In der FAZ schreibt heute Gerald Braunberger einen interessanten Beitrag zu Staatsschulden und Inflation. Dabei geht er überblicksartig auch auf die Hyperinflation von Weimar 1922/23 ein und benennt zutreffend die windige Finanzierung des 1. Weltkriegs als dessen Hauptursache. Aber aus dieser bemerkenswerten Epoche deutscher Geschichte gibt es natürlich noch wesentlich mehr zu berichten, als im Printbeitrag Platz finden konnte – sehen wir uns das daher nachfolgend mal etwas genauer an.
Das nahezu vollständige Verglühen privaten Kapitals in besagter Finanzierung des 1. Weltkriegs führte in der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst einmal zu einem massiven wirtschaftlichen Einbruch. Dazu gesellten sich die enormen Reparationsforderungen der Aliierten, die der Höhe nach insoferne eine Problem darstellten, als sie sich wenn überhaupt dann nur durch deutsche Exporterlöse finanzieren ließen. Ein entsprechender Anstieg im deutschen Außenhandel wäre aber notwendigerweise zu Lasten des englischen Außenhandels und der anderen alliierten Exporteure gegangen, und hätte damit über kurz oder lang zu Protektionismus und erneuten internationalen Spannungen geführt. Dies war den meisten Akteuren der damaligen Zeit soweit auch klar, auf beiden Seiten des Verhandlungstisches, der englische Ökonom John Maynard Keynes hatte sich dagegen bereits im unmittelbaren Anschluß an Versailles in seiner Polemik „The economic Consequences of the Peace“ ausgesprochen. Selbst ein gegenüber der ursprünglichen Forderung von Versailles deutlich reduzierter Kompromissvorschlag der Deutschen in Höhe von 30 Mrd Goldmark erschien einzelnen Ökonomen auf alliierter Seite noch immer als unrealistisch hoch. Nur war die damalige Zeit nicht wirklich reif dafür, die ökonomische Erkenntnis unmittelbar in eine entsprechende politische Verhandlungslösung einfließen zu lassen.
Auf deutscher Seite wurde insbesondere durch den zeitweiligen Verhandlungsführer Hjalmar Schacht, damals Vorstand der Danat-Bank und noch nicht Reichsbank-Präsident, die Ansicht vertreten, dass Deutschland über Exporterlöse die Reparationen begleichen solle. Die Idee war, diese zunächst durch eine internationale Anleihe vorzufinanzieren, die bei amerikanischen und englischen Anlegern plaziert werden sollte. Frankreich sollte vorab einen Großteil dieser Anleihe erhalten, im Gegenzug für ein 5-jähriges Moratorium der restlichen Reparationsforderungen. Eine staatlich kontrollierte Monopolgesellschaft für den Export sollte dafür sorgen, dass die Erlöse der deutschen Ausfuhren für die Rückzahlung dieser Anleihe zur Verfügung standen – ein Plan, der nicht ohne Kritik der deutschen Exportwirtschaft blieb, weil er insbesondere den Interessen der Großindustriellen vom Schlage eines Hugo Stinnes zuwiderlief.
Im Januar 1923 verschärfte sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland dramatisch. Französische und belgische Truppen besetzten das Ruhrgebiet, um ihren rückständigen Reparationsforderungen Nachdruck zu verleihen und durch Zugriff auf deutsche Kohle und Industrieanlagen abzusichern. Die Bevölkerung quittierte den Einmarsch mit einer Politik des „passiven Widerstands“ und großflächiger Streiks, unterstützt durch die Reichsregierung, die wohl nicht anders konnte, als sich dem Druck der Straße zu beugen. Zusätzlich zu den ohnehin bereits bestehenden Lasten mußte die Regierung nun also auch noch für Unterstützungszahlungen an die Bevölkerung in den besetzten Gebieten aufkommen, und diese ließen sich selbstredend nicht aus dem laufenden Etat aufbringen; daher der beherzte Griff in die Kasse der Zentralbank, die – obwohl an und für sich unabhängig von der Politik – massive Kredite in Form unverzinslicher Schatzanweisungen zur Verfügung stellte, was die ohnehin bereits galoppierende Inflation noch zusätzlich anheizte.
Die Idee, über eine Währungsreform wieder zur Preisstabilität zurückzufinden, wurde deshalb ab etwa Mitte 1923 ernsthaft in Erwägung gezogen. Der Kredit- und Währungsexperte Karl Helfferich entwickelte den Plan einer reformierten Mark, die nicht mehr durch Gold gedeckt sein sollte, sondern durch Roggen; genauer: durch sogenannte „Rentenbriefe“, die wiederum den Wert von einer Tonne Roggen verkörperten. Auf den ersten Blick eine bestechende Idee, denn die deutsche Landwirtschaft produzierte ausreichend Roggen, um die Deckung der „Roggenmark“ zu gewährleisten. Aber andererseits ein Plan mit einer Reihe von Schwachstellen, nicht zuletzt aufgrund des schwankenden Preises für Roggen, zudem wäre die neue Währung anfällig für Spekulation und Manipulation gewesen.
Der damalige Finanzminister Rudolf Hilferding (dessen Kapitalismustheorie ich in diesem Beitrag unlängst diskutiert habe) wandelte daher den Helfferich-Plan inhaltlich ab und propagierte stattdessen die Deckung mittels einer Hypothek auf zukünftige Bodenerträge, sogenannter „Bodenrenten“. Die hilferdingsche Konstruktion ähnelte den damals bereits mit langjähriger Tradition versehenen Hypothekenpfandbriefen, die allgemein als besonders sichere Kapitalanlage angesehen wurden. Die neue „Rentenmark“ hatte deshalb also beste Voraussetzungen, von einer skeptischen Bevölkerung, die das Vertrauen in die bestehende Währung restlos verloren hatte, auch ohne Golddeckung anerkannt zu werden.
Eine Expertenkommission wurde von Hilferding einberufen, mit Vertretern aus Bankwesen, Industrie, Wissenschaft und Reichsbank, die über die Details einer Währungsreform beraten und konkrete Empfehlungen für ihre Umsetzung abgeben sollten. Hjalmar Schacht, obwohl damals bereits inoffziell als möglicher kommender Richsbankpräsident gehandelt, wurde in diese Kommission nicht eingeladen. Das wird sicherlich auch daran gelegen haben, dass er und Hilferding eine ausgesprochene Antipathie füreinander hegten und auch politisch nicht weiter auseinander liegen hätten können.
Der Hilferding-Plan wurde schließlich vom Reichslandwirtschaftsminister (und späteren Finanzminister) Hans Luther aufgegriffen und zu einem detaillierten Konzept verfeinert. Dabei wurde er misstrauisch beäugt von Schacht, für den alles andere als eine goldgedeckte Währung blanker Unsinn war.
Im Zuge einer Regierungsumbildung schied Hilferding aus dem Kabinett Stresemann aus und Luther wurde Finanzminister. In dieser Funktion machte er sich nun umgehend an die Vorbereitungen zur Einführung der neuen „Rentenmark“, unterstützt von einem neuen Reichswährungskommissar, zu dem ausgerechnet der egozentrische Skeptiker Hjalmar Schacht bestellt wurde, der die Rentenmark in öffentlichen Statements gerade eben noch verteufelt und sich stattdessen für eine neue, goldgedeckte Währung und die Gründung einer neuen Zentralbank mit ausländischer Beteiligung ausgesprochen hatte. Nichtsdestotrotz: als er im November 1923 sein neues Amt antrat, fand er die Gesetze und Verordnungen für die neue Rentenmark bereits fix und fertig vor, und führte sie schließlich auch ohne große Umschweife ein. Die von ihm mitgegründete Partei DDP nutzte die Fügung im kurze Zeit später einsetzenden Wahlkampf für den Slogan „Wer hat die Rentenmark gemacht? Natürlich unser Hjalmar Schacht!“, was angesichts der tatsächlichen Gemengelage und insbesondere Schachts eigener Überzeugungen ein eher kurioser Claim war.
Aber egal: die Einführung der Rentenmark wurde ein voller Erfolg, der Hyperinflation wurde das Genick gebrochen. Natürlich waren damit die Währungskalamitäten und Reparationsstreitigkeiten noch nicht gänzlich ad acta gelegt, und selbstredend folgte unmittelbar auf die Einführung der neuen Währung eine dramatische Aufwertungsrezession, die unzählige deutsche Exporteure in den Bankrott trieb. Aber das alles ist Teil einer anderen Geschichte …
Mir fehlt die vergleichende...
Mir fehlt die vergleichende Bewertung der Analogie, einen (feindlich) Übernommenen nicht eine Investitionsrendite erwirtschaften zu lassen, sondern zu zwingen, seinen eigenen Kaufpreis abzuwerfen.
Karl Helfferich war der...
Karl Helfferich war der Hassprediger des ‚Annexionsfriedens‘ im Krieg, wonach die Ukraine, Belgien und noch so einiges andere ‚deutsch‘ werden sollte, danach war er der ‚Macher‘ des Anti-Bolschewisten-Fonds, und damit der größte Förderer der Freikorps, und schließlich dann Chef der völkischen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), die in nahezu jedem ‚Fememord‘ ihre Finger hatte. Mit anderen Worten: Er verlieh dem deutschen Unglück sein Gesicht (in Konkurrenz zu Ludendorff natürlich).
Die „Roggenmark“ hätte Helfferichs Kaste, das preußische Junkertum, zum nationalen Produzenten der Basis allen volkswirtschaftlichen Reichtums gemacht.
Diesen Mann uns hier bloß als „Kredit- und Währungsexperten“ vorzustellen, greift ein wenig zu kurz …
@Klaus Jarchow
Das mag ja so...
@Klaus Jarchow
Das mag ja so sein, und selbstredend gäbe es auch zu Schacht noch eine Menge zu sagen, der in der oben angesprochenen Epoche ja als „Deflationist“ in Erscheinung tritt, von vielen allerdings als der Inbegriff des „Inflationisten“ verstanden wird und natürlich auch noch als Nazi gedeutet werden kann (und muss).
Aber mal im Ernst: welchen Sinn hätte es, einen Blogbeitrag über die Weimarer Inflationszeit in eine solche Thematik wie die Helfferichsche zu verzweigen? Das eigentliche Thema wäre verwässert worden, und den zusätzlichen Erzählstrang hätte man kaum ausreichend würdigen können. Vielleicht mache ich dazu mal was eigenes.
<p>@Pique</p>
<p>Danke für...
@Pique
Danke für das Kompliment. Ich lese jeden Tag die Mainstream-Presse, ausgiebigst. Und ja: sie strotzt regelrecht vor Beiträgen wie dem obigen, auf jeder zweiten Seite Berichte und Analysen über Weimar, die Große Depression, den Kreditmechanismus, Keynes …
Auch Währungen haben ein...
Auch Währungen haben ein Schicksal, das ihnen bei der
„Geburt“ in die Wiege gelegt worden ist. Wir leben heute nach wie vor noch in einer Vorzeit, da wir noch nicht gelernt haben, das, was die guten und bösen Feen über das „Neugeborene“ verhängt haben, zu deuten. Daran ist meine Zunft nicht unschuldig. Wie eine angemessene Bestandsaufnahme aussehen könnte, dazu: https://mundanestagebuch.blogspot.com/2009/04/v-behaviorurldefaultvml-o.html unter der Überschrift: „Erdstöße und Hyperinflation“.
@FritzV Natürlich war auch...
@FritzV Natürlich war auch die Rentenmark eine Fehlkonstruktion, das war damals bekannt, aber sie erfüllte ihre Funktion: den Kredit an den Staat zu beschränken, das Reich konnte nur eine bestimmte Summe in Rentenmark von der Rentenbank als Kredit nehmen, keinen Kredit von der Reichsbank mehr. Die Mark bestand weiter, per Gesetz als Goldwährung, auch wenn die Einlösungspflicht ruhte, sie wurde stabilisiert und abgewertet in Reichsmark umbenannt. Die Rentenmark verschwand langsam. Natürlich hätte man die Inflation technisch viel einfacher stoppen können, das wußte man damals, man sehe nur die Vorschläge der ausländischen Gutachter von 1922 in Berlin (Cassel, Jenks, Keynes, Vissering, usw), aber die Rentenmark genoß Vertrauen, was besser als Annahmepflicht per Gesetz ist.
@FritzV
>>P.S. Mein Gott...
@FritzV
>>P.S. Mein Gott @lemming
Und was lehrt uns das!<< Sollte ich den Grad von sophistication der FAZ-Leserschaft etwa überschätzt haben? Das war stilistische Absicht, lieber Fritz. Denn "lehren" setzt einen Lehrer wie auch eine von diesem zu vermittelnde, also bereits vorhandene, Lehre voraus, eine Lehrabsicht. Lernen dagegen kann man aus allem, vor allem Neues aus Neuem. Ich hätte also sagen können, und nach DeutschlehrerLehre korrekt: "Und was lernen wir daraus?" Das fand ich aber eben zu deutschLEHRErhaft.
"Nur war die damalige Zeit...
„Nur war die damalige Zeit nicht wirklich reif dafür, die ökonomische Erkenntnis unmittelbar in eine entsprechende politische Verhandlungslösung einfließen zu lassen“:
Um handeln zu können brauchen wir ein Modell von der Wirklichkeit. Die bedingungslose Kapitulation 1919 hat diese Modell – nach dem Prinzip der Gerechtigkeit – nicht gelten lassen, hat es nicht erkannt (erkennen wollen).
Heute spricht man von der Kritik des kollektivistischen Altruismus und der Selbstlosigkeit dem Goldstandard des Guten, als wichtige Stimme einer Freiheit.
Leben und leben lassen!… Agape und Caritas… die effizienten Problemlöser.
@lemming 20. August 2009,...
@lemming 20. August 2009, 21:13
sorry für den Schnellschuß, kaum hatte ich die Taste gedrückt, da dachte ich, Mist, das war Absicht vom lemming…Asche auf mein Haupt…
@mundanomaniac: "Auch...
@mundanomaniac: „Auch Währungen haben ein Schicksal, das ihnen bei der Geburt in die Wiege gelegt worden ist“. Das Metall der Euromünzen sagt es. Wäre es eine winzige Goldmünze, wäre es Silber oder Nickel, dann wäre das Metall einer Euro-Münze zu schnell teurer als ein Euro: Inflation von möglichst nah, aber unter 2%. Das Säugling wächst nicht, es schrumpft.