Chaos as usual

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Wer sich heutzutage in den Straßenschluchten des Kapitalismus bewegt, muss aufpassen, von einstürzenden Paradigmen und herabfallenden

It’s the Stamokap-Economy, stupid!

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Niall Ferguson verweist in seinem jüngsten Buch "The Ascent of Money" auf den deutschen Marxisten Rudolf Hilferding - allerdings nur, um ihn zu widerlegen. Doch halt, Mister Ferguson! Nicht gar so schnell: Rudolf Hilferding legte mit seinem "Finanzkapital" eine erstaunlich aktuelle Kapitalismusanalyse vor, inklusive Krisenprognose, und das bereits anno 1910. Und auch als "Endstufe des Kapitalismus" skizzierte er ein Szenario, das uns anno 2009 sooo fremd eigentlich nicht erscheinen sollte.

Ich staunte ja nicht schlecht, als ich Anfang des Jahres in Niall Fergusons neuem Buch „The Ascent of Money“ einen Verweis auf Rudolf Hilferding fand. Seit Jahrzehnten schien die ökonomische Literatur einen großen Bogen um den ehemaligen Parade-Marxisten und Lenin-Vordenker zu machen, und jetzt sollte also ausgerechnet Harvard-Edelhistoriker Ferguson dem Mann die Reverenz erweisen? Nicht zu glauben.

„Vor 90 Jahren prophezeite der deutsche Sozialist Rudolf Hilferding einen unaufhaltsamen Trend zur Eigentumskonzentration im „Finanzkapital“, wie er es nannte. Und die konventionelle Sicht betrachtet die Entwicklung auch tatsächlich aus dem Blickwinkel der großen, überlebenden Einheiten. Der offizielle Stammbaum der Citigroup zum Beispiel wurzelt in zahllosen kleineren Unternehmen – zurückgehend bis zur 1812 gegründeten City Bank of New York -,  die nach und nach näher aneinanderrückten, bis sie schließlich das Rückgrat des heutigen Konglomerats formten. Nichtsdestotrotz ist diese Sichtweise gerade die verkehrte, denn langfristig führt die Entwicklung des Finanz- und Kreditwesens von einem gemeinsamen Stamm weg, hin zu neuen und kleineren Banken und Finanzinstituten.“  

Ah, OK – alles klar: Ferguson baute Hilferding also nur aus dem einen Grund in sein Buch ein, um dessen These als falsch herauszustreichen; die These nämlich, dass sich über kurz oder lang das gesamte Banken- und Industriekapital einer kapitalistischen Volkswirtschaft in den Händen einiger weniger Finanzoligarchen bündeln würde, die – aufgrund der sich daraus ergebenden, wechselseitigen politischen Abhängigkeiten – noch dazu auf das Engste mit der staatlichen Bürokratie verbandelt wären. Aber hat sich der gute Niall da nicht vielleicht ein wenig zuviel vorgenommen? Ich meine: in unseren post-finanzkapitalistischen Tagen sieht es doch geradezu danach aus, als ob Hilferding mit seinen Thesen absolut recht gehabt hätte. Sehen wir uns das also mal genauer an!

Zunächst einmal werden die Luhmann-Fans unter uns ökonomischen Freizeitsportlern für Fergusons Einwand eine Menge Sympathie aufbringen: Die immer weiter gehende funktionale Ausdifferenzierung der Geldwirtschaft schreit gewissermaßen danach, dass sich immer neue Finanzierungsformen und Kreditinstrumente herausbilden, und mit ihnen neuartige, spezialisierte Finanzorganisationen in ihren jeweiligen Nischen. Hedge- und Private-Equity-Fonds, Mobilien- und Immobilienfinanzierer, Konsumentenkreditspezialisten, Verbriefungsplattformen – das alles kennen wir natürlich heutzutage nur zu gut, während es vor einigen Jahrzehnten von untergeordneter Rolle bzw. überhaupt nicht existent war. Auf den ersten Blick hat Ferguson also nicht unrecht.

Andererseits lässt sich aber ja nicht leugnen, dass es seit Jahrzehnten immer wieder die gleichen sind, die zum Schluss – wenn sich der Pulverdampf verzogen hat – als Sieger dastehen. Und es sind kurioserweise ja nicht die kleinen, schnellen und innovativen Unternehmen, die die Beute unter sich aufteilen, sondern die großen – die „Bereits-Großen“ von gestern, die dabei zu den „Noch-Größeren“ von morgen mutieren. Die Deutsche Bank schluckt Sal. Oppenheim, die Commerzbank schluckt die Dreba und drüben, auf der anderen Seite vom Teich, schlucken BofA, Citi und JP Morgan alles andere.

Und wenn man es genau nimmt, dann sah auch Hilferding durchaus eine immer weitergehende funktionale Differenzierung des Finanzsektors vor sich gehen, und beschrieb in seinem 1910 erschienenen Erstling „Das Finanzkapital – Eine Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus“ durchaus die Unterschiede zwischen kurzfristigem „Geld-„ und langfristigem „Industriekapital“ und die mannigfaltigen Folgen, die sich aus dieser Unterscheidung sowohl für die Banken selbst wie auch ihre Kreditnehmer ergeben würden: den dominierenden Einfluss der Banken auf ihre industriellen Kunden sah er voraus, sowie die damit einhergehende Verflechtung, wie sie vor allem im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts in der sattsam bekannten „Deutschland AG“ sichtbar wurde; aber auch die zunehmende Bedeutung des Wertpapier-Eigenhandels für die Banken, ihre immer wichtiger werdende Rolle als „Market Maker“ und den Aufstieg der Spekulation insgesamt:

„Die Mobilisierung des Kapitals eröffnet den Banken ein neues Gebiet ihrer Tätigkeit: die Emission und die Spekulation. Theoretisch ist es dabei nicht von Belang, ob diese Tätigkeiten mit der Zahlungs- und Kreditvermittlung einer Bank verbunden sind oder von verschiedenen Bankinstituten besorgt werden. Wichtig ist nur die Unterscheidung der einzelnen Funktionen nach ihrer ökonomischen Bedeutung. Die moderne Entwicklung führt übrigens überall in immer steigendem Grade zur Zusammenfassung dieser Funktionen, sei es in einem Unternehmen, sei es durch Beherrschung mehrerer, verschiedene und also sich ergänzende Funktionen erfüllender Unternehmungen durch denselben Kapitalisten oder dieselbe Kapitalistengruppe. Das Moment, das zur Zusammenfassung führt, ist in letzter Instanz dies, dass in allen diesen Funktionen das Kapital als Geldkapital im spezifischen Sinn auftritt, als Leihkapital, das stets wieder aus seiner jeweiligen Anlage als Geld zurückgezogen werden kann.“

Wer genau hinsieht, wird in dieser Passage mehr entdecken als nur einen guten Schuss „Karl Marx“ (was nicht wundern sollte, denn schließlich wird Hilferdings „Finanzkapital“ häufig als „Band 4″ des Marxschen Kapitals tituliert): Der aufmerksame Beobachter entdeckt darin vielmehr die unmittelbaren Auslöser der aktuellen Bankenkrise, die da lauten „hemmungsloses Aus-Kurz-Mach-Lang“ sowie „unreguliertes Schattenbankensystem“. Kurzfristiges Kapital ist flüchtig, das mussten im Zuge dieser Krise eine Menge Damen und Herren Bankenvorstände feststellen, zu ihrer großen Überraschung offenbar, aber leider nicht zu ihrem eigenen Schaden.

Fergusons Argument eingangs gegen Hilferding sticht also nicht wirklich. Darauf weist übrigens auch noch etwas anderes hin, nämlich dieser ganze unselige Begriff von der „Systemrelevanz“, der im Prinzip nichts anderes meint, als dass heutzutage jeder mit jedem so dermaßen intensiv verbandelt ist, dass schon der Umfaller der aller kleinsten Finanzklitsche einen veritablen Super-GAU auslöst. Aus diesem Blickwinkel ist Hilferding auch und vor allem heute von kaum zu überschätzender Aktualität. Ein gewisser Herr Lenin gab Hilferding um das Jahr 1915 herum bekanntlich eine etwas andere, der Epoche der Imperialismen geschuldete, Konnotation – aber das ist eine andere Geschichte.

Für uns hier und heute wesentlich spannender sind zunächst Hilferdings Ansichten zur Krise, denen man ebenfalls eine gewisse Aktualität nicht absprechen kann und mit denen er den Herren Bernanke, King und Co auch posthum noch eine lange Nase dreht:

„In Wirklichkeit finden wir bei der Krise auf der einen Seite brachliegendes industrielles Kapital, Baulichkeiten, Maschinen usw., auf der anderen brachliegendes Geldkapital. Dieselbe Ursache, die das industrielle Kapital brachlegt, legt das Geldkapital brach; das Geld kommt nicht in Zirkulation, fungiert nicht als Geldkapital, weil das industrielle Kapital nicht fungiert; das Geld ist unbeschäftigt, weil die Industrie unbeschäftigt ist.“

Denn mehrere Runden erfolgloser „Quantitative Easing“- Operationen später dämmert auch dem enthusiastischen Notenbanker von gerade eben noch: „Hoppla – das ist ja doch alles gar nicht so einfach“ – und drüben an der Ostküste muss der Ben, der als „the greatest Scholar of the Great Depression“ sein Amt angetreten hat, plötzlich um seine Wiederwahl als Fed-Chef bangen.

Aber kommen wir nochmal zurück auf Hilferdings prophetisches Zitat, auf das sich eingangs auch Ferguson bezieht. Es handelt sich dabei um folgende Passage aus dem Finanzkapital:

„Mit der Entwicklung des Bankwesens, mit der immer enger werdenden Verflechtung der Beziehungen zwischen Bank und Industrie verstärkt sich die Tendenz, einerseits die Konkurrenz der Banken untereinander immer mehr auszuschalten, andererseits alles Kapital in der Form von Geldkapital zu konzentrieren und es erst durch die Vermittlung der Banken dem Produktiven zur Verfügung zu stellen. In letzter Instanz würde diese Tendenz dazu führen, dass eine Bank oder eine Bankengruppe die Verfügung über das gesamte Geldkapital erhielte. Eine solche „Zentralbank“ würde damit die Kontrolle über die ganze gesellschaftliche Produktion ausüben.“

Klingt irgendwie vertraut? Sie sehen, meine sehr verehrten Leser, zwischen diesen Sätzen den Joe hervorgrinsen, die Finger der uns entgegengestreckten Hand zu einem „V“ (wie V-förmiger Aufschwung) geformt? Tja, ganz doof war er offenbar nicht, der Rudi Hilferding, nicht wahr?

Seien Sie jedoch nicht gleich beunruhigt: Hilferding sah in dieser Entwicklung eine Art „Endstufe des Kapitalismus“ in Form eines von Bürokraten organisierten und kontrollierten „kapitalistisch adaptierten Sozialismus“. Also nichts mit „Revolution des Proletariats“ und so, sondern immerwährender Wohlfahrtsstaat unter der Führung charmanter, finanziell gut situierter Nadelstreifenträger. Das verschaffte Hilferding unter Hardcore-Marxisten eine entsprechend negative Rezeption, weil für die geht bekanntlich nichts unterhalb von Randale.

Wie Hilferding sich das ganze ökonomisch vorstellt, möchte ich abschließend noch einmal in einem Originalzitat ausführen, und erneut werden Sie womöglich Parallelitäten zum Hier und Heute feststellen – ja vermutlich werden Sie sich sogar im letzten Satz selbst wiedererkennen, ich tippe dabei auf das kleine Wörtchen „anderen“:

„Er [Anm: der Kredit, TS] entspringt daher aus dem Sozialismus, der der kapitalistischen Gesellschaft angepasst wird, er ist der schwindelhafte, kapitalistisch adaptierte Sozialismus. Er sozialisiert das Geld der anderen für den Gebrauch der wenigen.“

Und wer es jetzt noch immer nicht begriffen hat, dem sag ich’s halt so:

It’s the Stamokap-Economy, stupid!

 


35 Lesermeinungen

  1. keiner sagt:

    Schweinchen Schlau ist schon...
    Schweinchen Schlau ist schon einen Schritt weiter:
    https://www.handelsblatt.com/politik/gastbeitraege/das-finanzsystem-neu-starten;2443326
    Der will den ganzen Betrug gleich von gesetzeswegen durchziehen. WAS für eine Welt, WAS für eine Zeit…

  2. lemming sagt:

    "Ist das Monopol einmal...
    „Ist das Monopol einmal zustande gekommen und schaltet und waltet es mit Milliarden, so durchdringt es mit absoluter Unvermeidlichkeit alle Gebiete des öffentlichen Lebens, ganz unabhängig von der politischen Struktur und beliebigen anderen „Details“. In der deutschen ökonomischen Literatur ist es üblich, die Unbestechlichkeit des preußischen Beamtentunis lakaienhaft über den grünen Klee zu loben, mit deutlichen Seitenhieben auf den französischen Panamaskandal und die amerikanische politische Korruption. Aber es ist eine Tatsache, daß sogar die bürgerliche Literatur über das deutsche Bankwesen fortwährend gezwungen ist, weit über die Behandlung reiner Bankoperationen hinauszugehen und beispielsweise aus Anlaß der sich häufenden Fälle des Übertritts von Regierungsbeamten in den Bankdienst von einem „Zug zur Bank“ zu schreiben: „Wie steht es aber um die Unbefangenheit eines Staatsbeamten, dessen stilles Sehnen ein warmes Plätzchen in der Behrenstraße ist?“ – die Straße in Berlin, wo die „Deutsche Bank“ ihren Hauptsitz hat. “
    (auch Lenin kann man eine gewisse Aktualität nicht absprechen, wie’s scheint.)

  3. staph.aureus sagt:

    Nix Randale, fröhlich singen...
    Nix Randale, fröhlich singen mit Reinhard Mey „Ich bin Klempner von Beruf“.
    Und an Robert De Niro in Brazil denken. Schöne neue Finanz-Welt.

  4. Ach ja, ein ehemaliger...
    Ach ja, ein ehemaliger sozialdemokratischer Finanzminister, der wenigstens noch Ahnung hatte, von dem, was er tat.

  5. dunnhaupt sagt:

    Die Großen fressen die...
    Die Großen fressen die Kleinen. Dies gilt nicht nur auf dem Gebiet des Finanzwesens, sondern ist völlig normal in der kapitalistischen Welt. Merck & Co schluckt kleine Biolabs und Nestle kauft Schokofirmen oder Kaffeeröster. Wachstum lässt sich entweder durch Umsatzsteigerung oder durch Aufkauf der Konkurrenz erzielen.

  6. stroblt sagt:

    Und der auch lernfähig war:...
    Und der auch lernfähig war: „Der größte Gegensatz heute ist nicht der Sozialismus und Kapitalismus, … sondern Freiheit und Staatssklaverei“, schrieb er Ende der 30er-Jahre, nachdem er in Stalins Sowjetunion den Totalitarismus schauen durfte. Und außerdem: „Die Gewalt ist blind, ihr Ergebnis nicht voraussehbar“ – das hat ja schon fast systemtheoretische Züge. Und den marxschen Determinismus fand er zum Schluss auch nicht mehr so überzeugend, stattdessen kehrte er gedanklich wohl wieder zurück zu Max Weber.

  7. Sigmund sagt:

    Also heute wollen die Herren...
    Also heute wollen die Herren Strobel und Luebberding mich wohl in eine Depression treiben. Drüben die Rebellen-Geschichte, die die Ausrufung des Feudalismus. Ihr macht mich ganz schön fertig.
    (Nicht das diese Informationen neu sind.)

  8. Nanuk sagt:

    @staph.aureus
    Lieber das hier...

    @staph.aureus
    Lieber das hier singen das passt besser in unsere Zeit…
    https://www.youtube.com/watch?v=8Lz_qPvKCsg

  9. stroblt sagt:

    <p>@Sigmund</p>
    <p>Ach komm,...

    @Sigmund
    Ach komm, das darf man alles nicht so eng sehen. Wer müsste sich vor solchen Charmbolzen fürchten?


    (Quelle: welt.de)

  10. Sigmund sagt:

    (Grins)
    Erinnert mich spontan...

    (Grins)
    Erinnert mich spontan an Good Fellas.
    Nur das dieser „Godfather“ nicht wie Paul Cicero zum Schluß doch noch einfährt.

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