Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Legendenbildung inklusive: Der Weg nach Angoulême, Teil 5

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Endlich angekommen! Doch noch vor den Beginn des Festivals haben die Götter den Kampf um die Karten gesetzt. Und danach den landesweiten Streik der öffentlich Bediensteten. Auf der letzten Etappe aber gab es auch einige angenehme Überraschungen zu erleben. Und ich darf von heute an als Belgier gelten - zumindest in Frankreich-

 Jetzt sitze ich in Angoulême, im Hotel Le Palme, direkt unterhalb des Espace Franquin, der diesmal als „Manga Building” firmiert, was den bisherigen Namensgeber mutmaßlich im Grab rotieren läßt. Hinter mir liegt ein Abendessen in gemischter deutsch-niederländisch-belgisch-amerikanischer Runde, die sich unter Vorsitz von Uli Pröfrock (ja, jenem Uli, von dem ich vor ein paar Tagen in diesem Blog berichtet habe, daß wir uns für Angoulême verabredet haben und nicht für Bielefeld) Jahr für Jahr hier versammelt. Nur der große niederländische Zeichner Jost Swarte fehlte diesmal; er reist erst am Donnerstag an, und ob er überhaupt Angoulême erreicht, steht in den Sternen, denn morgen ist Generalstreik bei öffentlichen Verkehrsmitteln, Theatern und Post angesagt. Das könnte somit ein ruhiger Tag in den großen Zelten mit den Verlagsständen werden, die in der ganzen Stadt verteilt sind. Ich werde gleich um zehn Uhr morgens zur Place des Halles gehen, wo der Schwerpunkt „Para BD” zu finden ist – also alles, was über normale Comicalben hinausgeht. Denn Comics habe ich auf der Reise bereits genug eingekauft.

Einen Teil der entsprechenden Ausbeute verdanke ich der Stadt Orléans, die heute morgen doch noch Ziel eines kurzen Besuchs wurde, und gleich an der zweiten Ecke in der Altstadt fand sich „Legend BD”, ein Comicladen, von dem ganz Deutschland träumen könnte. Der Betreiber ist noch nie nach Angoulême gefahren, wie er erzählt, obwohl das Festival keine vier Stunden weit entfernt liegt, aber es ist ja alles im Laden vorrätig, was man braucht. Entweder ist der Herr übrigens sehr höflich, oder er haßt die belgische Aussprache des Französischen, denn auf mein Gestammel hin fragte er mich, ob ich Belgier sei. Das werde ich ihm nicht so schnell vergessen; in meiner Freude habe ich gleich noch vier Bände gekauft, um deren Erwerb ich mich seit drei Jahren herumgedrückt habe, weil ich den größten Teil ihres Inhalts bereits in anderen Publikationen besitze: das „Bestiaire amoureux” von Joann Sfar. Aber von einigen Zeichnern sollte man einfach alles besitzen; deshalb wird im zauberhaften Kinderbuchladen von Angoulême am späten Nachmittag auch noch die vierteilige Serie „Ariol” gekauft, für die Emmanuel Guibert als Szenarist verantwortlich zeichnet und deren kindliche Zielgruppe meinem „belgischen” Französisch entgegenkommt. Doch ich greife vor.

Denn mittags waren wir erst einmal nach Poitiers gefahren, deren Kirchen tatsächlich ungleich schöner sind als die Kathedrale von Orléans. Wobei mich St. Pierre als geradezu mustergültiger Übergangsbau von der Romanik zur Gotik mehr beeindruckt hat als die kunstgeschichtlich zweifellos bedeutendere Notre Dame la Grande. Und schweigen wir vom Baptisterium, dem ältesten christlichen Bauwerk auf französischem Boden. Schön, man steht da in einem Bauwerk aus dem vierten Jahrhundert, aber das wird als überdachter Abladeplatz für allerlei antiken Grabschmuck genutzt, was die strenge Gestalt des Baus zuverlässig zunichte macht. Kein Ruhmesblatt für Poitiers. Und einen Comicladen habe ich auch nicht entdeckt. Das alles wurde aber durch eine völlig unerwartete Sensation ausgeglichen: die Salle des pas perdus, einen riesigen Festsaal aus dem zwölften Jahrhundert, um den ein origineller Baumeister des neunzehnten Jahrhunderts den Justizpalast herumgebaut hat. Für diese Halle allein lohnt bereits jeder Weg.

In Angoulême trafen wir dann gegen 17.30 Uhr ein, und das Hotel war sogar so flexibel, das angeblich bestellte Einzel- noch in ein notwendiges Doppelzimmer umzutauschen. Dann zur Akkreditierung im Rathaus, wobei man auf dem Weg dorthin noch in allen Zelten und Ausstellungsorten Menschen wirbeln sah, die bis morgen früh alles fertig haben sollen – damit dann die Züge durch den Streik ausfallen und niemand aus Paris ankommt. Doch die lokale Zeitung beruhigt: Der Streik bedrohe das Festival nicht. On verra.

Ein Grund für die frühe Anreise an diesem Mittwoch war mein Wunsch, Karten für zwei Concerts illustrés im Theater von Angoulême zu bekommen, eines mit Christophe Blain, eines mit Dupuy & Berberian. Doch im Theater steht ein Herr an der Tür, der von Comics nichts versteht und also auch keine Ahnung hat, wo man diese Karten bekommen kann; hier jedenfalls, so versichert er glaubhaft, nicht. Aber im Pressebüro heißt es, die Billets gebe es nur im Theater. Also ist der Vorsprung von einem Tag nutzlos, und wir werden uns morgen in die Reihe der anderen Interessenten einreihen müssen. Wenn sie denn trotz Streik ankommen. Sonst sitzen wir eben allein im Konzert. Oder wenn das Theater trotz Streik überhaupt spielt. Aber Zeichner, die zu vorgetragener Musik ihre Bilder anfertigen, brauchen ja nicht viel Unterstützung durch technisches Personal. Und irgendwer wird den Vorhang schon aufbekommen.

 

  


1 Lesermeinung

  1. bandard sagt:

    <p>Ja, Ja, die Freuden der...
    Ja, Ja, die Freuden der französischen Provinz… ‘France profonde’ ist es ja nicht wirklich, und alles Gesagte kann kann man soweit eigentlich auch stehen lassen, soweit es Poitiers betrifft. Nichtsdestrotrotz zur Ergänzung: einen Comicladen gibt es durchaus, ‘Bulles d’Encre’ heißt der, und der Inhaber – das freut dann ja doch den deutschen Donaldisten – kennt nicht nur den Namen Barks, sondern schätzt den Meister sogar, keine Selbstverständlichkeit bei unseren Nachbarn.
    Und wer Zeit, und auch den Sinn für die Randbereiche des Comicwesens hat, der findet dort gar, sofern er gewillt ist, zu suchen, die französische ‘Fanzinothèque’, wenig bekannt, und für manch durchaus bizarre Entdeckung gut. Aber ein wenig-stündiger Aufenthalt reicht für solcherlei Entdeckungen eben nicht aus. Macht nix, es gibt immer ein nächstes Mal.

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