In der letzten Woche hatte ich eine Coaching-Sitzung mit einem Klienten im Garten eines ehemaligen Klosters. In dessen Mitte war ein Labyrinth ganz aus Thymian angelegt. Unter dem schattigen Blätterdach eines Walnussbaums haben wir mehr als drei Stunden intensiv Biographiearbeit betrieben.
Das Labyrinth gehört zu den ältesten Symbolen der Menschheit und ist in vielen Kulturen zu Hause. Es ist ein Sinnbild des individuellen Lebensweges. Es ist keineswegs ein Irrgarten. Obwohl man beim Abschreiten der vorgezeichneten Linien häufig die Richtung ändern muss und sich sogar immer wieder von der Mitte als dem Zielpunkt des Labyrinths entfernt, führt der Weg schlussendlich sicher ins Zentrum und damit zu sich selbst.
Immer wieder geschieht es, dass sich Menschen in der Mitte ihres Lebens wie in einer Sackgasse befinden. Doch oft sind sie sich in diesem Moment nur nicht bewusst, dass sie sich in der Mitte ihres persönlichen Labyrinths, also ganz nah bei sich in ihrem eigenen Zentrum befinden. Dann empfinden sie das starke Bedürfnis zurückzuschauen und nach der Bedeutung dessen zu fragen, was sie bisher erreicht haben. Es ist die Frage nach den eigentlichen Resultaten und dem Wesentlichen des eigenen Lebens, die sich plötzlich dringlich stellt.
Zu diesem Zeitpunkt entsteht bei Vielen der Wunsch, den Zirkel zu durchbrechen, sich einen neuen Lebenspartner zu suchen, den Beruf zu wechseln, oder einfach nur auszusteigen. Es ist die große Krise zur Lebensmitte. Nichts soll mehr nur einfach so passieren. Das Bedürfnis nach bewussten Entscheidungen wird unbändig. Viele Menschen suchen jetzt nach der großen Antithese im Leben. Sie erwarten, dass etwas Neues und Aufregendes in ihrem ansonsten als langweilig erlebten Alltag passiert.
Das also war das Thema des Coachings unterm Walnussbaum: Ein erfolgreicher Mittvierziger, Manager in einem internationalen Unternehmen mit einer erheblichen Verantwortung, eine hart arbeitende Führungskraft mit hervorragenden Resultaten, hat das bedrückende Gefühl, nicht das Richtige zu tun, gewissermaßen auf dem falschen Weg zu sein. Er ist kurz davor, den Zirkel zu durchbrechen und das bisherige Leben einfach abzuschütteln.
Wir haben uns also auf den Weg gemacht und sind sein persönliches Labyrinth mit all seinen Schleifen und Wendungen noch einmal gemeinsam von seiner Kindheit bis in die Gegenwart abgeschritten. Am Endpunkt angekommen sah er sich wieder mit den Idealen seiner Jugend konfrontiert. Als Kind, als Jugendlicher und als junger Mann war er von seinem Auftrag überzeugt gewesen, an einer besseren Welt mitwirken zu sollen. Und wie es so geht: Über lange Jahre ist dieser eigentlich bestimmende Gedanke in Vergessenheit geraten zugunsten einer Karriere, die ihm breite Anerkennung als Experte und ein beträchtliches Einkommen beschert hat.
Erschüttert zieht es ihn wieder an den Ausgangspunkt zurück mit der Bereitschaft, noch einmal von vorne anzufangen und mit dem ursprünglichen Wunsch ernst zu machen. Aber nachdem wir gemeinsam sein bisheriges Leben angeschaut haben, wird uns klar, dass es nicht um die Setzung einer großen Antithese zu seinem bisherigen Tun und Schaffen geht, sondern um dessen Synthese. Die große Herausforderung für ihn ist nicht, sich eine neue und anständigere Aufgabe zu suchen und ein neues Leben zu beginnen, sondern seine heutige Tätigkeit so zu vertiefen, dass ihm sein Beruf, in dem er heute Experte und zu Ansehen gekommen ist, zum wirkungsvollen Werkzeug wird, um in seinem Sinn mit an einer besseren Welt zu bauen.
> Alle Blog-Einträge auf einen Blick