders!

Seit ich denken kann, bin ich von Rebellen umgeben. Eines meiner ersten Erlebnisse mit aufmüpfigen Aufständischen, noch in süßen Kindertagen, war die Fernsehserie „Die Rebellen vom Liang Shan Po“; in der scharte der wackere Lin Chung eine Armee von Gesetzlosen um sich und kämpft gegen die kaiserliche Garde und ihren korrupten Anführer Kao Chiou. Blutig, aber unterhaltsam.

Und dann gab es da natürlich auch noch „Sandokan“ – die Multikulti-Fassung von Robin Hood sozusagen, und diverse andere aufrechte Streiter für das Wahre und Gute in einer proto-globalen TV-Welt voller Ungerechtigkeit und Tücke. Und weil eine Welt für den ganzen Aufstand natürlich nicht reicht, setzte sich das ständige Hin-und-Her im Weltall fort, wo die Aufständischen ausgerechnet mit „X“-Flügel-Jägern und ähnlich metaphorisch-verklärter Ausrüstung gegen das Böse antraten, wenn sie nicht gerade Ausschau hielten nach dem friedlichen, blauen Planeten „Terra“ – was wiederum nur beweist, dass es mit dem Intellekt unserer entfernten Nachfahren trotz Raumstation und Laser-Schwertern auch nicht so weit her sein kann. (Bei der Gelegenheit möchte ich einmal coram publico zu Protokoll geben, dass ich es schon immer ausgesprochen „Öko“ fand, wenn in „Star Wars“ die futuristischen Helden nach dem Einparken ihrer Raumgleiter in primitiven Lehmhütten übernachten. Für die Skeptiker unter uns ein Wink mit dem Zaunpfahl der Nullwachstum-Ökonomie, weil für das chromglänzende Kriegsgerät ist dann offenbar Geld genug da, aber hausen müssen wir im Dreck).

Ich wurde älter, das humanistische Bildungswesen erlangte Zugriff auf mich, und mit ihm betraten Brutus und die anderen cäsarischen Meuchelmörder die Bühne – kein leichter Plot, weil abhängig von der jeweiligen Intonation konnte ich mich ehrlich gesagt nie entscheiden, auf wessen Seite ich stehen sollte. Hollywood tat ein übriges, und Rex Harrison als Cäsar und Richard Burton als Marcus Antonius kamen ja irgendwie viel sympathischer rüber als der blasse Kenneth Heigh in der Rolle des Brutus. Und mit Liz Taylor als Cleopatra war der Fall eigentlich eh klar – denn wie könnte eine solche Frau jemals auf der Seite des Bösen stehen? Aber vermutlich war ich damals noch zu jung, um die Dinge in ihrer offenkundigen Schlichtheit auf mich wirken zu lassen.

Und so ging es munter-rebellisch weiter, es folgte meine höchst persönliche Phase non-konformistischer Rejektion, das Abitur wollte ich nicht machen und meine Haare abschneiden auch nicht – ich konnte ja damals noch nicht ahnen, wie sensationell gut mir der Telly-Savallas-Look einmal stehen würde. Aber schließlich siegte die parentale Obrigkeit irgendwie immer, zumeist, indem sie auf das klassische Druckmittel zurückgriff – die finanzielle Deprivation.

Heute – gute 25 Jahre später – sind die Rebellen nach wie vor immer und überall; multinational und provinziell zugleich, denn sie bedrohen einerseits unsere Sicherheit am Hindukusch und auf der anderen Seite drohen sie mit sozialliberalen Parteigründungen in Hessen. Was genau eigentlich unter dem Begriff „Rebell“ zu verstehen ist, bleibt bei einer solch diffusen Gemengelage natürlich im Dunkeln, aber wir erkennen das ausgefranste Ende eines roten Fadens, wenn wir uns die selige Andrea Ypsilanti für einen Moment als Cäsar vorstellen: Zwar blieben ihr die 23 Messerstiche erspart, der Guten, aber dafür glänzte die SPD-Führung in der Rolle der 60 Senatoren, die dem blutigen Spektakel seinerzeit tatenlos zusahen. Ob der römische Senat Cäsars Ermordung billigte, weil er eifersüchtig auf dessen Popularität beim Volk war – darüber streiten sich bekanntlich heute noch die Geister, und was genau der Frau Ypsilanti eigentlich zum Verhängnis wurde, weiß man im Prinzip auch noch nicht so genau; die medial rauf und runter zelebrierte „Lüge“ kann’s wohl nicht gewesen sein, ich meine: Come on! – wäre dem so, die bundesdeutsche Parteipolitik gliche einem einzigen Dauergemetzel. Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, dass einige SPD-Granden die Gunst der Stunde nutzen wollten, denen auch in der Partei rechts vor links geht. „Putsch in Hessen“, knallte Giovanni di Lorenzo dazu auf die Titelseite der ZEIT – die war sich selbst aber offenbar einmal nicht voraus, denn in Wahrheit lief da bereits längst die Konterrevolution.

Jetzt aber wollen die vier Rebellen von damals offenbar keine solchen mehr sein, sondern vielmehr die Waffen niederlegen und in die heile Welt des Konformismus übertreten. Eine schöne Idee, der ja bekanntlich schon viele gefolgt sind, wenn auch nicht immer mit Erfolg. Fidel Castro zum Beispiel startete seine politische Laufbahn ja auch als Rebell, hatte auf den Stress aber schließlich keinen Bock mehr, als der Posten des „Maximo Lider“ in greifbarer Nähe schien. Warum immer nur Kämpfen, wenn man auch als Etablierter sein Auskommen finden kann? – eine verlockende Vorstellung, auch ohne bundesdeutsche Parteienförderung. Sein Kumpel Che hatte weit weniger Glück, musste aber ja auch unbedingt weiter einen auf James Dean machen, wobei sein Ende aber insgesamt der Legacy zuträglicher war als das des amerikanischen Schauspielers. Weil mal ganz im Ernst: Wer möchte schon am Steuer eines Porsche den Abgang machen?

Wendelin Wiedeking!, so mag Ihr spontaner Einwand auf meine wenig durchdachte Floskel lauten – und in der Tat: damit haben Sie sogar recht; denn Wiedeking scheiterte ja quasi auch als „Rebell“. Das macht aber die Sache nur umso verworrener, denn wenn mir mal kurz rekapitulieren, wo zeitgenössisches Rebellentum überall anzutreffen ist, dann erhalten wir:  a) im afghanischen Hochland b) in der politischen Tiefebene Hessens und c) in den unendlichen Weiten der VW-Porsche-Saga. Wer behält da jetzt noch den Durchblick, Sie vielleicht?

Wiedeking läuft aber gewissermaßen außer Konkurrenz, denn sein Rebellenschicksal könnte anti-orthodoxer nicht sein: Statt 50 Peitschenhieben oder gleich Gewehrkugeln gab’s 50 Millionen Abfindung – historisch beispiellos. Und wenn Sie sich jetzt die Frage stellen, meine lieben Leser, ob man das nicht als Anhaltspunkt für ganz neue Wege in der Bekämpfung von Aufständischen werten sollte, sodass wir fürderhin in Afghanistan nicht Bomben sondern Geld auf sie regnen lassen – dann halte ich das prinzipiell für eine sehr charmante Idee. Vermutlich werden sich unsere Politiker aber ihr nicht anschließen, weil sie sich das schöne Geld noch für die Beregnung ihrer Wähler zuhause aufheben wollen: Die können ja ab und an auch ganz schön rebellisch werden, wie die Geschichte lehrt, und das will natürlich keiner.


12 Lesermeinungen

  1. c.cramer sagt:

    also 89 hat als rebellion...
    also 89 hat als rebellion gereicht, in eine kirche zu gehen, die kerzen mitzunehmen, sich anschließend auf die straße zu setzen und zu rufen, ‚keine gewalt!‘. very simple. also versucht’s doch mal… es gibt drei möglichkeiten: entweder, es klappt völlig überraschend und ihr laßt euch die neu gewonnene freiheit von einem auswärtigen schlaumeier sofort für eine fremdwährung wieder abnehmen. oder es interessiert keine sau und ihr hockt sinnlos in der kälte (also besser im sommer demonstrieren). oder ein bundeswehrpanzer im inneneinsatz planiert die veranstaltung (kurzer aufschrei der empörung, aber dann business as usual – ‚ich muß noch ein geschenk kaufen‘ oder so).
    irgendwie hatte der spengler schon recht. die von ihm vorhergesagte 1. phase des untergangs unserer kultur in der zivilisation, der ‚demokratie‘ (spengler hat sie in anführungszeichen gesetzt), die eigentlich eine herrschaft des geldes war, welche die politischen formen und gewalten durchdrang, ist nun vorüber und wir treten ein in die 2. phase, in der die gewaltpolitik über das geld siegt, in der nationen in eine formlose bevölkerung zerfallen und in einem primitiv-despotischen imperium zusammengefaßt werden.
    ich finde, besser kann man die derzeitige situation nicht beschreiben, in der ‚die menschen wieder auf einen starken staat vertrauen‘, nachdem vorher der totale markt herrschte und jeder einzelne nur noch als wirtschaftsfaktor fungierte. allerdings sind die beschriebenen abläufe laut spengler schicksalhaft und unausweichlich. möglichkeiten zur grundsätzlichen veränderung der geschichtlichen tatsachen schließt er deshalb aus und leider sind in einer zivilisation die gestaltungsspielräume viel weiter eingeschränkt als zu beginn einer kultur. jedoch hat jeder in diesem geschichtlichen system seinen platz, zu dessen einnahme er vom schicksal gezwungen wird. gleichgültig, ob jemand nun despotische oder rebellische bestrebungen in sich spürt.

  2. @ bob v. 10. August 2009,...
    @ bob v. 10. August 2009, 11:27
    Sie irren sich in Ihrer Feststellung zu meiner geistigen Beziehung zu unserer Bundeskanzlerin. Ich erkenne sie nur als die Gorbatschowa der gegenwärtigen Exoduskrise des weltindustriellen Fortschrittsprozesses – eine welthistorische Rolle, die sie inhaltlich noch geheimhält. Offensichtlich auch vor Ihnen. Die geschichtlich-machtpolitischen Fakten sind beinhart und Angela ist die Person, die nur eine politische Erfolgschance hat, wenn sie sich den Umbruchaufgabe sachlogisch, d.h. evolutionsprozess-logisch stellt.
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    Wenn Angela Merkel heute in Sopron dem Ereignis der ungarischen Grenzöffnung am 19.8.1989 gedachte, dann ist das auch als Teil ihrer globalen Perestroika-Planung zu sehen. Sie will auf die Analogie aufmerksam machen, die zwischen damals und heute besteht.
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    In aktuellen Fall des Exodus aus dem Wachstumszwang-Tyrannei der Kapitalstockmaximierer muß nur der ‚geistige Vorhang‘ fallen – der letzlich ein Medienvorhang ist – der das Evolutionsprojekt-Wissen in die foglende Weltordnung vor den Nicht-Wissenden noch trennt. Wer kennt schon die zukünftige Weltordnung des KREATIVEN, wie ich sie nenne, das Land-der-Herrschaft-des-Schöpferischen, wer hat die wirtschaftsordnungspolitischen Inhalte des öko-KREATIVEN-ORDOliberalismus drauf, usf. – alles Begriffe für Realitäten, die Angela Merkel mit ihrer CHARTA-für-nachhaltiges-Wirtschaften in die Welt bringen will.

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