Vor etwa sechs Jahren wurde ich, damals Mitarbeiter eines internationalen Konzerns, als (neudeutsch) Global Compensation & Benefits Manager nach Brüssel entsandt, wo ich mich um die Mitarbeitervergütung kümmern sollte. Das war eine durchaus interessante Erfahrung.
Bis dahin hatte ich mich mehr als Bauer gefühlt: Ich hatte ein Haus, einen großen Garten und verbrachte meine freie Zeit damit, Hof und Garten zu bestellen. Wir hatten ein paar Hühner, Hasen, einen Teich mit Fischen und eine Voliere. Für unsere drei Kinder war das eine richtige kleine Farm. Während plusminus 9 Stunden war ich der Knecht meines Arbeitgebers, danach war ich Kleinbauer.
Dann kam der Ruf in die Konzernzentrale nach Belgien und mit einem Schlag änderte sich alles: Ich wurde ein Mönch. Kurz entschlossen verkauften wir unser Haus. Von nun an war ich heimatlos und eine weltweite Organisation kümmerte sich um mich und meine Familie. Sie versorgte uns mietfrei mit einem schönes Haus in Brüssel. Auch ein Firmenwagen mit Tankkarte war Teil des Mönchsstatus. Ich brauchte mich um nichts zu kümmern außer um hervorragende Leistungen für den Konzern wie ehedem die Mönche der großen und reichen Mönchsorden.
Jeden Morgen, wenn ich in meinen schwarzen Anzug stieg, kleidete ich mich wie in eine Kutte. Sie machte uns Manager alle gleich. Wenn ich durch das Firmenportal schritt, leuchtete mir das große Firmenlogo wie ein Kruzifix von überall her entgegen und ich fühlte mich als Teil einer großen und starken Gemeinschaft von Gläubigen: Wir sind die besten!
In meinem Schreibtisch lag die kleine Bibel mit unseren Firmenwerten (unsere Bergpredigt) und unser Code of Conduct (unsere Zehn Gebote). Wenn immer ich am Telefon warten musste, wurde in einer Endlosschleife unsere Firmenhymne gespielt, die bei Firmenfeierlichkeiten auch im Chor gesungen wurde. Der Konzern nährte mich und ich zahlte zurück durch Ora (Loyalität) und Labora (Performance).
Mit einem klaren Missionsauftrag taten wir unser Bestes, die Ungläubigen des Marktes zum Glauben an unser Brand und unsere Produkte zu bekehren. Manchmal zettelten wir sogar wahre Kreuzzüge an, um den Wettbewerb als den Antichristen möglichst vernichtend zu schlagen.
Unserem CEO-Abt mussten wir bedingungslos gehorchen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollten exkommuniziert zu werden. Ausgeschlossen und arbeitslos zu werden, den Mönchsstatus und all die Annehmlichkeiten zu verlieren, war das Schlimmste.
Am Ende hat jede Analogie ihre Grenzen und es bleibt die Frage nach dem Unterschied zwischen dem Lebensgefühl als Manager oder Mitarbeiters und dem eines Mönchs. Der Unterschied ist ganz einfach. Alle Angehörigen eines Klosters konnten sich darauf verlassen, dass sie, solange sie es an ora et labora nicht fehlen ließen, ihre Ordensmitgliedschaft niemals verlieren würden. Die heutigen Mitarbeiter müssen feststellen, dass ihre umgekehrte Religion nicht mehr auf dem Grundsatz: Glaube, Hoffnung, Liebe fußt, sondern die Liebe durch Umsatz ersetzt ist, der sich gegen jederzeit gegen ihre eigenen Anhänger richten und sie aus der Gemeinschaft ausstossen kann.
Zu Beginn der Französischen Revolution 1789 wurden die Klöster geschlossen. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ war der Schlachtruf der Revolutionänre. Das Ergebnis: Die Gedanken in Wort und Schrift sind frei. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist garantiert. Nur mit der Brüderlichkeit scheint es zu hapern. Irgendwie will es bei allem pseudoreligiösen Getue in unseren Firmen und Konzernen nicht gelingen, Liebe anstatt nur den Umsatz untereinander walten zu lassen.
Beste Grüße & Carpe Diem
Ralf Borlinghaus
Fazit: Trotz bedingslosen...
Fazit: Trotz bedingslosen Gehorsams gibt es keine materielle Sicherheit im kapitalistischen System. Wer nur seine Arbeitskraft zu vermarkten hat, muss sie so teuer wie möglich verkaufen, so lange sie gefragt ist. Wer nicht oder nicht mehr gefragt ist landet beim Prekariat.
Karriere ist nichts als schöner Schein, um die Leistungsträger auszubeuten. Profiteure sind die Top-Manager mit ihren perversen Gehältern und die unkontrollierbare internationale Finanzwelt.
Solidarität gibt es keine.
Also rafft zusammen so viel Ihr könnt und steigt aus dem Spiel aus.