Gestern besuchte ich die Eröffnung einer bemerkenswerten Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Frankfurt: „Superman und Golem – Der Comic als Medium jüdischer Erinnerung”. Um es gleich vorwegzunehmen: Sie ist nicht deshalb bemerkenswert, weil ich im Vorfeld den Kuratoren auch ein paar Hinweise geben durfte und im Begleitheft zur Schau mit einem kleinen Aufsatz vertreten bin. Sie ist bemerkenswert, weil sie gegenüber der in den Jüdischen Museen von Pariser und Amsterdam gezeigten Version noch einmal wesentlich verbessert worden ist. Nicht hinsichtlich der gezeigten Objekte. Die sind weitgehend dieselben (zu den Ausnahmen wird gleich noch etwas zu sagen sein). Aber in Paris, wo ich die Ausstellung erstmals gesehen hatte, konnte man sich angesichts der Fülle des dicht gedrängten amerikanischen Materials kaum mehr orientieren, und der den europäischen und israelischen Comics gewidmete zweite Teil sowie die neueren autobiographischen Publikationen zur Schoa, also etwa das beeindruckende mit Comic-Elementen angereicherte Buch von Bernice Eisenstein oder das etwas weniger beeindruckende, aber immer noch bedrückende Album von Miriam Katin, waren in einem niedrigen Tonnengewölbe des Untergeschosses zu sehen, das außer in einigen Tischvitrinen keine angemessene Präsentation gestattete. Und in Amsterdam soll es noch schlimmer gewesen sein, sagte man mir.
In Frankfurt ist das ganz anders. Die Ausstellungsarchitektur ist zwar verwinkelt, aber es gibt zahlreiche Durchgänge, die den Weg flexibel halten. Immer wieder sind spontane Übergänge in andere Abteilungen möglich, und die Objekte werden auf einem durch alle Räume laufenden breiten Band aus Pappe großzügig präsentiert, während die Wandflächen darunter und darüber knallgelb gestrichen sind. So wird durch den Pappstreifen das Prinzip des Comic-Strips von der Ausstellungskonzeption aufgenommen, und wenn man in den durch zahlreiche temporäre Einbauten gebildeten langen Gängen den Blick zur Decke hebt, ist dort der prachtvolle Stuck des Rothschild-Palais zu sehen, der den Bildergeschichten zusätzlichen Glanz verleiht. Auf kleinen Konsolen liegen dann neben den Originalseiten manche der entsprechenden Bücher, so daß man auch komplette Geschichten betrachten kann.
Es sind in Frankfurt weniger Austellungsstücke als in Paris oder Amsterdam zu sehen, wobei vor allem die französische Sektion eingeschränkt wurde. Immer noch allerdings ist Joann Sfar mit seinen fabelhaften Notizbüchern und Comic-Seiten ein Schwerpunkt, und allein die Chance, einige der teuren Originale von Hugo Pratt zu sehen, lohnt den Weg ins Jüdische Museum. Wobei wiederum anzumerken ist, daß der Untertitel zwar von „jüdischer Erinnerung” spricht, einige der vertretenen Zeichner, wie etwa Pratt, aber keine Juden sind. Alle gezeigten Arbeiten jedoch widmen sich dem Judentum, auch wenn etwa bei Edmond Calvos berühmter Tierfabel über den Zweiten Weltkrieg mit dem Titel „La bête est morte” aus dem Jahr 1945 nur am Rande von den Deportationen und Vernichtungslagern die Rede ist, während sich der Großteil des Geschehens den Aktivitäten der Résistance widmet.
Ein paar wenige Dinge wurden für die Frankfurter Schau ergänzt, weil sie besondere Bedeutung für Deutschland haben. So etwa Beispiele aus den Comics von Elke Steiner, einer Berliner Zeichnerin, die sich auf Themen der jüdisch-deutschen Vergangenheit spezialisiert und auch schon einen Comic-Strip für die „Jüdische Allgemeine” gezeichnet hat. Oder die neueste Arbeit des Frankfurter Duos Alexis Martinez (Zeichner) und Gunther Brodhecker (Szenarist), die gerade in Eigenregie einen lupenreinen Ligne-Claire-Comic herausgebracht haben, über den in diesem Blog bald noch zu reden sein wird. Heute aber interessiert nur die Ausstellungseröffnung.
Sie fand ihren Höhepunkt in einer Überraschung. Zwischen den Reden des Frankfurter Kulturdezernenten Felix Semmelroth und der Pariser Kuratorin Anne-Hélène Hoog ergriff spontan Salomon Korn das Wort. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt ist eher als zurückhaltender Mann bekannt, doch hier brachte er eine persönliche Reminiszenz an, die das Publikum bewegte. Als Fünfjähriger mit seinen Eltern 1948 aus einem Lager für Displaced Persons nach Frankfurt gekommen waren die frühesten kulturellen Erfahrungen des jungen Salomon Korn Westernfilme und Comics. Aus dem Gedächtnis zitierte er aus mehr als einem halben Jahrhundert Abstand Dialoge aus Donald-Duck-Geschichten – natürlich alle von Carl Barks gezeichnet und von Erika Fuchs übersetzt -, die seinen Lebensweg geprägt haben: „Die beiden sind zu zweit, und wir sind ganz allein” etwa aus der 1956 erschienenen Geschichte „Berufssorgen” oder den Knabenschwur von Tick, Trick und Track aus der ein Jahr später publizierten „Weihnachtswäsche”: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr.” Man spürte Korns Begeisterung für seine eigene Erinnerung, und natürlich hatte er seinerzeit auch Manfred Schmidts „Nick Knatterton”, Hal Fosters „Prinz Eisenherz” oder die Piccolo-Hefte von Hansrudi Wäscher gelesen. Da stand ein Comic-Fan vor mir, von dem ich das nie geahnt hatte.
Zwei Fragen aber, sagte Korn, hätten ihn immer stärker umgetrieben, je intensiver er sich als Jugendlicher in seine beiden kulturellen Hauptinteressen hineingedacht habe: Warum kommt am Schluß eines Westerns immer in letzter Sekunde die rettende Kavallerie? Und warum sind so viele Comic-Zeichner Juden? Das Gemeinsame habe er erst erkannt, als er hörte, daß auch die meisten Hollywood-Filmproduzenten jüdischer Abstammung waren. Damit, so Korn, sei ihm klar geworden, daß die Kavallerie oder die Superhelden nichts anderes waren als Kompensation für die Erfahrung der Hilflosigkeit von Juden angesichts der Pogrome und Verfolgungen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Umso mehr freue ihn nun die Frankfurter Ausstellung, die genau diesen Aspekt in den Mittelpunkt ihres Interesses stelle.
Diese persönliche Erklärung von Salomon Korn war nicht weniger beeindruckend als die gezeigten Arbeiten. Darunter sind auch erstmals überhaupt in einer Austellung Originalseiten aus Dave Sims im Frühjahr 2008 erschienenem Comic „Judenhass” – dem Versuch, die Geschichte des eliminatorischen Antisemitismus vom Mittelalter bis in die Gegenwart zu dokumentieren. Diese Seiten haben mich aus zwei Gründen tief berührt. Zum einen, weil ich Dave Sim vor zwei Jahren in seiner kanadischen Heimatstadt Kitchener besucht hatte, als er gerade anfing, an „Judenhass” zu arbeiten und mir davon mit einer Eindringlichkeit erzählte, die sofort die Ernsthaftigkeit seines Anliegens klar machte. Der zum Islam konvertierte Katholik hat in seinem Heft scharfsichtig die Perfidie der Verleumdung von Juden und deren mörderische Folgen herausgearbeitet. Zum anderen aber habe ich, als „Judenhass” dann erschien, in der F.A.Z. mit einem Freund zusammen eine Doppelrezension dazu verfaßt. Nur mit wirklich Vertrauten kann man gemeinsam schreiben, und derzeit ist die nächste Zusammenarbeit in einiger Ferne. So beschworen Dave Sims drei Comic-Seiten mit ihrem schrecklichen Inhalt trotzdem eine bessere Zeit in meinem Leben herauf. Unsere Erinnerungen sind mit Lektüren in einem Maße verknüpft, das gar nicht überschätzt werden kann. Und für meine Leidenschaft, die Comics, gilt das noch mehr.
<p>Vielen Dank für den...
Vielen Dank für den Beitrag.
Damit konnte ich nun in meinem Blog-Eintrag den Namen für den begeisterten Comic-Fan eintragen.
Viele Grüße
Comicleserin
<p>Sehr geehrter Herr...
Sehr geehrter Herr Platthaus,
mit großem Interesse sind wir auf Ihren Kommentar zur Comic Ausstellung in Frankfurt mit dem Titel: Jüdische Zeichner: ‘Comics als Kompensation’ aufmerksam geworden. Im Auftrag von Frau Hetty Berg, unserer Museumsleitung möchte ich hier ein paar Sachverhalte richtig stellen.
Wie Ihnen sicher bekannt ist, versuchen alle Musea die Ihnen zur Verfügung stehenden Ausstellungsräumlichkeiten so gut und optimal zu nutzen. Das Jüdisch Historische Museum in Amsterdam ist ein aus 4 Synagogen gestaltetes Museum, welches architektonisch zu einem Gesamtgebäude verbunden wurde. Die Ausstellungsfläche für wechselnde Ausstellungen beträgt 287 qm. Erstaunt waren wir über die Äußerungen bezüglich der Präsentation und Gestaltung der Ausstellungen in Paris und Amsterdam. Zu Paris kann ich leider nichts sagen, aber dem Satz: “Und in Amsterdam soll es noch schlimmer gewesen sein, sagte man mir”…, entnehme ich, dass Sie in Amsterdam nicht selbst vor Ort waren. Unter den uns gegebenen Umständen und unter Berücksichtigung des uns zur Verfügung stehenden Ausstellungsraumes konnten wir die Ausstellung logisch und durchaus erfolgreich gestalten. Wir bedauern es sehr, dass Sie nicht selbst hier waren um sich davon zu überzeugen. Es würde uns freuen, wenn Sie sich in Zukunft selbst ein Bild machen könnten, bevor Sie sich entschließen negative Äußerungen zu veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen,
i.A. Annette Zwar,
Sekretariat