„Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen!“ Lässt Goethe in seinem Faust Gretchen als weibliches Pendant zum Ottonormalverbraucher sprechen. Der betrachtet mit Erstaunen die aktuellen Geschehnisse auf den globalen Finanzmärkten und im eigenen lokalen Aktienportfolio, während die Fachleute sich wundern. Dabei ist nichts weiter passiert, als dass die großen (Spiel-)Banken ihr Spiel zu weit getrieben und sich nun verwundert die Augen reiben. Rien ne va plus! Nichts geht mehr. Den glamourösen Croupiers sind die Jetons ausgegangen. Und auch mit dem Rücktausch des Spielgeldes, all der Aktien, Derivate und Zertifikate, scheint es zu hapern. Die Zocker verstehen ihre bunte Spielwelt nicht mehr: Nach Gier ist geil ist die große Ernüchterung eingetreten. Aber Hoffnung auf Besserung ist nicht zu erwarten. Wie die Spielsucht schon so manchen sehenden Auges um Haus und Hof gebracht hat, wird auch die globale Gier nach Geldvermehrung sich nicht durch einen Aktiencrash therapieren lassen. Politik und Banken werden die Spielregeln wieder ein wenig verfeinern und dann bitten uns die Croupiers wieder an die Spieltische dieser Welt.
In einem Bericht über Bhutan (GEO 04/2008), das sich über lange Zeit dem Treiben seiner Umwelt verschlossen hat, war zu lesen, dass nun die Entwicklung des Landes behutsam mit dem Ziel erfolgen soll, das Bruttosozialglück für alle zu steigern. Bruttosozial-Glück, ein Begriff, der es Wert ist, dass man ihn eine Weile nachklingen lässt. Ein König, der dem Volk Demokratie verordnet und sich selbst völlig aus der Politik zurückzieht. Ein Staatshaushalt, der in erster Linie Bildung und Umweltschutz verpflichtet sein soll (ein kostenloses Gesundheitssystem gibt es längst). Wir werden sehen. Doch allein dem Mut in unmittelbarer Nachbarschaft zu China, wo wir dieser Tage Zeuge eines ganz anderen Experiments mit unabsehbaren Folgen sind, das Prinzip der Gross Domestic Happiness zu verfechten, gebührt Respekt und weckt Sympathie.
Was aber ist mit uns? Ein ganzer Forschungszweig (Happyness Economics) hat sich darauf verlegt, unsere Einstellung zu Glück und Geld zu ergründen. Ihrer ersten Einsicht, „Geld allein macht nicht glücklich…“, sekundiert die Werbung: …es gehören auch Autos, Häuser und Boote dazu. Doch obwohl doppelt so reich wie 1960, bezeichnen sich heute nur noch 33% Amerikaner gegenüber vordem 35% als sehr glücklich. Geld bestimmt unser Leben, aber es verschafft uns nicht mehr Glück. Nichts ist schneller vergessen als die letzte Gehaltserhöhung. Es gibt nur eine Konstellation, in der wir weniger Geld gegenüber mehr Geld vorziehen würden, nämlich dann, wenn die Menschen um uns herum finanziell deutlich schlechter gestellt sind als wir. Dies scheint uns angenehmer zu sein, als mit relativ viel mehr Geld inmitten von Multimillionären unser Dasein fristen und uns relativ arm vorkommen zu müssen. Wir ziehen den relativen Wohlstand dem absoluten Reichtum vor. Bruttosozialglück? – Fehlanzeige. Wir ticken anders.
Statt uns unseres Wohlstands zu erfreuen, plagen uns Abstiegsängste und um der vermeintlichen finanziellen Unabhängigkeit willen streben wir nach Karriere und noch mehr Geld auf Kosten von Familie, Freunden und Nachbarn. Hat uns dann die Sucht nach Steigerung unseres Bruttoindividualprodukts von innen ausgebrannt, sagen wir, unsere Work-life-balance sei gestört und wir brauchen einen Coach. Was wir brauchen, ist eine Suchttherapie, die uns befreit von Gier ist geil und bereit macht, an der Steigerung des Bruttosozialglücks mitzuwirken.
PS: Was meinen Sie, sind die Kurse schon soweit unten, dass es sich lohnt wieder einzusteigen…?
Eine schöne Woche &
Carpe Diem!
Ihr Ralf Borlinghaus
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