Biographien sind Lebensgeschichten, d. h. erlebte Geschichten. Erlebnisse werden dadurch zum Leben erweckt, dass man sie erzählt. Objektive Geschichten gibt es nicht, sie entstehen immer wieder neu aus der Perspektive des Erzählers. Auch wenn der Erzähler sich auf die objektiven Fakten zu beschränken vorgibt, so unterliegen diese doch seiner subjektiven Auswahl, so dass sich aus objektiven Fakten doch wieder am Ende eine subjektive Geschichte ergibt. Die Frage ist nur: Wen lassen wir unsere Geschichte erzählen? Wer gibt meiner Lebensgeschichte ihre Bedeutung? Lasse ich meine Erlebnisse durch andere und deren Maßstabe deuten oder gebe ich ihr selbst einen Sinn? Und wenn ich sie selbst deute, was kommt dabei heraus?
Nehmen wir als Beispiel die Geschichte einer Mandantin, die von ihrem Arbeitgeber überraschend gekündigt worden war.
Blicken wir zunächst auf die Fakten:
Die alleinstehende Mandantin war elf Jahre lang Mitarbeiterin des Unternehmens, zuletzt in der Rolle eines Global Key Account Managers. Das Unternehmen hat seine Wachstumsziele nicht erreicht und begonnen, die Personalkosten zu senken. Von zehn Kollegen wurden 3 Mitarbeiter entlassen und mit sofortiger Wirkung bis zum Ende der Vertragslaufzeit freigestellt.
So klingt die Geschichte aus der Sicht eines Kollegen, der seinen Arbeitsplatz behalten hat:
Die Sache mit meiner Kollegin tut mir sehr Leid. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet. Eigentlich hat sie einen ganz hervorragenden Job gemacht; ihre Zahlen haben immer gestimmt. Ich habe im Verkauf eine Menge von ihr gelernt. Andererseits stand sie in letzter Zeit immer wieder quer im Stall. Das Verhältnis zu unserem Chef wirkte irgendwie angespannt. Mich hat auch vieles gestört, aber instinktiv habe ich mir in dieser wirtschaftlich schwierigen Situation nichts anmerken lassen. Man konnte ja direkt spüren, dass sich da etwas zusammenbraut. Wir verlieren im Augenblick eine Menge guter Leute. Ich hätte sie nicht entlassen.
Der Vorgesetzte würde die Geschichte vielleicht so erzählen:
Glauben Sie mir hat das Spaß gemacht? Von zehn guten Mitarbeitern sollte ich mich Hals über Kopf trennen. Das war wieder einmal typisch. Der Vorstandsvorsitzende macht eine Ansage und schon steht die Personalabteilung auf der Matte und will Namen. Ich sehe uns schon in einem halben Jahr wieder händeringend nach guten Verkäufern suchen. Ich habe mir jeden einzelnen im Team genau angeschaut. Natürlich wollte ich die Leistungsträger behalten. Andererseits bin ich bei einigen auch aus sozialen Gründen Kompromisse eingegangen. Mensch, die haben Familie und ein Haus abzubezahlen. Ja, die Kollegin hätte ich gerne behalten, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, die war sowieso im Aufbruch. Und als Single mit ihren Qualifikationen findet sie bestimmt sofort wieder etwas Neues.
Meine Mandantin hat mir zu Beginn unserer Gespräche ihre Geschichte so erzählt:
Ich kann es immer noch nicht fassen. Da jettet man all die Jahre durch die ganze Welt, um diese zweitklassigen Produkte mit Müh‘ und Not an den Mann zu bringen und verbringt die besten Jahres seines Lebens in Hotelzimmern, nur um am Ende eiskalt abserviert zu werden. Natürlich habe ich gesehen, dass die Hütte brennt. Mit meinen Zahlen habe ich mich sicher gefühlt. Wer kann denn ahnen, dass die ihr bestes Pferd zum Metzger bringen! Im Nachhinein wird mir alles klar. Mein Chef ist ein echter Macho. Wenn eine Frau ihren eigenen Kopf hat, kann er damit nicht umgehen und nutzt die nächste beste Gelegenheit, um sie sich vom Hals zu schaffen. Da arbeitet er lieber mit Männern zusammen, die ihm aus der Hand fressen. Ich kann mich doch bei keinem Unternehmen mehr blicken lassen. Ich und gekündigt, ich glaube es einfach nicht!
Das Selbstbewusstsein meiner Mandantin war sichtlich erschüttert. Sie schämte sich zutiefst. Sie kam sich vor wie eine Versagerin. Ihr bis dahin makelloser Lebenslauf hatte aus Ihrer Sicht einen peinlichen Fleck bekommen. Sie fühlte sich, als hätte jemand während einer Feier ihre helle Garderobe mit Tomatensaft besudelt und alle würden sie anstarren. Sie wäre am liebsten im Erdboden versunken. – Wir haben dann in unseren Gesprächen versucht, dieses Ereignis aus dem Gesamtkontext ihrer Lebensgeschichte heraus zu verstehen, so dass sie sich schließlich in der Lage sah, in einem Bewerbungsgespräch Ihren Stellenwechsel wie folgt zu erklären:
Sie fragen sich sicherlich, warum ich eine gut bezahlte Stelle einfach gekündigt habe? – Sehen Sie, ich bin sehr ehrgeizig und habe große Pläne. Ich möchte gerne Leiterin Marketing & Sales werden. Durch mein Studium habe ich mir den entsprechenden Ausbildungshintergrund geschaffen. Nach zwei ersten beruflichen Stationen im Marketing habe ich elf Jahre im Vertrieb gearbeitet und zuletzt einige der wichtigsten Kunden des Unternehmens eigenverantwortlich betreut. Seit gut einem Jahr war ich an dem Punkt, dass ich gerne einen nächsten Schritt machen und den Schwerpunkt meiner Tätigkeit wieder mehr auf das Marketing setzten will. Doch das in Ruhe vorzubereiten, daran war nicht zu denken. Sie wissen ja aus der Presse, dass das Unternehmen in Schieflage geraten ist. In einer solchen Situation wird jede Hand gebraucht und aus dem Flieger kann man sich nicht bewerben. Dann hat unser Vorstand die Notbremse gezogen und ein umfassendes Kostensenkungsprogramm eingeleitet, das auch den Vertrieb stark in Mitleidenschaft gezogen hat. Drei von zehn Key Account Managern sollten bei sofortiger Freistellung gehen. Mit meinen sechs Monaten Kündigungszeit habe ich da natürlich zugegriffen. Endlich hatte ich die Chance, mich zu sortieren und meine nächsten Schritte in Ruhe zu planen. Mir geht es nicht darum, irgendeinen neuen Job zu finden, sondern den richtigen nächsten Schritt auf mein Karriereziel hin zu tun. Und da wir offenbar beide den Eindruck haben, dass die ausgeschriebene Stelle einen sinnvollen Entwicklungsschritt darstellt, bin ich heute hier.
Die Geschichte so erzählt war kein Märchen, sondern Ausdruck einer grundlegend veränderten Sicht auf Ihre Situation. Sie fühlte sich nicht mehr als tragisches Opfer äußerer Umstände, sondern hatte die Chance, die in der Situation für sie lag, erkannt und bei der Kündigung „natürlich zugegriffen“. Die Art und Weise, wie eine Lebensgeschichte erzählt wird, hat unmittelbare Auswirkung auf ihren weiteren Verlauf. Wie denken Sie hätte sich die Verzweiflungsgeschichte in den nächsten sechs Monaten für meine Mandantin fortgeschrieben? Mit der letzten Version hatte sie nach drei Monaten einen neuen Job und noch Gelegenheit Ihren Traum einer ausführlichen Südamerikareise zu realisieren.
Welche Geschichten erzählen Sie sich und anderen über Ihr Leben?
Eine gute Woche &
Carpe Diem
Ihr Ralf Borlinghaus
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I am checking if I can add a comment. ty.
Another test with Safari. thx...
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Coach me if you can....
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– leider nicht. :-))
Lieben Gruß
ime-a